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Full text of "Naturwissenschaftliche Wochenschrift"

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NmiRWISSENSCH 
WOCHENSCHRIFT 


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D.A.BOUMAN  Jr.l 

BOEK  EN   »UZIEKHANOEL 

.   AMSTERDAM,  l 

BILDERDUKSTRAftT    190 

1^      ZEIST:     -^ 

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Naturwissenschaftliche 
wochenschriet. 


REDIGIERT 


Prof.  Dr.  H.  POTONIE, 


VON 


UND 


Prof.  Dr.  F.  KOERBER 


KGL.  LANDESGEOLOGEN  KGL.  OBERLEHRER 

IN  GROSSLICHTERFELDE  bei  BERLIN. 


NEUE  FOLGE   Vlll.  BAND 
(DER  GANZEN   REIHE  XXIV.  BAND). 


(JANUAR  —  DEZEMBER  1909.) 


MIT  264  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


%4 


JENA. 
VERLAG  VON    GUSTAV  FISCHER. 

1909. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Allgemeines  und  Verschiedenes. 

B  r  i  1 1  e  n  ,  Secreta  oder  verborgene  geheime 
Künste  aus  dem  Jahre  1616  (Orig.  mit 
Abb.)     615. 

Danz,  Kunstwerke  des  Winters  ^Orig. 
mit  Orig.-.'\bb.).     624. 

Ehrlich,  Züchtung  von  arzeneifesten 
Stämmen  von  Trypanosomen.     762. 

H  e  n  n  i  g ,  R.,  Gerücht  u. Wunder  (Orig.)  42. 

Hennig,  R.,  Das  Naturgefühl  des  .Alter- 
tums (Orig.)      705. 

K  Gerber,  Das  Deutsche  Museum  von 
Meisterwerken  der  Naturwissenschaft 
und  Technik   (Orig.  mit  Abb.)    641. 

Potonie,  Äußerung  über  populäre  Be- 
rühmtheiten u.  Verbreitung  pop.  Lit. 
(Orig.)     463. 

Potonie,  Naturw.  Wochenschr.  u.  d.  all- 
gem.  deutsche  Sprachverein  (Orig.)  319. 

Rothe,  Zur  Beantwortung  der  2.  Frage 
des  II.  Einwandes  gegen  den  Darwinis- 
mus.    Nach  L.   Plate.    (Orig.)     174. 

Simroth,  Die  physikalische  Begrün- 
dung der  PendulatioD  (Orig.  m.  Karten) 
4S1. 

Darwin'sche  Lehre,  zu  ihrer  Kritik.    702. 

Herkunft  der  Organismen.     702. 

Philosophie. 

Adler,  Einheit  des  physikalischen  Welt- 
bildes (Orig.)     817. 

Angersbach  ,  Neues  aus  der  Philosophie 
(Orig.)     129. 

Baerwald,  Selbsttätigkeit  und  Ichliebe 
(Orig.  mit  Abb.)     305. 

G  o  m  p  e  r  z ,   Willensfreiheit.     662. 

Ites,  Über  den  psychologischen  Ursprung 
der  Raumvorstellung  (Orig.)     273. 

Pochhammer,   Willensfreiheit.     661. 

Potonie,  Einwirkung  des  Psychischen 
auf  Körperliches  (Orig.)     751. 

Potonie,  Über  den  Monismus  (Orig.)  527. 

Ziehen,   Gehirn  und  Seele.      186. 

Definitionen  einiger  philos.  Begriffe.     128. 

Determinismus  od.  Indeterminismus?   661. 

Konformismus;  Pragmatismus.  Mythen- 
bildung und   Erkenntnis.      129. 

Philosophie,   Neues  aus  der.     661. 

Anthropologie  und  Verwandtes. 

A  m  m  o  n,  Zum  Neunkräftesegen  (Orig.)  272. 

Baglioni,  Warum  besitzen  wir  kein 
elektrisches  Sinnesorgan?   (Orig.j    497 

B  e  a n  ,  Die  Igoroten  d.  Prov.  Benguet.  7 1 8. 

V.  Budkewicz,  Kannibalismus  bei  Men- 
schen und  Tieren  (Orig.)     48. 

v.  Bülow,  Über  Malayo-Polynesier.   718. 

Dahl,  Entwicklung  der  menschlichen 
Psyche  (Orig.)     528. 

Dittler,  Eisenmeier  u.  a.,  Nachbilder 
kurzdauernder  Reize.     744. 

V.  Ehrenfels,  Monogame  und  polygyne 
Sozialpolitik.     614. 


Register.'^ 


Friboes,  Ein  Meerweibchen.      140. 
Friedenthal,  Behaarung  des  Menschen. 

716. 
Fritsch,  Sehschärfe  beim  Menschen.  716. 
Frizzi,    Zur  Anthropologie    der    alpinen 

Rasse.     717. 
G  a  s  s  n  e  r,  Land  u.  Leute  von  Uruguay.  474. 
Goldscheid,   Entwickelungswerttheorie 

etc.     615. 
Guttmann,     Kölner    u.    a.,     Farben- 
pathologisches.    745. 
Haenel,  Himmelsgewölbe,  seine  schein- 
bare Form.     745. 
Hauser,  Alteste  bisher  gefundene  Men- 
schenreste (mit  Abb.)     323. 
Heibig,  Warum  besitzen  wir  kein  elek- 
trisches Sinnesorgan?  (Orig.)     766. 
Hentschel,   Die  Malayenfrage.      7  19. 
Kleinweg    de    Zwaan,     Anthropolog. 

Untersuch,  in  Mittel-Sumatra.     717, 
Kowarzik,    Osteologische  Sammlungen 
inihremVerhältnis  Z.Paläontologie.  141 
Kraepelin,  Z.  Entartungsproblem.  613. 
Kries  u.   Eyster,   Die  zur  Erregung  des 
Sehorgans       erforderlichen       Energie- 
mengen.    202. 
K  r  ü  g  e  r  u.  a.,  Konsonanz  u.  Dissonanz. 746. 
Lehmann-Nitsche,  Homo  sapiens  u. 
H.  neogaeus  aus  der  Argent.  Pampas- 
formation (Orig.  mit  Orig.-Abb.)     657. 
Pearson,  Rassenhygiene.     612. 
Ploetz,     Lebensdauer    der    Eltern    und 

Kindersterblichkeit.     611;. 
Märze  11,  Neunkräutersegen  (Orig.)  368. 
Nordenholz,  Menschenökonomie.  615. 
Rammstedt,    Chemie    im    Dienste    der 

Archäologie  (S.-R.)     209. 

R  a  y  1  e  i  g  h  ,  Lokalisation  von  Tönen.   745. 

Reuter,    Bezieh,    zw.    Kopfform    u.  Bau 

anderer  Teile  d.  menschl.  Körpers.  716. 

Rivers,    Sehschärfe  und   Farbensinn  bei 

farbigen  Rassen.  424. 
Roberts,  Ursachen  der  körperlichen 
Entartung  der  Bevölkerung  Indiens.  213. 
Schaefer,  Wittmack,  Kreidl,  Ya- 
nase  etc.,  Z.  Stud.  d.  Hörtheorien.  203. 
Schallmayer,  Eugenik  etc.  615. 
Schallmayer,    Versicherungsgesetze    u. 

Erbqualitäten.     614. 
S  o  f  e  r ,  Plastizität  d.  Menschenrassen.  234. 
Stieda,    Infibulation    bei   Griechen    und 

Römern.     536. 
Thomson,   Erblichkeit.      6 12. 
Tschermak,    Simultankontrast.     201. 
Walther,  Über  den  Verlauf  organischer 

Entwicklung.     410. 
Werth,     Der    Mensch     der    Eiszeit     im 

Alpengebiete  (Orig.)     395. 
W  e  u  1  e  ,  Zur  Kenntnis  der  ostafrikanischen 

Negervölker.    298,   534. 
Winter,  Lehmesser.     534. 
Anthropographie,  Neues  von  der.    715. 
Atlasse  von  Menschen  u.  Affen  (Orig.)  659. 
Fovea  centralis,  Ihre   Entwickelung.     744. 


llörtheorien.      203. 

Leichenerhaltung  im  Bleikeller  zu  Bremen. 

240. 
Meerweibchen.     256. 
Pithecanthropus.      80. 
Rassenhygiene,   Neues   von   der.      612. 
Schwelle   des   Lichtsinns.      202. 
Simultankontrast.      200. 
Sinnesphysiologie,  Neues  aus  der.  200,  742. 
Wollhaare  des  Embryo.     464. 
Wollhaare  im  menschl.  Embryodarm,  ihre 

Funktion.     701. 


Zoologie  und  Verwandtes. 

Bauer,  Simullankontrast  i.  Tierreich.  202. 
Berndt,    Tierehe    und   Brutpflege.      185. 
Breuer,  Gehörorgan  der  Vögel.    203. 
Brockmeier,       Wie     kriechen     unsere 
Wasserschnecken    an  der  Wasserober- 
fläche?    (Orig.)     321. 
Dahl,   Eiszeitrelikte   (Orig.)     766. 
Eckstein,   Ökonomische  Bedeutung  der 

Vögel.     426. 
Effenberger,   Biologische  Beobachtun- 
gen   an  einem  deutschen  Myriapoden, 
Polydesmus    complanatus     (Orig.    mit 
Orig.-Abb.)     26. 
Elpatiewskyu.  Swarczewsky,  Fort- 
pflanzung   von    Arcella    vulgaris    (mit 
Abb.)     236. 
v.  F  a  b  e  r ,  Bekämpfung  von  Kakaowanzen 

durch  Ameisen.     360. 
Gail,  Austernzucht  in  norwegischen  Pol- 
lern (Orig.   mit  Diagramm)    830. 
Grochmalicki,  Linsenregeneration  bei 

den  Knochenfischen  (mit  Abb.)  13. 
Hescheler,  Der  Riesenhirsch.  238. 
H  e  y  k  i  n  g ,  Widerstand  von  Karpfen  gegen 

Kälte.     222. 
H  11  zh  eimer ,  Equusequiferus(Orig.)8lo. 
Jennings,  Biologie  des  Seesterns  Asterias 

forreri   (mit  Abb.)     4S8. 
Jonescu,    Gehirn    der   Honigbiene    (mit 

Abb.)     631. 
Kammerer,     Bastardierung     von     Flul3- 

barsch  und   Kaulbarsch.      153. 
Keilhack,  L.,   Über  Simocephalus,  eine 

Kladocere  (Orig.)     256. 
Kiess,    Filarienknoten    in  der  Unterhaut 

des  Hirsches.     297. 
Kolbe,      Die     Südpolarkontinenttheorie 
nebst    Bemerkungen    über    tiergeogra- 
phische Verhältnisse  auf  der  Südhemi- 
sphäre (Orig.)     449. 
Kowarzik,   Der  Moschusochs  und  seine 

Rassen.    342. 
Kürchhoff,    Die  Tsetse    und    ihre  ver- 
heerende   Tätigkeit    (Orig.    mit    Orig.- 
Kärtchen.)      145. 
Maassen,    Ätiologie    der   sog.   Faulbrut 

der  Honigbienen.     57. 
Meisenheimer,J.,  Über  d. Beziehungen 
zwischen  primären  und  sekundären  Ge- 


')  Die    Abkürzung  S.-R.   bedeutet  Sammel-Referat.   —    Die  Artikel   „Neues  aus  .  .  ."   sind    ebenfalls  Sanimel- Referate. 


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Register. 


schlechlsmerkmalen  bei  den  SchmeUer-  \ 
lingen  ("rig.   mit  Orig.-Abb.)      545. 
Menzel,  H.,    l'bcr  das   Vorkommca  der 
Weinbergsschnecke  (Helix  pomatia)  in 
Deutschland  (^Orig.)   554. 

Meyer,  E. ,  Fleischfressende  Schnecken 
(Orig.)     384. 

Meyer,  Mäusefan gendc  Hühner  (Orig.)  1 60. 
Moroff,  Zur  Physiologie   des  Zillkcrnes 
(mit  Abb.)     244. 

Müller,  R.,  Sekundäre  Geschlechtsmerk- 
male und  ihre  züchtungsbiologische 
Bedeutung.     296. 

Nord  heim,  Beobachtungen  am  Bienen- 
stande (Orig.  m.Orig.-Uiagrammen)  300. 

i\  US  bäum,  Abhängigkeit  der  Regenera- 
tion vom  Nervensystem  bei  Nereis 
diversicolor  (mit  Abb.)     61. 

Otto,  Die  Beschuppung  der  Re|)tilicn 
(mit  Abb.)     118. 

Paladine,  Schwarze  Kcplialopoden- 
Tinte.     333. 

Parker,  Die  Sinnesempfindungen  des 
Amphioxus.      76. 

Plate,   Symbiotisch  lebender  Fisch.    204. 

Pütter,  Die  Ernährung  der  Wasserliere 
u.  der  Stoffhaushalt  des  Meeres  (S.-R. 
von   Friedrich   v.  Möller)     I. 

Rein  ecke  ,  Die  sogen.  Pferdesterbe.  281. 

Reinhardt,  R. ,  Pleiodaklylie  beim 
Pferde.      295. 

Richters,  Meer-Bärtiercheii  (Orig.  mit 
Orig.-Abb.)     330. 

Ross,  Pflanzen  u.  Ameisen  im  tropischen 
Mexiko  lOrig.  mit  Orig.-Abb.)  822. 

Schnitze,  Arnold,  Beobachtungen  üb. 
die  Fauna  u.  Flora  der  Grashochländer 
Kameruns  (Orig.  mit  Orig.-Abb.)    513. 

Schnitze,  Ernst,  Vogelschutz  in  den 
Vereinigten  Staaten  (Orig.)     49. 

Simroth  s.   Geophysik. 

Sommer,  Hydra  benutzt  die  ( )berflächen- 
spannung  des  Wassers  (Orig.)    400. 

Thienemann,  Echte  Höhlen-  u.  Grund- 
wasserliere  in  oberirdischen  Gewässern 
180. 

Tornier,  Regeneration  von  Eidechsen- 
schwänzen  (mit  Abb.)     607. 

Versluys,  Die  Salamander  und  die  ur- 
sprünglichsten vierbeinigen  Landwirbel- 
tiere  lOrig.  mit  Abb.)     33. 

Vosseier,  Myrmecophana  (mit .Abb.) 2 15. 

Wasmann,  Zur  Geschichte  der  Sklaverei 
und  des  sozialen  Parasitismus  bei  den 
Ameisen  (Orig.   mit  Orig.-Abb.)     401. 

Weismann,  Über  die  Trutzstellung  des 
Abendpfauenauges  (Orig.  mit  Orig.- 
Abb.)      721. 

Winterer,  Rückenmarksanästhesie.  297. 

Z i  c  g  1  e  r ,  Phylogenetische  Entstehung  des 
Wirbeltierkopfes  (mit   .\bb.)      108. 

Z  i  e  p  r  e  c  h  t ,  Zwitterbildung  b.  Schmetter- 
lingen.     250. 

Aalköderung.     700. 

Albinismus  bei  Bienen.     671. 

AnaldrUsen.     831. 

Artbegriff  in  der  Zoologie.     623. 

Delphin,    Atmungsapparat.     4S0. 

Farbe  u.  Zeichnung  in   der  Tierwelt.    638. 

Giftigkeit  von  Salamandra  maculosa.    464. 

Die  Hausmilbe  Glycyphagus  domesticus 
(mit  Abb.)     783. 

Kribbelmilbe.     751. 

Leben  u.  Vertilgung  d.  Kleidermotte.   464. 

Milben  auf  Hummeln.     670. 

Netzhautströme.      743. 

Neues  aus  der  Veterinär-Medizin.    295. 


Rotzunge  und  Seehecht.     592,  639. 

Rudimentäre  Organe  bei  Tieren.     480. 

Schlupfwespe  Thalessa  (mit  Abb.)  784. 

Schwalbenflug  vor  dem  Regen.     672. 

Schwarzdrossel,  aus  ihrem  Leben.    (139. 

Schwimmblase  der  Fische.     543. 

Sehpurpur.      742. 

Singcicade  Cicada  septendecim.     784. 

Verein    für  Vogelschutz    in   Bayern.      303. 

Wanderratten-Einwanderung.      70I. 

Wie  fangen  die  Libellen  ihre  Beute?  (mit 
.■\bb.)      511. 

Zool.  Sammlungs-  und  Konservierungs- 
methoden.    496. 


I         Botanik  und  Agrikultur. 

B  a  u  r  ,  Wesen  und  Erblichkeitsverhältnisse 
der  Varietates  albomarginatae  von  Pe- 
largpnium  zonale.      520. 

Brenner,  Tamus  communis,  eine  fremd- 
artige Erscheinung  unserer  Flora  (<  )rig. 
mit  Orig.-Abb.)      180. 

Burri  u.  Kürsteiner,  Zur  Kenntnis  d. 
Bedeutung  des  SauerstoftVntzuges  f.  d. 
Entwickl.   obligat  anaerober  Bakt.    54. 

Buscalioni,  Zur  Morphologie  der  As- 
parageen  und  die  Pericaulomtheorie 
(Orig.)     569. 

Coieman,    Untersuchungen     über    .Nitri- 
fikation.     54. 
iFischer,   Hugo,    Neues    aus    der  Bak- 
teriologie (S.-R.)     53. 

Focke,  Über  örtlich  getrenntes  oder  ge- 
selliges Vorkommen  verwandter  Pflan- 
zenformcn   (Orig.)     Sl 

Fröschel,  Über  ein  allgemeines  reiz- 
physiologisches Gesetz  (Orig.  m.  Dia- 
grammen)    417- 

Fuhrmann,  Entwicklungszyklen  bei  Bak- 
terien.    55. 

Garbo  wski,  [''xtrem  verkürzt.  Entwick- 
lungsgang bei  2  Bakterienspezies.      55. 

Geisenheyner,    Onosma    der    Mainzer 
I         Sandflora  Adventivpflanze f  (Orig.)  93. 

Hansteen,  Verhalten  der  Mineralsloffe 
in  der  Pflanze.     602. 

Harms,   Marienpflanzen  (Orig.)     447. 

— ,  Parthenogenesis  bei  Blutenpflanzen 
(S.-R.)     223. 

— ,  Vergrünter  Wegerich-Blütcnstand(Orig.) 
702. 

— ,  Verkannte  Fremde  unter  den  Pflanzen 
(Orig.)      48. 

— ,  Zur  Einführung  der  Kapuzinerkresse 
(Orig.)     272. 

Hoogenraad,  Sind  die  Blattformen  der 
männlichen  und  weiblichen  Bryonia- 
dioeca-Pflanzen  verschieden?  (Orig.  mit 
Orig.-Abb.)     266. 

Klausener,  Die  Blutseen  der  Hoch- 
alpen (Orig.)     397. 

K  i  1 1  e  r  m  a  n  n,  Zur  ersten  Einführung  ame- 
rikan.  Pflanzen  im  16.  Jahrh.  (Orig. 
mit  Abb.)      193. 

K  o  1  k  w  i  t  z  und  M  a  r  s  s  o  n  ,  Ökologie  der 
pflanzlichen  Saprobien.     119. 

Krause,  Ernst  H.  L.,  Saison-Dimorphis- 
mus und  Amphichronismus  (Orig.)  301. 

Küster,  Über  die  experimentelle  Erfor- 
schung   des  Zellenlebens  (Orig.)     433. 

I,  indau.  Über  Naturbilder  mit  bcsond. 
Berücksichtigung  von  Pilzaufnahmen 
(Orig.  mit  Abb.)     465. 

Lindinger,  Jahresringe  bei  den  Mono- 
cotylen  der  Drachenbaumform  (Orig. 
mit  Orig.-Abb.)     491. 


Makoschi,  Alkaloide  der  chin.  Cory- 
dalisknollen.      103. 

— ,  Das  Protopin  der  Japan.  Corydalis- 
knoUen.      103. 

Marzell,  Über  Zauberpflanzen  in  alter 
und  neuer  Zeit  (Orig.)     161. 

Molisch,  Einfaches  Verfahren,  Pflanzen 
zu  treiben  (Warmbad-Methode).     282. 

-  ,  Hochgradige  Selbsterwärmung  lebend. 
Laubblätter.     555. 

— ,  Ultramikroorganismen.      53. 

Müller,  Herm.,  Bakterienblasen  oder 
Bacteriocysten.      56. 

Ortmann,  Eisgebilde  an  Pflanzen  (Orig.) 
816. 

Potonie,  Pflanzen  der  Eiszeit.     767. 

— ,  Piatanthera  bifolia  angustifolia  und 
Plantage  media  dcntata  (Orig.  m.  Orig.- 
Abb.)     544.  .^ 

R  oh  d  e  ,  Eigenartiger  Doppelbaum  (Über- 
pflanze)  (Orig.)      175. 

Ross  s.  Zoologie. 

R  o  t  h  e  ,  Das  fasrige  Execarp  der  Ceces- 
nuß  (Orig.)     457. 

Schiff ner.  Die  Nutzpflanzen  unter  den 
Flechten  (Orig.  mit  Orig.-Abb.)     6v 

Schulze,  Flora  der  Grashochfl.  Kame- 
runs (Orig.   mit  Orig.-.'\bb.)     513. 

Senn  tag.    Die    duktilen    Pflanzenfasern 

1        (Orig.  mit  Orig.-Abb.)     342. 

!  S  o  r  a  u  e  r  ,  Nicht  parasitäre  Pflanzcnkrank- 

heilen:   Lohkrankheit  (mit  Abb.)    312. 

ISpilger,     Anemone     nemoro.'^a     plioca- 

lymma   (Orig    mit  Orig.-Abb.)     288. 

S  t  i  g  e  1 1,  Fortbewegungsgeschwindigkeit  u. 
Bewegungskurven  emiger  Bakterien.  53. 

Stoklasar  und  Em  est.  Chemische 
Natur  des  Wurzclsekretes.     425. 

Volkens,  Botanische  Zentralstelle  in 
Berlin  für  die  Kolonien.     141. 

Werth,  Ist  die  Cocespalme  ein  natür- 
licher Bestandteil  tropischer  Strand- 
formatiencn?  (Orig.)     735. 

Advenlivsprosse  auf  Kohlblättern.      144. 

Anagallis  arvensis  u.   caerulea.      208. 

Aufruf  zur  Schonung  der  Pflanzenwelt.   216. 

AzoUa  gegen   cie  tdückenplage.     496. 

Bataten-Kultur.     474. 

Blütenkalender.      32. 

Bedeutung  verschiedenfarbig  blühender 
Stöcke    derselben    Pflanzenarten.      640. 

Crin   d'.-\frique.     832. 

Deppelfrüchte.     544. 

Durchwachsene  Rosen.     4S0. 

Filzgallen  auf  Buchenblättern.     704. 

Geschlechtsumkehr  bei  diöcischen  Pflanzen. 
672. 

Hypothesen  über  die  Entstehung  der 
Pflanzensubstanz.     361. 

Kaki-Früchte.      176. 

Kautschuk  liefernde  Kemposite  aus  Mexiko. 
176. 

Kerk.     704. 

Die  Kolanuß.     473. 

Kulturpflanzen   für  unsere  Kolonien.    473. 

Nährlösung  ven  der  Crones  für  Pflanzen.  368. 

Marienpflanzen.     736. 

Parthenogenesis  bei  Blütenpflanzen.     320. 

Pflanzenwasserkulturen.      240. 

Physiologie   der  Diatomeen,  Zur.      503. 

Phytolacea  electrica.     336. 

Rotfärbung  der  Hölzer.     16,   128. 

Salicaceen-Phylogenie.     688. 

Stachellose  Opuntien.     320. 

Sternschnuppengallerte.      160,  240. 

Transport  lebender  Pflanzen.     560. 

Variationsstatistik  der  Pflanzen.     400. 


Register. 


III 


Weiden,    ihre  Gesclileclilsänderung.     703. 
Zwergfonnen  von  Pflan/en,   ihre  Züchtung. 
815. 

Paläontologie. 

Brauer,  Die  neuesten  Forschungen  über 
die  fossilen  Saurier  (mit  z.  T.  Orig.- 
Abb.)     88. 

Gothan,  Die  sogenannten  ,, echten  Ver- 
steinerungen" (Intuskrustate)  d.  Pflan- 
zen und  die  Konkretionen  (Inkrustate) 
(Orig.)     257- 

Hundt,  Monograptus  turriculatus  aus 
unterem  Obersilur  (Orig.)     413. 

Jäkel,  Zur  Phylogenie  auf  Grund  palä- 
ontologischer Daten.      40S. 

Kiernik,  Chilodon  hexastichus, ein  para- 
sitisches Infusorium.     412. 

Koken,  Paläontologie  und  Deszendenz- 
Ichre.     411. 

Potonie,  Paläobotan.  Stoßseufzer  (Orig.) 
684. 

S  t  e  i  n  m  a  n  n  ,  Geologische  Grundlage  der 
.\bstammungslehre.     408. 

Stoller,  Technik  des  Torfschlämraens 
(Orig.)     64. 

Stremme,  Über vorwellliche Saurier.  504. 

E.Npedition  zur  Ausbeutung  von  Dino- 
saurierresten.     123. 

Ovibos  moschatus,  Verbreitung  als  Fossil. 
480,  640. 

Paläozoologie,  Neues  aus  der.     407. 

Geologie  und  Mineralogie. 

Benndorf,  Physikalische  Beschatfenheit 
des  Erdinnern.     30g. 

Biltz  u.  Marcus,  Ammoniak  und  Nitrat 
in  den  Kalisalzlagerstätlen.     758. 

Boeke,  Rinneit,  ein  neues  Salzmineral. 
250. 

Endeil,  Erosionstäler  in  den  spanischen 
Pyrenäen  (Orig.  mit  Orig.-Abb.)     283. 

Förster,  Tertiäre  Kalisalzlager  im  Ober- 
elsaß.    268. 

Frech,  Gebirgsbau  der  Alpen.     533. 

Fürstenberg,  Die  Polarregiouen  im 
Lichte  geologischer  und  Uterarischer 
Forschung  (Orig.)     369. 

Gilbert,  Der  Meteorkrater  von  Canyon 
Diablo  in  Arizona  u.  seine  Bedeutung 
f.  d.  Entstehung  d.  Mondkrater  (mit 
Abb.)     Soi. 

Gogarten,  Terrainbewegungen  i.  d. 
Schweiz   (Orig.)     538. 

H  a  n  s  t  e  e  n  ,  Mineralstoffe  in  Pflanzen.  604. 

Hoehne,  Das  sächsische  Erzgebirge  und 
Granulitgcbirge  (S.-R.)     373. 

Johnsen,  Entstehung  von  Wasserstoff- 
gas in  Kalisalzlagern.     757. 

Johnsen,  Verwachsung  von  Carnallit  u. 
Eisenglanz.     757. 

Kalkowsky,  Oolith  u.  Stromatolith  in 
norddeutsch.  Buntsandstein.     759. 

Königsberger,  Temperaturgradienten 
der  Erde  bei  Annahme  radioaktiver 
und  chemischer  Prozesse.     309. 

Linck,  Über  die  Bildung  der  Kalksteine 
(Orig.  mit  Orig.-Abb.)     689. 

Linck,  Über  die  Bildung  der  Oolithe 
und   Rogensteine.      758,   761. 

Philippi,  Problem  der  Schichtung  und 
Schichtbildung  am  Meeresboden.    634. 

Potter,  Zersetzung  amorpher  Kohle  durch 
Mikroorganismen.     812. 

Reinke,  Küstenbildung  u.  Küstenzerstö- 
rung.    521. 


Sieberg,  Erdbeben  im  mediterranen  Ge- 
birgssystem  zu  Anfang  1909  (Orig.  mit 
Kärtchen.)      205. 

Schoen,  Die  Methoden  der  geologischen 
Zeitbestimmung  (Orig.)     "jog. 

Tammann,  Kristallisieren  u.  Schmelzen. 

309- 

T  h  o  m  s ,  Unterscheid,  v.  Bernstein  u.  Kopal 
(Orig.)      768. 

Vorländer,  Kristallinisch-flüssige  Sub- 
stanzen.    586. 

Wahnschaffe,  Die  Bildung  der  Salz- 
lager.    505. 

Wehner,  Inneres  der  Erde  und  der 
Planeten.      309. 

Weinberg,  Kristallisationsformen  des 
unterkühlten  Wassers.      172. 

Wiechert,  Massenverteilung  im  Innern 
der  Erde.     312. 

von  Wolff,  Vulkanische  Kraft  und  die 
radioaktiven  Vorgänge  in  der  Erde.  309. 

Zimmermann,  Ernst,  Neuere  Beob- 
achtungen über  vulkanische  Gasexhala- 
tionen  (Orig.  mit  Abb.)     337. 

Deutsche  Mineralogische  Gesellschaft. 
124. 

Erdbeben  von  Messina.     532. 

Geologie,  Neues  aus  der.     7S7- 

Größte  Binnenseetiefe  und  tiefstes  Bohr- 
loch.    269. 

Kalisalzlager  Deutschlands.     757. 

Neulandbildung  im  Wasser,  ihre  Fälle.   816. 

Schlacken -GeröUe  am  Nordseestrande. 
496,   592. 

Geographie  und  Geophysik. 

Amundsen,  Nordpolarreise.     530. 
Arldt,    Zar  Simroth'schen  Pendulations- 

hypothese  (Orig.)     747. 
Baschin,   Die  Wellen  des  Meeres  (Orig.) 

122. 
Baschin,  Erreichung  des  Nordpols  (Orig.) 

625,  753- 

Behrmann,  Glaciale  Urstrom-Täler  im 
Westen  der  Unterweser.     581. 

Boenecke,  Herstellung  von  Reliefkarten 
(Orig.)     432. 

Charcot,   Antarktische  Expedition.    530. 

Cook  u.  Peary,  Erreichung  des  Nord- 
pols.    625. 

Eckert,  Entwicklung  der  deutschen  See- 
karle.    584. 

Fischer,  H.,  Erdkundlicher  Schulunter- 
richt.    580. 

Friedrich,  Geologischer  Aufbau  von 
Lübeck.     581. 

Gasser,  Luftschiff  karten.     585. 

Grüner,  Island  (Orig.)     154. 

Halb  faß,  Nachtrag  z.  sein.  Aufs,  über 
Temperaturmess.  in  tief.  Seen  (Orig.) 
480. 

Hahn,  Primitive  Schiffahrt.     458. 

Hammer,  E.,  Das  Invar  und  seine 
wichtigste  Verwendung  in  der  Geodäsie 
(Orig.)     353- 

Heck  er,  Schwerkraftmessungen.     533. 

Hecker,  Bestimmung  der  Schwerkraft 
auf  dem  Indischen  und  Großen  Ozean. 
170. 

V  o  n  H  e  d  i  n  ,  Entdeckungen  in  Tibet.  382. 

H  e  n  n  i  g  ,   E  d  w. ,  Am  Tendagura  (Orig.) 

593- 

Hundeshagen,  Analyse  einiger  ost- 
afrikanischer Wässer.     652. 

Karutz,  Mpangwe-Expedition.     578. 

Krümmel,  Neuere  Theorien  der  Meeres- 
strömungen.    582. 


Lehmann,  P. ,  Probleme  der  Morpho- 
logie  Rügens.      581. 

Liebmann,  Russische  Polarfahrt  der 
Sarja  (Orig.  mit  Karte.)     648. 

Merzbacher,  Tian  -  schan  -  Expedition. 
53°- 

Nölke,  Simroth's  physikalische  Begrün- 
dung der  Pendulation   (Orig.)     651. 

Ohnesorge,  Lage  und  Entstehung  Lü- 
becks.    580. 

Oppel,  Wirtschaftsgeographische  Schul- 
wandkarte.    585. 

Passarge,  Verwitterungs-Verhältnisse  in 
den  Hochsteppen  und  in  der  S,ahara 
von  Algier.      581. 

Penck,    Morphologie    der    Wüste.     582. 

Potonie,  Eine  naturwiss.  Exkursion  durch 
Süd-Canada  (Orig.  mit  Orig.-Abb.)  225. 

Richthofen,  Vorlesungen  zur  Siedlungs- 
und  Verkehrs-Geographie.      535. 

Sander,  Irrlichter  (Orig.)     23. 

S  a  p  p  e  r ,  Reise  im  Bismarck-Archipel.  578. 

Sapper,    Über    Neu-Mecklenburg.     531. 

Schott,    Über    Meeresströmungen.     t;83. 

Schwarz,  Mathematisch  -  astronomischer 
Unterricht  in  Schulen.      579. 

Shackleton's  Südpolarreise.     529. 

Simroth,  Bemerkungen  zur  Pendula- 
tionstheorie   (Orig.)      763. 

Stein,  Reise  zum  Lob-nor  etc.     531. 

Tafel,  Studienreise  in  Tibet.     579. 

T  i  t  z  e  n  t  h  a  1  e  r  ,  Auf  alter  Straße  durch 
Mittel-  und  Süd-Italien.     571. 

Toll,   Polarfahrt.      648. 

Woeikow,  Aralsee.     531. 

Antarktische   Expedition.      529. 

Anthropogeographie.     5S3. 

Arabien.     530. 

Bahnbauten   in   fernen  Ländern.      534, 

Deutsche  Landeskunde.     5S0. 

Feststellung  des  Nordpols.     6S7. 

Forschungsreisen.      =;78. 

Deutscher  Geographentag  zu  Lübeck.   218, 

577- 
Geographie,  Neues  aus  der.     529. 
Geographische   Karten.     584. 
Geographischer  Unterricht.     579. 
Geophysik,  Niues  aus  der.     309. 
Irrlichter.      191. 
Literatur  und  Bibliotheken  über  Geographie. 

584. 
Meereskunde.     582. 
Morphologie   der  Wüsten.      58 1. 
Nautik,  Zur.     583. 
Salzige  See,  Der.     304. 


Physik. 

Adler,  Die  Einheit  des  physikal.  Welt- 
bildes (Orig.)     817. 

Bauer,  Erdmagnetismus.     618. 

Cords,  Über  die  Erfolge  der  neueren 
stereoskopischen  Verfahren  (Orig.  mit 
Abb.)     737. 

Czudnochowski,  Ionisierung  von  Luft 
durch   glühende   Körper.      378. 

bischer  und  Braehmer,  Bildung  von 
Ozon  durch   ultraviolettes   Licht.     597. 

Hagen,  Herwig  etc.  über  Röntgen- 
strahlen.     600. 

Halb  faß,  Beeinflussung  der  Reflex,  u. 
.■Xbsorpt.  der  Lichtstrahlen  durch  ge- 
löste Substanzen  (Orig.)     768. 

Heß,  Wein  hold,  Rebenstorff, 
Thermoskop-Substanzen.     37S. 

Landau,  Versuch  zur  Abbc'schen  Bilder- 
erzeugungslehre.     597. 


IV 


Register. 


Lehmann,  Absolut  höchste  Temperatur. 
172. 

Lehmann,  O.,  L'ber  flüssige  Krist.ille. 
586. 

Levin  u.   Kuer,   Kadioalttives.     694. 

Marc,  Über  den  Molekularzustand  der 
kristallisierten  Maleric  (Orig.)     561. 

Martens,  Akustische  Versuche.     377. 

M  i  e  t  h  e  und  Lehmann,  Ende  des  ultra- 
violetten Spektrums.     597. 

P  e  c  k ,  Unterwasser-Schallsignale.     250. 

Pfund,    Eigenschaften  des  Selens.     599. 

Rentschier,  Brechungsquotienten  ver- 
schiedener Gase  (mit  Diagramm).    171. 

Roschansky,  Funkenwiderstand.     173. 

Saeland  und  .-\ndersen,  Ursache  der 
Photechie.      170. 

Saeland,  Sogen    Metallstrahlung.     261. 

Schaff  er,  Verhalten  des  elektrischen 
Funkens  im  magnetischen  Felde.    172. 

Schaefer,  Großmann  und  Harten- 
stein, Beugungserscheinungen  elek- 
tromagnetischer Wellen.     600. 

Scheel  u.  Heuse,  Sättigungsdruck  des 
Wasserdampfes  unter  o".     596. 

Scheel  u.  Schmidt,  Brechungsindex 
des  Heliums.     171. 

Schmidt,  W.,  Fallgeschwindigkeit  von 
Regentropfen.      444. 

Strom  an  n,  Magnetisches  Verhallen  des 
glühenden    Eisens.     378. 

Töpler'sche  Schalleitung.      377- 

Traubenberg,  Leitfähigkeit  von  Gasen. 

173- 

Weiß,  B.,  Energie  (Orig.)    609,673,729. 

Wiesner,  J.,  In  Sachen  der  Licht- 
messung (Orig.)      556. 

Wood,    Reflexion  an  Quecksilberdampf. 

597- 
Physik.  Neues  aus  der.      169,  596. 
Physikalischer  Unterricht,  Neues  aus  d.  377. 
Radiologisches  Institut.     23g. 
Telephon.  Zeitsignal.     655. 


Mathematik. 

Mathematik    eine    Erfahrungswissenschaft. 

Astronomie. 

Abbot  und  Fowle,  Temperatur  der 
Sonne.     439. 

Adams,  Sonnenrolaliun.    438. 

.\  maf  l  ouns  k  y  ,  Sonnentheorie.    438. 

Barnard,   Herkules-Sternhaufen.     442. 

Barnard  ,  Komet  Morehouse  (m  Abb.)  7t;. 

Curtiss,  Die  Bahnelemente  des  Algol.  75. 

Frost,  Parkhurst  u.  a.,  Spektrum  d. 
Kometen  Morehouse.    439. 

Haie,  .Xufnahme  von  Wasserstoffwolken 
(sog.  Flocculi)  in  der  Sonnenatmo- 
sphäre.    72. 

— ,  Spektralaufnahmen  vonSonnenHecken. 
74- 

Hartwig,  Antalgolsterne.     440. 

K  a  p  t  e  y  n  ,  Lichtabsorplion  im  Wellraum. 
441. 

Krebs,  Aschgraues  Mondlicht.     439. 

Küstner,  Spektrographische  Durch- 
musterung des  Himmels  in  bezug  auf 
radiale   Geschwindigkeiten.      71;. 

L  e  b  e  d  e  w  ,  Dispersion  im  Wellraum.   441. 

Ludendorff,  Sterne  des  großen  Baren. 
440. 

.Martus,  Mondkraler.     74. 

Merrill,   Mfteorkratcr.      77. 


Messerschmidl,  Die  Wiederkehr  des 
Halley'schen  Kometen  (Orig.  m.  Orig.- 
Darst!)     58. 

Müller  und  Kempf,  Sternfarben  und 
-Helligkeiten.     441. 

Pickering,  Himmelspholographie.     75. 

Ritchey,  Spiegelteleskop.     442. 

Scheiner,  Ergebnisse  der  Himmels- 
pholographie und  über  die  Temperatur 
der  Sonne   (Orig.)      25 1,   439. 

Wolf,   Komet  Morehouse.     440. 

Wolf,  Nebelspektra     442. 

Wood,  Neue  Auffassung  der  Sonnen- 
corona.     72. 

Astronomie,  Neues  aus  der.     72,  438. 

Halley'scher  Komet.     656. 

Himmelserscheinungen.  78,  143,  208,  270, 
348,  444.  493.  556,  619,  720,  765,  831. 

Kometenbahnen.      608. 

Marsbeobachlungen.      65b. 

Meteorologie. 

Berson    und    andere,    Schicliten    in    tler 

Atmosphäre.     695. 
H  a  1  b  f  a  ß ,  Temperaturmessungen  in  liefen 

Seen    in    ihrer    Beziehung    zur    Klima- 

tologie  (Orig.)     385. 
Leß,     Weltermonatsübersicht    (Orig.    mit 

Diagramm)     62,     I2<),    1S4,    269,   334, 

39S,  477.  539,  683,  695,   74S,  812. 
Schubert,    Jahresmittel    von   Luftdruck, 

Temperatur,  abs.  Feuchtigkeit  u.  W'ind- 

geschw.     695. 
Wulf,    In    der   Atmosphäre    vorhandene 

Strahlung.     600. 
Meteorologie,  Aus  der  praktischen.     696. 
Meteorologie,  Neues  aus  der.      694. 
Studium    der   oberen  Luftschichten.     532. 

Chemie. 

-Abderhalden  u.  Funk,  Schwefel- 
bestimmung im  Urin.     681. 

Böse,  Richtungsgeordnete  Zustände  in 
anisotropen   Flüssigkeiten.      169. 

Brauner,  Stellung  d.  Elemente  der  seit. 
Erden  im  period.  System.     263. 

Bruni,  Feste  Lösungen  und  Isomorjihis- 
mus  (mit  Abb.)     364. 

Buchner  u.  Klatte,  Zucker-  u.  Zymase- 
bildung.     601. 

Le  Chatelier,  Chem.  Untersuchung 
antiker  Tonwaren.     209. 

Dolezalek,  Zur  Theorie  der  binären 
Gemische  und  konzentrierten  Lösungen 
(mit   Diagramm)     263. 

Engeland,  Nachweis  organischer  Basen 
im   Harn.      lot^. 

Fischer,  Chemie  eines  antiken  Blei- 
rohrs.    210. 

Fränkel  u.  Allers,  Charakteristische 
Adrenalin-Reaktion.     680. 

Funk,  Wert  der  Methoden  zur  Bestimmung 
des   Harnzuckers.      105. 

Geibel,   Das  Platin.     569. 

Herzog,  Inhallsstoffe  der  Rhizoma  Impe- 
ratoriae.      104. 

Herzog  u.  Ha  neu.  Über  das  Pimpinellin. 
103. 

Jolles,  Neue  Gallensäure-Reaktion.     105. 

Kaßncr,  Chemie  römischer  (antiker) 
Tinte.     210. 

Köhler,  Petroselinsäure.     681. 

Liebermann,  Quantitav.  Bestimm,  der 
Phosphorsäure  im  Harne  u.  in  Alkali- 
phosphatlösungen.     680. 


Loew  u.  Bokorny,  Natur  der  Fermente 
(Orig.)     601. 

Matthes  u.  Heintz,  Unverseifb.  Be- 
standteile  d.   Petersilienöles.      682. 

Matthes,  Serger  u.  Fresenius, 
Künstl.   kristall.  Karlsbader  Salz.     107. 

Mecklenburg,  Die  experimentellen 
Grundlagen  der  Atomtheorie  I  (Orig.) 
709. 

Mitscherlich  u.  König,  Neuere  Me- 
thoden in  der  chemischen  Bodenanalyse . 
332. 

Neu  mann,   Analyse  einer  Bronze.      210. 

Pfy  1  u.  Schei  tz.  Im  Safran  vorkommende 
Stoffe.     102. 

Pfyl  u.  Scheitz,  Verfahren  zur  Wert- 
bestimmung des  Safrans.      102. 

Pringsheim,  Stickstoff  assimilierendes 
Clostridium.      55. 

Remele,  Chemisch  wirkende  elektrische 
Strahlen.     262. 

Richards,  Bernoulli  etc.,  Atomgc- 
wichtstabelle   für  das  Jahr    1909.     265. 

R  o  h  1  a  n  d  ,  Die  Farbe  des  Schwefels  und 
das  Farb-Problem  des  Ultramarins 
(Orig.)      ]09. 

Rohland,  Verhalten  von  suspendierten 
Stoffen  im  Kristalloid-  und  Kolloid- 
zustand  (Orig.)     121. 

Rosenthaler,  Spaltung  des  Amygdalins 
unter  dem  Einfluß  von  Emulsin.     101. 

Rühle,  Nachweis  von  Saponin.     359. 

S  o  d  d  y ,  Rutherford  und  Dewar,  Umwand- 
lung von   Elementen.     173. 

Stark,  Elektronen-Tlieorie  und  chemische 
Valenz.     345. 

St  räche,  Erklärung  des  period.  Systems 
m.   Hilfe  d.   Elektronentheorie.    263. 

Takeuchi,  Können  Phosphate  Chlorose 
erzeugen  ?     603. 

Tamman,  Wirkung  des  Drucks  auf  die 
Erzeugung  chemischer  Modifikationen. 
587. 

Thoms,  Französ.  Petersilienöl  mit  einem 
neuen  Phenoläther.     I07. 

Tschirch  u.  Gauchmann,  Glycyrrhicin- 
säure.      107. 

Vie  tingh  o  ff-Sch  e  el,  Benzoesäuie  als 
Konservierungs-Mittel.      360. 

Weigert,  Die  photochemische  Zersetzung 
von  Ozon.     261. 

Weiß,  Bruno,  Pyrophore  Legierungen. 
263. 

Aceton  als  Stoffwechsel-Produkt  bei  Dia- 
betes i.   Harn.      6S7. 

Allgemeine  Chemie,  Neues  aus  der  (S.-R.) 
261. 

Darstell,  org.  Verb,  aus  anorg.  Verb.     527. 

Eisenrost.      16. 

Gewinnung  von  Burserazin.      576. 

Grieß'sches  Reagens  auf  salpetrige  Säure. 
720. 

Hydrocellulose.     736. 

Nahrungsmittelchemie  s.  unter  Medizin  etc. 

Oxyburserazin.     80. 

Radiumgewinnung  aus  Kolm.     683. 

Über  pflanzliche  und  tierische  Fermente. 601. 

Wärmetönung  einer  Reaktion.      352. 


Unterricht. 

Heß,  Experimentell  hergestellte  Isother- 
men.    379. 

Lüdtke,  Über  das  Farbenthermoskop. 
379- 

Zacharias,  Ferienkurse  in  Hydrobio- 
logie und  Planktonkunde  (Orig.)     270. 


Register. 


Deutsche  Gesellschaft  für  volkstümliche 
Naturkunde.  121,  158,185,251,426, 
457.  474- 

Ferienkurs  für  wissenschaftliche  Mikro- 
skopie.    94,   637. 


Medizin,    Hygiene,    Pharmacia, 

Nahrungsmittel  u.  Verwandtes- 
Ackermann,  Auftreten  der  Raupe  von 
AglossapinquinalisimDarm  (Orig.)  43. 

Borchardt,  Diabetische  Lävulosorie. 
104. 

Dragendorff,  Verpflegung  der  röm. 
Soldaten  in  Deutschland.     211. 

Eber,  Tuberkelbazillengehalt  in  Milch 
und  Molkereiprodukten.     297. 

Emmerich,  Cholera  als  Vergiftung  durch 
salpetrige  Säure.     746. 

Fi  ehe,  Unterscheidung  von  Kunst-  und 
Naturhonig.     358, 

Fis  ch  er  und  Alpers,  Zusammensetzung 
von  Beerenfrüchlen,  besonders  Alka- 
lität  ihrer  .Aschen.     357. 

Fischer  und  Alpers,  Nachweis  tieri- 
scher Fette  in  Gemischen  mit  anderen 
tier.  Fetten.     355. 

Großer,  Verhalten  des  Chinins  im 
Organismus.     104. 

Grotjahn,  Heilstättenbewegung  im 
Lichte    der    sozialen  Bewegung.     613. 

Hübner,  Eierteigwarenfrage.     356. 

Krasser,  Alkoholfreie  Weine.     359. 

Loew,  Physiologische  Wirkung  des 
Dicyandiamits.     601. 

Loew,  Zur  Physiologie  der  Akklimati- 
sierung.    433. 

Lührich  und  Bürger,  Zur  Kenntnis 
des  Pflaumenmuses.     357. 

Matthes,  Arbeiterlungen.     618. 

Matth  es  und  .Ackermann,  Zusammen- 
setzung eines  Gichtknotens.     61S. 

Matthes  und  Streitberger,  Verzinnte 
Gebrauchsgegenstände  und  verzinkte 
Kochgeschirre.     519. 

Matthes  und  Streitberger,  Wach- 
holdcrmus.      106. 

Matthiesen,  Milchfettbestimmung  mit- 
tels Fahrrades.     502. 

Meisner,  Ciaassen  und  Aisberg, 
Militäruntauglichkeit.     613. 

Oberhummer,  Medizinische  Geogra- 
phie.    5S3. 

O  p  p  e  1 ,  Totale  Regeneration  des  Leber- 
zellennetzes.    381. 

Rosenthaler,  Katalysierende  Emulsin- 
bestandteile.     67g. 

Rosenthaler  und  Meyer,  Glycosit- 
haltige  E.xtrakte.     678. 

Siegfeld,  Ziegenbutterfett.     356. 

Svehla,  Asepsis  und  Bügeln.     78 1. 

Wagner,  Benno,  Zusammensetzung  der 
Eselinmilch.     356. 

Weevers,  Physiolog.  Bedeutung  des 
Koffeins.     603. 

Zernik,  Wichtigste  Arzneimittel  von 
1908.     677. 

Chemische  Konservierung  von  Nahrungs- 
mitteln, Neues  über  die.     45^. 

Leiden  und  Heilung  derTuberkulösen.   393. 

Margarine  und  Butter,  ihr  chemischer 
Unterschied.     704. 

Nahrungsmittel-Chemie,  Neues  aus  der.  355. 

Fbarmacie,  Neues  aus  der.      loi,  677. 


Technisches, 
Instrumentenkunde. 

B  c  r  g  w  i  t  z ,  Durch  elektrostatische  Kräfte 
betriebenes  Relais.      173. 

Besselmeyer,    Ballonvariometer.      170. 

Busch,  Stereovista,  Apparat  für  stereosk. 
Projektion.      598. 

Ives,  Lippraann's  Farbenphotographie. 
172. 

Kolkwitz,  Entnahme-  und  Beobach- 
tungsinstrumente f.  biologische  Wasser- 
untersuchungen (mit  Abb.)     177. 

Lehmann,  H.,  Praxis  der  Interferenz- 
farbenphotographie.     598. 

— ,  Projektionsschirme.     598. 

Lindner,  Demonstration  in  der  Aus- 
stellungshalle des  Instituts  f.  Gärungs- 
gewerbe.    427. 

— ,  Wissenschaftliche  Grundlagen  der 
Gärungsgewerbe.     427. 

V.    Reden,    Spirale- Vakuummeter.      596. 

Rupp  und  Loose,  Alkalihochempfind- 
licher, zur  Titration  mit  Hundertstel- 
normallösungen geeigneter  Indikator. 
!o8. 

Seddig,  Neues  Bolometer.     599. 

Simon,  Field,Cuttri6  u.  Redding, 
Neue  Telephonformen.     599. 

Smith    u.    Urban,    Kinemacolor.     598. 

Stuhr,  Flimmerphotometer.     171. 

Vignon,  Entgiftung  d. Leuchtgases.   154. 

Walter,  Photographische  Solarisation. 
171. 

Wiechert,  Seismometer  (m.  Abb.)     29. 

Drahtlose    Telegraphie,    ihre  Anwendung. 

599- 

Internat.  Kongreß  für  angew.  Photo- 
graphie.     143. 

Intern.  Photographentag.     143. 

Knochen  zu  bleichen  und  zu  reinigen.    496. 

KonservierungsflUssigk.   f.  Tiere.      8 15. 

Lichtbilder,  ihre  billige  Herstellung.    240. 

Reinigung    alter  Metallgegenstände.     608. 

Rotationskompaß.     504. 

Turm-Teleskop.     74- 

Zusammensetzung  d. ,, Wunderkerzen".  288. 

Biographisches. 

Detmer,    Charles  Darwin    als  Botaniker 

(Orig.)     113. 
Plat  e,Darwinals  Mensch  u. Forscher.  457. 
Potonie,     Charles    Darwin    zu    seinem 

hundertsten     Geburtstage    (Orig.)     97. 
Schmidt,  Ma.^  C.  P.,    Franz  Junghuhn 

(Orig.)     628. 
Cesare  Lorabroso  f.     720. 
Firma    Wilhelm    Lambrecht's     50jähriges 

Jubiläum.     507. 
Über  Linne.     525,  752,  832. 
Moritzi,     ein    Vorgänger    Darwin's.     656, 

736. 
Neumayer  f.     444,   536. 
Simon  Newcomb  f.     574. 

Literatur. 

Abderhalden,  Neuere  Ergebnisse  aus 
dem  Gebiete  der  speziellen  Eiweiß- 
chemie.    176. 

Abel,  Bau  u.  Gesch.  d.   Erde.     697. 

Abraham,  Elektromagnet.  Theorie  der 
Strahlung.     159. 

Abromeit  s.  Wünsche. 

Arndt,  Elektrochemie      400. 

Arnold,  Chemie.     606. 

Arrhenius,  Theorien  der  Chemie.    655. 


Artus,  Chemie.     431. 

Auerbach,  Taschenbuch  für  Mathema- 
tiker u.  Physiker.      510. 

August,  Grundlagen  der  Naturwissen- 
schaft.     508. 

Avenarius,  Kritik  der  reinen  Erfahrung. 
335- 

B a  e  n  i  t z ,  Herbarium  dendrologicum.  750. 

v.  Bardeleben,  Anatomie  d.  Menschen. 
218. 

van  Bebber,    Wettervorhersagen.      526. 

Beifiner,  Nadelholzkunde.     336. 

Bender,  Laboratoriumstechnik.     43 1. 

Berberich,  Astron.  Jahresbericht.    655. 

Bernthsen,    Organische   Chemie.     175. 

Bersch,  Moorkultur.     303. 

Berteis,    Denkmittel    der  Physik.      508. 

Berta,   Welthsrmonie.     508. 

Biedenkapp,   Philosoph.  Satiren.     508. 

Binz,   Kohle  u.   Eisen      541. 

Birkeiand,  Norwegian  aurora  polaris 
e.xpedition   1902 — 1903.     319. 

Boas,  Lehrbuch  der  Zoologie.     95. 

B  ö  1  s  c  h  e  ,  Ernst  Haeckel,  Ein  Lebensbild. 
189. 

Brauer,  Süßwasserfauna  Deutschi.    460. 

Breitenbach,  Ernst  Haeckel,  ein  Bild 
seines  Lebens  und  seiner  Arbeit.     189. 

Breitfeld,   Unterr.  in  d.  Naturlehre.   15. 

B  r  e  n  d  1  e  r ,  Mineraliensammlung.    399. 

Brenning,  Innere  Kolonisation.    540. 

B  r i  c  k ,  Telegraphen-Fernsprech-Technik. 
219. 

Brieger-W^asservogel,  Plato  und 
Aristoteles.    556. 

Brode,  Physikalische  Chemie.     218. 

Brunne  mann.  Deutsch.  Höhenschichten- 
Karte.      159. 

Buesgen,  Der  deutsche  Wald.     219. 

Camerer,  Philosophie  und  Naturwissen- 
schaft.    508. 

Chun,  Valdivia-Expedition.     285. 

Chwolson,  Hegel,  Haeckel,  Kossuth  u. 
das  zwölfte   Gebot.      189. 

Cook,  Weltumseglungsfahrten,  ein  Aus- 
zug aus  seinen  Tagebüchern.  Bearb. 
u.  übersetzt  von  Hennig.      127. 

Dannemann,  .\us  der  Werkstatt  großer 
Forscher.     348. 

Dannenberg,  Geologie  d.  Steinkohlen- 
lager.     15. 

Dannenberg,  Zimmer-  und  Balkon- 
pflanzen.    219. 

Darmstädter,  Geschichte  der  Natur- 
wissenschaften u.  Technik.     348. 

Darwin,  Abstammung  d.  Menschen.  523. 

Dennert,  Weltanschauung  des  modernen 
Naturforschers.     557. 

Dennert,    Weltbild"  u.  Weltanschauung. 

557-  ,     .    , 

Detmer,  Kleines  pflanzenphysiologisches 

Praktikum.      191. 

Diels,  Ludwig,   Die   Orchideen.     220. 

Diels,  Ludwig,  Pflanzengeograph.  218, 

Dittrich,   Chemisches  Praktikum.     782 

Dost  u.  Hilgermann,  Chem.  Unter- 
suchung von  Wasser  u.  Abwasser.    368 

Dreyer,  Methodenlehre  und  Erkenntnis- 
kritik.    508. 

Eckstein,  Tierleben  des  Deutschen 
Waldes.      541. 

Enderlein,  Biolog.  Bedeutung  der  Ant- 
arktis, Insekten  des  antarkt.  Gebiets, 
Spinnen  der  Crozct-Inseln  und  von 
Kerguelen.     667. 

Engl  er,   Araceae.     415. 

Eng  1er,    Natürl.  Pflanzenfamilien.     350. 


VI 


Regisler. 


Engler,  Pflanzenreich.     414. 

Engler,  Pflanzenwelt  Afrikas.     430. 

Eylmann,  Eingeborene  der  Kolonie 
Süd-Australien.      414. 

Feucht,  Die  Bäume  u.  Sträuchcr  unserer 
Wälder.     541. 

Figdor,  Anisophyllie.     542. 

Fischer,  Heinrich,  Landeskunde  der 
Ver.  Staaten  von  Amerika.     218. 

Fitzner,  Regenverteilung  in  d.  deutsch. 
Kolonien.     64. 

Föppl,  Technische  Mechanik.     384. 

France,  Heutige  Stand  d.  Darwin'schen 
Fragen.     523 

France,  Pflanzenphysiologie  als  Arbeits- 
hypothese.    461. 

Frech,  Aus  d.  Tierleben  d.  Urzeit.    220. 

Frentzel,  Ernährung  u.  Volksnahrungs- 
mittel.    540. 

Freundlich,  Kapillarchemie.     69S. 

Frey,  Mineralogie  u.  Geol.  f.  schweizer. 
Mittelschulen.      765. 

Fritbch,   K.,  Flora  für  Österreich.    592. 

Fritz,  Gottlieb,  Das  moderne  Volks- 
bildungswesen.     541. 

Fürst,  Der  Arzt.     541. 

Fuß  u.  Hensold,   Physik.      15. 

Geikie,  Physikal.  Geographie.     221. 

G  e  i s  t  b  e  c  k  ,  Mathemat.  u.  physikal.  Geo- 
graphie.    63,  221. 

Gilg  u.  Muschler,  Phanerogamen.  541. 

Glafey,  Rohstoffe  d.  Te.'itilindustrie.  541. 

Gockel,  Schöpfungsgeschichtl.  Theorien. 
125. 

Goldschmidt,    Fortpflanzung  d.  Tiere. 

445- 
Gorgen,  Machines-outils.     400. 
Gräbner,    Pflanzenwelt  Deutschi.     317. 
Grein  ach  er,  Die  neueren  Strahlen.  782. 
Grimsehl,   Physik.     670. 
Günther,    S. ,    Geschichte     der    Natur- 
wissenschaften.    429. 
Günther,  Vom  Urtier  z.  Menschen.   125. 
GuiU  au  me,  Initiation  älaMecanique  638. 
Gutzeit,   Bakterien.     219. 
Gutzmer,      Unterrichtskommission      der 

Ges.  d.  Naturf.  u.  Ärzte.     208. 
Haacke,    Vom  Strome  des  Seins.     508' 
Haeckel,  .Alte  u.  neue  Naturgesch.   189- 
Haeckel,  Menschenprublem.     524. 
Haeckel,   Monismus  u.  Naturgesetz. 1 89. 
Haeckel,   Unsere  Ahnenreihe  (Progono- 

taxis  Hominis).     45. 
Haeckel,   Die  Wellrälsel.      189. 
Haecker,  Tiefseeradiolarien.    286. 
Hänig,  Steinkohle.     446. 
Handlirsch,   Die   fossilen  Insekten  und 

die  Phylogenie  d.  rezenten  Formen.  127. 
Hegi,  111.   Flora  V.  Mitteleuropa.    813. 
Heller,  Süßwasser- Aquarium.      220. 
Hemmelmayer,  Prakt.-chem.  Übungen. 

782. 
Hempeimann,  Der  Frosch.     478. 
He  nie,    Organ,  präparatives    Praktikum. 

159,   782. 
Hennings,  Säugetiere  Deutschi.    446. 
Her  ding,   Beleuchtung  u.  Heizung.    220. 
Hertwig,    O.,     Entwicklung     im    XIX. 

Jahrh.     524. 
Heyer,  Waldbau.     525. 
Hilbert,  Grundl.  d.  Geometrie.     239. 
Hinrichscn,   Eisengallustinten.     399. 
Honigs  Wald,    Lehre    Humes    von    der 

Realität  der  .Außendinge.      556. 
Hoffmann,   Kunst- u.  Vogelgesang.  III. 
V.  Ignatowsky,   Vektoranalysis.     831. 
V.  Ihering,  Wasserkraftmaschinen.     112. 


Jacob,  Der  Flug.     447. 

Jacobi,  Weltgebäude  von  Nicolaus  von 
Cusa.     556. 

Jan  icke,   Gesättigte  Salzlösungen.    317. 

Johannsen,  Erblichkeitslehre.     460. 

John,  Schulchemie.     782. 

Jordan,  D.,  St.,  u.  Kellogg,  Evolution 
a.  animal  life.     523. 

Kampffmeyer,  Gartenstadtbeweg.  540. 

Kanngießer,  Etymologie  der  Phanero- 
gamen-Nomenklatur.     510. 

Karsten  und  Oltmanns,  Pharmako- 
gnosie.    637. 

Karsten  u.  Schenk,  Vegetationsbilder. 
415. 

Kaöner,  Reich  der  \Volken  u.  Nieder- 
schläge.    541. 

Kays  er,  Allgemeine   Geologie.      76s. 

Keilhack,  Lehrbuch  d.  prakt.  Gecd.    15. 

Keller  u.  Lang,  Ernst  Haeckel  als 
F'orscher  und  Mensch.      189. 

Keller,  Stammesgesch.  uns.  Haustiere. 445. 

Kellogg,   Darwinism  To-Day.     523. 

Kick,  Ernst  Haeckel  u.  d.  Schule.     i8g. 

Kieckbusch,  Mit  Fangnetz  u.  Sammel- 
schachtel.    461. 

Kirchmayr,  Die  analytische  Berechnung 
regulärer  Kristalle,  für  Studierende  der 
Kristallographie.     80. 

Kleinschmidt,  Grammatik  U.Wissen- 
schaft.     III. 

Klingelhöffer,  Physik.     15. 

Klut,    Untersuchung  des  Wassers.     ^lo. 

König,  Vertrocknungsprozeß  d.  Erde.  350. 

König,  Edmund,  Kant  uod  die  Natur- 
wissenschaft.    220. 

Koltan,  Reinke's  dualistische  Welt- 
ansicht.    556. 

Korf,  So  werden   wir  fliegen!      447. 

Korscheit  u.  Heider,  Entwicklungs- 
gesch.  der  wirbellosen  Tiere.     621. 

Kossmat,   Paläographie.     218. 

Kotte,  Chemie.     400. 

Kraepelin,  Naturstudien.      781. 

Krause,  K.,  Araceae.     415. 

K  refft,  K'eptilien-u. Amphibienpflege.  220 

Krümmel  u.  Eckert,  Geograph.  Prak- 
tikum.    221. 

Kuckuck,  Urzeugung.     701. 

Kükenthal,   Cyperaceae.     415. 

Küspert,  Chemie  u.  Mineralogie.     782. 

K  u  b  1  i  n ,  Weltraum,  Erdplanet  u.  Lebe- 
wesen.    508. 

Lamarck,  Zoolog.  Philosophie.    522. 

Lang,  Üb.  d.  Bastarde  von  Heli.x  hortensis 
Müller  u.   Helix   nemoralis   L.      126. 

Lange,   Ciartengestaltung,     461. 

Lecointe,   Ann.   astronomique.      462. 

Lehmann,  .Alfred,  Aberglaube  und 
Zauberei.     414. 

Lesser,  Unterricht  in  der  Arithmetik  u. 
.Algebra.     96. 

Levin,   Chemie.     782. 

Liesegang,   Projektionskunst.     336. 

Linck,   Kristallographie.     95. 

Linne's  Bedeutung  als  Naturforscher  u. 
Arzt.      525. 

V.  L  i  n  s  t  o  w  ,  Die  Schmarotzer  d.  Menschen 
u.  Tiere.     541. 

Lipps,  Psychophysik.     446. 

Lobedank,  Stammbaum  d.  Seele.    524. 

Lodge,  Leben  u.  Materie.      189. 

Lohrscheid-Lehmann,  Anorganische 
Chemie.     592. 

Lorentz,  Theory  of  Electrons.     670. 

Lorey,  Mathematik  u.   Frauen.     782. 

Lotsy,  Botau.  Stammesgeschichte.     684. 


Lotsy,  Deszendenztheorien.     684. 

Macfarlane.  Nepenthaceae.     41^. 

Magnus,  R.,  Vom  Urtier  z.  Menschen.  523. 

Mangold,   Sinnesorgane.     445. 

Marcus,  Monismus  u.  Verwandtes.   508. 

V.  Marillac,  Ein  neuer  Blick  in  das 
Leben  der  Schöpfung.      189. 

Martus,  Entstehungsweise  der  Planelen- 
raonde.     526. 

May,   Auf  Darwinspuren.     525. 

May,  Korallen  u.  andere  gesteinbildende 
Tiere.     445. 

May,  Goethe  —  Humboldt  —  Darwin  — 
Haeckel.      1S9. 

Meerwarth,  Lebensbilder  aus  d.  Tier- 
welt.    367. 

Menzer,  Der  menschliche  Organismus 
446. 

Messerschmidt,  Erde  als  Himmels- 
körper.     239. 

Migula,  Biologie   der  Pflanzen.     318. 

Mildbread,  Stylidiaceae.     415. 

Mi  IIa,  Wie   fliegt  der  Vogel?     447. 

Minkowsky,   Raum  und  Zeit.     781. 

M  o  1  i  s  c  h ,  Warmbad  als  Mittel  zum 
Treiben   der  Pflanzen.      46I. 

Mortensen,  Die   Echinoiden.     669. 

Müller,  Adolf,    Galileo  Galilei.     479. 

Müller,   G.  W.,  Ostracoden.      253. 

Müller-Pouillet,  Physik  u.  Meteoro- 
logie.    221,  367. 

Murray  u.  Philippi,  Grundproben  d. 
Deutschen  Tiefsee-Expedition.    285. 

Neesen,  Strahlen.     446. 

Nelson,  Die  kritische  Methode  u.  das 
Verhältnis  der  Psychologie  zur  Philo- 
sophie.    574. 

Neresheimer,  Der  Tierkörper.    541. 

Nimführ,   Luftschiffahrt.     541. 

Norden,   Elektrolytische  Zähler.     303. 

Ogilvy,   Fibel  des  Darwinismus.     525. 

Ostwald,   Wo.,  Kolloidchemie.     463. 

Ostwald,   Große  Männer.      699. 

Ostwald,   Grundr.  d.  allg.  Chemie.    350. 

Ostwald,  Wider  das  Schulelend.     699. 

Pahde-Lindemann,  Leitfaden  d.  Erd- 
kunde.    63. 

Perry,   Angewandte  Mechanik.      175. 

Peter,  Die  Planeten.     445. 

Pfordten,  Vorfragen  d.  Naturphilos.  129. 

P  f  u  n  g  s  t ,  Das  Pferd  des  Herrn  v.  Osten.  349 

Piepers,  Mimikry,  Selektion,  Darwinis- 
mus.    525. 

Pilger,  System  der  Blütenpflanzen.    218. 

Plate,   Die  Scaphopoden.     253. 

Pöschl,   Härte   der  festen   Körper.     750. 

Poincare,  Maxwell'sche  Theorie  und 
Hertz'sche  Schwingungen.  Telegraphie 
ohne  Draht.     144. 

P  o  1 1  a  c  k  ,  Philos.  Grundl.  wiss.  Forschung 
als  Beitrag  z  einer  Methodenpolitik.  619. 

Popofsky,   Radiolarien.      253. 

P  o  t  o  n  i  e,  Arbeiten  üb.  Kaustobiolithe.672. 

Potonie,   Illustrierte   Flora.     368. 

Poulton,   Essays  on  evolution.     460. 

Pütz,  Vergleich.   Erdbeschreibung.     221. 

Ramsay,  Moderne  Chemie.     400. 

Romsay,  Aus  der  Chemie.     542. 

Ratzel,  Raum  und  Zeit  in  Geographie 
und  Geologie.     220. 

Richarz,    Maxwell'sche    Theorie.     527. 

Reinhardt,  Geschieht,  des  Lebens  der 
Erde.     494. 

Reinhardt,  Vom  Nebelfleck  zum  Mcn- 
»■chen.      125. 

Rosenthal,  Die  Volkskrankheitcn  und 
ihre  Bekämpfung.     541. 


Register. 


VII 


Rost,  Flugapparate.     447. 

Küd  orf  1- l'.ö  ttgc  r ,   Chemie.     7S2. 

Saal,   Photographie  in  den  Tropen.    431. 

S  a  c  k  u  r ,  Chem.  Aflinitiit  und  ihre  Messung. 
20S. 

Sattler,     Traction  electrique.     431. 

Scheid,  Chemie.     592. 

Scheiner,  Bau  des  Weltalls.     445. 

Scher  er,   Pädagog.  Jahresber.     765. 

Schlick  um,  Chemie  u.  Mineralogie.  782. 

Seh  m  eil  u.  Seh  mit!  t.  s.  unter  , ,Samm- 
^"ng"• 

Schmidt,  J  u  1  i  u  s  ,  Svntetisch  organisciie 
Chemie.      220. 

Schmidt,  H.,  Biogenetisches  Grundge- 
setz.    524. 

Schmitt,    Zeugnis   der    Versteinerungen. 

525- 

Schnee,   Unsere  Kolonien.     219. 

von  Schnehen,  Energetische  Weltan- 
schauung.    556. 

Schneider,  Karl  Camillo,  Des- 
zendenztheorie.    523. 

Schoetensack,  Unterkiefer  des  Homo 
Hcidelbergensis.      143. 

Schröder,  O.,  Unbekannte  treibende 
Eier  und   Cysten.     253. 

.Schröder,  O.,  Slicholonche  zanclea  und 
Wagnerelia  borealis.      2^3. 

Schumburg,       Geschlechtskrankheiten. 

445- 

Schuster,  Einfluß  des  Mondes  auf  unsere 
Atmosphäre.     239. 

Schwaiger.  Regulierproblem  in  der 
Elektrotechnik.     303. 

Schwant  es.  Aus  Deutschlands  Urge- 
schichte.    220. 

Schwarze,  Herbert  Spencer.    445,   556. 

Schwendener,  Mechanische  Probleme 
der  Botanik.     349. 

Schwering,     Kleinste    Quadrate.     655. 

Seber,  Blutforschung  und  Abstammungs- 
lehre.    591. 

Sieberg,   Der  Erdball.     765. 

Sigmund,  Minerale  N'iederösterreichs.  63. 

Sinclair,  Utilitarismus  bei  Sedgwick  und 
Spencer.     556. 

Speiser,  Ektoparasiten  des  Fregattvogels, 
Milben  der  Antarktis.     667. 

Strache,   Einheit  der  Materie.     462. 

Strand,  Spinnentiere  von  Südafrika  und 
einigen  Inseln.     667. 

zur  Strassen,  Die  neuere  Tierpsycho- 
logie.    3t. 

Strauti,      Nalurgeschichts  -  Skizzenbuch. 

383- 
Strecker,  Kausalitätsprinzip derBiologie. 

508. 
Tanner y,     Elemente    der    Mathematik. 

495- 

Taschenberg,   Giftige  Tiere.     271. 

Tesar,   Die  Mechanik.     736. 

Thiele,  Arktische  und  subantarktische 
Chitonen.     253. 

Thieme,   Geometrie.     495. 

Thomson,  Corpuskular  -  Theorie  der 
Materie.     350. 

Thonner,  Blütenpflanzen  Afrikas.     430. 

U 1  m  e  r ,  Trichoptera.     460. 

Unger,  Wie  ein  Buch  entsteht.     445. 

Unold,  Organische  und  soziale  Lebens- 
gesetze.    508. 

Vanh offen,  Lucernariden  u.  Scyphome- 

dusen.     253. 
Vater,   Dampf  u.  Dampfmaschine.     540. 
V  e  r  w  o  r  n  ,  Allgemeine  Physiologie.     27 1 . 


Vichmeyer,  Bilder  aus  dem  .\meisen- 
leben.     541. 

\'  o  r  1  ä  n  d  e  r ,  Geschichte  der  Philosopliie. 
478. 

Wagner,  Percy,  .\.,  Diamantführende 
Gesteine  Süd- Afrikas.     813. 

Wah  nsc  h  a  f  f  e  ,  Oherflächengestallung 
des    norddeutschen  Flachlandes.      303. 

W  a  1 1  h  e  r ,   Geometrie.     399. 

Wanderer,  Tierversteinerungen  aus  der 
Kreide  .Sachsens.     462. 

Wassermann,  Kampf  um  das  Ent- 
wicklungsproblem in  Berlin.     525. 

Brunner  v.  Watten  wyl,  Die  Insekten- 
familie  der  Phasmiden.      78. 

Weber,  Technik  des  Tafelzeichnens.  814. 

Weber,  Maximilian,  Einführung  in 
die  Kristalloptik.      127. 

Weinstein,  Entsteh,  d.  Welt  u,  d.  Erde 
nach  Sage  u.   Wiss.     218. 

Weiß,    Berthold,    Entwicklung.     508. 

Weiß  mann,   Darwin.      ^24. 

Westermarck,  Moralbegriffe.     429. 

Wiener,  Reflexionsbeobachtungen  an 
Metallen.     384. 

Winkelmann,  Akustik.      462. 

Wirth,  Experimentelle  .-\nalyse  der  Be- 
wußlseinsphänomene.      306. 

Wü  nsc  h  c-  Abromeit,  Pflanzen  Deutsch- 
lands.    494. 

Ziegler,  Zoologisches  Wörterbuch.    446. 

Ziegler  u.  Woltereck,  Monographien 
einheimischer  Tiere.     478. 

Zimmer,  Die  Bumaceen  der  deutschen 
Tiefsee-Expedition.     285. 

Zimmermann,  Otto,  Ohne  Grenzen 
und   Enden.     508. 

Zschimmer,  Untersuchung  über  Raum, 
Zeit  und  Begriffe  vom  Standpunkte  des 
Positivismus.      14. 

Zschimmer,  Glasindustrie  in  Jena.  022. 

Aunuaire  pour  Fan    1910.      83 1. 

Aquarien.      222,   701. 

Archiv  für  die  Geschichte  der  Naturwissen- 
schaften und   der  Technik.      94. 

Darwin,  seine  Bedeutung.     524. 

Darwinistische  Vorträge    und    Abh.     52^. 

Deutsche  Südpolarexpedition.     667. 

Farbenanpassung  d.  Schmetterlingspuppen. 
640. 

Flechtenliteratur.     560. 

Floren-Lit.  der  ital.  Kolonie  Erythräa.    768. 

Floren  der  Schweiz.     704. 

Fries'schen  Schule,   Abhandl.   der.    574. 

Herbarium.     399. 

Histolog.  Lehrbücher.     688. 

Ideale  und  Probleme  der  Weltanschauung. 
556. 

Kiemenfüßer-Lit.      831. 

Klassiker    der   Naturwissenschaften.     556. 

Kulturpflanzen  der  Weltwirtschaft.     95. 

Lagerstätten  Deutschlands,  Karte  der  nutz- 
baren.    430. 

Linne-Lit.     832. 

Lit.  zur  Abstammungslehre.     304. 

Lit.  über  Autotomie  und  Regeneration.  639. 

Lit.  über  Biocönosen.     512. 

Lit.  über  Blütenbiologie.      224. 

Lit.   über  Blütenkalender.      32. 

Lit.  üb.  elektrische  Konvektionsströme.  384. 

Lit.  über  die  Flora  der  Schweiz.     544' 

Lit.  zur  Forstzoologie.     688. 

Lit.  üb.  Fremd-  u.  Selbstbestäubung.   576. 

Lit.  über  Gartenbau.      144. 

Lit.,  geologische ,  für  Anfänger  und  geo- 
logische Vereine.      16. 

Lit.   über  Geologie  der  Eifel.     224.  | 


Lit.    über    geol.    Karten    von  Tirol.      512. 

Lit.   über  die   Honigbiene.      639. 

Lit.  über  llymenopleren-.\natomic  etc.   (140. 

Lit.   über   Marienpflanzen.      447. 

Lit.   über   Pflanzenbiologie.     32. 

Lit.   über  physikalische  Technik.      330. 

Lit.  üb.  pontische  Pflanzengenossenschatten 

in  Nord-Böhmen.     560. 
Lit.  über  die  Struktur  der  Metalle.     432. 
Lit.   betr.   Urzeugung.      368. 
Lit.  zur  Tiergeographie.     688. 
Lycoperdon-Lit.      736. 
Meteorologische  Zeitschriften.     224. 
Milben-Lit.    832,   751    (s.  Zool.) 
Mollusken-Lit.     815. 
Moos-Lit.     752,  816. 
Natur,  Die.     220. 
Natur   und    Geisteswelt      218,    445,    540, 

541,   556- 

Natur-  und  kulturphilosophische  Bibliothek. 
220. 

Naturwiss.  Bibliothek  f  Jugend  u.  Volk.  219. 

Naturwissenschaftliche    Wegweiser.      541. 

Pilze,  Lit.  zu  ihrer  Präparalion  und  Be- 
stimmung.    816. 

Sammlung  Göschen.     218,  446. 

Sammlung  naturwissenschaftlich -pädago- 
gischer .Abhandlungen.      32. 

Schäften  und  Schauen.      749. 

Südpolar-Exped.,    Deutsche,    1901  — 1903. 

253- 

Süßwasserkrabbe-Lit.     S32. 

Tiere,  wilde,   i.  d.  Gefangensch.     700. 

Schulgesundheitspflege,  Verhandl.  d.  All- 
gemein. Deutsch.   Vcr.     494. 

\'ogelflug,   über  seine   Höhe.      700. 

Wissenschaft,   Die.     220. 

Wissenschaft  und  Bildung.    2:9,  445,  54I. 

Zeitschrift  für  Botanik.      143. 

Zoologische-Lit.      6S8. 


Abbildungen. 

Aalmolch.      34. 

Abendpfauenaugen  (Orig.)     724. 

Aggregata.      248,  249. 

Aglossa  pinquinalis  l,Orig.)     44. 

Aleuria  aurantia.      472. 

.\mphio.xus,   Larve  und   Embryo.      109. 

Anieisen  und   ihre   Nachahmer.     217. 

Amphiuma  means.     34. 

Anemone    nemorosa    pliocalymma    (Orig.) 

288. 
Anergates  atratulus  (Orig.)     402. 
Anguis-  und  Scincus-Schuppe.      119. 
App.    z.  Demonstr.    der    Umwandlung    v. 

Arbeit   in  Wärme.     643. 
Aragonitkristalle  (Orig.)     691,  692. 
Arcella  vulgaris,     Fortpflanzungsvorgänge. 

236/237. 
Armillaria  mellea.     465. 
Asterias  forreri.      488/490. 
Ausziehstock  f.  Wasseruntersuchungen.  178. 
Becher    für    Wasseruntersuchungen.      178. 
Bienengehirne.     632. 
Blattschneider-Ameisen  (Orig.)     823. 
Blattschneider- Ameisen-Nester  (Orig.)   824. 
Blinkmikroskop.     738. 
Branchiosaurus-Bauchpanzer.     35. 
Bryonia     dioica- Blätter    von    männlichen 

und  weiblichen  Pflanzen  (Orig.)     266. 
Camponotus.      217. 
Cecropia  mexicana  (Orig.)     828. 
Clitocybe  flaccida.     466. 
Clitocybe   fragrano.      466. 
Cirque   de  Gavarnie  (Orig.)     284. 
Coelographis  antarctica.     287. 


VIII 


Register. 


Coprinus  comatus.     467. 

Diagraramc  zur  Aufzeichnung:;  d.  (ifwichts- 

vcränderungen  1>.  Bienenvölkern  (Orig.l 

300/301. 
Diagramm    der  Brechungsexponenten    der 

wichtigsten      Gase     für      verschiedene 

Wellenlängen.      17]. 
Diagramme     zur    Wetter -Monatsübersicht 

(Orig.)      62,    124,     184,    270,    334/335, 

398,    477/47«,    540,    606,    683,     749, 

Sj2,  813. 
Digitalis   purpurea  (alte   Abb.)      197. 
Diplodocus.     92,   797. 
Dretsche.      178. 

Echiniscoides-Larve  (Orig.')     331. 
Echiniscoidcs  Sigismundi  (Orig.)     330. 
Ehrensaal  des  Deu'.schcn  Museums.     647. 
Eichenblätter,    von     .Ameisen    zerschnitten 

(Orig.)     824. 
Regenerierte  Eidechsenschwänze.   607/60S. 
Eisberg    von    der  Belle-lsle-Straße  (Orig.) 

225. 
Erbsenstein  (Orig.)     692. 
Enrycorypha.     216. 
Kärtchen   des   Erdbebens  von  Norditalien, 

Januar   1909   (Orig.)     206. 
Exkursionsmikroskop.      178. 
Kernie,    eine    abgebrannte    .Stadt    Canadas 

(Orig.)     226. 
Feuersteinwerkzeuge      von     Le     Moustier 

(Orig.)     328. 
Flechten,  nutzbare  (Orig.)     67,  69. 
Forellenauge,  Horizontalschnitt,  mit  Linsen- 
regeneration.     13. 
Forellenauge,      Frontalschnitt      mit     voll- 
ständig regenerierter  Linse.      14. 
Formiconius.     217. 
Formica  sanguinea  (Orig.)     401. 
Frostkrebs  an   der  Kiefer.     31=;. 
Garten,    sein    Anfangsstadium    im    fernen 

Westen  (Orig.)     230. 
Gasausbruch   am  Stromboli.      340. 
Gcschlechtsapparate  von  Lymantria  dispar 

(Orig.)     546/552. 
Glycyphagus   domesticus.     767. 
Grashochland  Kameruns  (Orig.)     ^  16/5 17. 
Grotte   von   Le  Moustier  (Orig.)     324. 
Halechiniscus-Bein   (Orig.)     332. 
Halcchiniscus  Guiteli  (Orig.)     331. 
Halley'scher  Komet,  seine  Bahn  (Orig.)  60. 
Hausmilbe.      783. 
Heideboden-Kiefer.     315. 
Holzdrift  in   Canada  (Orig.)     246. 
Ichthyosauren   (Orig.)     89,  90. 
Karten  mit  Isogonen,   -klincn  u.   -dynamen 

(Orig.)     484. 
Ithyphalius   impudicus.     471. 


Jasminium   officinale  falte  Abb.)     197. 

Jüttner  „Böcklins  .Atelier"  zum  Artikel 
Baerwald :  Selbsttätigkeit  u.  Icliliebc. 
305- 

Kalkgestcine  u.  Kristalle  (Orig.)     690/693. 

Kalkspatkristalle  (Orig.)     690. 

Karte  der  russ.  Polarfahrt  der  Sarja.    649. 

Karte  des  nördl.  Arizona.     801. 

„Kohlrabi-Häufchen"  aus  dem  Pilzgarten 
der  Blattschneiderameisen  (Orig.) ^825. 

Komet  Morehouse.     73. 

Kribbelmilbe  (Laelaps  marg.)      751/752. 

Küche  in   einem   Camp   (Orig.)     2_'9. 

Landschaft  während  eines  vulkanischen 
Aschenfalls.     340. 

Libelle.      5JI. 

Libellenlarve.      511. 

Lichenes,  nutzbare  (Orig.)     67,  69. 

Lichttelegraphie  im  17.  Jahrhundert.     616. 

Lohkranke    Wurzel,    Anatomisches.     313. 

Lohkranker  Zweig.     313,  314. 

Luftpumpe  mit  Motor.     642. 

Lymantria  dispar  (Orig.)     545. 

Mangoblätter,  ganz  und  von  Ameisen  zer- 
schnitten (Orig.)     823. 

Menschenschädcl  von  Le  Moustier  in  situ 
(Orig.)     325/327- 

Menschenschädclteile  von  Le  Moustier 
(Orig.)     325/328. 

Meerweibchen.      140/141. 

Meteorkrater  in  Arizona.     802/806. 

Mirperus.     217. 

Monocütylen  der  Drachenbaumform ,  ihre 
Stamm-Anatomie  (Orig.)     493. 

Monograptus  turriculatus  (Orig.)     414. 

Morley,    ein  Ort  in  Canada  (Orig.)     226. 

Le  Moustier  (Orig.)      324. 

Muschelkalk  (Orig.)     693. 

Myrmecophana.     215/217. 

Myrmica.     217. 

Mystriosaurus   (Orig.)     91. 

Nereis.     61. 

Nicotiana  tabacum,  alte  Abb.      19:;. 

Numulitenkalk  (Orig.)     693. 

Ohm's  Elektrisiermaschine  und  Flaschen- 
batterie.    643. 

Pfahlkratzer.      178. 

Pflanzenfasern,  duktile  (Orig.)     345. 

Phyllocrania.     21 7 

Plalanthcra  bifolia  (Orig.).      544. 

Planktonkammer.      178. 

Plantago  media  (Orig.)     544. 

Plesiosaurus  (Orig.)     89. 

Polydesmus-Nest  (Orig.)     28. 

Polydesmus- Vulva    u.   -Fuß  (Orig.)    26/27. 

Polyergus  rufesccns  (Orig.)     401. 

Polyporus   versicolor.      409. 


Posidonienschiefei'bruch  (Lias  f)  in  Holz- 
maden (Orig.)     88. 

Prärie   in   Canada  (Orig.)      243. 

Profil   durch   einen   Mondkrater.      809. 

Protil   durch   einen  Schichtvulkan.'*  809. 

Ricnodon  copei,   ein  Stegocephale.      40. 

Rogenstein   (Orig.)     693. 

Salamander,  Arterienbogen  der.     35. 

Salticus.      217. 

Sarracenia  purpurea  (Orig.)  ^242/243. 

Schädel   von  La  Tigra  (Orig.)     658. 

Schema  zum  Artikel  feste  Lösg.  u.  Iso- 
morphismus (Orig.)     364. 

Schemat.  Darstell,  d.  Entsteh,  d.  wichtigst. 
Körper  aus  d.  Rohstoffen.     645. 

Schlafkrankheit,  Kärtchen^von  Afrika  mit 
Verbreitung  der  (Orig.)      148.  j, 

Schlafzclt  in  einem'^  Camp  in  Canada 
(Orig.)     228. 

Schlupfwespe  Thalessa.      7S4. 

Schomburgkia  (Orig.)      827. 

Seenprofile   (Orig.)     388. 

Seismometer-Pendel.     29. 

Seismomcter  und  Seismograph.      30. 

Singcikadenlarve.     784. 

,, Speisesaal"  in  einem  Camp  [in  Canada 
(Orig.)     229. 

Stereometrische  Vermessung.     740. 

Strongylognathus    testaceus    (Orig.)     401. 

Tabak,   alte  Abb.      195. 

Tamus  (Orig.)      181/183. 

Tamus-KnoUen  (Orig.)      181/183. 

Tamus-Samen  und  -Keimlinge  (z.  T.  Orig.) 
182. 

Teleosaurus  (Orig.)     91. 

Telephon   von   Reis.      644. 

Temperatur  und  Niederschlags-Diagramme 
s.  unter  Diagr.  Wetter-Monatsübersicht. 

Tillandsia   bulbosa  (Orig.)     829.'] 

Tradescantia  virginica,  alte  Abb.      197. 

Terebratulakalk   (Orig.)     693. 

Tsetse-Fliege ,  Kärtchen  von  Afrika  mit 
Verbreitung  der  (Orig.)      148. 

Typhlomolge  rathbuni.      34. 

Urwaldbilder  aus  Canada  (Orig.)     241. 

Valee  d'Anisclo  (Orig.)     283. 

Vallee  d'Arazas  (Orig.)     283/284. 

Wälder,    abgebrannte    in    Canada    (Orig.) 

232/233- 
Wasserharnisch  aus  dem   17.  Jahrhundert. 

617- 

W'hceleriella  Santschii  (Orig.)     401. 

Wirbeltierkopf,  Schema  seines  ursprüng- 
lichen  Baues.      109. 

Zelle,  schematisch,  zur  Veranschaulichung 
ihres  Stoffwechsels.     247. 

Zu  Pferde  durch  den  Kananaskis  -  Fluß 
(Orig.)     228. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Nene  l-\.l};e   Vlll.   I'.aii,!  ; 
iler  5;:in/eii    Reihe   XXIV     l'iaiul. 


Sonntag,  den  3.  Januar  igog. 


Nummer  1. 


„Die  Ernährung  der  Wassertiere"  und  „der  Stoffhaushalt  des  Meeres". 

Zwei   Referate  über  Prof.  A.  Pütter's  gleichnamige  Arbeiten  (Zeitschr.   f.  allg.   Physiol.  Bd.   VII,    1907,   p.  283 — 368) 
(Nachdruck  vcrboten.l  ^'OQ   TJr.   Friedrich  von   Möller,  Schloß  Sommerpahlen,  Livland. 


„Die  Ernährung  der  VVassertiere"  und  „der 
Stofthaushalt  des  Meeres"  —  unter  dieser  Bezeich- 
nung hat  Prof.  Pütter  in  Göttingen  im  siebenten 
Bande  der  Zeitschrift  für  allgemeine  Physiologie 
(1907,  p.  283 — 368)  zwei  Arbeiten  veröffentlicht, 
die  für  die  Planktonforschung  und  überhaupt  für 
die  Biologie  der  Lebewesen  des  Meeres  vom 
größten  Interesse  sind.  Sie  begründen  eine 
meines  Wissens  gänzlich  neue  Ansicht  über 
die  Nahrungsquellcn  der  Tiere  und  Pflanzen 
des  „Plankton",  und  wahrscheinlich  auch  aller 
übrigen  Meerestiere  mit  Ausnahme  der  P"isch- 
säugetiere,  Fische  und  Cephalopoden  (Tintenfische 
und  Kraken).  Da  ich  glaube,  daß  die  Biologie 
des  Meeres  durch  diese  beiden  Arbeiten  Prof. 
Pütter's  um  einen  großen  Schritt  vorwärtsgebracht 
worden  ist ,  und  überzeugt  bin ,  daß  weiteres 
Forschen  in  dieser  Richtung  auch  der  Süßwasser- 
biologie von  größtem  Nutzen  sein  wird,  so  habe 
ich  es  versucht  über  Prof.  Pütter's  Aufsätze  aus- 
führlich zu  berichten,  denn  in  diesem  Falle  er- 
scheint mir  die  Kenntnis  der  Methoden  des  Ver- 
fassers fast  so  bemerkenswert  wie  die  seiner 
Resultate.  Es  wird  auffallen,  daß  ich  mich  so  oft 
der  eigenen  Worte  des  Verfassers  bedient  habe 
—  mir  schienen  aber  die  betreffenden  Stellen  zu 
wichtig,  um  sie  zu  kürzen,  auch  hätte  die  ange- 
strebte Klarheit  der  Darstellung  darunter  gelitten. 
Das  Referat  wird  hoffentlich  viele  zum  .Studium 
der  Originalarbeit  anregen. 

I.    Die  Ernährung  der  Wassertiere. 

I.    Der    Kohlenstoffgehalt    des    Seewassers. 

F"ür  das  Meer  nimmt  man  die  ernährungsphysio- 
logische Abhängigkeit  der  Tiere  von  den  Pflanzen 
und  zwar  hauptsächlich  den  .\lgen  an,  diese 
„sollen  in  ihrer  Körpersubstanz  die  gesamte  Menge 
der  organischen  Stofife  bilden,  die  den  Tieren  des 
Mikroplanktons,  besonders  den  Copepoden  als 
Nahrung  dient,  welche  dann  ihrerseits  die  Nahrung 
der  Fische  usw.  abgeben.  Man  muß  sich  völlig 
darüber  klar  werden,  daß  diese  Annahme  z.  Z. 
lediglich  eine  Hypothese  ist,  denn  es  liegen  keine 
Versuche  vor,  den  Nahrungsbedarf  der  niederen 
Tiere  und  die  Größe  der  Produktion  organischer 
Substanz  durch  die  Algen  in  der  Zeiteinheit 
experimentell  zu  ermitteln". 

Die  vorhandenen  ausgedehnten  Planktonstudien 
zeigen  nur  den  Zustand  in  bestimmten  Zeit- 
momenten an,    aber  weder  die  Zeit,  welche  nötig 


war,  um  diesen  Organismenbestand  zu  erneuern 
(Baustoft'wechsel)  noch  die  Stofl'menge,  die  in  der 
Zeiteinheit  nötig  war,  um  ihn  zu  ernähren  und 
damit  zu  erhalten  (Belriebsstoffwechsel).  —  Bisher 
hielt  man  die  Organismenleiber  für  die  einzige 
Ouelle  der  Nahrung  der  Meerestiere  —  der  Autor 
will  aber  nachweisen,  daß  das  Meer  in  beträcht- 
licher Menge  Nährstoffe  in  Lösung  hält,  welche, 
im  Gegensatz  zu  der  bisher  vertretenen  Anschau- 
ung, den  größten  Teil  der  Nahrung  der  Meeres- 
tiere (ausgenommen  P'ische  und  wahrscheinlich 
auch  Cephalopoden)  ausmachen. 

Durch  Anwendung  von  Messinger's  Me- 
thode der  C-Bestimmung  auf  nassem  Wege,')  die 
generell  alle  komplexen  C- Verbindungen  als  CO'- 
der  Bestimmung  zugänglich  macht,  und  die  sich 
auf  Seewasser  ohne  jede  Vorbehandlung  anwenden 
läßt,  wies  Verf.  nach,  daß  ein  Liter  Seewasser 
aus  dem  Golf  von  Neapel,  an  solchen  Stellen  ent- 
nommen, wo  Verunreinigungen  der  Stadt  schon 
unwirksam  sind,  92  mg  Gesamtkohlenstoff  enthält. 
Davon  sind  27  mg  (kaum  30  "/g)  in  Form  von 
CO'-  nachgewiesen,  so  daß  65  mg  (70 '7o)  kom- 
plexer C -Verbindung  im  Liter,  oder  65  g 
im  Kubikmeter  im  Seewasser  in  Lösung  sind. 
(Die  Lösung  hat  also  0,0065  "l^.     D.  Ref.) 

Die  chemische  Natur  dieser  komplexen  C- Ver- 
bindungen wurde  nur  insoweit  aufgeklärt,  als  ge- 
zeigt werden  konnte,  daß  die  flüchtigen  Säuren 
etwa  23  mg  von  diesen  65  mg  C  enthalten,  also 
enthalten  die  flüchtigen  Säuren  im  Seewasser  fast 
ebensoviel  C  wie  die  Kohlensäure.  Natterer  ge- 
lang der  Nachweis  von  höheren  Fettsäuren 
(Palmitinsäure,  Stearinsäure),  und  aus  Proben,  die 
dicht  über  dem  Meeresboden  entnommen  waren, 
konnten  Kohlenwasserstoffe  schon  durch  den 
petroleumartigen  Geruch  des  Wassers  nachge- 
wiesen werden.  Auch  Glyzerin  glaubte  Natterer 
identifizieren  zu  können.  Pütter  vermutet  auch 
noch  die  Möglichkeit  des  \"orkommens  von 
Huminsubstanzen. 

Es  ergibt  sich  als  Sauerstoffkapazität  der  kom- 
plexen C-Verbindungen  eines  Liters  Meerwasser 
180  mg  O'-,  während  aus  12  Proben  ein  Sauer- 
stoffgehalt von  durchschnittlich  nur  7,6  mg  im 
Liter  hervorgeht  (0,00076%),  also  ca.  V-ii  des 
Sauerstoffes,  der  nötig  wäre,  um  allen  C  zu  CO'-, 


')  Eine  Publikation  über  die  Art  der  .\nwendung  der 
Methode  und  ihre  Fehlergrenzen  will  der  Verfasser  in  den 
Publikationen  d.  Kgl.  Ges..  der  V/issensch.  in  (löttingen  er- 
s-heinrn   lassf-n. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII    Nr.   I 


allen  II  zu  H'-'O  zu  oxydieren.  Das  Meer  ist  also 
relativ  sehr  sauerstoffarm,  dafür  sehr  kohlen- 
stoffreich. 

2.  Der  K  ohlenstoffgehal  t  der  Plankton- 
organisme  n. 

Um  nun  den  C-Gehalt  der  Planktonorganismen 
festzustellen,  verwendet  Verf.  die  Angaben  Loh- 
mann's  über  das  Plankton  von  Syrakus:  Es  ent- 
hielten looo  1  filtriertes  Seewasser  53,63  cbmm 
an  sog.  „dichtem  Volumen",  d.  h.  bei  einem  spez. 
Gew.  von  1,030  —  55,60  mg.  Nach  Brandt  ent- 
halten 66  ccm  gut  abgesetzte  Planktonfänge  0,57  g 
Trockensubstanz.  Die  „dichten"  Volumina 
sind    ca.    25  mal    kleiner,    so    daß    wir    rechnen 

müssen:        =  2,64  ccm  dichtes  Volumen,  das  sind 
25 

2,64  1,030   =    2,7192    g    Lebendgewicht    — 

geben  0,57  g  Trockensubstanz,  was  20,9  "/^  ent- 
spricht.') Der  Kohlenstoffgehalt  der  Trocken- 
substanz beträgt  im  Mittel  aus  10  Analysen,  nach 
Brandt  33,39",,,  so  daß  die  Menge  Kohlenstoff, 
die,  nach  Lohmann's  Untersuchungen  bei  Syrakus, 
in  P'orm  von  Organismen  in  1000  1  enthalten  ist, 
sich  folgendermaßen  verteilt: 

Protophyten:   1,22  mg 

Protozoen :       0,08  ,, 

Metazoen :        2,48  „ 

Bakterien :        0,06  „ 

Zusammen :     3,84  mg 

Der  Stickstoftgehalt  beträgt  im  Mittel 
also  \|(|  der  Kohlenstoffmenge,  so  daß  in 
Meerwasser  0,39  mg  Stickstoff  in  Organismen  ge- 
bunden sind.  Da  im  Eiweiß  3,3  mal  soviel  C 
als  N  enthalten  ist,  so  stammen  von  dem  Ge- 
samtkohlenstoff der  Organismen  1,29  mg  aus 
Pliweiß  (3,3  •  0,39=  1,29),  folglich  3,84  —  1,29 
=  2,55  mg  aus  Kohlehydraten  und  P'etten. 

Ein  Liter  Seewasser  enthält  also 

in  Organismen 

1.  in  Form  von 
Eiweiß  0,00 1 29  mg  C 

2.  in  Form  von 
Kohlehydra- 
ten u.  Fetten  0,00255  „    , 

C  im  ganzen 


3.4'',,, 
1000  1 


0,00384  mg  C 
0,00039    „    N 


dagegen  in  Lösung 
aller   C 


davon  CO'- 


92  mg 


27,, 


also  an  komplexen 
C-Verbindungen 

65  mg 
Stickstoff'-')  0,74  „ 

Also  17000  mal  soviel  komplexe  C-Verbin- 
dungen sind  in  Lösung  wie  in  Organismen  (und 
1900  mal  soviel  ist  N  in  Lösung  wie  in  Organismen. 
D.  Ref.) 

„Durch    diese    Gegenüberstellung    wird    schon 


'1   \'erf.  gibt  an  =  2,()3  :    und    2,"q    anstatt  2,7192   g 

Lebendgewicht,  daraus  20,7  "/q.      D.  Ref. 

")   Der  Slofflianshalt  des   Meeres,   vom   gleichen  Verfasser. 
Ebenda  S.  329. 


ein  gerechter  Zweifel  gegen  die  Annahme  be- 
gründet, daß  die  Organismen  selbst,  in  letzter 
Linie  also  die  Algen,  die  einzige  Quelle  der 
Nahrung  für  die  Wassertiere  seien,  aber  der  Nach- 
weis, daß  die  gelösten  Stoft'e  eine  weit  ausgiebigere 
Quelle  der  Nahrung  für  eine  große  Menge  von 
Tieren  sind,  als  jene,  die  in  Organismen  gebunden 
sind,  läßt  sich  nur  erbringen,  sobald  man  quan- 
titative Daten  über  den  Nahrungsbedarf  der 
Tiere  hat." 

3.  Der  Na  h  r  u  n  gs  b  e  d  a  r  f  der  Tiere. 

,,Eine  exakte  Kenntnis  des  Bedarfs  an  aus- 
nutzbaren Nährstoffen  in  der  Zeiteinheit  ist  nur 
durch  vollständige  Stoffwechselversuche  zu  er- 
langen, und  solche  liegen  zurzeit  nur  für  zwei 
Tiere  vor,  für  Suberites  domuncula  und  Cucu- 
maria  grubei."  (Suberites  ist  ein  Schwamm, 
Cucumaria  —  eine  Holothurie.     D.  Ref.) 

Bei  Suberites  beträgt  der  Kohlenstoffumsatz 
eines  mittelgroßen  Exemplares  von  ca.  6o  g 
Lebendgewicht  in  einer  Stunde  0,92  mg.  Ein 
Liter  Wasser  enthält  in  Form  von  Organismen 
0,00384    mg    C.  Suberites    müßte    also     in     einer 

Stunde    —     „     =   239   1,    d.    h.    annähernd    das 
0,00384  ^^ 

40000  fache  seines  Volumens  vollkommen  durch- 
fischen, um  den  Bedarf  seines  Betriebsstoftwechsels 
zu  decken,  und  zwar  unter  der  nicht  sehr  wahr- 
scheinlichen Voraussetzung,  daß  er  den  C  der  er- 
beuteten Organismen  restlos  auszunutzen  im- 
stande sei.  Verf.  meint,  in  Wirklichkeit  könne 
der  Schwamm  höchstens  das  Fünffache  des 
eigenen  Volumens,  also  300  ccm  in  einer  Stunde 
durch  sein  Kanalsystem  pumpen,  wobei  der 
schwache  und  langsame  Wasserstrom  größere 
Organismen,  etwa  Copepoden,  mitzureißen  gar 
nicht  imstande  sei,  so  daß  das  durchgepumpte 
Wasser  wesentlich  nur  Diatomeen,  Protozoen  und 
Bakterien  enthalte,  mit  35  "/o  des  C  der  Plankton- 
organismen, so  daß  der  Wasserstrom  dem  Schwamm 
2300  mal  weniger  (ca.  0,05  %)  Kohlenstoff')  in  ge- 
formter Nahrung  zuführen  würde,  wie  er  in  der 
Zeiteinheit  verbraucht. 

,, Nehmen  wir  dagegen  an,  daß  die  komplexen 
Verbindungen,  die  im  Seewasser  gelöst  sind,  die 
Nahrung  des  Schwammes  darstellen,  so  erhalten 
bereits  14,2  ccm  (m.  G.  schon  13,3  ccm.  D.  Ref.)  die 
für  eine  Stunde  notwendigen  0,92  mg  Kohlenstoff. 
Wenn  auch  viele  dieser  Kohlenstoffverbindungen 
für  Suberites  nicht  ausnutzbar  sein  sollten,  so  ent- 
halten doch  schon  die  300  ccm  bereits  19,5  mg  C, 
also  21  mal  soviel  wie  der  Schwamm  braucht,  er 
würde  also  auskommen,  wenn  er  auch  kaum  5  % 
der  gebotenen  C-Verbindung  ausnutzen  könnte. 
Außerdem  sind  die  Bedingungen  für  Aufnahme 
gelöster  Nährstoffe  weit  günstiger  als  solche  für 
den  Fang  geformter  Nahrung.  Ohne  Bewegungen 
zu  machen  und  Wasserströme  zu  erzeugen,    kann 


')  M.  E.    1965  mal  weniger  =  ca.  0,05  "/„.     I).  Ref. 


N.  F.  VIII    Nr.  I 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


3 


ein  Tier  an  geformter  Nahrung  nur  das  erhalten, 
was  seine  Oberfläche  zufällig  berijhrt,  und  das 
wäre  sehr  wenig,  denn  trotz  der  Menge  der 
Planktonorganismen  wären  in  i  ccm  kaum  zwei 
Diatomeen  zu  finden.  Für  die  Aufnahme  gelöster 
Nahrung  liegen  die  Bedingungen  viel  günstiger  — 
ständig  mit  der  Oberfläche  der  Organismen  in 
Berührung,  herandift'undierend  wenn  resorbiert, 
fließt  sie  als  ununterbrochener  Stoffstrom  dem 
Tiere  zu.  —  Es  nähren  sich  also  wohl  auch  alle 
übrigen  Schwämme  von  gelöster  Nahrung  ohne 
nennenswerten  Anteil  der  geformten,  „für  Sube- 
rites  domuncula  ist  jedenfalls  der  Nachweis  er- 
bracht, daß  auch  unter  den  günstigsten  Annahmen 
die  geformte  Nahrung,  die  ihm  zugänglich  ist, 
weniger  als  0,05",,  des  gesamten  Nahrungs- 
bedarfes zu  decken  imstande  ist."  ,,P'ür  Cucu- 
maria  grubei  beträgt  bei  einem  frisch  gefangenen 
Tiere  von  ca.  14  g  Lebendgewicht  der  Kohlen- 
stoffbedarf pro  Stunde  etwa  0,40  mg.  Diese 
Menge  C  ist  enthalten  in  den  Planktonorganismen 
von  100  1,  dagegen  in  Lösung  in  6,2  ccm."  — 
Cucumaria  fängt  freilich  lebende  Organismen  auf 
seinen  Tentakelbäumchen,  auch  nimmt  sie  Sand, 
der  ja  nicht  ohne  organischen  Detritus  sein  wird, 
in  den  Darm  auf,  doch  ergab  auch  hier  der  Stoff- 
wechselversuch eine  starke  Beteiligung  gelöster 
Nährstoffe. 

Vernon's  Untersuchungen  haben  für  viele 
niedere  Tiere  den  Sauerstoffverbrauch  genügend 
genau  festgestellt.  Oxydationen  machen  aber  nur 
einen  Teil  des  gesamten  Stoffwechsels  aus,  auch 
sind  sie  vielfach  unvollständig.  Wenn  wir  also 
ansetzen : 

.■\ller  O,  der  verbraucht  wurde,  hat  bestimmte 
Verbindungen  vollständig  oxydiert,  andere  Prozesse 
außer  dieser  Oxydation  sind  im  Stoffwechsel 
nicht  abgelaufen,  so  haben  wir  den  Stoffbedarf 
jedenfalls  nicht  zu  hoch,  sondern  vielmehr  zu 
niedrig  angeschlagen. 

Eine  Reihe  von  Erfahrungen  lehrt,  daß  die 
umgesetzten  Stoffe  hauptsächlich  Kohlehydrate 
sind.      Ihre    Sauerstoffkapazität    ist     1,23,    d.    h. 

A-Gramm  Sauerstoff  sind  imstande     '      s  Zucker 

1,23  ^ 
zu  verbrennen,  der  Zucker  hat  40%  Kohlenstoff. 
Berechnet  man  aus  dem  Sauerstoffbedarf  pro 
Tier  und  Stunde  die  minimale  Menge  des  umge- 
setzten Zuckers,  also  auch  den  minimalen  Kohlen- 
stoffbedarf, so  „zeigen  sich  deutlich  die  Unmög- 
lichkeiten, auf  die  man  geführt  wird,  wenn  man 
an  der  Annahme  festhalten  will,  daß  für  die  Er- 
nährung der  Wassertiere  nur  geformte  Nahrung 
in  Betracht  käme".  Von  10  der  untersuchten 
Tiere,  die  zu  vier  verschiedenen  Tierstämmen 
(7  verschiedenen  Klassen)  gehören,  müßte  ein 
jedes  das  Mehrhundertfache  bis  Mehrtausendfache 
seines  Volumens  an  Meerwasser  auf  Piankton- 
wesen  abfischen,  um  seinen  Nahrungsbedarf  in 
einer  Stunde  zu  decken,  während  der  nötige  C 
in    Gestalt     komplexer    Verbindungen     in    vielen 


Fällen  in  '  ,„  des  Volumens  des  Tieres  im  Meer- 
wasser enthalten  ist.  (Tabelle  III  und  IV  des 
Originales.) 

4.  Der  mindeste  stündliche  Lebensraum 
der  Wassertiere. 
Das    Volumen,    Meerwasser,    welches    den    für 
ein  Tier  pro  Stunde  notwendigen  Sauerstoff  ent- 
hält, ist  sein  „minimaler,  stündlicher  Lebensraum" 
in  bezug  auf  Sauerstoff.      Es  zeigte  sich,   daß  die 
gefundenen    Werte    hierfür    zwischen    0,26    (Salpa 
tilesii)     und    3,18     (Ciona    intestinalis)    des    Tier- 
volumens schwanken,    aber   meist  ein-  oder  zwei- 
mal das  Volumen  des  Tieres  betragen.     „Es  ent- 
steht die  Frage,  ob  der  Lebensraum,  wie  wir  ihn 
bisher  definiert  haben,  also  das  Volumen  (an  Meer- 
wasser.   D.  Ref) ,    das   den  Sauerstoffbedarf  einer 
Stunde  zu  decken  imstande  ist,  auch  hinreicht,  um 
den  übrigen  Stoff  bedarf  des  Tieres  zu  decken."  Diese 
Frage    beantwortet   Verf    seinen    Untersuchungen 
gemäß  dahin,    daß    in    dem   auf  Sauerstoff  bezüg- 
lichen   minimalen  Lebensraum    fast    30  mal   mehr 
komplexe    C-Verbindungen    in    Lösung   sind,    „als 
jene,  die  wir  als  Kohlenstoffbedarf  der  Tiere  aus 
ihrem    Sauerstoffbedarf    berechneten."      „Nur    für 
zwei  Tiere,    für  Suberites  und  Cucumaria  können 
wir    auf  Grund    der    Untersuchung    des    Gesamt- 
stoffwechsels   zeigen,    um    wieviel    zu    gering    die 
Annahmen  über  den  Kohlenstoffbedarf  der  Tiere 
waren,  die  oben  gemacht  wurden,    wie   sehr  also 
alle    Argumente,    die    dort    vorgebracht  wurden," 
hier  um  so  mehr  Geltung  haben.     „Für  Suberites 
würden    wir   auf  Grund    seines  Sauerstoffbedarfes 
von  0,67  mg  pro  Tier  und  Stunde  einen  C-Bedarf 
von  0,22  mg  berechnen,  während  die  direkte  Be- 
stimmung einen  Umsatz  von  0,92  mg,  also  mehr 
als  viermal  soviel    ergab.      Bei    Cucumaria    würde 
aus    dem   Sauerstoffverbrauch    von    0,14  mg    pro 
Tier  und  Stunde  auf  0,05  mg  C-Bedarf  geschlossen 
werden,    während   er   in  Wirklichkeit  0,4  mg   be- 
trug,   also    sogar    das  Achtfache    des    angesetzten 
Wertes."     „Nehmen  wir  aber  auch  für  die  übrigen 
Tiere  an,  daß  ihr  C-Bedarf  um  das  Fünf-  bis  Sechs- 
fache   höher    wäre   als    wir    angesetzt    hatten,    so 
bliebe    trotzdem    die    im    „Lebensraum"    gebotene 
C-Menge  noch  fünf-  bis  sechsmal  größer  als  nötig, 
d.  h.    schon    wenn    nur    17  — 20"(|    der  gebotenen 
Verbindungen    von    einem    bestimmten  Tier   aus- 
genutzt   werden    können,    reicht    die   Kohlenstoff- 
nienge  zur  Ernährung  hin." 

5.  Beobachtungen  über  die  geformte 
Nahrung  der  Tiere. 
Die  Mehrzahl  der  nicht  parasitisch  lebenden 
Meerestiere  nimmt  sicherlich  bei  Gelegenheit  ge- 
formte Nahrung  auf  —  ob  diese  aber  hinreicht, 
läßt  sich  mit  Sicherheit  nur  durch  Stoff- 
wechseluntersuchungen zeigen,  wie  sie  für  die  in 
dieser  Arbeit    genannten    Tiere    vorliegen.')      Die 

')  Es  siml  die  außer  den  vom  \"crr.  .iiif  ( )-  und  C-Ver- 
biauch  untersuchten  Suberites  domuncula  und  Cucumaria 
(Jrubei  noch   folgende  von  \'erno)i  iThe  respiratory  cxchange 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  I 


im  folgenden  angeführten  Beobachtungen  weisen 
aber  darauf  hin,  daß  die  Beispiele  dafür,  daß  die 
geformte  Nahrung  zur  Deckung  des  Stoffbedarfes 
nicht  ausreicht,  sich  noch  in  den  verschiedensten 
Gruppen  des  Tierreiches  werden  vermehren  lassen. 
Bei  allen  untersuchten  Polykladen  (mit  Ausnahme 
von  Prosthiostomum)  fand  Lang  weder  im  Haupt- 
darm noch  in  den  Darmästen  Nahrungsstofte,  deren 
Natur  hätte  erkannt  werden  können.  Bürger 
fand  im  Darme  der  Nemertinen  äußerst  selten 
Nahrungsmassen  oder  Reste,  nur  einige  Male  Teile 
von  Krusten  (soll  wohl  heißen :  Krustern.  D.  Ref.). 
„Am  erstaunlichsten  sind  aber  Dohrn's  ^)  Beob- 
achtungen am  Darme  der  Pycnogoniden  (Panto- 
poden)".  „Im  Inneren  dieses  Darmes,  der  seine 
langen  Divertikel  in  die  Extremitäten  hineinsendet, 
schwimmen  in  großer  Zahl  eigenartige  Körper, 
die  nicht  von  außen  aufgenommen  sind,  sondern 
offenbar  in  einer  noch  nicht  ganz  aufgeklärten 
Weise  sich  vom  Darmepithel  ableiten.  Durch  die 
Kontraktionen  der  Darmschläuche  werden  sie  in 
beständigen  unregelmäßigen  Bewegungen  erhalten." 
S.  57:  „Was  aber  die  Verhältnisse  vollends  sehr 
schwer  verständlich  macht,  ist  die  Abwesenheit 
jedweder  Fäkalmasse.  Trotz  der  tausendfachen 
Beobachtung  lebender  Pyknogoniden  unter  dem 
Mikroskop  habe  ich  nie  den  Austritt  geformter 
Bestandteile  aus  dem  After  gesehen,  auch  nie  ge- 
färbte Flüssigkeiten  im  Afterdarme  bemerkt."  Die 
Pantopoden  haben  nun  einen  ungemein  dichten 
Reusenapparat,  der  geformten  Bestandteilen  den 
Eintritt  in  den  Darm  überhaupt  verwehrt,  so  daß 
Dohrn  zur  Interpretation  seiner  Befunde  sagt,  S.  57  '■ 
„Es  bleibt  da  eben  nur  die  Vermutung  übrig,  daß 
feste  Teile  überhaupt  nicht  in  den  Darm  gelangen, 
sondern  von  dem  Reusenapparat  entweder  in 
solcher  Weise  zerkleinert  werden,  daß  sie  für  die 
Verdauungssäfte  ohne  Rückstand  auflösbar  werden, 
oder  aber  schon  vorher  wieder  entleert  werden. 
Vielleicht  auch  dienen  die  Haare  und  Borsten  der 
Lippen  dazu,  schon  von  vornherein  derlei  Stofte 
auszusondern."  Bei  den  Wurmmollusken  Chaeto- 
derma  wird  nach  Simroth  der  Darm  oft  leer 
gefunden  oder  nur  mit  geringem  Inhalt,  und  es 
scheinen  keine  Tatsachen  dafür  zu  sprechen,  daß 
er  sich,  etwa  wie  bei  einem  Seeigel,  mit  Schlick 
füllt.  Bei  den  Chitonen  fanden  sich  nur  mikro- 
skopische Algen,  besonders  Diatomeen,  im  Darm. 
Diatomeen  enthalten  aber  nur  sehr  wenig  Nähr- 
stoffe. Auch  im  Darme  von  Dentalium  fanden 
sich  hauptsächlich  P^oraminiferen  und  Infusorien. 
Rauschenplat    fand    bei    nur    wenigen    Exem- 


of  the  lower  marine  Invertebratcs.  Journ.  of  Physiology 
\'ol.  19,  1895 — 9ö'  P-  18—70')  allerdings  nur  auf  iliren  Sauer- 
stoiTverbrauch  —  aus  dem  Fütter  aber  ihren  minimalen  C-Ver- 
braucli  berechnet  —  untersuchten  Tiere:  CoUozoum  inernie, 
Adamsia  rondeletii,  Khizostoma  pulmo,  Carmarina  hastata, 
Cestus  veneris,  Pterotrachea  mutica,  Tethys  leporina,  Ciona 
intestinalis,  Salpa  pinnata,  Salpa  tilesii.  Also  im  ganzen  liegen 
StolTwechseluntersuchungcn  für  zwölf  niedere  marine  Wirbel- 
tiere vor,    die  zu  sechs  Tic-rstämmen  gehören.     D.  Ref. 

^)  Dohrn,   Pantopoden,    in    ,, Fauna  imd   Flora  des   (iolfes 
von  Xeapel",  Pd.  3,  Leipzig   t88i. 


plaren  von  Aurelia  aurita  aus  der  Kieler 
Bucht  in  den  Radialkanälen  kleine  Klumpen,  die 
von  Ceratien  und  anderen  Planktonorganismen 
gebildet  waren.  Bei  sehr  vielen  Aurelia  war  die 
Untersuchung  ergebnislos.  Bei  den  Hydroidpolypen 
CordylophoralacustrisundGonohtyraea 
lovenii  ist  die  Untersuchung  ganz  erfolglos  ge- 
wesen. Ebenso  bei  dem  Schwamm  Amorphina 
panicea.  „Gerade  für  diesen  Schwamm  zeigen  die 
Stoffwechseluntersuchungen  (an  Subcrites  domun- 
cula,  d.  Ref)  völlig  einwandfrei  die  Bedeutung 
der  gelösten  Stoffe  für  die  Ernährung." 

6.  DieErnährungderTiefseeorganismen. 

Die  Ernährung  der  überraschend  reichen  Tier- 
welt der  Tiefsee  glaubte  man  dem  gewaltigen, 
von  den  Algen  der  Lichtzone  produzierten  Über- 
schuß von  organischer  Substanz  zuschreiben  zu 
müssen.  Die  absterbenden  Algen  sollten  zur  Er- 
nährung der  Tiere  der  Dunkelzone  ausreichen.  Nun 
„ist  zunächst  durchaus  nicht  bewiesen,  ja  nicht  einmal 
wahrscheinlich  gemacht,  daß  die  Algen  der  Licht- 
zone mehr  organische  Substanz  produzieren,  wie 
die  Tiere  des  Bezirkes  brauchen,  vielmehr  zeigen 
die  vorangegangenen  Kapitel,  daß  die  Algen  bei 
weitem  nicht  ausreichen,  um  auch  nur  einen  ge- 
ringen Teil  des  Nahrungsbedarfes  der  Tiere  ihres 
Lebensbezirkes  durch  ihre  Leibessubstanz  direkt 
oder  indirekt  auf  dem  Umwege  über  pflanzen- 
fressende Tiere  zu  decken."  Außerdem  würden 
diese  absterbenden  Organismen  überhaupt  in 
keine  sehr  große  Tiefen  kommen,  da  sie,  als 
mikroskopische  Wesen,  nur  äußerst  langsam 
sinken,  und  unterwegs  längst  von  Spaltpilzen  (und 
Sproßpilzen),  von  denen  in  einem  Kubikzentimeter 
Meerwasser  durchschnittlich  lOOO  Keime  sich 
finden,  überwuchert  und  gelöst  sein  würden.') 
Viel  plausibler  erscheint  die  Annahme,  daß  auch 
die  Tiefseeorganismen  von  gelösten  C-Verbindunge'j 
leben. 

7.  Die    Organe    zur    Aufnahme    gelöster 

Stoffe. 

Besondere  Organe  zur  Aufnahme  gelöster 
Nahrung  sind  offenbar  nicht  nötig.  „Die  Fähig- 
keit gelöste  Stofte  aufzunehmen  und  im  Stoff- 
wechsel zu  verwerten,  ist  ja  eine  ganz  allgemeine, 
die  auch  den  höchst  dift'erenzierten  Zellen,  z.  B. 
im  Nervensystem  und  den  Sinnesorganen  der 
Säugetiere  ebenso  zukommt,  wie  den  primitiven 
Protozoen  oder  Bakterien.  Freilich  entnehmen 
die    ersteren    der    genannten  Zellen   ihre  Nahrung 


')  Naturw.  Wochenschr.  N.  F.  Bd.  VII,  190S,  S.  95  heißt  es  in 
F.  Römer's  Referat  über  Karsten,  das  indische  Pliyto- 
plankton,  folgendermaßen:  „Über  die  vertikale  Verbreitung 
im  Indischen  Ozean  ergaben  die  zahlreichen  Schließnetzfänge, 
daß  die  Hauptmasse  in  den  oberen  200  m  enthalten  ist; 
unterhalb  von  400  m  sind  überall  nur  noch  vereinzelt  lebende 
Zellen  zu  finden,  z.  B.  farblose  Peridineen,  und  schließlicli 
bleibt  nur  noch  der  ständige,  nach  unten  langsam 
dünner  werdende  (von  mir  gesperrt,  d.  Ref.)  Regen  von 
abgestorbenen,  zu  Boden  fallenden  Teilen  aus  der  lebenden 
Pflanzemlerke   der  oberflächlichen  Schichten  übrig."      I'.   Ref. 


F.  N.  VIII.  Nr.   I 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


5 


nur  aus  den  umgebenden  Körperflüssigkeiten, 
während  Protozoen  und  Bakterien  direkt  aus  dem 
umgebenden  Medium  die  Nahrung  schöpfen.  In 
dieser  letzteren  primitiven  Weise  nehmen  ja  auch, 
wie  im  vorhergehenden  gezeigt  ist,  eine  große 
Menge  von  Tieren  ihre  gesamte  Nahrung,  oder 
doch  deren  überwiegenden  Teil  auf,  es  bildet  für 
diese  Wesen  gewissermaßen  das  Meer  die  Lymphe, 
von  der  sie  leben."  Von  der  .Annahme,  ,,daß  die 
Aufnahme  des  Sauerstoftes  von  der  Aufnahme 
anderer  gelöster  Stoffe  stets  getrennt  sein  müßte, 
wie  es  bei  den  Säugetieren  in  dem  funktionellen 
Unterschied  zwischen  Darm-  und  Lungenresorp- 
tion der  Fall  ist,  müssen  wir  uns  gründlich  frei 
machen"  ')  —  wenn  eine  Fläche  überhaupt  resor- 
bieren kann,  so  steht  physiologisch  nichts  im 
Wege,  daß  sie  sowohl  Sauerstoff  als  auch  gelöste 
Nährstoft'e  resorbiert.  Solche  Flächen  müssen 
zwei  Bedingungen  erfüllen,  erstens:  „die  Zellen, 
die  in  direkter  Berührung  mit  dem  Medium  stehen, 
dürfen  nicht  durch  kutikulare  Bildungen  bedeckt 
sein,  sondern  müssen  freie,  resorptionsfähige  Ober- 
flächen haben,"  zweitens,  ,,die  Oberflächen  müssen 
mit  einem  Wasserstrom  in  Berührung  kommen, 
der  dafür  sorgt,  daß  immer  neue  Nährlösung  zu- 
geführt wird".  Bei  den  Schwämmen  sorgen  hier- 
für die  Geißeln  der  Kragenzellen.  Bei  der  Oktoko- 
ratte  Alcyonium  bleibt  ,,bei  sonst  geschlossenem 
Ingestionsrohr"  „dorsal  und  ventral  je  eine  Öffnung, 
in  denen  durch  Streifen  von  Flimmerepithel 
Strömungen  erzeugt  werden,  deren  eine  in  das 
Innere  gerichtet  ist,  während  die  andere  Wasser 
nach  außen  zurückbefördert."  Actinien  nehmen 
bedeutende  Wassermengen  in  ihren  Darm  auf  und 
entleeren  sie  bei  Reizung.  Bei  den  Rhizostomen 
können  sicher  nur  wenig  geformte  Bestandteile 
die  Mündungen  des  Gastrovaskularapparates 
passieren,  dafür  bietet  aber  die  besonders  durch 
die  Mundkrause  außerordentlich  vergrößerte  Ober- 
fläche hinreichend  Gelegenheit  zur  Resorption  ge- 
löster Nahrung.  Bei  jeder  Strobilation  der 
akraspeden  Medusen,  „wo  die  dauernde  Produktion 
einer  Menge  Ephyren  sicher  sehr  große  Anforde- 
rungen an  die  Stoffzufuhr  stellt,  wird  die  sog. 
,, Verdauungshöhle"  verklebt  und  durchschnürt,  um 
die  Qualle  abstoßen  zu  können.  Wie  könnte  die 
Strobila  sich  in  dieser  Zeit  durch  Aufnahme  ge- 
formter Nahrung  erhalten  und  die  geforderten 
Mengen  organischer  Substanz  neu  bilden,  die  ihre 
ursprüngliche  Masse  wohl  um  das  Mehrfache  über- 
treffen ?" 

„Bei  Polykladen  hat  Lang  im  Gastro vaskular- 
system  lebhaften  Wasserwechsel  beobachtet."  „Bei 
Yungia  und  Cykloporus  fand  Lang,  daß  im  Be- 
reiche des  Netzwerkes  der  Darmäste  eine  große 
Anzahl  von  Darmdivertikeln  gegen  die  Körper- 
oberfläche treten,  wo  sie  sich  frei  öffnen"  .  .  . 
„weshalb    auch    Lang    (wie  v.  Graff   für  Rhabdo- 


')  Einij;c  MitgliedL-r  der  Gruppe  der  ('ubitis-^Üartgruiidcl-) 
äliulichen  Fische  atmen  durch  Darm  und  Kiemen.  Ilabak 
und  Dedek,  lüol.  Cbl.   1907,  p.  697  ff.     D.  Ref. 


coeliden)  bei  den  Polykladen  eine  ,, respiratorische 
Funktion"  des  Darmes  annimmt,  was  ja  nur  in 
anderen  Worten  dasselbe  ist  wie:  der  Darm  ist 
hier  dazu  geeignet,  gelöste  Stoffe  aus  dem  See- 
wasser aufzunehmen." 

Bei  Capitella  gibt  es  ein  Kanalsystem  am 
Darm,  welches  durch  rhythmische  Kontraktionen 
des  Hinterdarmes  mit  Meerwasser  gefüllt  wird,  so 
daß  im  Darm  und  Nebendarm  Strömungen  ent- 
stehen (Eisig).  Ahnliche  Einrichtungen  sieht 
Eisig  bei  Gephyreen  und  Seeigeln.  Bei  Denta- 
lium  beschreibt  Simroth  ein  Organ  am  Enddarm, 
die  sog.  „Rektaldrüse",  das  keine  Drüse  ist,  son- 
dern aus  Schläuchen  mit  Flimmerepithel  besteht, 
,,das  also  gute  Bedingungen  zur  Durchströmung 
mit  Wasser  bietet."  Das  verwickelte  Kanalsystem 
des  Schneckenfußes,  welches  z.  B.  bei  Natica  etwa 
das  dreifache  Volumen  dieser  Schnecke  in  wenigen 
Minuten  aufnehmen  kann  (Schiemenz),  könnte 
vermuten  lassen,  daß  auch  hier  Resorption  einer 
Nährlösung  stattfindet.  —  Auch  Kiemen  brauchen 
natürlich  nicht  nur  Sauerstoft"  zu  resorbieren.  Die 
Ascidie  Ciona,  mit  enorm  entwickelter  Kieme, 
braucht  weniger  Sauerstoff  als  die  annähernd 
gleich  schwere  Ctenophore  Forskalia,  „die 
keine  besonderen  Kiemeneinrichtungen  besitzt". 
„Die  Größe  des  Sauerstoffbedarfes  steht  bei  den 
Ascidien  in  gar  keinem  Verhältnis  zu  der  ge- 
waltigen Entwicklung  der  Kiemen  dieser  Tiere." 
„Dasselbe  gilt  für  den  Vergleich  zwischen  Rhizo- 
stoma  und  Salpa  tilesii."  „Der  Gehalt  an 
Trockensubstanz  stimmt  bei  beiden  Tieren  sehr 
nahe  überein,  und  auch  hier  hat  die  Qualle  ohne 
Kiemen  mit  0,808  mg  Sauerstoffverbrauch  pro  Tier 
ein  wesentlich  höheres  O  Bedürfnis  als  Salpa 
tilesii  mit  0,159  ^^S  O  -  Verbrauch  pro  Tier 
und  Stunde."  „Wenn  wir  aber  Kiemen"  oder 
kiemenartige  Gebilde  als  Organe  der  Aufnahme 
gelöster  Nährstoffe  ansehen,  so  ist  uns  für  viele 
Tiere  verständlich,  wie  sie  ihren  hohen  Stoff- 
bedarf decken,  denn  da  die  Menge  gelöster  or- 
ganischer Verbindungen  in  der  Volumeneinheit 
des  Meeres  jene  des  gelösten  Sauerstoffes  so  be- 
deutend übertrifft  ('s.  o.),  so  wird  bei  genügender 
Sauerstoffversorgung  stets  auch  die  genügende 
Menge  gelöster  Nahrung  in  der  Natur  geboten 
werden." 

8.  Die  Bedeutung  der  geformten 
Nahrung  und  der  Därme. 
Für  die  Ernährung  derjenigen  Wassertiere,  die 
im  allgemeinen  von  in  Wasser  gelöster  Nahrung 
leben,  könnte  doch  die  Aufnahme  geformter 
Nahrung,  wenn  auch  in  geringer  Menge,  von 
großer  Bedeutung  sein,  da  hierin  vielleicht  Stoffe 
in  hoher  Konzentration  enthalten  sind,  die  sich 
im  Meerwasser  sonst  nur  spärlich  finden,  z.  B.  N. 
(Man  könnte  auch  an  die  Aufnahme  von  Enzymen 
denken,  die  wohl  sicherlich  in  vielen  Organismen  des 
Meeres  enthalten  sind.  D.  Ref.)  Die  Därme  der 
Wirbellosen,  die  vonMikroplankton  leben,  haben  bei 
der  Verdauung  dieser  Nahrung  offenbar  nur  wenig 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VHI.  Nr.  i 


Arbeit,  so  daß  Verf.  vermutet,  daß  die  Oberfläche 
der  Därme  nicht  nur  bestimmte  Nährstoffe  auf- 
nimmt, sondern  auch  Stoft'wechselprodukte  aus- 
scheidet. 

9.  Die  Ernährung  aus  Nährlösungen. 
Die  Behauptung,  daß  viele  wirbellose  Tiere 
sich  von  den  im  Wasser  des  Meeres  gelösten 
Stoften  ernähren,  verliert  viel  von  ihrem  Unge- 
wohnten, wenn  wir  uns  erinnern,  daß  „bei  den 
meisten  Zellgattungen  der  Metazoen  die  Fähig- 
keit, geformte  Nahrung  aufzunehmen,  überhaupt 
völlig  verloren  gegangen"  ist  und  sie  von  den 
Nährlösungen  der  Körperfiüssigkeiten  leben, 
während  wir  gewohnt  sind  den  Organismus  als 
Ganzes  nur  geformte  Nahrung  aufnehmen  zu  sehen. 
Aber  die  große  und  in  den  verschiedensten  Tier- 
stämmen vertretene  Gruppe  der  Parasiten  hat  die 
geformte   Nahrung   zugunsten  der  gelösten  aufge- 


geben. Nahe  Verwandte  vieler  dieser  Parasiten 
leben  frei.  Sie  zeigen,  daß  der  Unterschied  der 
Ernährung  mehr  graduell  als  fundamental  ist, 
„indem  die  Parasiten  aus  einer  konzentrierten,  die 
freilebenden  Formen  aus  einer  verdünnten  Nähr- 
lösung leben"  .  .  .  ,, womit  wohl  die  außerordent- 
lich intensive  Produktion  von  Leibessubstanz  in 
Beziehung  steht,  die  bei  den  Parasiten  allgemein 
zu  beobachten  ist,  und  die  sich  teils  in  raschem 
Wachstum,  teils  in  äußerst  abundanter  Produktion 
von  Geschlechtszellen  äußert." 

„Das  Meer  stellt  also  für  sehr  viele  Tiere  eine 
Nährlösung  dar,  aus  deren  unerschöpflichem 
Reservoir  sie  beständig  ihre  Nahrung  entnehmen." 

,.Die  Frage,  woher  die  großen  Mengen  ge- 
löster Stoft'e  im  Meere  stammen  .  .  .  läßt  sich 
nur  im  Zusammenhange  mit  der  allgemeinen 
Lehre  vom  Stoft'haushalt  des  Meeres  erörtern, 
was  in  der  folgenden  Abhandlung  geschehen  soll." 


Sammelreferate  und  Übersichten 


über  die  Fortschritte  in 

Neues  aus  der  organischen  Chemie.  ')  — 
I.  Die  Zerlegung  hoch  komplizierter 
chemischer  Verbindungen  im  schwan- 
kenden magnetischen  Kraft  felde.  Bei 
Betrachtungen  über  das  Wesen  der  enzj'matischen 
Wirkungen  war  J.  Rose  nthal  -  Erlangen  zu  der 
Ansicht  gelangt,  daß  zwischen  diesen  Wirkungen 
und  den  photochemischen  Prozessen  Beziehungen 
beständen  und  daß  es  ferner  möglich  sein  müsse, 
die  durch  Enzyme  zerlegbaren  hochkomplizierten 
organischen  Stoffe  wie  die  Proteine,  die  Glukoside 
und  die  Saccharosen,  die  bekanntlich,  da  sie  alle 
asymmetrische  Kohlenstoffatome  enthalten,  die 
Ebene  des  polarisierten  Lichtes  drehen,  auch  mit 
Hilfe  von  elektromagnetischen  Schwingungen  zu 
spalten.  Er  brachte  daher  die  zu  prüfenden  Stoffe 
entweder  in  wäßriger  Lösung,  oder,  falls  sie  in 
Wasser  unlöslich  waren,  hierin  aufgeschlämmt  in 
ein  Solenoid  und  leitete  durch  dessen  Windungen 
elektrische  Ströme.  Wie  zu  erwarten  war,  blieben 
die  Stoft'e,  solange  die  Ströme  kontinuierlich 
waren,  unverändert;  wurden  aber  die  kontinuier- 
lichen Ströme  fortwährend  und  regelmäßig  unter- 
brochen oder  wurden  Wechselströme  angewandt, 
so  traten  Spaltungen  ein,  und  zwar  erwiesen  sich 
die  Spaltungsprodukte  als  identisch  mit  denen,  die 
durch  die  Tätigkeit  der  Enzyme  erhalten  werden. 
„Hauptbedingung  für  die  Erzielung  eines  positiven 
Erfolges  ist  unter  allen  Umständen  eine  ganz 
bestimmte  Zahl  der  Unterbrechungen 
oder  Rieh tungs Wechsel.  Ist  diese  nicht 
getroffen,  so  bleibt  der  Erfolg  aus.  Statt  dessen 
tritt  als  Folge  der  Absorption  der  Schwingungen 
nur  Erwärmung  ein.      Hat  man  aber  die  richtige 

')  Vgl.  .\atu]  w.  Wnchijusclirill,  N.  F.,  )!il.  \U,  S.  27S,  l'joS. 


den  einzelnen  Disziplinen. 

Frequenz  getroft'en,  so  fällt  bei  gleicher  Stärke 
des  benutzten  Stromes  die  Erwärmung  auffallend 
gering  aus  .  .  .  und  es  wird  der  größte  Teil  der 
zugeführten  Energie  in  diejenige  geordnete  Be- 
wegung übergeführt,  welche  den  Effekt  hat,  die 
Substanz  zu  zerlegen  .  .  ."  Eine  Folge  der  un- 
vermeidlichen schwachen  Erwärmung  kann  die 
Zerlegung,  wie  Kontrollversuche  gezeigt  haben, 
nicht  sein;  auch  primäre  oder  sekundäre  elektro- 
lytische Vorgänge  können  zur  Erklärung  der  Er- 
scheinung nicht  herangezogen  werden,  da  „die 
Zerlegung  eben  nur  bei  einer  ganz  bestimmten 
Frequenz  eintritt".  Die  aus  Mangel  an  theore- 
tischen Anhaltspunkten  nur  experimentell,  durch 
Probieren,  festgestellten  wirksamen  Schwingungs- 
zahlen lagen  bei  den  Proteinen  zwischen  320  und 
360,  bei  der  Stärke  zwischen  440  und  480  Wechseln 
in  der  Sekunde;  alle  anderen  Stoft'e  erforderten 
viel  höhere  Frequenzen.  Die  Stromstärken 
schwankten  zwischen  5  und  10  Ampere.  Die 
F"ortsetzung  dieser  Lhitersuchungen  dürfte  noch 
zu  wertvollen  Ergebnissen  führen.  (J.  Rosenthal, 
Sitzungsberichte  der  Königl.  Preuß.  Akademie  der 
Wissenschaften,  1908,  S.  20—26.  Die  Abhand- 
lung ist  auch  als  Separatabdruck  zum  Preise  von 
0,50  Mk.  käuflich.) 

2.  DerThioindigounddie  indigoiden 
P'arbstoffe.  Als  indigoide  P^arbstoffe  bezeichnet 
P.  Friedlaender  Substanzen  mit  dem  für  den 
Indigo  I  und  das  Indirubin  II 


CO. 


I 


^co 


\ 


/C=a  I         I 

NIF  ^NH^X/ 

Indigo 


N.  F.  VIII.  Nr.  1 


NatLirwisscnschartliiiic  Wochenschrift. 


./ 


CO 


xo. 


^c  =  c 


MI 


Indirubin 


\    _       / 


charaktcrisüscheü  .Atomkomplex 


CO 


\ 


C  =  C 


CO 


der  unter  anderem  auch  in  dem  vor  einigen  Jah- 
ren von  I..  Knorr  entdeckten  Pyrazolblau  III  und 
dem  von  Friedländer  vor  kurzem  aufoefundenen 
Thioindigo  IV  vorkommt. 

,CO,  III  CO. 


c,,n.-, -n; 


c  =  c 

I 

c  =  c-= 

I 

CH3  CH, 
Pyrazolblau 


N 


C„H, 


,CO 


IV 

~c=c 


co^ 


y  \ 


'\s 


Tliioiiuligu 


'\/ 


Die  Zahl  der  indigoiden  Farbstoffe ,  die  in 
ihrem  physikalischen  und  chemischen  \'erhalten 
dem  Indigo  nahestehen ,  ist  in  neuerer  Zeit,  dank 
den  .Arbeiten  von  Friedlaender  und  seinen  Schü- 
lern sehr  wesentlich  vermehrt  worden ,  und  da 
manche  von  ihnen  auch  technische  Bedeutung 
haben,  so  ist  ein  kurzer  Bericht  über  den  wichtig- 


sten Vertreter    der  (iruppe,    den    Thioindigo,    an 
dieser  Stelle  wohl  gerechtfertigt. 

WieFriedländerin  Gemeinschaft  mit  A.C  h  w  a  1  a 
gefunden  hat ,  vereinigen  sich  die  aromatischen 
Diazoverbindungen  ArN.jCl  mit  Thioglykolsäure 
CH.j(SH)-COOH  in  verdünnter  wäßriger  Lösung 
zu  Verbindungen  von  der  Zusammensetzung 
ArN.,  •  S  ■  CH.,COOH,  die  sich  beim  Erwärmen  quan- 
titativ unter  Stickstoffahspaltung  in  die  entsprechen- 
den Arylthioglykolsäuren  Ar-S-CH.j -COOH  ver- 
wandeln. Aus  der  Anthranilsäure  V,  dem  be- 
kannten Ausgangspunkt  für  die  Indigogewinnung 
wird  man  also  durch  Diazotierung  und  Kuppelung 
mit  der  Thioglykolsäure  die  Phenylthioglykol-o- 
carbonsäure  VI  erhalten: 

CODII  /      ^COOH 

V  -!-         VI 

\        /NH2  \      y— S  — CHj  — COOH 

.-\ntliranilsäuie  Phcnj'Uhioglykol-o-caibonsäurc. 

Durch  Wasserentziehung  geht  die  Phenylthio- 
glykol  o-carbonsäure  VI  leicht  in  die  Oxythio- 
naphtencarbonsäure  VII  und  diese  durch  Abspal- 
tung von  Kohlensäure  in  das  Oxythionaphten ') 
VIII  über; 


')  Das  Oxythiunaphteii  leitet  sich  vom  Tliionaplileu  ab, 
einem  Stoffe,  der  zum  Naplitalin  in  derselben  Bezieliung  stellt 
wie  das  Thiophen  zum  Benzol. 


I         I 
\/ 

Benzol 


I      1 

\s/ 

Thiophen 


I         1         I 
Naphtalin 


I  I  I 

\/\s/ 

Thionaplitcn 


/ 


CO  OH 
CH., 


VI 

\  '         et 
liienylthioglykol-o-carbonsäure 


-COQH 


—  ILO 


VII 


C(OH) 


% 


"^C— COOK 


-  Ci.i., 


/  \. 


Oxythionaphtencarbonsäurc 


VIII  "^CH 

\s/ 

O.sythionaiihtcii. 


Das  Oxythionaphten   VIII  ist  ganz  analog  dem      tion    in  Indigo  XI  übergeht,    so    liefert  jenes  den 
Indoxyl  X  gebaut,  und  wie  dieses    durch  Oxyda-      Thioindigo  IX. 


VI  11 


CO. 


,CII., 


Oxvthiona]ihten 


.CIL,       -^1 


NU 
Indoxyl 


Die  Synthese  des  Thioindigos  verläuft  also, 
wie  das  Vorstehende  zeigt,  in  ganz  ähnlicher 
Weise  wie  die  des  Indigos  aus  demselben  Aus- 
gangsmaterial, der  Anthranilsäure.  —  Von  den 
Kigenschaften  des  Thioindigos  sei  hier  nur  die 
Echtheit  und  Beständigkeit  erwähnt,  die  er  mit 
dem  Indigo  selbst  teilt.    Seine  l'^arbe  ist  auffallendcr- 


co. 


l.\ 

^    \ 

Thioindigo 
XI 


CO 


\/ 


,Co 


.CO 


\ 


C  =  C, 


SS37" 


Indigo, 

weise  rot,  während  man  sonst  in  der  Regel  be- 
obachtet hat,  daß  bei  Ersatz  von  Ringsauerstoff 
durch  Schwefel  eine  Verschiebung  nach  dem 
violetten  Ende  des  Spektrums  hin  erfolgt.  (Bcr. 
d.  D.  Chem.  Gesellsch.,  39,  1060  1906:;  Liebig's 
Annalen,  351,  390  1906::  Ber.  d.  D.  Chem.  Ge- 
sellsch., 41,  772   1I907];    IVIonatshefte    f.    Chemie, 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.   I 


29,  285  [1907];  man  vgl.  auch  Schmidt  „Jahrbuch 
der  organischen  Chemie",  I.  Jahrgang,  S.  285 
[1908].) 

3.  Die  Sabatier'schen  Reaktionen. 
Die  hohe  Bedeutung  katalytischer  Reaktionen  ist 
jedem  Chemiker  wohlbekannt,  und  doch  ist  die 
Zahl  der  auf  katalytischen  Vorgängen  beruhenden 
Verfahren,  die  in  mehr  oder  minder  großem  Maß- 
stabe zur  Gewinnung  von  Stoffen  praktische  Ver- 
wendung finden,  nicht  allzu  groß.  Es  ist  daher 
von  großem  Interesse,  daß  neben  die  bereits  be- 
kannten katalytischen  Methoden,  von  denen  vor 
allen  Dingen  die  wichtigen  Sandmeyer'schen  Re- 
aktionen hier  genannt  sein  mögen,  in  neuerer 
Zeit  ein  von  Sabatier  in  Gemeinschaft  mit  Sen- 
derens und  Maiihe  ausgearbeitetes  Verfahren  ge- 
treten ist,  das  bereits  jetzt  dank  seiner  leichten 
und  bequemen  Durchführbarkeit  und  dank  den 
schönen  Ergebnissen,  zu  denen  seine  Anwendung 
bisher  schon  geführt  hat,  eine  außerordentlich 
wichtige  Stelle  in  der  Methodik  des  organischen 
Chemikers  einnimmt. 

Sabatier  und  seine  Mitarbeiter  haben  gefunden, 
daß  gewisse  Metalle,  in  erster  Linie  das  (durch 
Reduktion  aus  seinem  Oxyd  mittels  Wasserstoff 
erhaltene,  also  sehr  fein  verteilte)  Nickel  die 
Addition  von  Wasserstoff  an  ungesättigte  Ver- 
bindungen zu  katalysieren  imstande  sind.  So 
gehen  Äthylen,  Propylen,  Trimethyläthylen  usw., 
wenn  man  ein  Gemisch  ihrer  Dämpfe  mit  Wasser- 
stoff bei  nicht  zu  hohen  Temperaturen  über  den 
Katalysator  leitet,  in  die  entsprechenden  gesättigten 
Kohlenwasserstoffe  über,  eine  bequeme  Dar- 
stellungsmethode dieser  Substanzen  in  reinstem 
Zustande : 

I.  CH. ;  CH.,  +  H.,  =  CH3  -CHg 

2.  CH.2 :  CH  —  CH;  -f  H;  =  CH,  •  CH,  •  CH3. 

Der    Allylalkohol    liefert    den   Propylalkohol ,    ein 

wichtiger  Übergang,    der   sich    vorher  nicht  hatte 

verwirklichen  lassen : 

CH., :  CH .  CH,OH  +  H,  =  CH,  •  CH,CH,OH. 
Das  Benzol,  ein  Stoff,  der  nach  der  Formulierung 
von  Kekule  drei  doppelte  Bindungen  hat,  addiert 
sechs  Wasserstoffatome  unter  Bildung  von  Hexa- 
methylen  oder  Cyklohexan : 
H 


lieh  und  vielleicht  auch  technisch  wichtiges  Er- 
gebnis. Die  Hydroxylderivate  des  Benzols  führen, 
sofern  sie  flüchtig  genug  sind,  um  die  Leitung 
ihrer  Dämpfe  über  das  erhitzte  Nickel  zu  gestatten, 
ebenfalls  zu  den  entsprechenden  Additionspro- 
dukten. So  ergibt  das  Phenol  I  das  zu  ihm  gehörige 
Cyklohexanol  II,  aber  gleichzeitig  entsteht  neben 
dem  Alkohol  Cyklohexanol  noch  das  Keton 
Cyklohexanon  III 

H  H.,  Hj 

^\. 

II 

H.OH 
\  / 
lt. 


H» 


n/\u 


H' 


H 


H 


H..I 


,Hj, 

Ih., 


H, 


Viele  Benzolabkömmlinge,  z.  B.  Toluol  und 
Xylol  verhalten  sich  analog,  und  es  ist  daher 
möglich  gewesen,  eine  große  Reihe  der  redu- 
zierten Produkte,  zu  deren  Gewinnung  man  bis- 
her auf  den  mühsamen  Weg  der  fraktionierten 
Destillation  aus  der  kaukasischen  Naphta  ange- 
wiesen war  und  deren  Reindarstellung  früher  viel- 
fach auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten  stieß, 
ohne  große  Schwierigkeiten  im  Zustande  voll- 
kommener Reinheit  zu  erlangen,  ein  wissenschaft- 


H- 
H 


•OH 


H.,l 


^H., 


Ho 
H, 


111 


vH, 
,0 


H 


H,. 


Um  diesen  Übergang  zu  verstehen,  müssen  wir 
uns  einen  Augenblick  dem  Verhalten  der  Alkohole 
bei  der  Sabatier'schen  Reaktion  zuwenden. 

Daß  sich  die  Alkohole  bei  höherer  Tempe- 
ratur teils  mit,  teils  ohne  katalytische  Beteiligung 
von  Metallen  (z.  B.  Zinkstaub,  Eisen,  Platin  usw.) 
zersetzen,  ist  eine  seit  langem  bekannte  Tatsache. 
Über  den  Einfluß  feinverteilten  Nickels  stellten 
Sabatier  und  seine  Mitarbeiter  folgendes  fest: 
Leitet  man  die  Dämpfe  eines  primären  Alkohols, 
z.  B.  des  Äthylalkohols,  bei  einer  unterhalb  230" 
gelegenen  Temperatur  über  feinverteiltes  Nickel, 
so  findet  eine  doppelte  Reaktion  statt:  Zunächst 
wird  der  Alkohol  in  Aldehyd  und  Wasserstoff 
gespalten : 

CH,  -CH,  OH  =  CH3CHO  +  H,, 
und  dann  wird  der  Aldehyd  weiter  in  einen    ge- 
sättigten     Kohlenwasserstoff     und      Kohlenoxyd 
zerlegt :  ') 

CH3.CH0  =  CH, +C0. 

Die  anderen  primären  Alkohole  verhalten  sich 
ebenso  wie  der  Äthylalkohol,  nur  nimmt  mit 
steigendem  Molekulargewicht  die  Leichtigkeit  der 
Wasserstoffabspaltung  ab  und  die  der  Kohlen- 
säureabspaltung aus  dem  Keton  zu. 

Die  sekundären  Alkohole  liefern  unter  Verlust 
von   Wasserstoff  Ketone 

CH,  ■  CH(OH) .  CH,  =  CH,  ■  CO  •  CH,  -f-  H„ 
jedoch  tritt  insofern  noch  eine  Nebenreaktion  ein, 
als  der   frei  werdende  Wasserstoff  einen  Teil  des 
noch    nicht    verbrauchten  Alkohols  spaltet,    z.  B. : 

CH,-CH(OH).CH3  +  2H2 
=  CH3.CH,  +  H,0  +  CH,. 

Die  Umwandlung  des  sekundären  Alkohols 
Methylcyklohexanol  in  das  Keton  Methylcyklo- 
hexanon  ist  also  eine  ganz  normale  Reaktion. 

Das  Verhalten  der  primären  und  sekundären 
Alkohole  und  noch  mehr  das  der  tertiären,  welche 
von  Nickel  vollkommen  zerstört  werden,  zeigt 
uns  Beispiele  für  die  andere  Wirkungsweise  des 
Katalysators,    für  seine   zersetzenden  Kräfte.     Das 


')  Oberhalb  230"  verwandelt  sich  bei  Anwesenheit  von 
Nickel  das  Kohlenoxyd  unter  Abscheidung  von  Kohle  in 
l-voblensäure : 

2CO  =  C  +  COj. 


N.  F.  VIll.  Nr.    1 


Niiturwissenschaftlichc  Wochenschrift. 


Nickel  kann  chemische  Stoffe  aufbauen  und  auch 
zerstören ,  und  welche  Reaktion  in  einem  be- 
stimmten Falle  eintritt,  hängt  von  der  Temperatur 
ab.  So  wird  das  Äthan,  das  sich,  wie  wir  wissen, 
unterhalb  230"  aus  Wasserstofi'  und  Äthylen  bildet, 
oberhalb  325"  in  Methan  und  Kohlenstoff 

2CH,-CH3  =  C  +  3CH, 
und  bei  noch  höherer  Temperatur  das  Methan  in 
ähnlicher    Weise    in  Wasserstofif  und    Kohlenstoff 
gespalten ; 

CH,  =  C  +  2H.,. 

Das  Anilin,  das  sich  bei  Anwesenheit  von 
Nickel  durch  Reduktion  von  Nitrobenzol  mit 
Wasserstoff  bei  200"  bildet,  wird  bei  300"  bereits 
in  Ammoniak  und  Benzol  —  dieses  wird  unter 
den  Versuchsbedingungen  natürlich  z.  T.  hydriert 
—  übergeführt.  In  diesem  F"alle  sind  also  die 
Bildungs-  und  die  Zersetzungstemperatur  noch 
durch  ein  Intervall  von  100"  getrennt;  es  sind 
aber  auch  Fälle  bekannt,  wo  die  beiden  Tempe- 
raturen einander  sehr  viel  näher  kommen,  ja  sogar 
praktisch  zusammenfallen,  d.  h.  die  in  Betracht 
kommenden  Substanzen  können  nur  als  labile 
Zwischenprodukte  auftreten.  Hin  Beispiel  für  das 
Gesagte  stellen  die  Nitrile  dar.  Sie  liefern  bei 
der  Reduktion,  wie  ja  zu  erwarten  ist,  primäre 
Amine 

R.C.N->R.CH..-NHj, 

aber  diese  werden  unter  dem  Einflüsse  des  Kataly- 
sators sofort  weiter  umgesetzt,  indem  unter 
Ammoniakabspaltung  teils  sekundäre  und  tertiäre 
Amine,  teils  sogar  die  Kohlenwasserstoffe  selbst 
entstehen : 

RCH.,  •  NH.,  ->(R-  CH.,).,  NH  ->  (R  •  CH,).,  N 
-vR-CHg. 

Die  Reduktion  der  halogenhaltigen  Stoffe  nach 
dem  Sabatier'schen  Verfahren  bietet  Schwierig- 
keiten, da  der  Katalysator  bei  niedrigen  Tempe- 
raturen durch  Übergang  des  Nickels  in  seine 
Halogenide  „vergiftet"  wird  und  bei  höheren 
Temperaturen,  wo  das  Nickelhalogenid  wieder 
zum  Metall  reduziert  wird,  in  der  Regel  Zer- 
setzungen eintreten. 

Die  anderen  Metalle,  von  denen  Sabatier  und 
seine  Mitarbeiter  besonders  das  Kupfer  und  das 
Kobalt  in  den  Kreis  ihrer  Untersuchungen  gezogen 
haben,  wirken  im  allgemeinen  ähnlich ,  aber 
schwächer  als  das  Nickel,  aber  gerade  der  Umstand, 
daß  sie  schwächer  wirken,  macht  ihre  Anwen- 
dung manchmal  besonders  zweckmäßig;  jedoch 
sei  der  Leser  wegen  dieser  und  aller  weiteren 
Einzelheiten  auf  die  Originalliteratur  (Comptes 
Rendus,  von  Bd.  124  an)  sowie  auf  die  recht 
vollständige  Zusammenstellung  von  A.  Mailhe 
(Chem.  Zeitung,  1907,  S.  1083,  1096,  11 17,  1146 
und   1158,  und   1908,  S.  229  und  244)    verwiesen. 

4.  Das  Burserazin.  Daß  das  Myrrhenharz 
im  .^Itertume  vielfache  Verwendung  zur  Wund- 
heilung fand  und  daß  es  ferner  auch  bei  der  Ein- 
balsamierung   der    Leichen    zur    Veriiütung     der 


Fäulnis,  also  als  Sterilisierungsmittel  gebraucht 
wurde,  ist  bekannt.  Der  Bestandteil  des  Harzes, 
dem  diese  wertvollen  Eigenschaften  zukommen, 
das  „Burserazin",  das  im  Myrrhenharz  zu  1,5 — 2"',, 
enthalten  ist,  ist  neuerdings  von  Werner  von 
Bolton  isoliert  und  genauer  untersucht  worden. 
Das  Burserazin,  ein  bei  78"  schmelzendes,  hell 
gräulich-braunes,  in  heißem  Wasser  ziemlich  leicht 
lösliches  Pulver,  selbst  ein  äußerst  merkwürdiger 
Stoff,  liefert  bei  der  Oxydation  mit  Wasserstoff- 
superoxyd einen  rein  weißen ,  im  Laufe  von 
Wochen  gelb  werdenden,  an  feuchter  Luft  zer- 
fließlichen  Körper  von  eigentümlichem  Geruch 
und  ohne  bestimmten  Schmelzpunkt,  das  Oxy- 
burserazin,  das  die  sonderbaren  Eigenschaften  der 
Muttersubstanz  in  noch  sehr  erhöhtem  Maße  be- 
sitzt :  ')  Das  Oxyburserazin  und ,  wenn  auch 
schwächer,  das  Burserazin  sind  radioaktiv;')  beide 
zeigen  rJ-  und  y-Stralilung.  Nach  neun  Monaten 
geht  das  Oxyburserazin  in  einen  anderen  Stoff 
über,  der  nicht  mehr  radioaktiv  ist,  ,,es  ist  also 
während  etwa  •'  j  Jahren  ein  Körper  mit  gewisser- 
maßen künstlich  erzeugter  Radioaktivität"  (?); 
Metallfolie  wird,  so  weit  bis  jetzt  bekannt  ist,  von 
den  Oxyburserazinstrahlen  nicht  durchdrungen. 
Wird  eine  wäßrige  Oxyburserazinlösung  mit  ver- 
dünntem, frischem  Schweineblut  vermischt  und  die 
Mischung  auf  Körperwärme  gebracht,  „so  scheiden 
sich  aus  dem  Blut  braune  Flocken  aus,  die,  auf 
einem  Filter  gesammelt  und  einige  Male  ausge- 
waschen, beim  Trocknen  an  der  Luft  eine  völlig 
zusammenhängende  elastische,  durchsichtige,  in 
Wasser  unlösliche  Membran  hinterlassen ,  die 
durchaus  wie  eine  porenlose  Haut  aussieht.  Viel- 
leicht ist  das  eine  besondere  Koagulationsform 
des  Eiweiß.  Mit  keinem  anderen  koagulierenden 
Mittel,  wie  verdünnten  Säuren,  Wasserstoffsuper- 
oxyd und  Formaldehyd,  war  ein  gleiches  Resultat 
zu  erzielen :  es  schieden  sich  allerdings  stets  ähn- 
liche Plocken,  wie  durch  das  Oxyburserazin,  aus, 
sie  bildeten  aber  nach  dem  Trocknen  niemals  eine 
Membran,  sondern  nur  spröde,  pulverisierbare 
Krusten.  Ein  Stückchen  solch  einer  Haut  wurde 
auf  eine  kleine  Fingerwunde  transplantiert  und 
verwuchs  vollkommen  mit  der  Haut  des  Fingers." 
Bei  Abschluß  von  Luft  erzeugt  das  Oxyburserazin 
im  Blute  keine  Flockenbildung;  Anwesenheit  von 
Luft  ist  für  diesen  Vorgang  erforderlich.  Wird 
also  in  den  Blutkreislauf  Oxyburserazin  eingeführt, 
das  bei  der  subkutanen  Injektion  keine  giftige 
Wirkung  erkennen  läßt,  so  muß  es,  sowie  es  auf 
seinem  Wege  durch  den  Körper  an  eine  offene 
Wunde  gelangt,  die  beschriebene  Haut  bilden, 
was  besonders  bei  inneren  Wunden,  etwa  bei  der 


')  Die  Gewinnung  des  Oxyburserazins  aus  dem  Burserazin 
muß  mit  größter  Vorsicht  geschehen,  da  sonst  leicht  äußerst 
heftige  E.xplosionen  auftreten  können. 

-)  Ob  und  inwieweit  es  sich  hier  um  wirkliclie  Radio- 
aktivität handelt,  mag  dahingestellt  bleiben,  Stralilung  allein 
ist  noch  keine  Radioaktivität,  vielmehr  haben  wir  nach  Stark 
nur  solche  Phänomene  als  radioaktiv  zu  bezeichnen,  die  mit 
dem  Zerfall  von  Atomen  kausal   verknüpft  sind. 


lO 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.   I 


Lungentuberkulose,  von  großer  Wichtigkeit  werden 
kann.  Flechtenerkrankungen  werden,  wenn  die 
erkrankten  Stellen  mit  Oxyburserazinlösung  ge- 
waschen werden,  in  kurzer  Zeit  vollkommen  be- 
hoben. Vielleicht  hängen  diese  medizinischen 
Eigenschaften  des  Oxyburserazins  mit  seiner 
„Radioaktivität"  zusammen  (Zeitschr.  f.  Elektro- 
chem.,  Bd.  14,  S.  211,   1908). 

5.  Über  kristallisiertes  Chlorophyll. 
Das  eingehende  Studium  des  grünen  Fflanzenfarb- 
stoffes,  des  Chlorophylls,  hat  Richard  Willstätter 
in  Zürich  zu  seiner  Aufgabe  gemacht.  Einen  be- 
sonders schönen  Erfolg  hat  er  nun  neuerdings  auf 
diesem  Gebiete  errungen,  indem  es  ihm,  Angaben 
von  J.  Borodin  und  N.  A.  Monteverde  folgend,  in 
Gemeinschaft  mit  Max  Benz  gelungen  ist,  aus  ge- 
trockneten Blättern  in  einer  Ausbeute  von  2  bis  2,4  g 
auf  ein  Kilogramm  des  genannten  Ausgangs- 
materials reines  Chlorophyll  in  kristallisiertem  Zu- 
stande zu  gewinnen  und  zu  analysieren.  Das 
reine  Chlorophyll,  das  der  Formel  C.;^Hj.,0;N,Mg 
entspricht,  bildet  gewöhnlich  scharfbegrenzte, 
sechseckige  und  gleichseitig  dreieckige  Täfelchen 
von  0,1  bis  0,2  mm  Durchmesser.  Die  Kristalle 
zeigen  blauschwarze  oder,  bei  kleinerer  Ausbil- 
dung, grünschwarze  Farbe;  im  durchfallenden 
Lichte  sind  sie  grün,  jedoch  sind  nur  sehr  dünne 
Blättchen  überhaupt  durchsichtig.  Beim  Erhitzen 
zersetzt  sich  das  Chlorophyll,  wobei  schwer  ver- 
brennliche  Kohle  entsteht;  beim  Glühen  hinter- 
bleibt reine,  weiße  Magnesia.  Es  zeigt  schwach 
basische  Eigenschaften.  Beim  Verseifen  mit 
Alkalien  bilden  sich  die  Alkahsalze  zweier  „Chloro- 
phylline"; ^j  ob  ein  Säureanhydrid  oder  die  Ester 
eines  niedrigen,  wasserlöslichen  Alkohols  vorliegen, 
ist  noch  nicht  ermittelt.  Bei  der  Einwirkung  von 
Oxalsäure  wird  das  Magnesium  eliminiert,  und  es 
entsteht  ein  vollkommen  aschefreies,  gut  kristalli- 
sierendes Produkt,  das  Phaeophorbin. 

Das  kristallisierende  Chlorophyll  ist  keineswegs 
das  einzige  in  den  Pflanzen  vorkommende  grüne 
Pigment.  Von  den  anderen  Komponenten  des 
Gemisches  von  grünen  Pigmenten  ist  besonders 
noch  eine  amorphe  Substanz  zu  nennen ,  das 
Phytoleslerchlorophyll,  das  sich  früher  von  dem 
kristallisierten  Chlorophyll  nicht  hatte  trennen 
lassen  und  daher  zu  der  irrigen  Ansicht  geführt 
hatte,  daß  „das  Chlorophyll"  bei  der  Verseifung 
einen  Alkohol  C.,„II,„0,  das  Phytol,  liefere, 
während  das  kristallisierte  Chlorophyll,  worauf 
besonders  hinzuweisen  ist,  mit  diesem  Alkohol 
nichts  zu  tun  hat  (R.  Willstätter  und  Max  Benz, 
Liebig's  Annalen,  Bd.  358,  S.  267;  eine  gute 
Übersicht  über  die  äUeren  Arbeiten  findet  sich  in 
Schmidt's  „Jahrbuch  der  organischen  Chemie" 
Bd.  I,  S.  359  u.  f.). 

6.  Die  Waiden 'sehe  Umkehrung.  Im 
Jahre   1897  hat  I'-  Waiden  die  wichtige  Beobach- 

')  Mit  ilcr  Kiidunj;  „phyllin"  worden  die  magncsiiim- 
haltigen  Produkte  der  alkalischen  Hydrolyse  des  ChlorciphylN 
bezeichnet,  z.  B.  Chlorophyllin,  (ilaukophyllin  usw. 


tung  gemacht,  daß  es  möglich  ist,  optisch-aktive 
Substanzen,  ohne  den  Umweg  über  den  Razem- 
körper  einzuschlagen,  direkt  in  ihre  optischen 
Antipoden  zu  verwandeln.  Geht  man  z.  B.  von 
der  1  -  Chlorbernsteinsäure  aus  und  behandelt 
sie  mit  Silberoxyd,  so  gelangt  man  zur  1-Äpfel- 
säure;  diese  bildet  bei  der  Einwirkung  von  Phos- 
phorpentachlorid  wieder  Chlorbernsteinsäure,  aber 
nicht  die  links,  sondern  die  rechtsdrehende  F"orm. 
Die  d-Clilorbernsteinsäure  liefert  ihrerseits  mit 
.Silberoxyd  d-Apfelsäure  und  diese  läßt  sich  mit 
Phosphorpentachlorid  wieder  in  die  als  Ausgangs- 
material des  Kreises  von  Reaktionen  dienende 
1-Chlorbernsteinsäure  überführen.  Eliminiert  man 
hingegen  das  Chlor  der  1-Chlorberiisteinsäure  an- 
statt mit  Silberoxyd  mit  Kalilauge,  so  kommt 
man  zur  Rechtsform  und  in  analoger  Weise  von 
der  d-Chlorbernsteinsäure  zur  Linksform  der 
Äpfelsäure;  es  besteht  also  ein  vollkommener 
Gegensatz  in  der  Wirkung  von  Silberoxyd  und 
Kalilauge.  Das  nebenstehende  Schema  I  läßt  das 
Gesagte  deutlich  hervortreten.  (Vgl.  Ber.  d. 
Deutsch.  Chem.  Gesellsch.,  30,  S151  [1897^  ""^  32, 
1833  u.    1855^1899].) 

Das  Studium  dieser  eigentümlichen  Erschei- 
nungen, der  „Walden'schcn  Umkehrung",  hat  Emil 
I""ischer  neuerdings  wiederaufgenommen.  Erfand 
zunächst  das  nebenstehende  Beispiel  II  der  Be- 
ziehungen zwischen  dem  Alanin  und  der  Brom- 
propionsäure. 

Der  Wechsel  in  derKonfiguration  konnte  entweder 
bei  der  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  die  Brom- 
fettsäure oder  bei  der  von  Nitrosylbromid  auf  das 
Alanin  erfolgen.  Der  Versuch  entschied  zugunsten 
des  Nitrosylbromids.  Während  nämlich  Fischer 
aus  dem  Alanin  selbst  durch  Nitrosylbromid  die 
1-Brompropionsäure  erhielt,  entstand  bei  der  Ein- 
wirkung desselben  Reagens  auf  den  Ester  des 
Alanins  der  Ester  der  d -Brom Propionsäure.  In 
einem  Pralle  muß  also  unbedingt  eine  Umkehrung 
der  Konfiguration  eintreten,  d.  h.  dasselbe  Reagens 
kann  bei  Stoffen,  die  sich  so  nahe  stehen 
wie  eine  Säure  und  ihr  Ester,  einmal  optisch 
normal,  das  andere  Mal  optisch  anomal  wirken. 
Die  Umkehrung,  die  P'ischer  ^in  analoger 
Weise  auch  beim  1-Leucin,  beim  1-Phenylalanin 
und  bei  der  1-Asparaginsäure  beobachtet  hat, 
findet  vermutlich  bei  der  freien  Säure  statt.  Je- 
doch spielt  sich  die  Kreisreaktion  nicht  bei  allen 
«■Aminosäuren  in  gleichem  Sinne  ab.  Wird  das 
aktive  ,,Valin"  (((-Aminoisovaleriansäure)  in  die  ent- 
sprechende Bromvaleriansäure  und  diese  mit  Hilfe 
von  Ammoniak  wieder  in  «-Aminoisovaleriansäure 
verwandelt,  so  erhält  man  nicht  den  optischen  Anti- 
poden des  Valins,  sondern  dieses  selbst.  Nach  den 
neuesten  Untersuchungen  dürfte  in  diesem  Pralle 
eine  doppelte  Umkehriing  vorliegen  (Ber.  d. 
Deutsch.  Chem.  Gesellsch.,  40,  489  [\<)0J\  41,  889 
und  2891  [1908] ;  man  vgl.  auch  Schmidt's  ,, Jahr- 
buch der  organischen  Chemie",  Bd.  I,  S.  7  u.  f.). 
7.  Über  A 1  k  y  1  i  e  r  u  n  g  s  g  e  s  c  h  w  i  n  d  i  g  - 
keiten  sprach  Prof.  H.  Goldschmidt-Christiania 


N.  F.  VIII    Nr.   1 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


1 1 


I 

>    (KOH) 


I-Chlorbcrnstcinsäurc 

A 

y 

(pn  )    -t 

d-A[)felsäurc 
A 

(Ag,0) 

V     (PC\  ) 

(Ag,0) 

A 

lAptelsäurc 

Y 
d  Chlorbernstein 

(KOH)    < 
W'alden'sche  Umkehrung. 


II 


d-.Alaiiin  -< 

(NOBr) 

Y 
1-Bronipropionsäure 


(NH,)  ^- 


>  (NH3) 

VValden'sche  Umkehrung. 


d-Brompropionsäure 

(NOBr) 

Y 

—  >■     r-Alanin 


auf  der  diesjährigen  Hauptversammlung  der  Deut- 
schen Bunsengesellschaft  in  Wien.  Goldschmidts 
Versuche,  die  sich  hauptsächlich  auf  die  beiden 
Klassen  der  stereoisomeren  aromatischen  Aldoxime, 
die  fetten  i\ldoxime,  die  Ketoxime  sowie  auf  eine 
Reihe  von  Thioverbindungen  erstrecken,  haben  zu 
recht  interessanten  Ergebnissen  geführt.  Die 
.■\lkylierung  geschieht  bekanntlich  durch  Behand- 
lung des  betreffenden  Stoffes  in  alkoholischer 
Lösung  mit  Natriumalkoholat  und  Halogenalkyl, 
z.  B.  nach  der  Gleichung 

QH5CH ;  NOH  +  NaOCoH,  +  CH-,I 
=  CaHäCH : NOQH5  -f  Nal '+  C,H,ÖH. 

Eine  Lösung  zur  Alkylierung  von  Benzaldoxim, 
um  bei  dem  gewählten  Beispiele  zu  bleiben,  ent- 
hält nun  das  O.vim  in  drei  Formen,  als  freies 
Benzaldoxim,  als  Natriumsalz  C|;H-,CH  :X0  Na  und 
als  Ion  C,;H-CH:NO  ,  und  es  entsteht  daher  die 
Frage,  welche  von  diesen  drei  Formen  der  rea- 
gierende Stoff  ist.  Diese  F~rage  läßt  sich  durch 
Messung  der  Reaktionsgeschwindigkeit  mit  syste- 
matischer \^eränderung  der  Konzentration  des 
Oxims  und  des  Alkoholats  dahin  beantworten, 
daß  das  Ion  der  eigentlich  wirksame  Bestandteil 
ist.  Man  könnte  sich  nun  den  Alkylicrungsvor- 
gang  so  denken,  daß  das  Oximion  sich  direkt 
mit  dem  C.jH-.-Ion  des  zum  kleinen  Teile  zer- 
fallenen Jodäthyls  vereinige.  Diese  Auffassung  ist 
iedoch  nicht  richtig,  da  die  Alkylierungsgeschwin- 
digkeit  der  Konzentration  des  Jodäthyls  direkt 
proportional  ist;  entspräche  nämlich  die  ange- 
deutete Hypothese  der  Wirklichkeit,  so  müßte  die 
Geschwindigkeit  anfänglich  der  Quadratwurzel  der 
Konzentration  und  erst  nach  der  Abscheidung 
von  Jodnatrium  der  Konzentration  des  Jodäthyls 
selbst  direkt  und  ferner  der  Jodionen-Konzentra- 
tion  umgekehrt  proi>ortional  sein,  was  nicht  der 
F^all  ist.  Es  muß  also  zunächst  ein  Additions- 
produkt   des   Oximions    und    des    neutralen   Jod- 


äthylmoleküls, also  ein  Komplexion  entstehen, 
welches  schließlich  durch  Abspaltung  von  Jodion 
das  Produkt  der  Alkylierung  liefert.  Die  Addi- 
tion des  Jodäthyls  erfolgt  bei  den  Antialdoximen 
am  Sauerstoff  i.,  bei  den  Synoximen  am  Stick- 
stoff 2.,  da  jene  Sauerstoff-,  diese  Stickstoffestcr 
liefern. 


I.  C,.H-,  CH   . 

■    II   / 
NO- 


C,H, 


2.  C,,H-,  CH 

'    II 
NO- 
/\ 
C,R  I 


Die  Alkylierungsgeschwindigkeit,  die  man  bei  den 
Versuchen  wirklich  mißt,  kommt  vermutlich  dem 
Zerfall  des  Komplexions  zu,  da  im  allgemeinen 
die  Bildung  von  Komplexionen  mit  sehr  großer 
Geschwindigkeit  zu  verlaufen  pflegt.  Die  Ge- 
schwindigkeitskonstanten sind  für  die  Stoffgruppen, 
aber  nicht  für  die  einzelnen  Glieder  charakte- 
ristisch. Alle  Synaldoxime  z.  B.  haben,  unter 
gleichen  Bedingungen  beobachtet,  annähernd  die- 
selbe Konstante,  welche  von  der  gemeinsamen 
Konstante  der  Antialdoxime  beträchtlich  abweicht. 
Analoges  gilt  für  die  fetten  Aldoxime,  die 
Ketoxime  und  die  Thioverbindungen.  (Zeitschrift 
für  Elektrochemie,  Bd.  14,  S.  581    jiQoS].) 

8.  F'luoreszenz  und  Konstitution  der 
organischen  Stoffe.  Unter  Fluoreszenz  ver- 
steht man  bekanntlich  die  Erscheinung,  daß  ge- 
wisse Stoffe  bei  und  während  der  Belichtung  ge- 
wissermaßen selbstleuchtend  werden,  indem  sie 
das  absorbierte  Licht  nicht  vollständig  in  Wärme 
umwandeln,  sondern  zum  Teil  als  Licht  anderer 
Brechbarkeit  wieder  abgeben.  Von  der  Phospho- 
reszenz unterscheidet  sich  die  Fluoreszenz  dadurch, 
daß  sie  nur  so  lange  dauert,  wie  belichtet  wird, 
während  bei  jener  das  Leuchten  nach  der  Be- 
lichtung auch  im  Dunkeln  noch    fortdauert.     Bei- 


12 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.   I 


spiele  für  F'luoreszenz  bietet  das  farblose  oder 
fast  farblose  Petroleum,  das  mit  blauem,  das  gelbe 
Uranglas,  das  mit  grünem,  und  ein  alkoholischer 
Auszug  grüner,  d.  h.  chlorophyllhaltiger  Blätter, 
der  mit  blutrotem  Fluoreszenzlichte  leuchtet.  Die 
Beziehungen  zwischen  dem  erregenden  und  dem 
Fluoreszenzlicht  folgen  im  allgemeinen  der  bereits 
seit  mehr  als  einem  halben  Jalirhundert  bekannten, 
jedoch  nicht  in  aller  Strenge  gültigen  Stokes'schen 
Regel,  nach  der  die  Wellenlänge  des  Fluoreszenz- 
lichtes größer  als  die  des  erregenden  Lichtes  ist. 
Die  Fluoreszenz,  die  im  sichtbaren  oder  im  un- 
sichtbaren Teile  des  Spektrums  auftreten  kann, 
setzt  ähnlich  wie  jede  photochemische  Wirkung 
vorangehende  Absorption  des  erregenden  Lichtes 
voraus,  und  zwar  besitzt,  wie  Stark  gezeigt  hat 
(Physik.  Zeitschrift  VIII,  8i  \\90f)  jeder  fluores- 
zierende Stoff  Absorpt  ion  sbande  n.  Die  ein- 
fachste mögliche  Erklärung  des  Mechanismus  der 
Fluoreszenz,  nach  der  diese  auf  eine  direkte  Über- 
tragung der  Energie  der  erregenden  Strahlung  auf 
die  fluoreszenzfähigen  Moleküle  zurückzuführen  und 
somit  als  einfache  Resonanzerscheinung  aufzufassen 
wäre,  hat  sich  bei  näherer  Untersuchung  nicht 
aufrecht  erhalten  lassen,  da  die  Wellenlänge  maxi- 
maler Intensität  beim  Fluoreszenzlicht  entgegen 
den  Forderungen  der  Theorie  von  der  Schwingungs- 
zahl des  erregenden  Lichtes  unabhängig  ist  (Ni- 
chols  und  Merritt,  Phys.  Review,  19,  18  [1904]). 
Die  Wirkung  des  erregenden  Lichtes  muß  somit 
eine  indirekte  sein ,  indem  durch  das  erregende 
Licht  zunächst  eine  chemische  Substanz  erzeugt 
wird,  die  spontan  unter  Abgabe  der  empfangenen 
Energie  in  Form  von  Fluoreszenzlicht  unter 
Rückbildung  des  Ausgangsstofi'es  wieder  zerfällt. 
Für  die  Fluoreszenz  würde  also  dasselbe  Schema 
gelten,  das  Luther  und  Percy  Waentig  (Zeitschr.  f 
physikal.  Chemie,  51,  435,  oder  Percy  Waentig,  Zum 
Chemismus  phosphoreszierender  Erdalkalisnlfide, 
Dissertation,  Leipzig  1905J  für  die  Erscheinungen 
der  Phosphoreszenz  aufgestellt  haben : 

Stoff  A  -j-  erregendes  Licht  =  StoffB 

Stoff B  =  Stoff  A  -\-  Phosphoreszenz  od.  Fluoreszenz, 
und  in  der  Tat  hat  Wiedemann  (Wiedem.  .^nna- 
len,  34,  448)  durch  Einbettung  fluoreszierender 
Stoffe  in  Gelatine  die  Abgabe  des  Fluoreszenz- 
lichtes so  verlangsamen  können,  daß  das  Leuch- 
ten, auch  nachdem  die  Wirkung  des  erregenden 
Lichtes  aufgehört  hatte,  noch  sichtbar  war,  d.  h. 
er  hat  die  Fluoreszenz  in  Phosphoreszenz  verwan- 
delt und  damit  die  prinzipielle  Gleicliheit  beider 
Erscheinungen  dargetan. 

Unsere  Kenntnisse  über  die  Beziehungen  zwi- 
schen der  Fluoreszenz  und  der  chemischen  Kon- 
stitution der  organischen  Verbindungen  ist  durch 
eine  Reihe  von  neueren  Untersuchungen,  von 
denen  in  erster  Linie  diejenigen  von  J  o  h.  Stark 
zu  nennen  sind,  beträchtlich  erweitert  und  vertieft 
worden.  Stark  hat  gezeigt,  daß  (sichtbare  oder 
unsichtbare)  Muoreszenz  besonders  bei  dem  Benzol 
und   allen    seinen  Derivaten    mit  nichtreduziertem 


Kern  auftritt.  Das  Benzol  selbst  besitzt  kräftige 
Fluoreszenz  im  Ultraviolett;  durch  Kondensation 
mehrerer  Benzolkerne  wird  die  Fluoreszenz  immer 
mehr  in  der  Richtung  zum  sichtbaren  Teile  des 
Spektrums  hin  verschoben.  Diese  Verschiebung 
kann  auch  durch  Einführung  von  auxofloren,  d.  h.  von 
gewissen  substituierenden  Gruppen  in  den  Benzolkern 
bewirkt  werden.  ,,Die  Verschiebung  wächst  mit 
der  Zahl  der  Substitutionen ,  aber  langsamer,  als 
die  Proportionalität  ergeben  würde.  Die  ver- 
schiebende Wirkung  verschiedener  substituierender 
Atome  oder  Atomgruppen  ist  ungleich  groß.  Von 
den  untersuchten  Gruppen  verschiebt  am  wenig- 
sten die  Methylgruppe,  am  meisten  die  Amido- 
gruppe,  in  der  Mitte  zwischen  beiden  steht  die 
Hydroxylgruppe.  Die  drei  Halogene  Cl,  Br  und  J 
verschieben  das  Fluoreszenzspektrum  des  Benzol- 
ringes um  so  weiter,  je  größer  ihr  .«Atomgewicht 
ist".  Außer  den  auxofloren  kennt  man  auch 
,,hypsoflore"  Gruppen,  durch  die  die  Fluoreszenz 
geschwächt  oder  vernichtet  werden  kann  ;  hypsoflor 
wirken  z.  B.  die  Nitro-  und  die  Acylgruppen. 
.Auch  hängt  die  Fluoreszenz,  wie  leicht  begreiflich, 
von  der  Natur  des  Lösungsmittels  sowie  von  der 
Temperatur  ab. 

Die  Absorptionsbanden  der  fluoreszenzfähigen 
aromatischen  Verbindungen  sind  ausnahmslos  ,,in 
der  Richtung  von  kürzeren  nach  längeren  Wellen 
abschattiert".  Stark  hat  nun  gefunden,  daß  auch 
Stoffe,  die  den  Benzolkern  nicht  enthalten,  fluores- 
zenzfähig sind,  sobald  sie  einen  Chromophor  ent- 
halten und  ihre  Absorptionsbanden  ebenfalls  nach 
den  längeren  Wellen  hin  abschattiert  sind.  So 
fluoreszieren  Aceton,  Methyläthylketon  und  Kam- 
pher blau- violett,  Brenztraubensäure,  Kampher- 
chinon,Diacetyl u.a. blaugrün bisgelbgrün.  Enthalten 
Stoffe  gleichzeitig  den  Benzolring  und  einen  frem- 
den Chromophor,  so  treten  je  nach  der  relativen 
Lage  der  .Absorptions-  und  der  Fluoreszenzbanden 
verschiedene  Erscheinungen  ein. 

„Schon  seit  ziemlich  langer  Zeit,"  schreibt  Stark 
am  Schlüsse  seines  Berichtes  über  den  von  ihm 
auf  der  diesjährigen  Naturforscherversammlung 
gehaltenen  Vortrages  „Über  die  Fluoreszenz  orga- 
nischer Substanzen"  (Chem.-Zcit.  1908,  S.  953 — 
954),  „nimmt  man  an,  daß  die  Chromophore  und 
auch  der  Benzolring  ungesättigte  Valenzen  ent- 
halten. Die  Valenzkräfte  des  Chemikers  sind  nun 
als  identisch  mit  den  elektrischen  Kraftlinien  an- 
zusehen, welche  von  negativen  Elektronen  an  der 
Atomoberflächc  ausgehen.  Andererseits  hat  man 
heutzutage  erkannt,  daß  die  Zentren  der  Absorp- 
tion und  Emission  des  Lichtes  negative  Elektronen 
sind.  Beide  Anschauungen  kombinierend,  kann 
man  theoretisch  folgern,  daß  die  Lichtwellen, 
wenn  sie  die  ungesättigten  oder  gelockerten 
Valenzelektronen  der  Chromophore  zum  syn- 
chronen Mitschwingen  veranlassen  und  an  sie 
Energie  abgeben,  sie  zum  Teil  von  ihrem  Molekül 
lossprengen  und  in  P'orm  langsamer  Kathoden- 
strahlen aus  der  belichteten  fluoreszierenden  Sub- 
stanz herausschleudern  werden.     Die  Theorie  for- 


N.  F.  VIII.  Nr.   I 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


13 


dert  also,  daß  die  Fluoreszenz  organischer  Sub- 
stanzen von  einem  lichtelektrischen  Eftekt  be- 
gleitet sei,  denn  dieser  besteht  ja  in  der  Emission 
langsamer  Kathodenstrahlen.  In  der  Tat  zeigten 
nun  alle  Substanzen,  welche  den  Benzolring  ent- 
halten und  somit  entweder  nachweisbar  oder 
latent  fluoreszieren,  den  lichtelektrischcn  Eftekt  in 
einer  Stärke,  die  annähernd  parallel  geht  der 
Intensität  der  Fluoreszenz". 

Diesem   kurzen  Bericht  ist  im  wesentlichen  die 


Stark'sche  Theorie  (I.e.)  zugrunde  gelegt.  Wegen 
alles  Weiteren  seien  unsere  Leser  auf  die  ausge- 
zeichnete Übersicht  von  H.  Ley  Leipzig  „Beziehun- 
gen zwischen  Fluoreszenz  und  organischer  Chemie" 
(Zcitschr.  (.  angew.  Chemie  1908,  S.  2027 — 2038), 
sowie  auf  die  Abhandlung  von  Kauffmann  „Die 
Beziehungen  zwischen  Fluoreszenz  und  chemischer 
Konstitution"  (Ahrens'  Sammlung  chemischer  und 
chemisch-technischer  Vorträge,  Stuttgart  1902) 
hingewiesen.  Werner  Mecklenburg. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Jan  G  r  och  m  a  1  ic  k  i ,  Über  die  Linsen- 
regeneration bei  den  Knochenfischen.  (Zeitschr. 
f  wiss.  Zoologie  Bd.  89,  Heft  i,  ausführl.  poln. 
Archivum  naukowe  1908).  —  Das  Problem  der 
Linsenregeneration  ist  von  so  großem  theoreti- 
schem Interesse,  daß  v.  Kupffer  als  Vorsitzen- 
der auf  der  X.  X'ersammlung  der  anatomischen 
Gesellschaft  im  Jahre  1896  die  Ergebnisse  von 
G.Wolf  für  die  bedeutsamste  auf  experimentellem 
Wege  gewonnene  Entdeckung  bezeichnete.  Die 
Versuche  Wolfs  sowie  zahlreicher  anderer  For- 
scher beziehen  sich  fast  ausschließlich  auf  Triton- 
und  Salamandralarven,  zum  Teile  auf  erwachsene 
Tritonen  und  Kaulquappen.  Über  die  Regenera- 
tion der  Linse  bei  den  Plschen ,  die  in  entwick- 
lungsgeschichtlicher Hinsicht  von  den  Tritonen  und 
Salamandern  niedriger  stehen ,  sind  bisher  keine 
überzeugenden  Beweise  erbracht  worden.  Es 
liegen  nur  sehr  unbefriedigende  Resultate  von 
Röthig  vor,  da  R.  nur  in  einem  F'alle  „ein  kleines 
linsenförmiges  Gebilde  bemerkte".  Seine  Befunde 
machen,  wie  er  sich  selbst  ausdrückt,  ,,die  Rege- 
neration der  Linse  (bei  den  Fischen)  zwar  wahr- 
scheinlich, aber  nicht  sicher". 

In  der  vorliegenden  Arbeit  von  G.  haben  wir 
daher  eigentlich  den  ersten  Beweis,  daß  die  exstir- 
pierte  Linse  auch  bei  den  Fischen  wieder  ansetzt 
und  im  Bau  sowie  im  Aussehen  der  bei  normalem 
Entwicklungsgang  entstandenen  Linse  gleicht.  Die 
Versuche  hat  Verf  an  500  Forellen  5 — 15  Tage 
nach  dem  Ausschlüpfen  aus  der  Eihülle  angestellt. 
„Durch  einen  Linearschnitt  an  der  Cornea  wurde 
das  Auge  geöffnet  und  durch  einen  leichten  seit- 
lichen Druck  auf  den  Bulbus  die  Linse  hervor- 
zugleiten  gezwungen."  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung von  Zeit  zu  Zeit  fixierter  Tiere  ergab, 
daß  der  Regenerationsprozeß  der  Linse  bei  den 
r'ischen  dem  bei  anderen  Tieren  konstatierten 
sehr  ähnlich  ist;  schon  am  5. — 7.  Tage  nach  der 
Operation  trat  die  Wundheilung  ein  und  erst  am 
20. — 30.  Tage  erschienen  die  ersten  Anzeichen 
der  Regeneration:  die  Entpigmentierung  der  Iris 
durch  Leukocyten,  Spaltung  ihrer  beiden  Lamellen 
und  Wucherung  ihrer  Zellen  am  Pupillarrande. 
An  einer  Stelle  des  Pupillarrandes  ordnen  sich 
die  Zellen  der  Iris  faltenförmig  und  bilden  eine 
in  die  Pupille  hineinragende  Verdickung  (Fig.   i). 


Diese  knospenförmige  Verdickung  entsteht  meisten- 
teils wie  bei  anderen  Tieren  am  oberen  Irisrande, 
manchmal  aber,  was  der  Verfasser  besonders  her- 
vorhebt, ,,auch  irgendwo  seitlich  am  Pupillarrande". 
In  manchen  Fällen  bilden  sich  die  Linsenanlagen 
weit  von  der  Pupillaröfifnung,  ja  selbst  aus  den 
Zellen  der  Basis  der  Pars  ciliaris,  wenn  die  Iris 
gänzlich  ausgerissen  wurde,  was  schon  Fischel 
in  seinen  Arbeiten  beschrieben  hat.  Die  ver- 
schiedenen Arten  der  Entstehung  der  Linsen- 
anlage werden  sehr  genau  vom  Verf  beschrieben 
und  durch  photographischc  Aufnahmen  mikro- 
skopischer Präparate  illustriert.  Unter  den  bei- 
liegenden Bildern  der  regenerierten  Linse  fällt  be- 
sonders ein  Gebilde  auf,  welches  an  die  Zwillings- 
linse der  Salamanderlarve  von  Fischel  erinnert; 
neben  der  regenerierten  Linse  ist  eine  in  Verbin- 
dung mit  derselben  stehende  Zellmasse  von 
spindelförmigen  Zellen  durch(]uert  zu  sehen,  wel- 
che G.  aber  wegen  des  Mangels  der  Linsenkapsel 
als  eine  Ansammlung  in  Degeneration  begriffener 
Zellen  deutet. 


Fig.    1.      Ein  Horizontalschnitt  durch   ein  Forellenauge  6S  Tage 

nach   der   Operation.      Photographische  /Vufnahme. 

(Nach   Grochmalicki.)      L    Linsenanlage. 

Nach  größerer  Beschädigung  des  Auges  ent- 
stehen auch  in  der  Netzhaut  kugelförmige  oder 
ovale  Gebilde  von  konzentrisch  gelagerten  Zellen, 
welche  der  Verf  im  Anhange  der  polnischen 
Arbeit  sehr  genau  beschreibt.  Diese  Neubildungen 
erinnern      an      die     Lentomen      oder     Lentoiden 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VKI.  Nr.  i 


F"ischel's,  da  sie  auch  von  der  verwundeten 
Retina  stammen,  weisen  aber  im  Bau  keine  Über- 
gänge von  Zellen  in  I'^asern  auf.  Ein  anderes 
cystenartiges  Gebilde  in  der  vorderen  Kammer 
des  .Auges,  welches  allseits  von  der  Cornea  um- 
schlossen war,  betrachtet  der  Verf.  für  ein  patho- 
logisches Gebilde,  das  durch  eine  Gruppe  von 
der  Cornea  abgelöster  Zellen  entstanden  ist.  Eine 
vollständig  regenerierte  Linse  hat  G.  in  drei 
l'^ällen ,  in  sehr  verschiedenen  Zeitabständen  70, 
106,  187  Tage  nach  der  Operation  erhalten.  Die 
Linse  erreichte  gegen  -',\j  der  normalen  Größe, 
sonst  wies  sie  keine  Unterschiede  im  Bau  auf 
(Fipr-  2). 


Kig.  2.     Frontalschuilt  durch   ein  Auge  mit  vollständig  regene- 
rierter Linse    nach    1S7  Tagen.      Photographische  Aufnahme. 
(Nach  Grochmalicki.) 

Den  langsamen  Verlauf  des  Regenerations- 
prozesses der  Linse  bei  den  Fischen  erklärt  der 
Verf.  durch  die  geringe  Regenerationsfähigkeit 
der  Fische  im  allgemeinen  und  das  Verweilen 
der  Fische  im  Wasser,  welches  der  Wundheilung 
im  Wege  steht. 

Wie  aus  dem  Vorausgegangenen  zu  ersehen 
ist,  bildet  sich  die  Linse  während  der  Regenera- 
tion aus  der  Iris,  also  aus  einem  Gewebe,  aus 
welchem  sie  embr\-onal  nicht  entsteht,  da  sie  in 
der  Ontogenie  aus  dem  ektodermalen  Teile  der 
Haut  sich  bildet.  Zahlreiche  Forscher  haben 
diese  merkwürdige  Erscheinung  zu  erklären  ver- 
sucht, wie  uns  G.  im  geschichtlichen  Teile  am 
Anfang  seiner  Arbeit  schildert.  Wolf,  auf  dem 
teleologischen  Standpunkt  stehend,  sieht  in  der 
Linsenregeneration  den  Beweis,  daß  der  Organis- 
mus auf  eine  künstliche  Veränderung  imstande 
ist,  in  zweckmäßiger  Weise  zu  reagieren.  R  e  i  n  k  e 
und  Schimke  witsch  sehen  in  der  Linsenregene- 
ration nur  eine  atavistische  Rückkehr  zum  blasen- 
förmigen  Auge,  wo  die  Linse  sich  \om  Rande 
der  Augenblase  bildet.  Fisch  el  und  andere 
Forscher,  denen  sich  auch  der  Verf.  anschließt, 
halten  die  Reizung  der  Irisränder  für  die  Haupt- 
ursache der  Linsenregeneration,  da  in  allen  Fällen 
die  Entfärbung  der  Iris  und  eine  Wucherung  ihrer 
Zellen  zu  beobachten  ist.  Karoline  Reis. 


Speisezettel  des  Frosches.  —  Gelegentlich 
einer  Sektionsübung  fiel  mir  der  ungemein 
stark  und  straff  gefüllte  Magen  eines  über 
9  cm  großen  Exemplares  des  Seefrosches 
(Varietät  vom  grünen  Teichfrosche,  Rana  escu- 
lenta)  auf.  Als  auf  mein  Geheiß  der  Magen  ge- 
öffnet wurde,  zog  der  betreffende  Schüler  eine 
Maus  hervor,  die  ausgestreckt  rund  8  cm  lang 
(ohne  Schwanz)  war.  Es  ist  mir  beinahe  uner- 
klärlich, wie  der  Frosch  diesen  gewalligen  Bissen 
hat  hinunterwürgen  können.  Die  Maus  war  noch 
sehr  wenig  verändert,  also  wohl  kurz  vor  dem 
Fang  am  Nachmittage  vom  Frosche  aufgenommen. 
Ob  er  sie  lebend  verspeist  hat,  läßt  sich  natürlich 
nicht  entscheiden ,  obgleich  gerade  diese  F"rage 
sehr  interessant  ist,  doch  erinnere  ich  mich  noch 
nirgends  gelesen  zu  haben,  daß  ein  Frosch  Mäuse 
fängt  oder  auch  nur  frißt.  \'erdächtigend  für 
ähnliche  Räubereien  ist  aber  noch  der  Befund  in 
einem  anderen  F"roschmagen ,  der  einige  Vogel- 
federn betrifft.  —  Eine  weitere  Revision  der  übri- 
gen Froschmagen  ergab  noch  eine  bunte  Folge 
von  Kerbtieren  und  Schnecken,  nämlich:  Spanner- 
raupen, Wasserskorpione,  Wespen,  Libellen,  Flie- 
gen, Blattkäfer,  2  Nacktschnecken.  Alle  diese 
Tiere  waren  vollständig  verschluckt,  auch  die 
ziemlich  großen,  langbauchigen  Libellen. 

Magdeburg.  Dr.  O.  Rabes. 


Bücherbesprechungen. 

E.    Zschimmer,     Eine     Untersuchung     über 
Raum,     Zeit     und    Begriffe    vom    Stand- 
punkte   des    Positivismus.     Leipzig,    Verlag 
von  W.  Engelmann,  1906.    54  S.  —   Preis  1,20  Mk. 
Es    ist    erfreulich ,    daß    sich    die   Versuche ,    die 
Dinge  und  Vorgänge  von  positivistischem  Standpunkte 
aus    zu    betrachten  und   das  Vorgefundene  eingehend 
zu  beschreiben,  trotz  starker  Gegenströmungen  mehren. 
Auch    die   vorliegende  Schrift   ist  in  kritisch  -  empiri- 
schem Sinne  gehalten  und  behandelt  das  Wesentliche 
des  Gestalt-    und    des  Zeittatsächlichen,  insbesondere 
den  Begrifl^    der  Zeit    und    der    .\nderung,    hebt    die 
Eigentümlichkeiten  von  Sinnlichkeit,    Erinnerung  und 
Vorstellung    und    deren    Verknüpfungen    hervor,    um 
zum  Schlüsse  das  Charakteristische  des  Begriffes  und 
der  Begriffsbildung  zu  untersuchen. 

Im  Gegensatze  zu  F.  Dreyer,  der  die  drei- 
dimensionale Gestalttatsächlichkeit  durch  eine  zwei- 
fach-mannigfaltige Gesichtstatsächlichkeit  und  durch 
eine  hinzutretende  hypothetische,  metageometrische 
Auffassung  zustande  kommen  läßt,  sucht  Zschimmer 
nachzuweisen,  daß  man  auch  direkt  zum  Begrift' 
einer  Dreidimensionalität  geführt  werde.  Indes  dürfte 
der  Verfasser  die  Dreyer'sche  Auffassung  nicht  wider- 
legt haben.  Auch  mit  der  Einteilung  der  Tatsäch- 
lichkeit als  eines  Ganzen  in  das  , .gegebene  Sein",  das 
„Neue"  und  die  „.Änderung"  wird  man  schwerlich  sich 
befreunden. 

Der  zweite  Teil  des  Werkchens,  der  sich  auf 
Sinnlichkeit,  Erinnerung,  Vorstellung   und  deren  Ver- 


N.  F.  VHI.  Nr.  i 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


15 


knUpfung,  sowie  auf  das  Eigentümliche  des  liegriffes 
und  der  Hegriftsbildung  bezieht,  verdient  volle  An- 
crkenninig.  Gut  sind  ferner  die  eingeflochtenen  kri- 
tischen Bemerkungen,  in  denen  sich  Z schimnuM- 
rait   Kant   auseinandersetzt.  .^ngersbacll. 

Dannenberg,     (".  eologie     der    Steinkohlen- 
lager.   ].  Teil.    Gebr.  Bornträger  in  IIlmIIu.     kioS. 
—  Preis  6,50  Mk. 
Es   ist   sehr  verdienstlich,   daß  sich  Verfasser  der 
Mühe  unterzogen  hat,  eine  Geologie  der  Steinkohlen- 
lager    zu     sclirelben,     und     zwar     sei     gleich     von 
vornherein    betont ,    daß   es   sich  im  wesentlichen  um 
eine  rein  stratigraphische  Steinkohlengeologie  handelt. 
In  bciiuemer  und  zuverlässiger  Weise  findet  man  dies- 
bezüglich alles  zusammengestellt,  und  zwar  werden  in 
dem  vorliegenden  I.  Teil  besprochen :  das  Ruhrkohlen- 
revier,   die  .Ablagerungen  von  Ibbenbüren  und  Osna- 
brück,  das  Aachener  Revier  1  natürlich  mit  Einschluß 
der    neuerdings    bekannt    gewordenen    Fortsetzungen 
desselben  z.  B.  bei   Limburg),   das  Pfalz-Saarbrücken- 
i,othringer    Revier,     das    niederschlesisch- böhmische 
Revier     und    das    oberschlesisch  -  mährisch  -  polnische 
Revier.     Verfasser    hat   sich   bei   der   Fülle    von  Tat- 
sachen, die  in  Frage  kommen  und  bei  der  auch  hier, 
wie  in  den  meisten  anderen  Disziplinen  unermeßlichen 
Literatur,   eine   ganz    gewaltige  Aufgabe    gestellt  und, 
wie  gesagt,  hinsichtlich  der  rein  stratigraphischen  Dar- 
stellung   ist    das   Buch,    soweit    es   bis   jetzt  vorliegt, 
sehr  wertvoll.    Es  ist  für  den  Einzelnen  gar  nicht  mehr 
möglich    alles    das,    was    für    die    Behandlung    einer 
Geologie    der    Steinkohlenlager    in    Betracht    kommt, 
vollständig  zu  beherrschen.     Das  zeigt  sich  namentlich 
in    der    Einleitung    des    Buches,    die    sich    mit    der 
Klassifikation  der  Steinkohlen  und  ihrer  Bildung  und 
mit     damit    Zusammenhängendem    beschäftigt.       Die 
Paleobotanik,    die  hierbei  mit  in  Rücksicht  zu  ziehen 
ist,    ist   eine  dermaßen  schreibfreudige  Disziplin,   daß 
es    da    wahrhaftig    kein  Wunder    ist,    wenn   selbst  ein 
gewissenhafter  .Autor  wie  Dannenberg  hier  gelegentlich 
die  wichtigsten  und  wertvollsten  Literaturerscheinungen 
nicht  kennt,  die  ja  auch  leicht  in  der  Fülle  der  wert- 
losen Masse  untergehen,  jedoch  äußerlich  bemerkens- 
werterere    Erscheinungen    von    Dilettanten    auf   paleo- 
botanischem  Gebiet    zitiert,    vor  denen  man  geradezu 
warnen  müßte.     Wir  befinden  uns  jetzt  in  der  Periode 
der  Kompendien,  d.  h.  der  Zusammenfassung  wichtiger 
Wissensgebiete,    und    wer    ein    solches    Kompendium 
hefert,    wie    dies    Dannenberg   durch    seine    Geologie 
der  Steinkohlenlager   tut,    der   erwirbt  sich  den  Dank 
derjenigen,  die  diese  Disziplin  zu  berücksichtigen  haben 
und  dadurch  viele  Zeit,  die  beim  Studium  von  Spezial- 
literatur    darauf  gehen  würde ,    ersparen.     Ich  glaube 
aber,  daß  wir  in  einer  späteren  Zukunft  doch  bei  der 
Bearbeitung  solcher  Kompendien,    soweit   es  sich  um 
so    schwierige  Gebiete   handelt   wie    das   vorliegende, 
dazu    kommen  werden,   eine  gemeinsame  Bearbeitung 
verschiedener   in   Betracht   kommender   Fachleute    zu 
erreichen.     Da  hierbei  eine  sehr  kenntnisreiche,   ver- 
ständige,   ausfeilende  Redaktion    notwendig  wird,    be- 
gegnet solch  ein  Plan  allerdings  recht  großen  Schwierig- 
keiten,   und  vorläufig  wird  es  d.iher  wohl  noch  lange 


dabei  bleiben,  daß  Einzelne  sich  der  Mühe  unterziehen 
und  das  Wagnis  unternehmen,  die  Gesamtgegenstände 
in  zusammenfassender  Form  zu  behandeln.  Was  da- 
bei einem  Einzelnen  möglich  ist,  das  hat  Dannenberg 
in  dem  ersten  Teile  seines  Werkes  erreicht.       P. 

Prof  Dr.  Konrad  Keilhack,  Lehrbuch  der  prak- 
tisch e  n  Geologie.    .Arbeits-  und  Untersuchungs- 
nuthoden auf  dem  Gebiete  der  Geologie,    Minera- 
logie und  Paläontologie.     2.  völlig  neu  bearbeitete 
.Auflage.    Mit   2  Doppeltafeln  und   348  Abbildungen 
im  Text.      Stuttgart,  Ferdinand  Encke,    1908.    — 
Preis  20  Mk. 
Die  zweite  Auflage  enthält  Beiträge  verschiedener 
anderer  Autoren,  so  von  E.  v.  Drygalski,  E.  Kaiser, 
P.  Krusch,    S.  Passarge,    Ä.    Rothpletz,    K. 
Sapper  und  A.  Sieberg. 

Das  Werk  ist  inhaltlich  um  etwa  die  Hälfte  um- 
fangreicher geworden  als  die  erste  Auflage.  Wir 
haben  seinerzeit  auf  das  Buch  hingewiesen  und  die 
Wichtigkeit  desselben  für  jeden ,  der  mit  der  Praxis 
der  Geologie  zu  tun  hat,  hervorgehoben ;  aber  auch 
derjenige,  den  wesentlich  nur  die  theoretische  Geo- 
logie interessiert,  muß  in  dem  Falle,  daß  er  sich  ein 
Urteil  über  die  Zuverlässigkeit  gewonnener  Resultate 
bilden  will ,  von  der  Methodik ,  durch  welche  die 
Resultate  gewonnen  wurden,  Kenntnis  nehmen.  Auch 
nach  dieser  Richtung  hin  hat  das  vorliegende  Buch 
einen  Wert.  Es  ist  so  ausführlich  und  umfassend, 
daß  derjenige,  der  in  ihm  einen  Rat  sucht,  sich  wohl 
kaum  vergebens  an  das  Buch  wenden  wird.  Es  zer- 
fällt in  3  große  Teile,  nämlich  in  I.  Arbeiten  im 
Felde,  II.  Arbeiten  im  Hause,  III.  Paläontologische 
Methoden.  Jeder  dieser  Abschnitte  zerfällt  in  eine 
Anzahl  Kapitel,  die  in  den  beiden  ersten  Abschnitten 
unter  folgende  Gruppen  zusammengefaßt  sind :  I.  A. 
Die  geologische  Kartenaufnahme ,  B.  Besondere  geo- 
logische Beobachtungen ,  C.  Aufsuchung  und  Unter- 
suchung technisch  nutzbarer  Ablagerungen,  D.  Unter- 
suchungsmethoden das  Wasser  betreftend.  Der  II.  Ab- 
schnitt zerfällt  in :  A.  Methoden  der  Bodenunter- 
suchung, und  B.  Mineralogisch-petrographische  Me- 
thoden. 

i)  Prof  H.  Klingelhöffer,  Leitfaden  der  Phy- 
sik. 187  Seiten  mit  334  Abbildgn.  Gießen,  E. 
Roth,   1908.   —   Preis  geb.   2   Mk. 

2)  K.  Fufs  und  G.  Hensold,  Lehrbuch  der 
Physik.  55S  S.  mit  448  .Abbild,  und  Spektral- 
tafel. Freiburg  i.  B.,  Herder,  1908.  —  Preis  5,30  Mk., 
geb.  6  Mk. 

3)  Prof  Dr.  Breitfeld,  L  e  i  t  f  a  d  e  n  für  den  Unter- 
richt in  der  Xat urlehre.  128  Seiten.  Dazu 
I  Heft  mit  Abbildungen  (29  Seiten).  Leipzig, 
Degener,    1908.  —  Preis    1,50  Mk.  -|-   i   Mk. 

i)  Dieser  Leitfaden  enthält  nur  das  Wichtigste, 
er  ist  für  die  Unterstufe  bestimmt.  Die  Figuren  sind 
vielfach  nicht  ganz  einwandfrei.  So  fehlt  bei  der 
Feuerspritze  der  Stützpunkt  des  Hebels,  ebenso  der 
Scheibe  der  Elektrisiermaschine  das  Achsenlager,  bei 
den  Thermometern  sind  die  Lumina  der  Röhren  fast 
so  dick  wie  die  Kugeln,  der  gezeichnete  Phonograph 


i6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  vin.  N.  I 


könnte  nie  funktionieren,  die  perspektivischen  Ellipsen 
sind  durchgängig  viel  zu  spitz  gezeichnet.  Im  Text 
sind  uns  keine  Stellen  aufgefallen,  die  zu  beanstanden 
wären. 

2 )  Das  klar  und  elementar  geschriebene  Buch 
von  Fuß  und  Hensold  ist  sehr  reichhaltig  und  eignet 
sich  namentlich  für  Seminare  und  höhere  Töchter- 
schulen. Die  neue  Auflage  tragt  dem  Fortschritt  der 
Wissenschaft  im  allgemeinen  Rechnung,  doch  sollte 
unseres  F.rachtens  die  Radioaktivität  ausführlicher  be- 
sprochen werden. 

3)  Der  kurze  I-eitfaden  von  Breitfeld  faßt  die 
wichtigsten  Unterrichtsergebnisse  der  Physik  und 
Chemie  mit  wenigen  Worten  zusammen  und  ist  daher 
für  Wiederholungen  seitens  des  Schülers  "gut  geeignet. 
Ursprünglich  war  diese  Ausarbeitung  für  die  Bau- 
gewerkschule  in  .Münster  bestimmt,  demgemäß  ist  die 
Auswahl  den  Bedürfnissen  dieser  Schulgattung  ange- 
paßt. So  wird  z.  B.  die  Spektralanalyse  nicht  er- 
wähnt. In  dem  Leitfaden  befinden  sich  keine  Ab- 
bildungen. Das  die  Abbildungen  enthaltende  Heft 
gibt  eine  Reihe  von  Vorlagen  zu  Tafelzeichnungen, 
die  zumeist  von  Oberlehrer  Wohlgeboren  stammen. 
Auch  diese  geschickt  entworfenen  Zeichnungen  können 
dem  Schüler  einen  guten  Anhalt  für  Wiederholungen 
bieten.  Kbr. 


Anregungen  und  Ant\vorten. 

Zur  Nachricht  an  die  Leser.  —  Um  mehr  Platz  zu 
gewinnen,  wurde  der  Titelkopl'  des  redaktionellen  Teiles 
durch  VVeglassung  der  Vignette  usw.  wesentlich  verkleinert, 
während  der  Umschlag  diesbezüglich  seine  bisherige  Form 
bewahrt  liat.   —  Red. 


Herrn  Seh.  in  Kr.  —  Rotfärbung  der  Hölzer 
kommt  wiederholt  vor.  Unter  unseren  einheimischen  Hölzern 
zeichnet  sich  das  Erlenholz  (von  Aliiiis  glutiiwsn  L.)  da- 
durch aus,  daß  es  im  frischen  Zustande  gelbrot,  nach  dem 
'i'rocknen  hell  rostrot  wird.  Auch  das  Kirschbaumholz 
zeigt  im  Splint  eine  rötliche  Färbung.  —  In  den  Tropen  gibt 
es  eine  ganze  Reihe  von  Rothölzern,  die  eine  mehr  oder 
minder  intensive  rötliche  Farbe  zeigen.  Sic  stammen  gröl3ten- 
leils  von  Arten  der  Leguminosen-Gattung  Caesalpinia  ab,  und 
dienen  zum  Färben,  zur  Fabrikation  von  Lack  und  Tinte  oder 
werden  in  der  Kunsttischlerei  verwendet.  Solche  Hölzer  sind 
z.B.  das  Fe  r  nam  b  uk-H  olz  (von  C  ifc/(/»(7.'rt  aus  Brasilien), 
das  Sappan-Holz  (von  C.  sappan  L,  aus  dem  tropischen 
Asien),  von  hellroter  Farbe.  Die  Rotfärbung  rührt  in  diesem  . 
Falle  von  dem  sogenannten  Brasil  in  her,  das  sich  in  dem 
inneren  älteren  Teile  des  HolzUörpers  (dem  Kernholz)  ab- 
lagert. 

Außer  Caesalpinia  gibt  es  noch  einige  andere  Gattungen 
der  Leguminosen ,  die  rote  Hölzer  liefern.  So  besonders 
.■\rten  der  Gattung  Pterocat pus ;  Pt.  lialbcrgioides  Ro.\b.  von 
den  -Xndamanen  liefert  das  sog.  Andaman-Rotholz  (oder 
An  da  man  Padouk).  Mehrere  afrikanische  Arten  der 
Gattung  besitzen  rotes  Holz.  Von  Bapliia  nitida ,  einer  in 
Westafrika  (Sierra  Leone)  heimischen  Leguminose,  stammt  das 
Cam-Wood  (afrikanisches  Rotholz);  es  soll  ursprüng- 
lich weiß  sein  und  erst  an  der  Luft  die  rote  Färbung  anneh- 
men. Es  ist  eine  weit  verbeitete  Erscheinung,  daß  die  Fär- 
bungen bei  Einwirkung  von  Licht  und  Luft  sich  verliefen 
oder  überhaupt  erst  dann  auftreten.  11.   Harms. 


Herrn  H.  —  Geologische  Anfänger- 
Literatur  und  geologische  Vereine.  — 
Ein  sehr  empfehlenswertes  Buch,  das  wohl  allen  lliren 
.Ansprüchen  genügen  dürfte,  ist  die  , .Vorschule  der  Geologie" 
von  Joh.  Wallher,  die  kürzlich  in  3.  Auflage  (Jena  190S) 
zum  Preise  von  2,50  Mk.  erschienen  ist.  Dort  finden  Sie 
auch  eine  Zusammenstellung  aller  guten  geologischen  Führer 
und  Karten.  Eine  wesentliche  Förderung  in  Ihrem  geologi- 
schen Interesse  würden  Sie  sicherlich  durch  den  Anschluß  an 
einen  der  bestehenden  geologischen  \'ereine  gewinnen.  Es 
sind  deren  im  Deutschen  Reiche  zurzeit  vier  vorhanden : 
I)ic  Deutsche  geologische  Gesellschaft,  der  Oberrheinische 
geologische  Verein,  der  iN'iederrheinische  geologische  Verein, 
der  Niedersächsische  geologische  Verein.  A^on  allen  vier 
Gesellschaften  werden  namentlich  die  geologischen  Exkur- 
sionen lebhaft  gepflegt.  Die  Deutsche  geologische  Gesell- 
schaft mit  dem  Sitze  in  Berlin ,  eine  Vereinigung  aller  deut- 
schen Fachgenossen ,  hält  regelmäßige  Monalsversanmilungen 
in  Berlin  und  jährlich  eine  große  allgemeine  Versammlung  an 
wechselnden  Orten  ab.  An  die  letztere  schließen  sich  etwa 
14  Tage  dauernde  Exkursionen  an.  Jedes  Mitglied  erhält  die 
wissenschaftlich  bedeutende  Zeitschrift,  jährlich  einen  starken 
Band.  Die  drei  anderen  V'ereine  besitzen  entsprechend  ihrem 
wesentlich  geringeren  Jahresbeiträge  kleinere  Publikations- 
organe. Alle  il>re  jährlich  niehrfacli  wiederholten  Tagungen 
wechseln  mit  dem  Orte  und  sind  stets  mit  ein-  oder  mehr- 
tägigen E.\kursionen  unter  fachmännischer  Leitung  verbunden. 
Die  derzeitigen  Vorsitzenden  der  vier  Vereine  sind  der  Reihe 
nach  :  Prof.  Dr.  H.  Rauff,  Berlin  (Bergakademie) ;  Geh.  Ober- 
bergrat Prof.  Dr.  Lepsius,  Darmstadt ;  Geheimrat  Prof.  Dr. 
Seinmann,   Bonn  ;   Prof   Dr.   H.  Stille,   Hannover. 

Str. 

Herrn  K.  L.,  llalver  i.  W.  —  Ihr  Ofenrohr  ist  in  diesem 
Sommer  stark  gerostet.  Sie  schreiben,  durch  den  Lack  seien 
viele  mehr  oder  weniger  große,  rotbraune  Tropfen  durchge- 
brochen. Es  scheint  sich,  soweit  man  dies  nach  Ihren  Schil- 
derungen zu  beurteilen  vermag,  lediglich  um  eigentümliche 
Kosterscheinungen  zu  handeln.  Ist  der  Lacküberzug  an  einer 
Stelle,  die  nicht  größer  zu  sein  braucht,  als  eine  Stecknadel- 
spitze, beschädigt,  sei  es  nun  infolge  ungenügenden  Anstrichs 
oder  durch  Abspringen  —  stets  wird  sich  unter  den  hierzu 
günstigen  Bedingungen  (Luft  und  Feuchtigkeit)  Rost  bilden. 
Nach  der  Gleichung  Fe.  -f  O3  +  HjO  =  Fe2(OH)„  ent- 
stehen aus  56  g  Eisen  107  g  Oxydhydrat  (Rost),  also 
rund  das  doppelle  Gewicht  Rost.  Da  nun  außerdem 
das  spezifische  Volumen  der  letzteren  größer  ist  als  das 
des  Eisens,  so  nimmt  der  aus  einer  gewissen  Menge  Eisen 
entstehende  Rost  einen  viel  größeren  Raum  ein.  Nun  kann 
sich  diese  entstehende  Rostmasse  nur  rückwärts  durch  die 
kleine  Öffnung  hindurch  ausbreiten ,  wächst  also  hier  heraus 
und  setzt  sich  an  der  Oberfläche  des  Lacks  rund  um  die 
Öffnung  in  Form  eines  Tropfens  an.  Hat  die  Einwirkung 
lange  genug  stattgefunden,  ist  das  Eisen  an  der  betreffenden 
Stelle  durchgefressen ,  so  bricht  natürlich  auch  der  Rost  im 
Inneren   des  Ofenrohrs   durch. 

Von  einer  Einwirkung  im  Heizstoff  enthaltenen  Schwefels 
kann  nicht  die  Rede  sein,  da  nur  glühendes  Metall  Gase 
diffundieren  läßt,  und  der  Angriff,  wie  Sie  schreiben,  von  außen 
vor  sich  geht.  Je  nach  dem  Grade  der  Luftfeuchtigkeit  ent- 
hält der  Rost  natürlich  mehr  oder  weniger  Wasser.  Heizen 
Sie  also  den  Ofen,  so  verdampft  dieses  und  der  Rost 
bäckt  fest  an.  Wenn  Sie  die  Tropfen  mit  einem  feuchten 
Lappen  abwischen,  werden  Sie  ebenfalls  die  schadhafte  Stelle 
im  Lacküberzug  sehen.  Sie  haben  beobachtet,  daß  der  An- 
griff dann  wieder  beginnt,  wenn  Sie  das  Rohr  einsetzten.  Das 
ist  ganz  richtig.  Durch  den  Zug  wird  durch  bereits  schad- 
hafte Stellen  des  Eisens  die  Luft  angesaugt,  und  mit  ihr 
Feuchtigkeit,  und  so  geht  die  Rosterscheinung  weiter.  Auch 
wenn  das  Rohr  unten  nicht  verstopft  war,  findet  dies  statt, 
weil   dann  besonders  innen   viel  Feuchtigkeit   mitgerissen  wird. 

Lb. 


Inhalt:  Prof  .\.  Pütt  er:  ,,Die  Ernährung  der  Wasserticre"  und  ,,der  Stoffhaushall  des  Meeres".  —  Sammelreferate 
und  Übersichten:  Werner  Mecklenburg:  Neues  aus  der  organischen  Chemie.  —  Kleinere  Mitteilungen: 
Jan  G  r  o  r  h  ra  ali  c  ki:  Über  die  Linsenregeneration  bei  den  Knochenfischen.  —  Dr.  O.  Rabcs:  Speisezettel  des 
Frosches.  —  Bücherbesprecbungen :  E.  Zschimmer;  Eine  LTntersuchung  über  Raum,  Zeit  und  Begriffe  vom  Stand- 
punkte des  Positivisnius.  —  fiannenberg;  Geologie  der  Steinkohlenlager.  —  Prof.  Dr.  Konrad  Keilhark:  Lehr- 
IukIi   der   praktischen  Geologie.   —   Sammel-Referat  über  physikalische   Lehrbücher.    —    Anregungen  und  Antworten. 

Verantwortlicher  Redakteur:    Prof.   Dr.  H.   Polo  nie,    Groß-LichterfeldeWest  b.   Berlin.      Verlag   von   Gustav   Fischer  in  Jena. 

Druck  von  Lippert  &  Co.  (G.  Pälz'sche  Buchdr.),  Naumburg  a.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Nene  h'uli;e  VIII.   Hau,!; 
der  gan/eii   Reihe  XXIV    li.md. 


Sonntag,  den  lo.  Januar  igog. 


Nummer  3. 


,,Die  Ernährung  der  Wassertiere"  und  „der  Stoffhaushalt  des  Meeres". 

Zwei   Referate  über  Prof.  A.  Püttei's  gleichnamige  Arbeiten  (Zeitschr.   f.  allg.   Physiol.  Bd.   VlI,    1907,   p.  283—368) 
[Nachdruck  veiboten.]  von   Dr.   Friedrich  von   Möller,  Schlofl  Sommerpahlen,   Livland. 

nämlich  die  im  Meervvasser  gelösten  komplexen 
C- Verbindungen,  von  denen  bereits  in  Pütter's 
„Ernährung  der  Wassertiere"  (a.  a.  O.)  die  Rede 
war,  und  die  hier  sehr  ausführlich  behandelt  wer- 
den,   nachdem    zuvor    die    chemische    Zusammen- 


II.  Der  Stoffhaushalt  des  Meeres. 


Vom  „Haushalt  der  Natur",  von  dem  so  oft 
in  der  biologischen  Literatur  die  Rede  ist,  können 
uns  nur  quantitative  Untersuchungen  einen  rich- 
tigen Begriff  verschaffen.  Mensen  und  seiner 
Schule  verdanken  wir  eine  generelle  Orientierung 
über  den  Organismenbestand  der  verschiedensten 
Meere  zu  den  verschiedensten  Jahreszeiten.  ,,Was 
dagegen  noch  vollständig  fehlt,  ist  die  Kenntnis 
des  Stoffumsatzes  dieser  Organismen  in  der 
Z  e  i  t  e  i  n  h  e  i  t." 

I.  Der  Stoffbestand  des  Meeres. 
Über  die  geformten  Stoffe  der  Meere  haben 
wir  also  eine  zur  allgemeinen  Übersicht  genügende 
Kunde,  über  eine  Reihe  der  gelösten  Stoffe 
gleichfalls,  aber  eine  höchst  wichtige  Stoffgruppe 
ist    der    Bestimmung     bisher     völlig     entgangen, 


Setzung  der  Meeresorganismen  erörtert  worden  ist. 

a)  Die  Meeresorganismen. 

Die  folgenden  Angaben  sind  umgerechnet  aus 
Lohmann's  Zahlen  für  das  Plankton  von 
Syrakus,  welche,  da  L  o  h  m  a  n  n  das  Wasser  durch 
Papier  oder  Seide  filtrierte,  auch  die  dem  Plank- 
tonnetz entgehenden  winzigen  Organismen  be- 
treffen. „Von  dem  Volumen  ist  auf  das  Lebend- 
gewicht geschlossen  unter  Annahme  eines  spezifi- 
schen Gewichtes  von  1,030."  Die  (aschehaltige 
d.  Ref.)  Trockensubstanz  wurde  zu  20,7"/,,  des 
Lebendgewichtes  angesetzt. 


„Tabelle  I  (auf  1000  1  Meerwasser  bezogen  d.  Ref.) 


Zalil   der 

Volumen 

Lebendgewicht 

Trockensubstanz 
mg 

Individuen 

cmm 

mg 

(aschehaltig    d.   Ref.) 

Diatomeen 

i,ioo,;oo 

10,2 

10,60 

2,20 

i   Pyrocysteen 

65 

0,9 

0,93 

0,19 

Peridineen        Gymnodineen 

404,250 

0,66 

0,68 

0,14 

Peridiniaceen 

37,450 

0,7 

0,72 

0,1.5 

.andere   Flagellaten 

38,680 

0,04 

0,04 

0,08 
0,00828  d.  Ref.) 

Halosphacra 

7,760 

0,7 

0,72 

0,15 

Protophyten   unsiclicrer  Stellung 

494,100 

3,8 

3,92 

0,81 

Rhizopoden 

5.9S5 

0,8 

0,83 

0,17 

Flagellaten 

264,400 

0,27 

0,28 

0,06 

(  Tintinnen 
Cihaten  [ 

[  andere   Ciliaten 

19,830 

0,06 

0,06 

0,01 

35.295 

) 

— 

— 

-Metazoen 

17,325 

34,7 

36,00 

7,50 
(7,45   d.  Ref.) 

Bakterien 

785,000,000 

0,8 

0,83 

0,17" 

„Es  beträgt  dann  die  Menge  der  Trockensubstanz 
(aschehaltig  d.  Ref.)  in   1000  1 

aus  Protophyten  3,70  mg  (  3,648  mg  d.  Ref.) 

,,      Protozoen        0,24    ,,     (  0,24  ,,      ,,       ,,    ) 
,,      Bakterien         o,  17    ,,     (0,17        ,,     ,,       ,,   ) 

,,      Metazoen        7,48    ,,     (  7,45  ,,     ,,       ,,  j 

Summa:    11,59  mg  (11,508  mg  d.   Ref.)" 


„Für  die  Hauptvertreter  der  großen  Gruppen 
der  Planktonorganismen  gibt"  Brandt  ,, zusammen- 
fassend den  Gehalt  der  Trockensubstanz  an  Eiweiß, 
Kohlehydraten,  Fetten,  Chitin  und  Asche.  Von 
Diatomeen  wurde  Chaetoceras,  von  den 
Peridineen  Ceratium  tripos  untersucht,  als 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  2 


Vertreter  der  Metazoen  gelangten  Copepoden 
zur  Analyse." 

„Tabelle  II.  ■) 
Zusammensetzung    der    häufigsten    Planktonorga- 
nismen nach  Brandt. 

a)   auf  loo  Teile  (aschehaltige  d.  Ref.)  Trockensubstanz 

Diatomeae  I'eridineae  Copepoda 

Chaetoceras  Ceratium  Iripos  spec. 

Eiweiß                       10,7  '3.°  59'° 

Kohlehydrate            21,5  So,6  20,o 

Fette                           7,0  1,5  7i7 

Chitin                           —  —  5>3 

Asche                         6^,3  5,0  9,3 


Summa:   100,0 


100,0 


100,0 


bl  auf  100  Teile  aschefreie  Trockensubstanz 

C  ;  N  =  I  :  9,5  C  :  N  =  I  ;  20,0     C  :  N  ^  i  :  4,8 
(N  :  C  =  I  :  9,6  (N  :  C  =  I  :  20,5      (N  :  C  =  I  :  4,8 
d.  Ref)  d.  Ref.)                    d.  Ref.) 
Eiweiß                    31,0  13,5                          65,0 
Kohle- 
hydrate                 62,0  85,0                          22,0 
Fette                       7,0  1,5                           7,7 

Chitin -— — 5,3 

Summa:    100,0  100,0                           100,0" 

Aus  Tabelle  II  und  der  vorhin  angegebenen 
Menge  der  aschehaltigen  Trockensubstanz  in  1000  1 
berechnet  Verf.  annähernd  die  Zusammensetzung 
der  aschefreien  Trockensubstanz  aus  1000  1  Meer- 
wasser und  ihre  Verteilung  auf  die  Gruppen  des 
Plankton  und  erhält : 

„Tabelle  III.-) 

Die  Flanktonorganismen  aus  1000  Litern  ent- 
halten : 


')  Am  Kopfe  der  Tabelle  IIb,  wie  auch  auf  p.  330  und 
331,  sind  m.  E.  die  Symbole  C  und  N  verwechselt  worden, 
ich  erhalte  außerdem  bei  Diatomeen  und  Peridineen  ein  etwas 
anderes  Verhältnis  von  N  und  C.  Bei  dieser  Kontrollberech- 
nung ergab  sich  folgende  prozentische  Zusammensetzung  der 
aschefreien  Trockensubstanz  der 

Diatomeen  Peridineen  Copepoden 

C  SP     °/o  C  47,2  o/„  c  53,8  «/„ 

H     6,7    „  H     6,2   „  H     7,1  „ 

N     i;,2    „  N     2,3    „  N   11,4  ,, 

O  38.9   ..  O  45,5    „  O  29,5  ,. 

S     0,7   ,,  S      0,3    „  S      1,6  „ 

101,5  »/o  101,5   7o  103,4  "/o 

Die  Fehler  in  der  Prozentberechnung  sind  absichtlich 
nicht  ausgeglichen. 

Zugrunde  gelegt  wurden  dieser  Berechnung  folgende  Werte 
und  Formeln  :  Eiweiß  enthält  55  »/„  C,  7  »/„  H,  17  »/„  N,  24%  O, 
2,4 <•/„  S  (Summa:  105,4)  (Landois  Physiologie,  9.  Aufl.,  1896, 
p.  12)  mit  Fortlassung  der  ersten  Dezimalstelle  bei  H 
und  N.)  —  Die  Kolilehydrate  von  der  Zusammensetzung 
CoHioOs  enthalten:  45.5%  C,  6%  H,  49,5"/,,  O  (Summa: 
101,0).  —  Die  Fette  enthalten  76,5  "/„  C,  12,0%  H,  11,5%  O 
(Summa:  100,0)  (Landois,  a.  a.  O.).  —  Das  Chitin,  ein  N- 
haltiges  Glykosid  von  der  Formel  C,5  Hog  N.^  0,„  enthält 
45,6 »/„  C,  6,5''/„  H,  7,3 7o  N,  40,6 o/„  O" (Summa:  100,0.) 
(Landois,  a.  a.  O.  p.  491).     D.  Ref. 

^)  Ich  bemerke  hierzu,  dali  die  Summe  der  in  Tabelle  111 
verteilten  Stoffe  9,84  mg  beträgt,  während  vorhin  für  die  Menge 
der  aschehaltigen  Trockensubstanz  aus  looo  1  11,59  mg  an- 
gegeben war.  Die  Differenz  beträgt  1,75  mg  und  stellt 
offenbar  den  Aschengehalt  dar.  Davon  haben  dann  die  Pro- 
tophyten  1,03  mg,  Protozoen  und  Bakterien  0,01  mg  und  die 
Metazoen  0,71    mg  .Aschengehalt.      D.   Ref. 


mg 

mg 

mg 

mg 

Protophylen 

0,40 

2,20 

0,07 

— 

Protozoen  u. 

Bakterien 

0,05 

0,34 

0,01 

— 

Metazoen 

4.40 

1,50 

0,52 

0,35 

Summa 

4,^5 

4,04 

0,60 

0,35' 

...      ...       Kühle-       „  ,,        ,,,.,.  C:N(N:C 

Liweiß     ,     ,     .  Fette       Lhitin  ,    „   /■% 

hvdrate  d.   Ref.) 


1:4,6 


b)  Die  gelösten  Stoffe. 
I.  Der  Sauerstoffgehalt. 

DerSauerstoft'gehaltdesMeerwassersimGolfvon 
Neapel  unterliegt  sehr  bedeutenden  Schwankungen. 
,,Bei  gleicher  Temperatur  wurden  an  derselben  Stelle 
im  Meere  zu  gleicher  Tageszeit  an  verschiedenen 
Tagen"  folgende  Werte  beobachtet  (im  Liter):  bei 
12,8"  —  6,8  mg;  7,0  mg;  8,0 mg,  „also  Unterschiede 
von  17— iS^n  des  ganzen  Wertes.  Bei  13,1" 
fanden  sich  folgende  Zahlen:  5,8;  7,3;  7,8;  7,8; 
also  noch  bedeutendere  Schwankungen  (34  "/^ !)" 
,,Es    wurde    stets    Oberflächenwasser    untersucht." 


(Mittelzahlen , 


Der  Kohlenstoffgehalt. 

„Tabelle  VI. 
pro    Liter    Meerwasser. 


D.    Ref.) 


Kohlensäure 
flüchtige  Säuren 
andere  höhere 
Säuren,  Kohlen- 
wasserstoffe usw. 


Menge     Kolilenstoff-  Sauerstoffkapazität 

gehalt 
in  mg  in  mg  in  mg 

99  27  o 

36  23  43 


70 


4-' 


137 


(Summa  :  205 


92 


iSod.  Ref.y 


3.  Der  Stickstoffgehalt. 

,,Bei  den  geringen  Mengen,  in  denen  der 
Stickstoff  im  Meerwasser  enthalten  ist,  liegen 
die  Werte,  die  man  erhält,  gerade  an  der  Grenze 
des  Bestimmbaren  und  können  daher  nur  die 
Kenntnis  der  Größenordnung  vermitteln,  während 
der  prozentuale  Fehler  sehr  hoch  ist."  Es  beträgt 
in  einem  Liter  Meerwasser  der  Stickstoffgehalt: 

Kjeldahl-Stickstoff     .  0,56  mg 

Nitrit-  und   Xitrat-Stickstoff  0,1  !S   mg 


Gesamtstickstoff  0,74  mg 

Es  kann  aber  nach  Ansicht  des  Verf  dieser 
Wert  um  etwa  die  Hälfte  zu  niedrig  sein. 

4.  Das  Verhältnis  von  Kohlenstoff,  Stickstoff  und 
Sauerstoff  im  Meerwasser. 

Im  Liter  Meerwasser  ist  das  Verhältnis  von 
N:  C  :0  ^  0,74  :  92  :  7,6  (=  i  :  125  :  10,25  d.  Ref.). 
Dagegen  ist  im  Plankton  C :  N  (N :  C  d.  Ref.) 
=  I  :  10  (bei  Diatomeen  i  :9,6,  bei  Peridineen 
1:20,5,  bei  Copepoden  1:4,8,  vgl.  Tabelle  IIb 
d.  Ref).  „In  höchst  auffälligem  Mißverhältnis  zur 
Menge  des  Kohlenstoffs  steht  jene  des  gelösten 
Sauerstoffs,  der  im  Mittel  der  Bestimmungen 
7,6  mg  beträgt  (pro  Liter  d.  Ref)."  Die  Zahlen 
der  angeführten  Tabelle  VI  zeigen,  „daß  die 
Mengen  Sauerstoff,  die  die  organischen  Verbin- 
dungen   eines  Liters  zur  vollständigen  Oxydation 


N.  F.  VIII.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


19 


verbrauchen  würden ,  viel  größer  sind  als  der 
disponible  Sauerstoff".  „Die  Sauerstoffkapazität  der 
unvollständig  oxydierten  Verbindungen  beträgt 
pro  I  1  180  mg,  während  nur  7,6  mg  oder  nur 
wenig  über  4  "'„  dieser  Menge  verfügbar  sind." 

c)  Vergleich  dergelösten  und  geformten 
Stoffe  im  Meere. 

„Kin  Vergleich  der  Stoffmengen,  die  im  Meere 
gelöst  sind,  mit  jenen,  die  in  Form  von  Organis- 
men darin  leben,  zeigt,  wie  außerordentlich  ge- 
ring die  Masse  der  geformten  Stoffe  denen  der 
ungeformten  gegenüber  ist."  „In  looo  1  sind  an 
gelöstem  C  92,000  mg,  an  gebundenem  in  Orga- 
nismen nur  4  mg,  d.  h.  in  Lösung  befindet  sich 
23,000  mal  mehr  wie  in  den  Leibern  der  Plankton- 
wcsen.  Für  den  .Stickstoff  beträgt  die  Menge  in 
Lösung,  740  mg,  in  Organismen  0,4  (ca.  '  jq  der 
C-Menge  d.  Ref.),  so  daß  1850  mal  mehr"  im 
Meerwasser  gelöst  ist  als  in  den  Organismen  vor- 
handen. 

„Es  wird  also  auch  für  C  und  N  nicht  be- 
hauptet werden  können,  daß  sie  im  gewöhnlichen 
Sinne  ,im  Minimum'  vorhanden  wären,  und  damit 
wird  die  Frage  von  den  Grenzen  der  Produktion 
im  Meere  von  neuem  einer  Diskussion  bedürftig, 
nachdem  Brandt  sie  dadurch  zu  lösen  versuchte, 
daß  er  annahm,  der  Stickstoff  wäre  im  Minimum 
vorhanden."  „Die  Planktonmengen,  mit  denen 
hier  gerechnet  wird,  beziehen  sich  auf  einen 
relativ  sehr  planktonarmen  Meeresteil,  die  Fänge 
der  Ostsee  sind  um  das  Vielfache  reicher,  und 
hier  würden  die  Zahlen  des  Überschusses  der 
gelösten  über  die  geformten  Stoffe  sehr  viel  ge- 
ringer ausfallen,  aber  auch  hier  würden  die  Plank- 
tonorganismen insgesamt  immer  noch  viel  weniger 
Stickstoff  enthalten,  als  in  Form  von  NH.,  und 
Nitrat  (im  Meerwasser  d.  Ref)  vorhanden  ist. 
Die  Menge  des  Kjeldahl -Stickstoffes  ist  für  die 
Ostsee  unbekannt,  und  ebenso  jene  des  komplex 
gebundenen  Kohlenstoffs.  Es  ist-  daher  nicht 
zweckmäßig ,  die  Planktonmengen  der  Kieler 
Bucht  mit  den  Mengen  gelöster  Stoffe  im  Golf 
von  Neapel  zu  vergleichen,  während  das  Plankton 
von  Syrakus  als  gut  zum  Vergleich  brauchbar 
erscheint." 

II.  Der  Stoffumsatz  im  Meere. 

„Die  bisher  gegebenen  Daten  bezogen  sich 
nur  auf  den  Stoffbestand  in  einem  gegebenen 
Augenblick,  oder  auf  die  Änderung  von  Tag  zu 
Tag  oder  mit  den  Jahreszeiten  bei  ungehindertem 
Stoffaiistausch  des  untersuchten  Wasservolumens 
mit  dem  übrigen  Meerwasser  und  mit  der  Atmo- 
sphäre. Was  wir  auf  diesem  Wege  kennen 
lernen",  „sind  die  Schwankungen  um  einen  Gleich- 
gewichtszustand", „in  dem  die  Summe' aller  Prozesse, 
die  im  entgegengesetzten  Sinne  verlaufen,  etwa 
gleich  Null  wird,  oder  doch  nur  sehr  gering  und 
zwar  periodisch  wechselnd,  bald  positiv  bald 
negativ  ist,  so  daß  der  Zustand  in  einem  gegebenen 


Moment  sich  nur  wenig  ändert."  Bei  Erhaltung  dieser 
natürlichen  Bedingungen  des  Gleichgewichtes  lassen 
sich  Schlüsse  nur  auf  das  Verhältnis  der  einzelnen 
Partialprozesse  ziehen,  nicht  aber  auf  die  absolute 
Intensität  eines  jeden  von  ihnen.  Um  nun  einen 
Einblick  in  die  Umsatzgeschwindigkeit  zu  erhalten, 
muß  man  die  Bedingungen  für  das  Gleichgewicht 
stören,  „und  nun  die  Änderung  des  Zustandes  in 
der  Zeiteinheit  beobachten",  „wobei  für  das  unter- 
suchte Wasserquantum  der  Austausch  mit  der 
Umgebung  ausgeschlossen  werden  muß". 

Nachl, ohmann  kann  man  durch  ein  Papier- 
filter, das  von  den  Bakterien  fast  quantitativ 
passiert  wird,  diese  vom  übrigen  Plankton  trennen. 
„In  einer  mit  dem  Glase  von  der  Oberfläche  ge- 
schöpften Wasserprobe  sind  Metazoen  meist  über- 
haupt nicht  vorhanden,  so  daß  der  Organismen- 
bestand zusammengesetzt  ist  aus  Algen,  Protozoen 
und  Bakterien.  Da  die  Protozoen,  wie  gezeigt 
werden  wird,  nur  einen  sehr  geringen  Anteil  am 
Gesamtumsatz  nehmen,  so  können  wir  sagen:  In 
den  beiden  Proben  haben  wir 

1.  unfiltriert:  Algen  -}-  Bakterien 

2.  filtriert:  Bakterien." 

„Von  jeder  Probe  werden  zwei  Versuche  an- 
gesetzt um  den  Sauerstoffverbrauch  zu  ermitteln, 
von  denen  der  eine  im  Dunkeln,  der  andere  im 
Licht  gehalten  wird." 

„Während  in  der  Probe,  die  unfiltriert  im  Licht 
aufgehoben  wird,  die  Bedingungen  für  ein  Gleich- 
gewicht nicht  prinzipiell  gestört  sind,  ist  in  den 
beiden  filtrierten  Proben  durch  Entfernung  der 
Algen  die  Hauptbedingung  des  Gleichgewichtes 
aufgehoben.  In  der  unfiltrierten  Probe  im  Dunkeln 
ist  durch  den  Lichtabschluß  ein  zweifellos  für  das 
Stoffwechselgleichgewicht  im  Meere  sehr  bedeu- 
tungsvoller Faktor  ausgeschaltet." 

a)  Die  Größe  der  Sauerstoffzehrung 
im  Meerwasser. 

I.  Sauerstoffverbrauch  der  Planktonbakterien. 

Aus  12  Beobachtungen  erhält  Verf.  folgende 
Werte  für  den  Sauerstoffverbrauch  der  Bakterien 
in  einem  Liter  Meerwasser  in  24  Stunden  im 
Dunkeln: 

bei   11,0°  (Mittel  aus  0,15  mg  bis  1,20  mg,  fünf  Bestimmungen) 

—  0,87  mg 

bei   13,2"  (^Mittel  aus  0,30  mg  bis  1,42  mg,   fünf  Bestimmungen) 

—  1,38  mg 

bei   14,1"  (Mittel  aus  1,24  mg  bis  2,15  mg,  zwei  Bestimmungen) 

—  I.7S   "lg  (1.695  d.  Ref.). 

Trotz  großer  Schwankungen  ergibt  sich  also 
hier  eine  bedeutende  Steigerung  des  Sauerstoff- 
verbrauches mit  der  Temperatur.  Die  Wirkung 
des  Bakterienstoffwechsels  in  den  Tropen  wird 
also  bedeutend  größer  sein  als  in  kühleren  oder 
gar  kalten  Meeren.  Im  Lichte  beträgt  der  Sauer- 
stoffverbrauch der  Bakterien  weniger.  —  Verf.  fand 
schließlich  folgende  Werte  für  den  0-Verbrauch 
der  Bakterien  unabhängig  vom  Licht: 


20 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  2 


bei   11,6°    -   0,78  mg 
„    12,2«  —   1,17    „ 
„    13,2°  —   1,22    „ 

also  im  Mittel:    bei    13,1 
verbrauch. 


bei   13,3»  —   1,23  mg 
„     I3>9"  —  i>74    .. 
„    14,1°  —   i,5.S    „ 

1,29  mg-    Sauerstoff- 


2.  Der  Sauerstoffumsatz  der  Planktonalgen. 

.,Um  die  Größe  der  Sauerstoffproduktion  der 
Planktonalgen  kennen  zu  lernen,  muß  man  die 
Sauerstoffzehrung  (m.  E.  wäre  Sauerstoff u  m  s  a  t  z 
richtiger  d.  Ref)  des  unfiltrierten  Wassers  im 
Licht  untersuchen,  und  mit  dem  gleichzeitigen 
Sauerstoff  konsum  der  Planktonbakterien  vergleichen. 
Es  ist  in  allen  Fällen  eine  deutliche  Sauerstofif- 
produktion  zu  konstatieren,  die  mit  steigender 
Temperatur  steigt."  „Die  Werte  schwanken  zu 
sehr,  als  daß  es  Zweck  hätte,  die  Einzelheiten  zu 
verfolgen,  es  ist  vielmehr  das  Beste,  lediglich  den 
Mittelwert  aus  allen  vierzehn  Bestimmungen  zu 
ziehen  und  zu  sagen:  bei  13,0"  beträgt  die  Pro- 
duktion von  Sauerstoff  pro  Liter  und  Tag  0,98  mg." 
„Es  stellt  diese  Sauerstoffmenge  das  Maß  für  die 
Überproduktion  der  Algen  dar,  denn  sie  (und  die 
Bakterien  d.  Ref.)  verbrauchen  in  ihrem  Stoff- 
wechsel Sauerstoff,  decken  nicht  nur  diesen  ganzen 
Bedarf,  sondern  liefern  noch  die  angegebene 
Menge  mehr."  Aber  auch  „im  Dunkeln  haben 
die  Planktonalgen  nicht  nur  ihren  Sauerstoffbedarf 
gedeckt",  sondern  es  sind  pro  Liter  in  24  Stunden 
noch  0,18  mg  freigemacht  worden.  Dieser  Prozeß 
ist  seiner  Natur  nach  unbekannt,  ist  aber  wahr- 
scheinlich auf  die  zahlreichen  Bakterien  zurück- 
zuführen, welche  in  der  Schleimhülle  der  Diato- 
meen ihren  Sitz  haben,  und  auf  keine  Art  von 
den  Diatomeen  getrennt  werden  können.  Es  ist 
ja  bekannt,  daß  z.  B.  Nitrobakterien  CO'-  im  Dun- 
keln zu  spalten  vermögen. 

3.  Methodische    Fehler    in    der    Bestimmung    des 
Sauerstoffumsatzes. 

Die  der  Titrationsmethode  zur  Last  zu  legen- 
den Fehler  sind  sehr  gering,  etwa  i  "/„.  Trotzdem 
ist  der  Sauerstoffgehalt  bei  gleicher  Temperatur 
an  verschiedenen  Stellen  sehr  verschieden,  z.  B. 
betrug  der  Sauerstoff  verbrauch  der  Bak- 
terien im  Dunkeln  am  1 8.  F'eb.  06  —  1,24  mg, 
am  28.  nur  0,30  mg  —  im  Licht  am  18.  0,94  mg, 
am  28.  0,53  mg;  die  Sauerstoffproduktion 
der  Algen  im  Licht  am  18.  0,19  mg,  am  28. 
0,87  mg  —  im  Dunkeln  am  18.  0,75  mg,  am  28. 
nur  0,04  mg.  Solche  bedeutende  Unterschiede 
können  mit  der  Verschiedenheit  der  Zusammen- 
setzung des  Plankton  an  diesen  Tagen  zusammen- 
hängen, ,, besonders  die  Menge  der  Bakterien,  die 
einen  so  bedeutenden  Anteil  am  Stoffumsatz  im 
Meere  nehmen,  kann  sicher  in  kurzer  Zeit  enormen 
Schwankungen  unterliegen,  wenn  aus  irgend- 
welchen Gründen  die  Vermehrung  plötzlich  an- 
steigt oder  absinkt."  „Es  ist  aber  auch  gar  nicht 
notwendig,  daß  der  Planktonbestand  eines  be- 
stimmten Raumteiles  des  Meeres  sich  derart  ver- 


ändert hat,  denn  infolge  der  permanenten  Meeres- 
strömungen untersucht  man  je  an  zwei  aufein- 
anderfolgenden Tagen  niemals  Proben  aus  dem- 
selben Kubikmeter  Wasser,  sondern  es  sind  stets 
Proben  von  anderen  Stellen,  die  am  nächsten  Tage 
schon  wieder  irgendwo  andershin  transportiert  sind." 
„Den  vollen  Nutzen  wird  man  aus  derartigen  Be- 
stimmungen des  Stoffwechsels  erst  ziehen  können, 
wenn  stets  gleichzeitig  die  Menge  und  Art  der 
Planktonorganismen  gezählt,  und  vor  allem  auch 
der  Bakteriengehalt  festgestellt  wird,  eine  Aufgabe, 
die  allerdings  die  Kräfte  eines  einzelnen  über- 
steigt." 

b)  Die  Intensität  des  Stoffumsatzes  der 
einzelnen  Komponenten  des  Planktons. 
Bei  13, 1 "  verbrauchen  die  Bakterien  aus  einem 
Liter  am  Tage  (innerhalb  24  Stunden)  1,29  mg 
Sauerstoff.  Diese  Leistung  vollbringen  etwa 
1,000,000,000  Bakterien,  welche  0,00016  mg  asche- 
freie Trockensubstanz  besitzen.  In  24  Stunden 
wird  1,29  mg  Sauerstoff  verbraucht  von  0,00016  mg 
aschefreier  organischer  Trockensubstanz,  um  also 
in  einer  Stunde  die  gleiche  Menge  Sauerstoff 
(1,29  mg)  zu  verbrauchen,  dazu  gehören 
0,00016  X  24  =^  0,0039  nig  aschefreier  organischer 
Trockensubstanz.  Die  aschefreie  organische 
Trockensubstanz  der  Bakterien  verbraucht  also  in 
einer  Stunde  mehr  als  das  300  fache  ihres  eigenen 
Gewichtes  für  ihren  Stoffwechsel  und  zwar  ist  das 
nur  ihr  Sauerstoffverbrauch.  Das  heißt  pro  kg 
aschefreier  organischer  Trockensubstanz  und  Stunde 
mehr  wie  300,000,000  mg.  Der  Mensch  ver- 
braucht für  I  kg  aschefreier  organischer  Trocken- 
substanz und  Stunde  ca.  1400  mg,  d.  h.  die  Bak- 
terien verbrauchen  relativ  200,000  mal  mehr.  Dies 
erscheint  nicht  mehr  so  sehr  erstaunlich,  wenn 
wir  nicht  nach  Gewichtseinheiten,  sondern  nach 
Oberflächeneinheiten  vergleichen.  „Die  Oberfläche, 
mit  der  ein  Organismus  an  sein  umgebendes 
Medium  grenzt,  nimmt  bei  abnehmender  Größe 
mit  dem  Quadrat  des  Radius  ab,  während  die 
Masse  nach  der  dritten  Potenz  (des  Radius  d.  Ref) 
abnimmt,  so  daß  das  Verhältnis  von  Oberfläche 
zur  Masse"  sich  mit  abnehmendem  Radius  immer 
mehr  zugunsten    der  Oberfläche  verschiebt.      „Es 

r'^        I 
handelt   sich    ja  um  das  Verhältnis  von  -^  =  - ." 

Wenn  die  Oberfläche  eines  einzelnen  (als 
kugelförmig  mit  0,282  /(  Radius  angenommenen 
d.  Ref.)  Bakteriums  zu  10  ,<(''  gesetzt  wird,  so  be- 
trägt die  Oberfläche  der  Bakterieimienge,  deren 
aschefreie  organische  Trockensubstanz  gleich  1  kg 
ist,  62,500  qml  I^eini  Menschen  kommt  auf  1  kg 
aschefreie  organische  Trockensubstanz  eine  Ober- 
fläche von  0,168  qm,  d.  h.  die  Oberflächenent- 
wicklung der  Bakterien  ist  eine  370,000  mal  so 
starke  als  die  des  Menschen.') 

')  Der  Referent  möclite  hierzu  bemerlien,  daß  es  ihm 
richtiger  erscheint,  nicht  nur  die  Flächenentwicklung  der 
äußeren  Haut  des  Menschen  (ca.  1,59  qm)  hier  zum  Vergleiche 
heranzuziehen,  sondern  auch  seine  sonstigen,   Gase  und  Nähr- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


21 


In  gewissem  Sinne  ist  also  die  Intensität  des 
Stoffwechsels  der  Oberfläche  proportional.  „Eine 
derartige  Erkenntnis  ist,  wie  ohne  weiteres  ein- 
zusehen, von  grundlegender  Bedeutung  bei  der 
Beurteilung  des  Anteils,  den  irgendwelche  Organis- 
men am  Gesamtumsatz  einer  Biocönose  nehmen. 
Wenn  wirklich  die  Intensität  des  Stoffwechsels 
nicht  der  Masse,  sondern  der  Oberfläche  propor- 
tional ist,  so  liegt  gerade  in  der  Erforschung  der 
winzigsten  und  meist  in  größler  Menge  vorhan- 
denen Organismen  die  Hauptaufgabe  der  Plankton- 
forschung, da  diese  vermöge  ihrer  immensen 
Oberfläche  viel  mehr  bedeuten,  als  die  größeren, 
der  Erforschung  leichter  zugänglichen  Wesen,  deren 
Oberfläche  sehr  viel  geringer  ist."  Immerhin  ist  maß- 
gebend für  die  Intensität  des  Umsatzes  stets  die 
spezifische  Eigenart  der  untersuchten  Organismen. 
Nach  welchem  Gesetz  ändert  sich  nun  die  Zu- 
nahme der  Intensität  des  Stoffwechsels  (d.  h. 
die  in  der  Zeiteinheit  von  der  Flächeneinheit  ver- 
brauchte Menge  von  Nährstoffen)  bei  abnehmender 
Masse,  oder,  was  dasselbe  ist,  bei  zunehmender 
relativer  Größe  der  Oberfläche?  Theoretisch  be- 
trachtet wahrscheinlich  proportional  der  Abnahme 
des  Radius,  d.  h.  also :  nur  soviel  mal  wie  der 
zweite  Radius  kleiner  ist  als  der  erste,  um  soviel 
mehr  Masse  des  Organismus  kommt  mit  dessen 
Oberfläche  in  Berührung  und  um  soviel  mal  ist 
daher  die  zweite  Intensität  des  Stoffwechsels 
größer  als  die  erste.  Die  Erfahrungen,  welche 
Driesch  mit  isolierten  Blastomeren  von  Seeigeln 
machte,  deutet  Verf.  in  diesem  Sinne.  „Die  zwei 
Halbblastomeren  liefern  zwei  Blastulae,  die  zu- 
sammen nicht  das  Volumen  der  Vollblastula  haben, 
sondern  kleiner  sind  (Driesch).  Es  ist  also  bei 
den  Halbblastomeren,  die  eine  relativ  größere 
freie  Oberfläche  haben,  mehr  Material  in  gleicher 
Zeit  umgesetzt  worden."  ,,Man  kann  sich  nach 
den  Zahlen,  die  Driesch  gibt,  leicht  überzeugen, 
daß  das  Mehr  an  Substanz,  das  die  kleineren 
Blastomeren  verarbeitet  haben,  proportional  der 
Abnahme  des  Radius  ist,  was  Driesch  auch  ge- 
funden, aber  nicht  in  dieser  Weise  ausgedrückt 
hat."  ,,Daß  in  diesem  Falle  die  Steigerung  des 
Umsatzes  gerade  so  groß  ist,  wie  wir  theoretisch 
postulieren  müssen ,  nämlich  umgekehrt  propor- 
tional dem  Radius,  gibt  uns  einen  sicheren  Hin- 
weis, daß  wir  mit  der  Annahme  auf  dem  richtigen 
Wege    sind,    und    daß    für    die  Vergleichung    der 

lösungen  resorbierenden  Oberflächen,  vor  allem  die  Oberfläche 
der  Lungenbläschen  (ca.  8l  qm,  Landois,  Physiol.,  9.  Aufl., 
1896,  p.  206)  und  des  Darmes;  für  letztere  nehme  ich,  da 
mir  Angaben  fehlen,  nur  I  qm  an.  Es  ergeben  sich  dann 
83,5  qm  resorbierender  Oberflächen.  Das  macht  (bei  8,9  kg 
aschefreier  organischer  Trockensubstanz)  9,38  qm  auf  das  kg 
aschefreier  organischer  Trockensubstanz  —  anstatt  0,168  qm 
wie  der  Verf.  will.  Die  Oberflächenentwicklung  der  Bakterien, 
bezogen  auf  das  Kilogramm  aschefreier  organischer  Trocken- 
substanz, wäre  dann  nicht  mehr  370000  mal  stärker  als  die 
des  Menschen,  sondern  nur  6663  mal.  Es  will  mir  aber 
scheinen,  daß  auch  dieses  Größenverhältnis  schon  vollkommen 
ausreicht,  um  die  furchtbaren  Wirkungen  der  winzigen  patho- 
genen  Bakterien  auf  den  Menschen  dem  Verständnis  näher  zu 
rücken.     D.  Ref. 


Stoffwechselintensitäten  verschiedener  Organismen 
als  Maß  der  Umsatz  pro  Flächeneinheit  gewählt 
werden  muß."  ,, Unter  der  ersten  rohen  Voraus- 
setzung", daß  alle  Planktonorganismen  Kugel- 
gestalt hätten,  berechnet  Verf  die  Gesamtober- 
fläche aller  in  looo  1  enthaltenen  Glieder  der 
Schwebefauna  zu  9030  qmm,  also  pro  Liter  9  qmm. 
Die  einzelnen  Gruppen  des  Plankton  zeigen  nun 
folgende  Anteile  an  der  Oberflächenentwicklung, 
also  nach  unserer  Annahme  auch  am  Stoffumsatz: 

„Tabelle  X. 

Volumen 


Oberfläche 

\'olunien       ,  '"    |?  Oberfläche     in    "/„    der 

des     Gc-  .                       „   "• 
in  cmm                  ,  m  qmm           Gesamt- 
samt- '                  i,     j-  u 
,  obernache 
Volumens 


in 


Prulophyla 

17,0 

31.8 

3>^2" 

42,3 

Protozoa 

1,1 

2,1 

263 

2,9 

Bakteria 

0,8 

I■^ 

3600 

40,0 

Metazoa 

34,7 

64,6 

1340 

14,8 

Summa:  53,6  100,0 


9030 


100,0" 


„Das  ist  eine  ganz  andere  Verteilung  der  Be- 
deutung, als  diesen  Gruppen  auf  Grund  der 
Volumbestimmung  zuerkannt  werden  konnte." 
„Die  Bakterien  machen  nur  etwa  1,5  "/(,  des  Ge 
Samtvolumens,  aber  40"/,,  der  Gesamtoberfläche 
aus,  dagegen  beträgt  das  Volumen  der  Metazoen 
64,6  "/ij  des  Gesamtvolumens,  die  Oberfläche  nur 
14,8%! 

III.    Der    Stoffwechsel    des    Plankton    in    den 

Seewasseraquarien  der   Zoologischen    Station 

zu  Neapel. 

Die  Seewasseraquarien  haben  120  mg  Gesamt- 
kohlenstoff im  Liter  (gegen  92  mg  C  des  Wassers 
im  Golfl.  Davon  sind  38  mg  CO'-  (27  mg  im 
Golf),  10  mg  flüchtige  Säuren  (23  mg  im  Golf), 
und  ganze  72  mg  Kohlenstoffe  in  anderen  Bin- 
dungen (gegen  42  im  Golf).  Das  „Mehr  an 
organischen  Stoffen  kommt  vor  allem  in  der  Frak- 
tion jener  Kohlenstoffverbindungen  zum  Ausdruck, 
die  nicht  CO^  und  nicht  flüchtige  Säuren,  also 
höhere  Säuren  und  wohl  Huminsubstanzen  usw. 
sind,  d.  h.  typische  Fäulnisprodukte."  „In  bezug 
auf  den  Sauerstoffgehalt  war  kein  Unterschied  des 
Wassers  im  Aquarium  und  im  Golf  festzustellen, 
woraus  allerdings  bei  den  geringen  Werten  und 
hohen  Fehlern  der  Bestimmung  nichts  geschlossen 
werden  kann.  Infolge  der  guten  Durchlüftungs- 
einrichtungen ist  das  Aquarienwasser  stets  sehr 
reich  an  Sauerstoff,  bei  10,9"  betrug  der  Gehalt 
pro  Liter  etwa  8,5  mg,  also  jedenfalls  nicht  weniger 
wie  im  Golf."  „Wir  haben  also  eine  mit  Sauer- 
stoff stets  sehr  reichlich  versehene  Wassermenge, 
die  in  bezug  auf  Licht  wohl  einer  Probe  aus  50 
oder  mehr  Metern  Tiefe  entspricht  und  reich  an 
Fäulnisprodukten  ist."  ,,Der  Sauerstoffumsatz 
dieser  Biocönose  ergänzt  in  interessanter  Weise 
das  Bild  vom  Umsatz  im  Meere,  das  wir  uns  auf 
Grund  von  Studien  am  Wasser  des  Golfes  ge- 
macht   haben."      Die  Sauerstoffzehrung   der    Bak- 


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terien  betrug  im  Mittel  aus  8  Bestimmungen  — 
im  Licht  bei  10,9"  —  0,79  mg,  im  Dunkeln  bei 
11,0"  —  0,87  mg,  also  durchschnittlich  bei  11,0" 
pro  Tag  und  Liter  , .unabhängig  vom  Licht  ge- 
dacht" 0,83  mg.  „Für  den  Golf  betrug  bei  11,6" 
der  entsprechende  Wert  0,78  mg  und  wenn  man 
mit  den  Werten  für  Temperaturein  Wirkung,  die 
oben  ermittelt  wurden,  von  1 1,6"  auf  11, o"  extra- 
poliert beträgt  der  Verbrauch  etwa  0,53  g.  Die 
Sauerstoffzehrung  der  Bakterien  ist  also  im 
Aquarium  um  ".^  höher  (öo"/,,)  als  im  Golf"  Die 
Algen  des  Aquariums  produzierten  im  Licht  bei 
10,9'^  im  Mittel  0,33  mg  Sauerstoff  und  im  Dunkeln 
bei  11,0  im  Mittel  0,13  mg.  Merkwürdigerweise 
produzieren  die  Algen  des  Golfes  (ebenfalls  auf 
11"  umgerechnet)  im  Lichte  0,66  mg,  also  doppelt 
soviel  wie  die  des  Aquariums,  während  sie  im 
Dunkeln  gleichfalls  0,13  mg  produzieren.') 

IV.  Die  Sauerstoffzehrung  bei  längerem 
Verweilen  im  Dunkeln. 

Trotz  der  bedeutenden  Sauerstoffzehrung  in 
den  ersten  24  Stunden  der  Verdunkelung  gelingt 
es  nicht  einmal  mit  dem  Wasser  des  Aquariums 
ein  wirkliches  Ausfaulen  zu  erzielen.  In  einem 
Falle  wurden  nach  16  Tagen  5,8  mg  Sauerstoff 
gefunden,  während  die  Anfangsmenge  8,5  mg 
betrug,  „und  daß  noch  Prozesse  abliefen,  die 
Sauerstoff  ohne  Beihilfe  des  Lichtes  freimachten, 
zeigten  die  Veränderungen  zwischen  dem  12.  und 
14.  Tage,  wo  der  Sauerstoffgehalt  von  5,6  mg 
auf  6,3  mg  zunahm."  Auch  im  filtrierten  Golfwasser 
trat  nach  dem  Sauerstoffminimum  des  dritten  Tages 
wieder  ein  steigender  Sauerstoffgehalt  auf.  Es 
kommen  also  Prozesse  vor,  „die  ohne  Hilfe  von 
Licht  Sauerstoff  freimachen,  Prozesse,  für  die  wir 
Bakterien  verantwortlich  machen  müssen."  Diese 
Prozesse  sind  aber  offenbar  sehr  verwickelt  und 
es  zeigt  sich,  „daß  eine  große  Zahl  von  Variabein 
zusammenwirken,  die  man  durch  einen  Indikator", 
den  Sauerstoff,  „nicht  voneinander  differenzieren 
kann".  Übrigens  ergab  sich  das  für  die  Versuchs- 
technik wichtige  Resultat,  daß  es  einerlei  ist,  ob 
man  2  1  oder  250  ccm  Wasser  untersucht,  die 
Werte  für  den  Sauerstoffumsatz,  die  man  erhält, 
sind  in  beiden  Fällen  dieselben,  nämlich  gute 
Mittelwerte,  wie  auch  Loh  mann  es  für  die  Er- 
mittlung der  Zahl  der  Planktonorganismen  betonte. 

V.    Die    Herkunft    der    gelösten    organischen 
Stoffe  im  Meere. 

„Die  Entdeckung  der  erstaunlichen  Kohlenstoff- 
mengen, die  gelöst  im  Meere  vorhanden  sind  und 
durch  Messin ger's  Kohlenstoffbestimmung  auf 
nassem  Wege  der  Untersuchung  zugänglich  wurden, 
hat  das  ganze  Bild,  das  wir  uns  von  den  Stoffwechsel- 
prozessen im  Meere  zu  machen  gewohnt  waren,  in 
fundamentaler  Weise  umgestaltet."    Diese  gelösten 


')  Der  Versuch    einer  Erklärung   hierfür    ist   im    Original 
nachzulesen  (S.  352).     D.  Ref. 


komplexen  C-Verbindungen  wurden  vom  Verfasser 
als  Nahrungsquelle  der  Wassertiere  erkannt  und  nach- 
gewiesen („Die  Ernährung  der  Wassertiere"). 
„Aber  es  blieb  die  F"rage  offen,  woher  die  große 
Masse  der  bezeichneten  Nährstoffe  stammt."  „Man 
kann  nun  einmal  nicht  über  die  Tatsache  hinweg, 
daß  für  die  Verluste  an  verwertbarer  Energie,  die 
bei  jedem  Lebensbetrieb  unvermeidlich  sind,  in 
letzter  Linie  nur  die  Sonnenenergie  genügenden 
Ersatz  schaffen  kann"  und  „daß  nicht  mehr  or- 
ganische Verbindungen  umgesetzt  werden  können, 
als  in  photosynthetischen  Prozessen  entstehen". 
Eine  ausschlaggebende  Rolle  bei  der  Photosyn- 
these organischer  Verbindungen  spielen  im  Meere 
jedenfalls  nur  die  Planktonalgen. 

Die  Planktonforschung  nahm  bisher  an,  daß 
,,die  Leibessubstanz  der  Plankton- 
pflanzen, die  in  der  Zeiteinheit  produ- 
ziert wird,  denselben  (oder  einen 
höheren)  Nährwert  repräsentieren  müsse, 
wie  die  Leibessubstanz  der  sämtlichen 
Konsumenten."  (Vom  Ref  gesperrt.)  Verf. 
dagegen  weist  diese  übermäßige  Betonung  des 
Baustoffwechsels,  als  prinzipiell  jeder  Begründung 
entbehrend  zurück,  und  stellt  seinerseits  folgendes 
Postulat  auf:  ,,Daß  in  der  Zeiteinheit  (Zeitiichkeit 
ist  wohl  ein  Druckfehler  d.  Ref)  im  Stoffwechsel 
der  Produzenten  soviel  organische  Verbindungen 
(gelöst  oder  in  Organismen  gebunden) 
produziert  werden  sollen,  wie  die  Konsumenten 
brauchen,  um  einerseits  ihren  Bedarf  an  Nahrung 
zu  decken  (Betriebsstoffwechsel)  und  anderer- 
seits ihre  Leibessubstanz  aufzubauen  (Bau  Stoff- 
wechsel)" (vgl.  Pütter's  „Ernährung  der  Wasser- 
tiere" d.  Ref.). 

Die    Planktonalgen    liefern    im    Licht   0,8    mg 

Sauerstoffüberschuß    pro  Tag  und  Liter,    was  der 

Zerlegung  von  1,1  mg  CO.,  mit  0,3  mg  C  entspricht 

(p.  384  des  Originales).    Ihre  aschefreie  organische 

Trockensubstanz  beträgt  pro  Liter  0,003  mg,  mit 

etwa  4270  C- Gehalt  =  0,0013  ^S    Kohlenstoff. 

Aus    dem    Sauerstoffüberschuß    von    0,8  mg    pro 

Tag    und    Liter   entsprechend    der  Zerlegung  von 

03  nig  C    ist   also    auf  einen  Betriebsstoffwechsel 

0,3 
zu  schließen  von  —   '         =230  mal  so  groß  wie 
0,0013  ' 

die  Leibessubstanz,  soweit  sie  aus  Kohlenstoff  besteht. 
Nehmen  wir  als  Teilungsgeschwindigkeit  12  Stun- 
den an,  also  vervierfachte  Algenmasse  am  Ende 
der  24.  Stunde  (d.  h.  4  >,  0,0013  mg  C  =  0,0052 
mg  C),  so  bleibt  der  Betriebsstoffwechsel  immer 
noch  ca.  60  mal  größer  als  der  Baustoffwechsel. 
(Für  diesen  haben  wir  aber  hiermit  stillschweigend 
die  ganz  unwahrscheinliche  Annahme  gemacht, 
daß  ihm  von  einer  Teilung  bis  zur  anderen  die 
gesamte  Leibessubstanz  der  Algen  unterliegt.  D.  Ref.) 
Für  die  Bakterien  erhält  Verfasser  bei  Annahme 
noch  größerer  Teilungsgeschwindigkeit,  8  Stun- 
den von  einer  Teilung  bis  zur  nächsten,  also  in 
24  Stunden  3  Generationen  (d.  h.  2''  =  8  fache 
Massenvermehrung)  und  bei  gleich  unwahrschein- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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lieh  hoch  antrenommenem  Bausloffwechsel  sogar 
den  Wert :  Betriebsstoffwechsel  =  Baustoffwechsel 
X  780.  Nun  ist  aber  der  Betriebsstoffwechsel 
auch  noch  aus  dem  Grunde  viel  zu  niedrig  an- 
gesetzt, weil  nur  der  Sauerstoffverbrauch  als 
Maß  für  den  Stoffumsatz  verwertet  worden 
ist.  Der  vorhandene  Sauerstoff  (7,6  mg  im 
Liter)  steht  aber  einer  Sauerstoffkapazität  der 
noch  oxydierbaren  Substanzen  von  180  mg  im 
Liter  gegenüber.  Wenn  also  wirklich,  wie  an- 
genommen wird,  alle  Stoffe  sich  am  Stoffumsatz 
beteiligen,  „so  muß  dieser  ca.  24  mal  so  groß  sein 
wie  er  aus  dem  Sauerstoffverbrauch  erschlossen 
wurde".  Verf  gelangt  schließlich  dazu,  das  mittlere 
Verhältnis  von  Bau-  und  Betriebsstoffwechsel  im 
Meere  auf  i  :  6000  bis  i  :  27000  zu  schätzen,  und  er 
schließt  diesen  Abschnitt  mit  den  folgenden  Worten  : 
„Wenn  wir  berücksichtigen,  daß  der  Betriebsstoff- 
wechsel (im  Meere  d.  Ref.)  als  mehrtausendmal 
intensiver  wie  der  Baustofifwechsel  angesehen 
werden  muß  ...  so  können  wir  die  Frage,  wo- 
her die  gelösten  organischen  Stoffe  im  Meere 
stammen,  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  dahin 
beantworten :  die  gelösten  Kohlenstoffverbindungen 
des  Meeres  sind  die  Produkte  des  Betriebsstoff- 
wechsels der  Meeresorganismen,  speziell  der  Algen 
und  Bakterien." 


VI.   Die  Grenzen  der  Produktion  des  Meeres 
an  Organismen. 

Für  die  Grenze  der  Produktion  der  Erde  an 
Pflanzen  fand  Liebig  im  sogenannten  Gesetz  des 
Minimum  den  folgenden  Ausdruck:  die  Produktion 
an  Pfianzensubstanz  kann  nur  bis  zu  dem  Punkt 
gehen,  an  dem  irgendein  notwendiger  Stoff  völlig 
aufgebraucht  ist,  d.  h.  völlig  in  Verbindungen  im  Pflan- 
zenkörper übergeführt  ist.  Hierbei  ist  das  Material  des 
Betriebsstoffwechsels  der  Pflanze,  nämlich  der  CO., 
der  Luft,  nicht  berücksichtigt.  Brandt  versucht 
dieses  Gesetz  des  Minimum  auch  auf  die  Produk- 
tion von  Meeresorganismen  anzuwenden  und  zu 
zeigen,  daß  der  Stickstoff,  als  im  Minimum  vor- 
handen, die  Produktion  regele.  Aber  abgesehen 
davon,  daß  er  den  sogenannten  Kjeldahl-Stickstoff 
(außer  NH.;)  unberücksichtigt  läßt  und  daher  die 
Menge  Stickstoff  im  Meerwasser  prinzipiell  unter- 
schätzt, geht  nach  Ansicht  des  Verf  auch  aus 
Brand  t 's  eigenen  Zahlen  hervor,  „daß  noch  mehr 
Stickstoff  im  Wasser  gelöst  enthalten,  wie  in 
Form  von  Organismen  gebunden  ist."  Verf.  gibt 
nun  nach  seinen  Untersuchungen  das  Verhältnis 
von  dem  im  Meere  gelösten  Stickstoff  zu  dem  in 
den  Meeresorganismen  gebundenen  als  1850:  i  an, 
(auf  740  mg  gelösten  Stickstoff  in  looo  1  Meer- 
wasser nur  etwa  0,4  mg  Stickstoff  in  Organismen) 


—  der  Stickstoff  ist  also  nicht  in  Brandts  Sinne 
im  Minimum  vorhanden.  Verf.  stellt  nun  den 
Satz  auf,  daß  „alle  Fragen  des  Stoffhaushaltes  im 
Meere  in  erster  Linie  als  Fragen  des  Betriebs- 
stoffwechsels  behandelt  werden"  müssen.  Er 
findet,  daß  das  1850  fache  der  Stickstoffmenge  und 
das  20,000  fache  der  Kohlenstoffmenge  der  Or- 
ganismen im  Meerwasser  gelöst  sind,  und  zeigte 
ferner,  daß  höchstwahrscheinlich  die  Plankton- 
organismen diese  gelösten  Kohlenstofifverbindungen 
und  Stickstoffverbindungen  produzieren  „da  ihr 
Betriebsstofifwechsel  auf  etwa  das  16,000  fache 
(6000—27,000)  des  Baustoffwechsels  angeschlagen 
werden  mußte".  „So  unsicher  diese  Zahlen  sind, 
zeigen  sie  doch  die  Möglichkeit,  daß  der  Betriebs- 
stofifwechsel so  außerordentlich  den  Baustofif- 
wechsel an  Intensität  übertrifft,  wie  es  der  Fall 
sein  müßte,  wenn  das  Verhältnis  von  gelösten 
zu  geformten  Stoffen  im  Meere  einen  Ausdruck  für 
einen  Gleichgewichtszustand  darstellt." 
Dieser  Gleichgewichtszustand  regelt  den  Anteil 
,,der  in  Form  von  Organismen  gebunden  werden 
kann ,  während  der  Rest  für  den  Betriebsstofif- 
wechsel übrig  bleiben  muß"  —  mit  der  Er- 
reichung dieses  Gleichgewichtszu- 
standes ist  also  zugleich  auch  die 
Grenze  der  Produktionsfähigkeit  des 
Meeres  erreicht.^) 

VII.  Zusammenfassung. 

,,Nach  allem  dem  gestaltet  sich  das  Bild  der 
Stoffumsetzungen  im  Meere  folgendermaßen:  Im 
Stoffwechsel  der  Algen  werden  in  großer  Menge 
lösliche  Kohlenstofifverbindungen  gebildet  und  an 
das  Meerwasser  abgegeben,  vielleicht  nachdem  ein 
erheblicher  Teil  schon  durch  die  den  Algen  an- 
haftenden Bakterien  Veränderungen  erfahren  hat. 
Bedeutende  Mengen  Sauerstoff  werden  hierbei  im 
Lichte  frei,  während  die  Bakterien  (vielleicht  Nitro- 
bakterien)  auch  im  Dunkeln  Sauerstoff  entbinden 
können.  Von  den  gelösten  Kohlenstofifverbin- 
dungen, sowie  zum  sehr  geringen  Teil  von  den 
Leibern  der  Planktonalgen  lebt  die  ganze  Masse 
der  Meerestiere,  d.  h.  sie  baut  einerseits  ihre  ge- 
samte Körpersubstanz  aus  diesen  Stoffen  auf,  und 
verwendet  sie  außerdem  als  Nahrung  im  Betriebs- 
stofifwechsel, und  diese  letztere  Verwendung  stellt 
vieltausendmal  höhere  Anforderungen  an  die  Stofif- 
zufuhr  als  der  Baustofifwechsel." 


')  Was  die  Frage  nach  der  Ursache  der  Armut  der 
'l'ropenmeere  an  Planktonorganismen  anlangt,  will  Verf.  zu 
ihrer  Erklärung  annehmen,  daß  mit  steigender  Temperatur  der 
Betriebsstofl'wechsel  eine  stärkere  Zunahme  erfährt  wie  der 
Baustoffwechsel,  für  diesen  also  weniger  Material  verfügbar 
bleibt. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Irrlichter.    —    Das    „närrische     F'euer",     der 
„ignis  fatuus",    wie    die   mittelalterlichen   Physiker 


das  Irrlicht  nannten,  hat  seinem  Namen  alle  Ehre 
gemacht.  Man  hätte  in  der  Tat  keinen  besseren 
lateinischen  Ausdruck  wählen  können.  Hat  doch 
jahrhundertelang    dieses   ,, einfältige"    Licht    höhn- 


24 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  2 


lachend  sein  Spiel  mit  dem  Menschen  getrieben. 
Im  Volke  waren  diese  gespensterhaften  ,, Tücke- 
boten" nicht  wenig  gefürchtet.  Für  verwünschte 
oder  unselige  Seelen  hielt  man  sie,  die  weder  im 
Himmel  noch  in  der  Hölle  ihren  Platz  finden 
könnten,  weil  sie  eines  unnatürlichen  Todes  ge- 
storben wären.  Hier  und  da  erblickte  man  auch 
in  ihnen  höllische  Geister,  tückische  Abgesandte 
des  Teufels  (wie  noch  Daniel  Sennertus  um  1650 
in  seiner  „Fpitome  Naturalis  Scientiae",  Bd.  14, 
Kap.  2).  Solche  Unholde  suchte  man  dann  nicht 
etwa  durch  Gebete,  wie  die  anderen  Geister,  son- 
dern durch  dreistes  Fluchen  und  Schimpfen  zu 
vertreiben:  „denn  der  Donner  der  Flüche  treibt 
die  Luft  ungemein  schnell  vom  Munde  fort  und 
bringt  die  Irrlichter  so  zum  Erlischen",  wie  die 
drastische  Erklärung  der  ,, ökonomischen  Ency- 
klopädie"  (von  Dr.  Krünitz,  Berlin  1784)  hierfür 
lautet.  Auch  in  vielen  gruseligen  Spukgeschichten, 
die  den  Irrlichtern  so  manche  Schandtaten  nach- 
sagten, bekundet  sich  deutlich  die  Furcht  des 
Volkes  vor  dieser  geheimnisvollen  Lichterscheinung. 

Und  wie  ist  es  heute?  Nichts  von  alledem. 
Es  scheint,  als  wollten  die  Irrlichter  dem  Men- 
schen zum  Ärger  von  der  Erde  gänzlich  ver- 
schwinden, bevor  man  noch  mit  Bestimmtheit 
über  ihre  wahre  Natur  etwas  erfahren  hat;  und 
durch  ihr  immer  selteneres  und  spärlicheres  Auf- 
treten haben  sie  es  verstanden,  den  Menschen  von 
neuem  in  die  Irre  zu  führen  —  diesmal  aber 
nicht  den  müden  Wanderer,  sondern  so  manchen 
eifrigen  Forscher,  der  da  glaubt,  es  hätte  „eigent- 
liche" Irrlichter  niemals  gegeben. 

Nun  ist  freilich  nicht  zu  leugnen,  daß  das 
Wort  ,, Irrlicht"  im  Laufe  der  Zeit  zu  einem 
Sammelbegriff  für  die  verschiedenartigsten  nächt- 
lichen Leuchtphänomene  geworden  ist.  Die  zahl- 
reichen Berichte  über  Irrlichter-Beobachtungen 
(H.  Steinvorth  bringt  ein  sehr  umfangreiches 
Material  in  den  ,, Jahresheften  des  naturwissen- 
schaftlichen Vereins  für  das  Fürstentum  Lüne- 
burg", Heft  13  u.  14)  beweisen  deutlich,  daß  viel- 
fach nur  eine  Verwechslung  mit  bekannten  Er- 
scheinungen der  Luftelektrizität  vorliegt,  so 
namentlich  mit  dem  St.  Elmsfeuer,  bisweilen  auch 
wohl  mit  dem  Kugelblitz,  dessen  Entstehungs- 
weise freilich  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  mit 
Sicherheit  aufgeklärt  ist.  Sehr  oft  waren  auch  die 
„Irrlichter"  nichts  anderes  als  eine  Phosphores- 
zenzerscheinung an  verwesenden  organischen 
Stoffen,  an  Fleisch-  oder  Fischüberresten,  an 
faulenden  Pflanzen  oder  Baumstämmen  u.  dgl. 
Ebenso  häufig  entpuppten  sich  auch  die  selt- 
samen „Elflichter"  als  harmlose  Insekten  mit 
Leuchtorganen,  wie  die  bekannten  Johannis- 
würmchen (Lampyris  noctiluca  u.  splendidula). 
Wie  oft  mag  auch  das  Irrlicht,  die  „Trugfackel" 
nur  ein  „Trugbild"  einer  allzu  leicht  erregbaren 
Phantasie,  eines  allzu  furchtsamen  oder  aber- 
gläubischen Gemüts  gewesen  sein ! 

All  dies  muß  ohne  weiteres  zugegeben  werden. 
Nur  darf  man  nicht  so  weit   gehen,  daß  man  die 


Existenz  aller  anderen  sog.  Irrlichter,  die  nicht 
auf  die  eben  angeführten  oder  andere  bekannte 
Tatsachen  zurückzuführen  sind,  schlechthin  be- 
streitet. Obwohl  die  Zahl  derer  nicht  gering  ist, 
denen  es  trotz  wiederholter,  sorgfältiger  Nach- 
forschungen niemals  gelungen  ist,  ein  Irrlicht  zu 
beobachten,  so  muß  es  doch  heute  als  ganz 
sicher  erwiesen  gelten  und  es  ist  hinreichend 
verbürgt,  daß  es  neben  diesen  ,,Pseudoirrlichtern" 
auch  ,, eigentliche"  Irrlichter  gibt,  die  eine  beson- 
dere, für  sich  bestehende  Gruppe  der  nächtlichen 
Lichterscheinungen  bilden. 

Wenn  man  das  kurz  zusammenfaßt,  worin  die 
Aussagen  glaubwürdiger  und  urteilsfähiger  Zeugen 
(so  in  erster  Linie  des  Astronomen  Fr.  Wilhelm 
Bessel  in  Poggendorfs  Annalen  Bd.  44,  pag  366) 
übereinstimmen,  so  ergibt  sich  folgendes  Bild. 
Irrlichter  sind  kleine,  etwa  der  Größe  einer 
Kerzenflamme  entsprechende  Flämmchen  von 
relativ  niedriger  Temperatur  und  geringer  Licht- 
stärke. Ihre  Farbe  wird  —  zum  Teil  wohl  wegen 
der  verschiedenen  Beleuchtung  und  des  verschie- 
denen Hintergrundes  bei  den  einzelnen  Beob- 
achtungen —  verschieden  angegeben:  meist  er- 
scheint sie  bläulich  rot,  selten  grünlichgelb,  aber 
nie  rein  weiß.  Sie  schweben  in  einiger  Entfer- 
nung über  dem  Erdboden  (bzw.  der  Wasserfläche), 
scheinen  auf  jeden  Lufthauch  zu  reagieren  und 
zeigen  in  der  Regel  eine  unruhige,  hüpfende  Be- 
wegung. Es  ist  aber  anzunehmen,  daß  diese 
Ortsveränderung  nur  eine  scheinbare  ist,  daß  in 
Wahrheit  das  plötzliche  Erlöschen  eines  Irrlichts 
und  das  gleichzeitige  Aufleuchten  eines  anderen 
in  nächster  Nähe  jenen  Eindruck  der  Bewegung 
hervorruft  (dies  stimmt  u.  a.  mit  Vogel's  Beob- 
achtung überein,  Pogg.  Ann.,  Bd.  82,  pag.  595). 
Der  eigentliche  ,, Tanzplatz",  die  eigentliche  Heim- 
stätte des  Irrlichts  ist  jedes  an  stehenden  Wassern 
reiches,  modriges  Sumpfgeläiide,  vornehmlich  das 
teilweise  abgetorfte,  aber  noch  nicht  entwässerte 
Hochmoor.  Nicht  selten  zeigen  sie  sich  auch  auf 
feuchten  Wiesen  oder  bruchigem  Waldboden. 
Hier  und  da  sollen  sie  auch  auf  Kirchhöfen  zum 
Vorschein  kommen,  doch  bleibt  es  sehr  zweifel- 
haft, ob  die  hier  wahrgenommenen  Irrlichter  nicht 
durchweg  mit  Eimslichteiitladungen  zu  identifi- 
zieren sind,  was  keineswegs  unwahrscheinlich  ist, 
da  sich  hier  an  den  vielen  eisernen  Grabum- 
zäunungen und  Grabkreuzen  die  Spitzenaus- 
strahlung in  hohem  Grade  geltend  machen  kann. 
Zu  allen  Jahreszeiten  hat  man  Irrlichter  beob- 
achtet :  am  häufigsten  im  Spätsommer  und  Herbst, 
auch  im  Winter  hat  man  sie  oft  gesehen,  dagegen 
treten  sie  im  I'rühjahr  in  Deutschland  so  gut  wie 
gar  nicht  in  die  Erscheinung.  Daß  man  sie  nur 
zur  Dämmerungs-  oder,  wie  meistens,  zur  Nacht- 
zeit aufleuchten  sieht,  ist  leicht  erklärlich,  da  sie 
eben  nur  schwaches  Licht  aussenden.  Voll- 
kommene oder  doch  annähernd  vollkommene 
Windstille  scheint  in  allen  Fällen  die  conditio 
sine  qua  non  zu  sein.  Außerdem  pflegen  sie 
nebliges,    und    vor   allem  schwüles  Wetter  zu  be- 


N.  F.  Viri.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


25 


Vorzügen.  Hiermit  dürfte  die  Hesclireibung  der 
charakteristischen  Merkmale  der  eigentlichen  Irr- 
lichter erschöpft  sein.  Eine  solche  war  vielleicht 
um  so  mehr  am  Platze,  da  die  allgemeinen  An- 
sichten über  das  Irrlicht  sich  oft  in  den  wesent- 
lichsten Punkten  nicht  wenig  widerstreiten,  was 
einer  definitiven  Lösung  der  ganzen  heikleti  Frage 
natürlich  sehr  im  Wege  war. 

Nun  existiert  aber  noch  eine  zweite,  viel 
seltenere  Gruppe  von  Irrlichtern,  die  bisher  ab- 
sichtlich unerwähnt  blieb,  die  „großen  Irrlichter", 
wie  wir  sie  nennen  wollen.  Von  ihnen  gilt  ganz 
das  nämliche  wie  von  den  oben  beschriebenen, 
nur  durch  ihre  Größe  sind  sie  von  ihnen  unter- 
schieden. Denn  haben  jene  annähernd  die  Größe 
einer  Kerzenflamme,  so  sind  diese  etwa  manns- 
hoch. Von  glaubwürdiger  Seite  werden  sogar 
einige  von  ihnen  erwähnt  (vgl.  H.  Steinvorth  a.a.O., 
Heft  13,  S.  32,  36,  47),  deren  Höhe  durchschnitt- 
lich gar  auf  4 — 5  m  geschätzt  wird.  Diese 
„großen  Irrlichter"  sind  es,  die  im  Volke  „Irr- 
wische", ,,gleunige  Keerls",  ,, feurige  Männer", 
„Lüchtemänneken"  und  ähnlich  genannt  werden, 
was  aus  der  oben  genannten  Krünitz'schen  Ency- 
klopädie  hervorgeht.  Hier  heißt  es  (30.  Teil, 
pag.  792) ;,,...  Daher  nimmt  man  sehr  oft  sehr 
große  F"lammen  auf  den  Wiesen  wahr,  welche 
zuweilen  die  Größe  einer  Schütte  Stroh  und  eines 
Mannes  erreichen.  Ein  solches  großes  Licht 
nennt  der  gemeine  Mann  den  großen  Leuchter, 
die  brennende  Schütte,  den  Feuermann  usw.  .  .  ." 
Es  sind  demnach  alle  diese  Namen  nicht,  wie 
man  gewöhnlich  liest,  Bezeichnungen  für  das  Irr- 
licht y.aT  lt,oyJ]Y.  Heutzutage  gehört  diese  Art 
von  Irrlichtern  zu  den  größten  Seltenheiten. 
Früher  ist  sie  jedenfalls  häufiger  gewesen;  zu 
Musschenbroek's  Zeiten  (um  1750)  soll  der 
Bolonnais,  das  steinkohlenreiche  Gebiet  in  der 
Nähe  von  Boulogne  surMer  (der  ehemalige  pagus 
Bononiensis)  an  diesen  „großen  Irrlichtern"  so 
reich  gewesen  sein,  daß  sie  das  ganze  Jahr  hin- 
durch in  jeder  dunklen  Nacht  sichtbar  gewesen 
sind  (vgl.  M.'s  „Introductio  ad  Philos.  nat."  Vol.  2, 
pag.    1061,  Leyden    1762). 

Musschenbroek  war  wohl  der  erste  Natur- 
forscher, der  eine  wissenschaftliche,  heute  aller- 
dings nicht  mehr  haltbare,  Erklärung  des  Irrlicht- 
phänomens zu  geben  versuchte,  die  sich  frei  hielt 
von  den  abergläubischen  Vorstellungen  jener  Zeit. 
Viele  Theorien  sind  seitdem  über  die  Entstehung 
der  Irrlichter  aufgestellt,  aber  noch  heute  ver- 
mögen wir  keine  befriedigende  Antwort  auf  die 
Frage  zu  geben.  Die  Erscheinung  ist  eben  so 
selten;  und  Zeit,  Ort  und  Umstände  lassen  in  den 
meisten  Fällen  eine  eingehende  wissenschaftliche 
Untersuchung  nicht  zu. 

Zwei  Ansichten  stehen  sich  heute  gegenüber. 
Nach  der  einen  liegt  eine  elektrische  Lichterschei- 
nung vor,  die  andere  behauptet,  man  hätte  es  hier 
mit  irgendeinem  Gase  oder  Gasgemisch  zu  tun. 
Für  die  letzte  Annahme  spricht  die  Wahrschein- 
lichkeit   in    hohem    Maße.      Denn    die    Irrlichter 


sind,  wie  schon  erwähnt,  stets  auf  solchem  Boden 
beobachtet  worden,  in  dem  viele  organische  Sub- 
stanzen aufgespeichert  sind.  Wenn  diese  nun 
durch  die  Vermittlung  von  Mikroorganismen  in 
Fäulnis  übergehen,  finden  die  verschiedensten 
chemischen  Reaktionen  statt,  bei  denen  nachweis- 
lich mehrere  Gase  entstehen,  z.  B.  Wasserstoff, 
Schwefelwasserstoff  und  andere.  Man  hat  hier 
aber  vor  allem  an  zwei  Gase  gedacht :  an  das 
brennbare  Sumpfgas  (Methan,  CH,)  und  den 
selbstentzündlichen  flüssigen  Phosphorwasserstoft' 
(P2H4).  Doch  wie  es  einerseits  rätselhaft  ist,  wo- 
durch das  Sumpfgas  sollte  entzündet  werden, 
müßte  andererseits  bei  der  Verbrennung  von 
Phosphorwasserstoff  ein  weißer,  meist  ringförmiger 
Rauch,  sowie  ein  widriger,  an  faule  Fische  er- 
innernder Geruch  entstehen,  was  man  jedoch  bei 
Irrlichtern  niemals  wahrgenommen  hat.  Auch 
kennen  wir  bisher  keinen,  in  der  Natur  sich  ab- 
spielenden, chemischen  Vorgang,  bei  dem  der  in 
Frage  kommende  Phosphorwasserstoff  gebildet 
wird. 

Die  zweite,  neuere  Ansicht,  daß  das  Irrlicht 
eine  besondere  Erscheinungsform  der  Luftelektri- 
zität ist,  wird  dadurch  gerechtfertigt,  daß  es  mit 
Vorliebe  sich  zeigt,  wenn  die  Luft  mit  Elektri- 
zität außergewöhnlich  stark  geschwängert  ist,  so 
vor  allem  bei  nebligem  Wetter  oder  an  schwülen 
Abenden  vor  Gewitterausbrüchen.  Im  übrigen  ist 
die  elektrische  Natur  der  Irrlichter  noch  zu  wenig 
erwiesen,  als  daß  man  berechtigt  wäre,  sichere 
Schlüsse  daraus  zu  ziehen.  Einstweilen  hat  sicher- 
lich die  „Gastheorie"  den  größeren  Anspruch  auf 
Wahrscheinlichkeit,  auch  aus  folgendem  Grunde. 
Bekanntlich  hat  die  fortgesetzt  in  großem  Maß- 
stabe betriebene  Drainage  und  Moordammkultur 
des  Sumpf-  und  Moorgeländes,  des  Haupttummel- 
platzes der  Irrlichter,  bewirkt,  daß  diese  von  Jahr 
zu  Jahr  seltener  werden.  Der  tiefere  Grund  hier- 
für ist  nun  darin  zu  suchen,  daß  infolge  der  Ur- 
barmachung entweder  die  chemischen  oder  die 
elektrischen  Bedingungen  für  die  Entstehung  des 
Irrlichts  nicht  mehr  in  dem  Maße  wie  früher  vor- 
handen sind.  Das  erstere  ist  aber  weit  einleuchten- 
der, denn  es  ist  nicht  recht  einzusehen,  inwiefern 
eine  Änderung  der  Bodenbeschaft'enheit  die  Luft- 
elektrizität so  empfindlich  beeinflussen  könnte. 
Und  daß  die  Lufielektrizität  als  solche  nicht  im 
Abnehmen  begriffen  ist,  beweist  die  jährliche  Zu- 
nahme der  Gewitter.  Mehr  Aussicht  auf  Be- 
stätigung hätte  vielleicht  noch  eine  Vereinigung 
beider  Theorien.  Danach  hätte  man  sich  die 
Entstehung  des  Irrlichts  so  vorzustellen,  daß  das 
erfahrungsmäßig  sich  bildende  Sumpfgas  durch 
eine  dem  St.  Elmsfeuer  verwandte  elektrische  Er- 
scheinung zur  Entzündung  gebracht  wird.  Immer- 
hin ist  es  fraglich,  ob  bei  der,  unseres  Wissens 
noch  nicht  festgestellten,  aber  allem  Anscheine 
nach  sehr  niedrigen  Normaltemperatur  des  Elms- 
lichtes  eine  solche  Entzündung  möglich  ist. 

Es  mangelt  nicht  an  Vorschlägen  für  Irrlicht- 
Untersuchungen:  man  solle  die  Lichtstärke,  sowie 


26 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  2 


den  Wärmezustand  bestimmen,  man  solle  die 
etwaigen,  das  Licht  ausstrahlenden  Gase  in 
Reagenzgläsern  aufsammeln,  man  solle  versuchen, 
das  Irrlicht  auf  die  photographische  Platte  zu 
bannen;  doch  alle  diese  Untersuchungsmethoden 
dürften  —  falls  sie  überhaupt  zu  einwandfreien 
Resultaten  führen  —  wenig  aussichtsvoll  sein. 
Ein  anderer,  so  nahe  liegender  Weg,  auf  den 
merkwürdigerweise  nur  selten  hingewiesen  worden 
ist,  könnte  schon  eher  zum  Ziele  führen :  die 
spektroskopische  Untersuchung.  Jener  Wunder- 
apparat, dem  die  Wissenschaft  schon  soviele 
wichtige  Entdeckungen  verdankt,  das  Spektroskop, 
würde  auch  hier  vortreftliche  Dienste  leisten. 
Dureh  eine  einzige  exakte  Analyse  des  Irrlicht- 
spektrums würde  die  Streitfrage  so  gut  wie  ge- 
löst sein.  Und  eine  solche  wäre  um  so  mehr  zu 
wünschen,  als  man  schon  heute  mit  Gewißheit 
sagen  kann,  daß,  wenn  die  nächsten  Jahrzehnte 
keine  wissenschaftlich  unwiderlegbare  Erklärung 
des  Irrlichts  bringen,  auch  der  Glaube  an  ihre 
jemalige  Existenz  gänzlich  dahinschwinden  wird. 
Und  wenn  der  alte  Kampf  mit  dieser  Niederlage 
der  Wissenschaft  endigen  sollte,  dann  hätte  der 
„ignis  fatuus"  seine  Narrenrolle  wahrlich  vortreft- 
lich  ausgespielt.  Hjalmae  Sander. 


Biologische  Beobachtungen  an  einem 
deutschen  Myriapoden,  Polydesmus  com- 
planatus.  —  Die  Lebensgeschichte  der  deutschen 
Myriapoden  ist  bisher  nur  sehr  wenig  zum  Gegen- 
stande eingehenderer  Untersuchungen  gemacht 
worden.  Es  liegen  zwar  eine  Reihe  von  Beob- 
achtungen vor,  so  die  von  Fahre  (1855), 
vomRath,  Verhoeff,  von  Schlecht endal 
u.  a.,  aber  eine  systematische  Durcharbeitung  ist 
bisher  noch  nicht  geliefert  worden.  Vielleicht 
regen  diese  Zeilen  zu  weiteren  Studien  in  dieser 
Richtung  an.  Ich  habe  mich  selbst  längere  Zeit 
mit  vorwiegend  anatomisch-histologischen  Unter- 
suchungen an  Polydesmus  befaßt,  dabei  aber 
auch  vielfach  biologische  Beobachtungen  gemacht, 
von  denen  hier  einige  mitgeteilt  seien. 

Die  Gattung  Polydesmus  gehört  zu  den 
Diplopoden,  ist  also  verwandt  mit  den  be- 
kanntesten Tausendfüßern  lul  us  und  Gl  omeris 
(=  Rollassel);  auch  der  merkwürdige  kleine 
Polyxenus  gehört  hierher.  Polydesmus  er- 
reicht im  erwachsenen  Zustande  eine  Länge  von 
ungefähr  2  cm.  Sein  Körper  besteht  aus  dem 
Kopfe  und  20  hintereinander  liegenden  Segmenten, 
von  denen  die  mittleren,  vom  5.  bis  zum  iS.  Seg- 
ment, sich  fast  vollkommen  gleichen  und  sich 
durch  den  Besitz  von  je  zwei  Beinpaaren  aus- 
zeichnen, während  die  vier  vorderen  und  die 
beiden  letzten  Segmente  von  ihnen  mehr  oder 
weniger  verschieden  sind.  Während  wir  am 
I.  Segment  ein  Beinpaar  vorfinden,  ist  das  2. 
Segment  ein  einfacher  beinloser  Ring.  Am 
3.  und  4.  Segment  finden  wir  dann  wieder  nur 
je  ein  Beinpaar  angebracht.     Das  3.  Segment  trägt 


in  beiden  Geschlechtern  die  Genitalöfifnung.  Beim 
Männchen  sind  es  zwei  Löcher,  die  an  der  Unter- 
seite der  Coxen  der  Beine  liegen.  Beim  Weibchen 
finden  wir  einen  sehr  komplizierten  Apparat  vor, 
die  paarigen  sog.  ,, Vulven",  die  in  einer  tiefen 
Grube  des  3.  Segmentes  liegen.  Sie  können  weit 
über  die  Körperoberfläche  vorgestreckt  werden 
und  dienen  bei  der  Kopulation  zur  Aufnahme 
der  männlichen  Begattungsorgane  und  weiterhin 
auch  zur  Eiablage  (s.  Fig.  i).  Neben  den  weib- 
lichen .'\usführungsgängen  befinden  sich  in  den 
Vulven    auch   noch  je  ein  Receptaculum    seminis. 


cht' 


Fig.    I.     Polydesmus  spcc.      Vulva    in    der  Ansicht   von  vorn- 

oben.     (Original.^     chl  =  Chilinleisten,  recs  =  Receptaculum 

seminis. 


Die  Männchen  besitzen  besondere  Kopulations- 
organe am  7.  Segment  ihres  Körpers  und  zwar 
sind  dies  umgewandelte  Beine,  die  aus  zwei  Ästen 
an  einem  gemeinsamen  Stamm  bestehen.  Daran 
befindet  sich  auch  ein  kleines  Bläschen,  dessen 
Eingang  von  zarten  Borsten  umstellt  ist.  Das 
Bläschen  dient  zur  Aufnahme  des  Spermas  (s.  Fig.  2). 
Erwähnt  sei,  daß  die  Spermatozoen  nicht  die  all- 
bekannte Form  haben,  sondern  einfache,  kugelige 
Zellen  sind.  —  Es  wurde  schon  gesagt,  daß  die 
beiden  letzten  Segmente  des  Körpers,  das  19. 
und  20.,  abweichend  gebaut  sind.  Das  19.  Seg- 
ment nämlich  ist  ein  beinloser  Ring  und  das  20. 
ebenfalls  beinlose  „Analsegment"  ist  durch  zwei 
Klappen  ausgezeichnet,  die  den  After  seitlich  be- 
grenzen, die  „Analklappen".  Bemerkenswert  ist 
am  Analsegment  noch  ein  mit  feinen  Sinnesborsten 
versehenes  Schwänzchen.  —  Nach  dieser  kurzen 
anatomischen  Einleitung  können  wir  zu  den 
Lebenserscheinungen  übergehen. 

Polydesmus  complanatus  führt  einsehr 
verstecktes  Leben.  Man  findet  das  blinde  Tier- 
chen unter  feuchtem  Laub,  Steinchen,  Holz,  in 
alten  hohlen  Weiden  usf      Hauptbedingungen  für 


F.  N.  VIII.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


27 


sein  Gedeihen  sind  Dunkelheit  und  kühle,  feuchte 
Beschaffenheit  seines  Wohnortes.  Vor  hellem 
Lichte  zieht  sich  das  Tierchen  sofort  zurück,  in- 
dem es  lebhaft  rückwärts  kriecht.  Dabei  machen 
die  31  (resp.  30  beim  S)  Beinpaare  eine  wellen- 
förmige Bewegung-,  indem  sie  nacheinander  in 
Tätigkeit  treten.  Gelingt  es  dem  Tierchen  nicht, 
sich  aus  dem  Bereiche  der  Sonnenstrahlen  zu 
retten  oder  hält  man  es  so  in  Gefangenschaft, 
daß  es  der  Besonnung  ausgesetzt  bleibt,  so  geht 
es  in  sehr  kurzer  Zeit  zugrunde  und  zwar  an  voll- 
ständiger Austrocknung  des  Körpers.  Kälte  und 
Feuchtigkeit  sind  unserem  Polydesmus  sehr 
zuträglich,  sogar  im  Winter  kann  man  die  Tier- 
chen an  geschützten  Stellen  unter  altem,  modern- 
den Laube    usf.    mit  ziemlicher  Sicherheit  finden 


iy-^^--,-  nha 


Fig.  2.  Polydesmus  spec.  Kopuhitioiisfuß.  (Origioal.)  m  = 
Muskulatur,  hk  =  Chitinliakcn,  hpt  =  Hauptast,  nba  = 
Nebenast,  sbl  =  Samenblase,  cisbl  =  Eingang  zur  Samcnblase. 

Der  Myriapode  kann  weiter  nur  an  solchen  Stellen 
sein  Leben  fristen,  wo  sich  kohlensaurer  Kalk 
in  reichlichen  Mengen  findet.  Die  chemische 
Untersuchung  des  Chitinpanzers  gibt  uns  die  Er- 
klärung dafür,  er  enthält  nämlich  ganz  beträcht- 
liche Mengen  von  Kalksalz  eingelagert. 

Die  Nahrung  des  Poly  desmiden  ist  rein 
vegetarisch.  Wenn  man  den  Darminhalt  einer 
mikroskopischen  Untersuchung  unterzieht,  so 
findet  man  darin  neben  zahlreichen  feinen  Erd- 
teilchen Reste  von  allerhand  pflanzlichen  Produkten 
—  Blättern,  Holzstückchen  usf. 

Die  versteckte  Lebensweise  der  Poly  des- 
miden sichert  sie  in  hohem  Maße  vor  Nach- 
stellungen vonseiten  größerer  Tiere,  ja,  man  weiß 
noch  gar  nicht  einmal,  ob  sie  überhaupt  von 
irgendwelchen  Tieren  gefressen  werden.  Wenn 
man    auf  den    Fang    von   Polydesmus  ausgeht 


und  das  feuchte  Laub  umwendet,  unter  dem  er 
lebt,  so  sieht  man  ihn  sich  fluchtartig  in  dunklere 
Regionen  zurückziehen.  Und  wenn  man  das 
Tierchen  mit  den  Plngern  fassen  will,  so  rollt  es 
sich  meist  spiralig  zusammen  und  verbleibt  längere 
Zeit  in  dieser  Stellung,  die  man  als  Totstellen 
auffassen  kann.  Aber  noch  eine  andere  Einrich- 
tung sichert  die  Polydesmiden  vor  Feinden.  Wir 
finden  nämlich  in  einer  Anzahl  von  Segmenten 
in  den  Seitenkielen  Drüsen,  die  sog.  Stink-  oder 
Wehrdrüsen,  Glandulae  odoriferae,  die  einen  übel- 
riechenden Saft  ausscheiden,  der  wahrscheinlich 
ein  wirksames  Schreckmittel  ist.  Die  Drüsen 
selbst  habe  ich  genau  untersucht  und  fand  sie 
aus  einem  ansehnlichen  Säckchen  bestehend,  das 
sich  nach  der  Peripherie  des  Körpers  zu  flaschen- 
halsförmig  verengt.  Der  Hals  ist  von  ganz  zarten 
Muskelchen  sphinkterartig  umgeben  und  mündet 
dann  in  einen  Vorraum,  in  dem  das  Sekret,  be- 
vor es  durch  die  Saftlöcher  (Foramina  repugna- 
toria)  ausfließt,  gesammelt  wird.  Die  chemische 
Untersuchung  des  Saftes  ergab  bei  Paradesmus 
gracilis,  daß  es  sich  dort  um  Blausäure  handelt 
(Guldensteeden-Egeling). 

Während  man,  wie  erwähnt,  von  äußeren 
Feinden  von  Polydesmus  nichts  Bestimmtes 
weiß,  kennt  man  hingegen  eine  Reihe  von  Para- 
siten, die  ihn  befallen.  Von  Ektoparasiten  sei 
eine  kleine  Milbe  erwähnt,  die  nicht  einmal  die 
Größe  der  Kuppe  einer  Insektennadel  erreicht. 
Das  Tierchen  klammert  sich  an  die  Beine  seines 
Wirtes  fest  und  erscheint  bei  der  Betrachtung  als 
Beulchen.  Von  Entoparasiten  kennt  man  beson- 
ders G  r  e  g  a  r  i  n  e  n ,  die  im  Darmkanal  schmarotzen, 
einige  Nematoden  und  endlich  Mer'mis  (vom 
Rath).  Pflanzliche  Parasiten,  die  das  befallene  Tier 
fast  stets  zugrunde  richten,  sind  die  Schimmelpilze. 

Besonders  interessant  sind  die  Fortpflanzungs- 
erscheinungen, die  ich  mehrfach  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte,  wenn  auch  nicht  lückenlos  in 
ihrem  ganzen  Verlaufe.  Es  liegen  aber  mehrfach 
Beobachtungen  der  Autoren  vor,  so  daß  sich  un- 
gefähr folgendes  Bild  ergibt.  —  Zweimal  im  Jahre 
findet  die  Begattung  statt,  im  Frühling  und  im 
Herbste.  Auch  dieser  Vorgang  spielt  sich  wie 
das  ganze  Leben  des  Tieres  überhaupt  im  Dunkeln 
ab.  —  Wie  wir  erwähnten,  münden  die  männ- 
lichen Geschlechtsdrüsen  an  der  Basis  der  Beine 
des  3.  Segmentes  nach  außen  ohne  einen  Penis 
zu  bilden.  Dagegen  finden  wir  am  7.  Segment 
die  merkwürdigen  Kopulationsfüße,  deren  Samen- 
bläschen vor  der  Begattung  mit  Sperma  gefüllt 
werden  müssen.  Diesen  Vorgang  und  die  darauf 
folgende  Kopulation  schildert  uns  Fabre  mit 
folgenden  Worten:  „Bevor  das  Männchen  zu  einer 
Paarung  schreitet,  erhebt  es  den  vorderen  Teil 
seines  Körpers  und  indem  es  ihn  S-förmig  krümmt, 
nähert  es  das  2.  Segment  (das  3.  Segment!  — 
d.  Verf.)  dem  7.,  d.  h.  es  stellt  eine  Verbindung 
her  zwischen  seinen  Geschlechtsöffnungen  und 
dem  Kopulationsorgane.  Ich  habe  sogar  bei 
Polydesmus,  wo  die  Beobachtung  leichter  ist. 


28 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  2 


den  Augenblick  erfassen  können ,  in  dem  ein 
Spermatröpfchen  aus  jeder  Geschlechtsöft'nung 
austrat  und  alsbald  von  den  Chitinpinselchen  auf- 
genommen wurde,  welche  die  inneren  Aste  der 
Kopulationsfüße  tragen.  Alsdann  dringt  ohne 
Zweifel  das  durch  das  Kürstchen  festgehaltene 
Tröpfchen  durch  die  in  der  Mitte  des  Haarkranzes 
liegende  Öffnung  und  gelangt  so  in  den  darunter- 
liegenden bläschenförmigen  Hohlraum.  Dieser 
Hohlraum  spielt  also  die  Rolle  eines  Recepta- 
culum  seminis.  Nach  diesen  unerläßlichen  Vor- 
bereitungen begibt  sich  das  Männchen  auf  die 
Suche  nach  einem  Weibchen.  Die  Vorbereitungen 
werden  wahrscheinlich  nicht  7,u  jeder  Paarung 
von  neuem  getroffen.  Nach  mehreren  vergeh 
liehen  Versuchen  des  Männchens,  auf  den  Rücken 
des  Weibchens  zu  steigen,  gelingt  dies  schließlich 
doch.  Das  Männchen  ergreift  das  Weibchen  mit 
seinen  Kiefern  beim  Nacken.  Es  kippt  dann  seit- 
lich um  und  läßt  sich  so  herabgleiten,  daß  es 
Bauch  gegen  Bauch  mit  dem  Weibchen  zu  liegen 
kommt.  In  dieser  Stellung  ragt  es  dann  ein 
wenig  über  das  Weibchen  hervor,  sein  Mund  liegt 
über  dem  Nacken  des  Weibchens,  während  dieses 
das  Männchen  mit  seinen  Kiefern  erfaßt.  Der 
Zwischenraum  zwischen  dem  6.  und  7.  Segment 
des  Männchens  schwillt  dann  an,  läßt  den  Apparat, 
den  es  birgt,  hervortreten  und  stellt  ihn  den 
Vulven  gegenüber,  die  endlich  die  Kopulations- 
füße aufnehmen.  Während  dieses  Aktes  ist  das 
Hinterende  des  Körpers  in  vollständiger  Ruhe, 
während  die  Antennen  und  die  den  Kopulations- 
organen benachbarten  Beine  in  fortwährender  Be- 
wegung sich  befinden,  so  daß  man  sich  über  die 
Wichtigkeit  des  Vorganges,  der  sich  da  abspielt, 
nicht  täuschen  kann."  —  Über  die  Dauer  der 
Kopulation  gehen  die  Beobachtungen  auseinander. 
Während  vom  Rath  angibt,  sie  dauere  zwei 
Tage,  sagt  Fahre,  sie  sei  schon  nach  einer 
Viertelstunde  beendet.  Fr  fügt  noch  hinzu :  ,,Peu 
apres  la  Separation  le  male  se  met  ä  la  recherche 
d'une  autre  femelle,  en  meme  temps  sa  premiere 
compagne  est  loin  d'etre  insensible  aux  caresses 
d'un  second  male." 

Nach  etwa  30  Tagen  legt  das  Weibchen  seine 
Fier  ab  und  zwar  in  ein  eigens  zu  diesem  Zwecke 
verfertigtes  kunstvolles  Nestchen,  dessen  Bau  ich 
in  diesem  Frühjahr  beobachtet  habe.  Das  Nest 
hat  etwa  die  Gestalt  eines  Kohlenmeilers,  dem 
oben  ein  zierlicher  Hohlzj'linder  aufgesetzt  ist, 
durch  den  der  Luftwechsel  stattfinden  kann 
(s.  Fig.  3).  Kurz  vor  der  Eiablage  beginnt  das 
Weibchen  mit  dem  Bau.  Es  fertigt  zunächst 
einen  feinen  Ringwall  an,  auf  dem  es  zusammen- 
gerollt liegt  so,  daß  der  Kopf  das  Hinterende  be- 
rührt. Der  Umfang  des  Ringwalles  entspricht  also 
der  Länge  des  Tierchens,  d.  h.  beträgt  ungefähr 
2  cm.  Wenn  man  sich  Zeit  und  Mühe  nimmt, 
das  Bauen  weiter  zu  verfolgen,  so  macht  man 
eine  merkwürdige  Entdeckung.  Das  Hinterende 
des  Tierchens  bleibt  beständig  auf  dem  Ringwall, 
während  Kopf  und  Vorderkörper   die  Umgebung 


des  Nestchens  absuchen.  Das  Weibchen  befühlt 
dabei  mit  seinen  Antennen  lebhaft  das  Material 
und  man  kann  deutlich  wahrnehmen,  wie  es  davon 
mit  dem  Munde  aufnimmt.  Wenn  es  sich  ge- 
nügende Mengen  von  Erde  usf.  einverleibt  hat, 
so  steigt  es  wieder  vollständig  auf  sein  Nestchen 
und  haut  weiter.  Man  sieht  dann  ab  und  zu,  wie 
der  Endahschnitt  des  Enddarmes  zwischen  den 
chitinigen  Analklappen  ausgestülpt  wird  und  wie 
kugelige  Kotbailen  aus  ihm  austreten,  untermischt 
mit  einem  glashellen  Sekret.  Die  Kotballen 
dienen  zum  Nestbau,  während  das  Sekret  den 
Mörtel  darstellt,  der  das  Baumaterial,  die  Erd- 
und  Holzteilchen  in  den  Kotballen,  bindet.  Mit 
der  Lupe  kann  man  deutlich  sehen,  wie  Stück  für 
Stück  dem  Rande  der  Glocke  angefügt  wird,  wie 
das  Tierchen  die  Stelle  des  Bauens  mit  dem  aus- 
gestülpten Enddarm  betupft,  wie  es  diesen  dann 
wieder  zurückzieht,  einige  Male  auf  dem  Nestchen 
herumkreist  und  das  Fertige  mit  den  Antennen 
befühlt,  wie  um  die  Güte  des  Nestes  zu  prüfen. 
Das  genannte  Sekret  wird  aus  einer  Drüse  ab- 
geschieden, die  im  Hinterende  des  Tieres  über 
und  zu  den  Seiten  des  Enddarmes  sich  ausdehnt 
und  vermittels  paariger  Gänge  in  die  Afterhöhle 
mündet.  Meine  Beobachtungen  stimmen  mit 
denen  überein,  die  von  Schlechtendal  über 
den  Nestbau  veröffentlicht  hat.  —  Wenn  das  Nest 
eine  gewisse  Größe,  etwa  7..  der  Höhe  erreicht 
hat,  legt  das  Weibchen  seine  Eier  hinein,  etwa 
100   an    der   Zahl,  was  ^  ^  Stunden    dauert.      Die 


Fig-   3-      ^cst  von  Polydesmus   complanatus.      (Originat) 

Eier  treten  durch  die  Vulven  nach  außen  und 
werden  durch  ein  klebriges  Sekret  zusammen- 
gehalten, das  wahrscheinlich  einer  drüsigen  Masse 
in  den  Vulven  entstammt.  Sicherheit  darüber 
konnte  ich  leider  nicht  erzielen.  Wenn  die  Eier 
abgelegt  sind,  wird  das  Häuschen  geschlossen  und 
durch  den  schon  genannten  Schornstein  gekrönt. 
Den  Bau  dieses  zierlichen  Gebildes  konnte  ich 
nicht  beobachten.  Wird  das  Tierchen  beim  Nest- 
hau oder  der  Eiablage  gestört,  so  zieht  es  sich 
zurück,  um  bald  darauf  wieder  zur  Stelle  seiner 
Tätigkeit  zurückzukehren  und  das  unterbrochene 
Werk  fortzuführen.  Sicherlich  wird  es  dabei 
durch  seinen  Geruchssinn  geleitet,  der  an  die 
Antennen  gebunden  ist.  Eine  Zeitlang  nach  der 
Fertigstellung    des  Nestes    hält  das  Weibchen  hei 


N.  F.  VIII.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


29 


diesem  Wache,  um  es  dann  seinem  Schicksale  zu 
überlassen.  Nach  etwa  12 — 15  Tagen  schUipfen 
die  jungen  Polydesmiden  aus.  Es  sind  kleine 
weiße  Larven  mit  nur  drei  Beinpaaren  und 
7  Segmenten.  Wenn  sie  die  Eihüllen  durchbrochen 
haben,  so  fressen  sie  sich  vermöge  ihrer  kräftigen 
Mandibeln  durch  die  Wand  des  Nestchens  durch, 
um  eine  Zeillang  sich  in  seiner  Nähe  aufzuhalten 
und  dann  ihre  eigenen  Pfade  zu  wandeln.  Bis 
zum  ausgebildeten  Zustande  durchlaufen  die  Tiere 
sieben  vorbereitende  Stadien,  während  welcher 
die  Zahl  der  Segmente  und  Reinpaare  allmählich 
ergänzt  wird.  Die  Kopulationsfüße  kommen  erst 
mit  der  letzten  Häutung  zum  Vorschein.  Die 
neugebildeten  Ringe  schieben  sich  stets  zwischen 
dem  vorletzten  (19.)  und  dem  Analsegment  (20.) 
ein.  —  Wenn  Polydesmus  sich  zur  Häutung 
anschickt,  so  verkriecht  er  sich  in  die  Erde,  macht 
sich  dort  ein  kunstloses  Nestchen  und  verharrt 
darin  lo— 12  Tage  mit  starr  abstehenden  Beinen 
und  vorne  umgeschlagenem  Kopfe  Endlich  wird 
die  Haut  abgestreift.  An  der  Exuvie  kann  man 
alle  Chitiiiteile  erkennen:  die  Ringe,  Beine,  An- 
tennen, Mundwerkzeuge,  Kopulationsfüße,  Vulven, 
die  Auskleidungen  von  Vorder-  und  Enddarm  usw. 
Pliysiologische  Angaben  über  den  Häutungsvor- 
gang verdanken  wir  Verhoefif.  Es  sei  nur  sein 
Autoreferat  darüber  wiedergegeben  (Zool.  Cen- 
tralblatt  1901,  89):  „Betrachten  wir  eine  abgelegte 
Exuvie  mikroskopisch,  so  zeigt  sie  sich  verdünnt 
im  Verhältnis  zum  gewöhnlichen  Hautskelett  und 
dicht  besetzt  mit  Körnern  verschiedener  Größe. 
Diese  Körner  sind  ein  Salz,  das  durch  die  Wirkung 
der  Harnsäure  erzeugt  wird,  indem  dieselbe, 
auf  das  Hautskelett  wirkend,  das  Chitin  nicht, 
wohl  aber  den  Kalk  aufzulösen  vermochte.  Dieser 
Kalk  bildet  die  Innenschicht,  die  Säure  macht 
dieselbe  verschwinden  und  erzeugt  die  Salzkörner. 
Das  Hautskelett  wird  aber  dadurch  so  geschmeidig 
gemacht,  daß  es  von  dem  häutungsbedürftigen 
Tiere  verlassen  werden  kann.  Aus  dem  starren 
Panzer  wird  ein  geschmeidiges  Hemd." 

Dr.  phil.  W.  Effenberger,  Jena. 


Die  Seismometer.  —  Einem  aus  dem  Leser- 
kreise geäußerten  Wunsche  nachkommend  geben 
wir  heute  in  Ergänzung  zu  dem  Aufsatz  von  A. 
Sieberg  über  Erdbeben  (Bd.  VI,  Seite  785)  eine 
Beschreibung  der  Prinzipien,  welche  dem  Bau  der 
Seismometer  zugrunde  liegen,  wobei  wir  uns  den 
lichtvollen  Auseinandersetzungen  anschließen,  wel- 
che Prof  Wiechert  auf  der  Dresdener  Natur- 
forscherversammlung 1907  zu  diesem  Thema  ge- 
geben hat. 

„Die  vollständige  Bestimmung  der  Erdboden- 
bewegungen verlangt  die  Kenntnis  von  drei  Kom- 
ponenten:  zweier  horizontaler  (etwa  Nord-Süd  und 
Ost-West)  und  der  vertikalen  Komponente.  So 
ergibt  sich  eine  natürliche  Scheidung  der  Seismo- 
graphen in  Horizontal-  und  in  Vertikal-Seismo- 
grapheii. 


Die  Seismologen  pflegen  die  schwere  Masse, 
deren  Relativbewegungen  gegen  das  Gestell  durch 
das  Schreibwerk  aufgezeichnet  werden,  die  „sta- 
tionäre Masse"  zu  nennen.  —  Bei  den  Horizontal- 
seismometern  sind  zur  Aufhängung  der  sta- 
tionären Masse  vornehmlich  drei  Prinzipien  in 
Gebrauch  (Fig.  l):  i.  Das  Prinzip  des  verti- 
kalen Pendels.  Die  stationäre  Masse  bildet 
dann  den  Körper  eines  gewöhnlichen,  herabhängen- 
den Pendels.     Je  länger  das  Pendel  gemacht  wird, 


Vertikales  HoiizonUilpendel.  Verkehrtes  Pendel. 

Pendel. 

Fig.    1.     Horizontalseismometer. 


um  SO  empfindlicher  wird  die  Aufhängung,  denn 
um  SO  geringer  wird  die  Kraft,  welche  die  statio- 
näre Masse  bei  Ablenkungen  in  die  Ruhelage  zu- 
rückführt; man  merkt  die  wachsende  Empfindlich- 
keit an  dem  Größerwerden  der  Eigenperiode.  — 
2.  Das  Prinzip  des  Horizontalpendels.  Den- 
ken Sie  sich,  um  dessen  Wesen  einzusehen,  ein 
gewöhnliches  Pendel  mit  recht  kräftiger,  zunächst 
horizontal  gelagerter  Achse.  Nun  werde  die 
Achse  aufgerichtet.  Je  steiler  man  sie  stellt,  um 
so  geringer  wird  die  Kraft,  mit  der  die  Pendelmasse 
in  die  Ruhelage  zurückgeführt  wird,  um  so  größer 
wird  damit  auch  die  Schwingungsperiode.  Schließ- 
lich, wenn  man  die  Achse  hinten  überneigt,  kann 
man  das  Pendel  sogar  labil  machen.  In  der  Praxis 
der  Erdbebenpendel  wird  die  Achse  nahezu  ver- 
tikal gestellt,  um  die  Empfindlichkeit  recht  hoch 
zu  machen ,  so  daß  das  Pendel  in  einer  nahezu 
horizontalen  Ebene  schwingt;  so  erklärt  sich  der 
Name  „Horizontalpendel".  —  3.  Das  Prinzip  des 
„umgekehrten  Pendels".  Hier  ist  das  Pen- 
del sozusagen  auf  den  Kopf  gestellt,  so  daß  es 
zunächst  labil  ist.  Durch  passend  angebrachte 
Paedem  wird  es  dann  stabil  gemacht.  Indem  man 
die  Federkraft  reguliert,  hat  man  es  in  der  Hand, 
die  Eigenperiode,  also  die  Empfindlichkeit,  mehr 
oder  weniger  hoch  zu  legen. 

Bei  Vertikalseismometern  muß  man 
die  stationäre  Masse  von  Federn  tragen  lassen, 
um  die  vertikale  Beweglichkeit  zu  erzielen  (Fig.  2). 
Da  man  die  p-edern  in  der  Regel  nicht  nachgiebig 
genug  machen  kann ,  um  den  Anforderungen  an 
Empfindlichkeit  der  Aufhängung  zu  genügen,  so 
sieht  man    sich  genötigt,    irgend  einen  Kunstgriff 


30 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vni.  Nr.  2 


anzuwenden,  um  die  Empfindlichkeit  zu  erhöhen, 
man  muß  ,,as lasieren".  Das  geschieht  z.  B., 
wenn  man  die  stationäre  Masse  von  der  Feder 
nicht  direkt,  sondern  durch  Vermittlung  eines  hori- 
zontalen Hebels  tragen  läßt.  Die  Achse  des  Hebels 
sitzt  dann  an  einem  Ende  des  Hebels,  das  andere 
trägt  die  stationäre  Masse;  die  Feder  greift  da- 
zwischen an.  Noch  mehr  und  beliebig  hoch  läßt 
sich  die  Empfindlichkeit  steigern,  wenn  der  An- 
griffspunkt der  Feder  nach  unten,  unter  die  Ebene 
durch  Achse  und  Schwerpunkt  gerückt  wird.  Es 
gibt  noch  eine  Reihe  anderer  Methoden  der  Asta- 
sierung,  doch  ist  es  nicht  nötig  und  nicht  angäng- 
lich,  hier  näher  darauf  einzugehen. 

Für  die  Empfindlichkeit  des  Seismo- 
met  ers  ist  die  Empfindlichkeit  der  Aufhängung, 
die  sich  an  der  Höhe  der  Eigenperiode  beurteilen 


Direkte 
Aufhängung. 


Einfacher  Hebel.  Hebel  mit  tiefgelegenem 

Angriffspunkt. 

Fig.  2.     Vertikalseismometer. 


läßt,  noch  nicht  allein  entscheidend.  Offenbar 
kommt  es  noch  darauf  an,  in  welcher  Vergröße- 
rung die  Bewegungen  der  stationären  Masse  auf- 
gezeichnet werden.  Dies  hat  zur  Folge,  daß  für 
die  Empfindlichkeit  eines  Seismometers  2  Größen 
maßgebend  sind.  Als  eine  davon  können  wir  die 
Vergrößerung  annehmen,  in  der  der  Apparat  Erd- 
erschütterungen aufzeichnet,  die  im  Verhältnis  zu 
seiner  Eigenperiode  sehr  schnell  verlaufen.  Ich 
nenne  sie  die  „I  n  d  i  k  a  t  o  r  v  e  r  g  r  ö  ß  e  r  u  n  g"  und 
will  sie  mit  V  bezeichnen.  Bei  Erdbebenbewegun- 
gen, die  langsam  gegenüber  der  Eigenperiode 
verlaufen,  kommt  es  auch  auf  diese  Eigenperiode 
an,  und  zwar  ergibt  die  mathematische  Theorie, 
daß  bei  sehr  langsamen  Erdbodenbewegungen 
die  Größe  der  Aufzeichnungen  proportional  mit 
dem  Produkt  VT'-  ist,  wenn  7"  die  Eigenperiode 
kennzeichnet.  Statt  T-  kann  man  auch  die  Länge 
L  eines  mathematischen  Pendels  nehmen,  welches 
die  gleiche  Eigenperiode  haben  würde,  denn  die 
Länge  eines  solchen  Pendels  ist  proportional  mit 
T-.     Es  gilt  nämlich  die  P'ormel : 


/.: 


47r- 


7'-, 


in  der  g  die  F"allbeschleunigung  bedeutet.  Als 
Maß  für  die  Empfindlichkeit  bei  sehr  langsamen 
Bodenbewegungen  hätten  wir  hiernach  auch  das 
Produkt  VL.  Es  bedeutet  eine  Länge  —  ich  will 
sie  mit  /  bezeichnen  : 

T-=VL 


und  „In  d  i  ka  t  o  r  1  ä  n  ge"  nennen  — ,  die  bei 
Horizontalseismometern  eine  sehr  anschauliche 
Bedeutung  hat:  sie  gibt  die  Länge  eines  einfach 
herabhängenden  Zeigers  an ,  der  bei  Neigungen 
des  Gestelles  eben  dieselben  Ausschläge  geben 
würde  wie  das  Seismometer.  Demgemäß  ist 
7?=  1/206000  /  der  Ausschlag  des  Instrumentes 
für  eine  Bogensekunde  Neigung. 

Ich  möchte  hier  noch  die  Bemerkung  einschal- 
ten ,  daß  ein  jedes  Horizontalseismo- 
meter,  wie  kompliziert  immer  auch 
seine  Ko  nstrukt  ion  sein  mag,  sichdoch 
den  Erdbodenbewegungen  gegenüber 
geradeso  wie  ein  einfaches  Pendel  von 
der  Länge  L  verhält,  das  einen  Zeiger 
von  der  Länge  /  besitzt  (Fig.  3).  —  Sie 
werden  vielleicht  fragen,    warum    man    dann    die 


=  Pendellänge. 

y   I  ^=  Indikatorlänge. 

^  =    V  ^  Indikatorvergrößerung. 

Achse,  vom  Uhrwerk  gedreht  und 
verschoben. 

Papierband   für  die  Registrierung. 

Spannrolle. 


^n^ 


Fig.  3.     .Schema  der  Horizontalseismographen. 

komplizierten  Konstruktionen  überhaupt  anwendet 
und  nicht  stets  ein  einfaches  Pendel  als  Vorbild 
nimmt.  Darauf  ist  zu  antworten,  daß  dieses  aus 
praktischen  Gründen  nicht  angeht.  Mein  Hori- 
zontalseismograph mit  einer  stationären  Masse 
von  1000  kg  entspricht  in  der  gewöhnlichen  Re- 
gulierung einem  einfachen  Pendel  von  36  Meter 
Länge  mit  einem  Pendelkörper  von  lOOO  kg  und 
einem  Zeiger  von  7200  Meter  Länge.  Sie  werden 
leicht  begreifen,  daß  es  unmöglich  wäre,  ein  sol- 
ches Instrument  herzustellen  und  mit  ihm  zu 
arbeiten,  so  einfach  auch  der  zugrunde  liegende 
mathematische  Gedanke  ist.  Das  Einfache  ist 
eben  nicht  in  allen  Fällen  auch  das  Praktische. 

Sind  V  und  7  oder  —  was  auf  dasselbe  hin- 
ausläuft —  V  und  /,  oder  V  und  E  bekannt,  und 
weiß  man ,  wie  groß  die  Reibung  im  Gehänge 
und  wie  groß  die  Dämpfung  der  Schwingungen 
ist,  so  sind  alle  Daten  beisammen,  um  aus  den 
Ausschlägen  des  Instrumentes  durch  die  Rechnung 
auf  die  Bewegung  des  Bodens  zu  schließen.  Der 
Zusammenhang  wird  durch  eine  Differential- 
gleichung 2.  Ordnung  vermittelt.    Nach  dem  Ge- 


N.  F.  VIII.  Nr.  2 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


31 


sagten  werden  Sie  erkennen,  daß  für  sehr  schnell 
verlaufende  Bodenbewegungen  die  Indikatorver- 
größerung F,  bei  sehr  langsamem  Verlauf  die 
Indikatorlänge  /  entscheidend  ist;  dazwischen 
kommen  beide  Größen  zur  Geltung.  „Schnell" 
und  „langsam"  sind  hier  gegenüber  der  Eigen- 
periode des  Instrumentes  zu  beurteilen.  So  wird 
verständlich ,  daß  je  nach  der  Lage  der  Eigen- 
periode das  Instrument  mehr  die  kleinen  Perioden 
in  dem  Erdbeben  oder  mehr  die  großen  bevor- 
zugt. Schwingt  das  Instrument  ungedämpft,  und 
liegt  seine  Eigenperiode  im  Bereich  der  Perioden 
bei  dem  Erdbeben,  so  wird  es  durch  Resonanz 
besonders  stark  auf  seine  Eigenperiode  reagieren. 
Das  erhöht  zwar  unter  Umständen  sehr  seine 
Empfindlichkeit,  ist  aber  höchst  störend,  wenn  ein 
klares  Urteil  über  den  Verlauf  der  Erderschütte- 
rungen gewünscht  wird,  denn  das  übermächtige 
Auftreten  der  Eigenperiode  läßt  nichts  anderes 
deutlich  zur  Geltung  kommen.  Die  Instrumente, 
welche  zum  Studium  der  Erdbebenwellen 
dienen  sollen,  müssen  daher  eine  starke  Dämpfung 
erhalten,  wenn  man  nicht  die  Periode  sehr  hoch 
(i  Minute  und  darüber)  oder  sehr  niedrig  (i  Se- 
kunde und  darunter)  legen  kann,  was  meist  aus 
technischen  Schwierigkeiten  nicht  angängig  ist.  — 

Ich  sagte  vorhin,  daß  die  Registrierung  der 
Erdbebenwellen  sehr  hohe  instrumentelle  Anfor- 
derungen stellt.  Dies  wird  hervortreten,  wenn 
ich  nun  einige  Angaben  über  die  Empfindlichkeit 
der  Instrumente  mache,  die  für  den  praktischen 
Gebrauch  in  Betracht  kommen. 

Handelt  es  sich  um  die  Aufzeichnung  der 
großen  V\' eltbeben,  so  ist  eine  Neigungsempfind- 
lichkeit £  =  1  mm  für  I  Bogensekunde ,  ent- 
sprechend einer  Indikatorlänge  /  von  200  Meter, 
nur  noch  in  besonderen  F"ällen  hinreichend,  man 
muß  i;  :=:  5  —  50  mm,  entsprechend  /  ^=  1000 
bis  10  000  Meter  erstreben.  Eine  Indikatorver- 
größerung V  von  nur  10  ist  nur  noch  bei  ganz 
großen  oder  verhältnismäßig  nahen  Beben  zu- 
reichend, man  muß  50  oder  lOO  oder  200  erstre- 
ben. In  den  kleinen  Erdbeben,  wie  sie  in  Mittel- 
europa auftreten,  zeigen  sich  hauptsächlich  sehr 
kurze  Perioden  (höchstens  ein  paar  Sekunden)  und 
sehr  geringe  Bewegungen.  Will  man  diese  in 
einigen  Hundert  Kilometer  Entfernung  noch  re- 
gistrieren, so  findet  man,  daß  selbst  eine  200  fache 
Vergrößerung  noch  wenig  befriedigend  oder  ganz 
ungenügend  ist.  Ich  habe  deshalb  in  Göttingen 
für  diese  Erdbeben  noch  ein  besonderes  Instrument 
aufgestellt,  das  2100  mal  vergrößert." 

Natürlich  ist  bei  photographischer  Registrierung 
die  Erzielung  hoher  Empfindlichkeit  sehr  viel 
leichter  zu  erreichen,  als  bei  mechanischer,  da  der 
Lichtstrahl,  auch  wenn  er  noch  so  lang  ist,  nichts 
wiegt  und  beim  Auftreffen  auf  photographisches 
Papier  keine  Reibung  erzeugt.  Ein  photographieren- 
des  Horizontalpendel  kann  daher  in  kleinen  Di- 
mensionen und  im  Gewicht  von  20 — lOO  Gramm 
hergestellt  werden;  nur  stellt  sich  der  Betrieb  sehr 
teuer    und    daher    bleibt    man    auf    den    meisten 


Stationen  auf  die  mechanische  Registrierung  an- 
gewiesen, bei  der  zur  sicheren  Überwindung  der 
Reibungen  die  stationäre  Masse  sehr  groß  gemacht 
werden  muß.  Die  Wiechert'schen  Pendel  haben 
Massen  von  1000  kg  bzw.  17000  kg.  Die  letztere, 
gewaltige  Masse,  welche  durch  einen  mit  Schwer- 
spat gefüllten  Eisenzylinder  von  2  m  Höhe  und 
2  m  Durchmesser  dargestellt  wird,  gehört  zu  dem 
oben  erwähnten  Instrument  mit  2 100  maliger  Ver- 
größerung. Mit  diesem  Instrument  konnte  aber 
auch  z.  B.  am  16.  September  1906  die  Explosion 
eines  Forts  in  Besangon  zu  Göttingen  deutlich 
wahrgenommen  werden  und  die  Maschinen  des 
Göttinger  Elektrizitätswerkes ,  das  2  V2  ^^  von 
der  Erdbebenwarte  entfernt  liegt,  bedingen  eine 
feine  Wellung  der  Seismogramme,  vermöge  deren 
der  Betrieb  des  Elektrizitätswerkes  genau  kontrol- 
liert werden  kann.  Selbst  in  den  unterirdischen 
Befestigungen  der  Insel  Helgoland,  wo  das  Instru- 
ment zeitweilig  aufgestellt  war  und  eine  sonst 
nirgends  erreichbare  Ruhe  zeigte,  traten  doch  hin 
und  wieder  nervöse  Zuckungen  des  Lichtpunktes 
und  fortwährende  leichte  Bewegungen  auf. 

Bis  Mitte  1907  gab  es  auf  der  Erde  im  ganzen 
126  Stationen  mit  registrierenden  Erdbebenmessern. 
Fast  die  Hälfte  davon  entfällt  auf  das  über  die 
ganze  Erde  ausgedehnte  englische  Netz.  Deutsch- 
land hat  15  inländische  Stationen,  denen  sich 
neuerdings  je  eine  in  Apia  (Samoa-Inseln),  Dar- 
es  -  salam  und  Kiautschau  zugesellt  hat.  Die 
meisten  Stationen  sind  mit  Horizontalpendeln  aus- 
gestattet, während  die  Zahl  der  Vertikalseismo- 
meter  noch  sehr  gering  ist.  —  Mit  Hilfe  der 
Potsdamer,  in  25  m  Tiefe  unter  dem  Erdboden 
aufgestellten  Horizontalpendel  hat  O.  Heck  er 
kürzlich  auch  die  Deformationen  des  Erdkörpers 
unter  dem  Einfluß  von  Sonne  und  Mond  sehr 
deutlich  nachweisen  können.  Aus  dem  Betrage 
dieser  Gezeitenerscheinung  am  festen  Erdkörper 
ergibt  sich,  daß  diesem  etwa  die  Starrheit  des 
Stahles  zukommt.  Kbr. 


Bücherbesprechungen. 

Otto  zur  Strassen,    Die  neuere  Tierpsycho- 
logie.   Vortrag  in  der  zweiten  allgemeinen  Sitzung 
der   79.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und 
Ärzte  zu  Dresden.     Druck  und  Verlag    von    B.  G. 
Teubner,  Leipzig  und  Berlin,   1908. 
Der    Verfasser    macht    uns    in    geschickter    Weise 
mit    den    verbreitetLten  Anschauungen    der  modernen 
Tierpsychologie  bekannt.     Als  Vertreter    des    psycho- 
physischen  Parallelismus  behandelt    er  in  erster  Linie 
das  rein  ins  Gebiet  der  Physik  und  Chemie  fallende 
Problem  des    tierischen  Bewegungsmechanismus,    erst 
ganz  am  Schlüsse  spricht  er  sich  über  die  Zuordnung 
des    Psychischen     aus.       Das     für    alle    Wissenschaft 
obligatorische    Prinzip    der    Ökonomie  veranlaßt    ihn, 
nicht  nur  dem  Menschen,    sondern  auch  den  Tieren 
ein  Bewußtsein  zuzuschreiben.     Bis  zu  welcher  Stufe 


N.itur\vissonsoluirtlk"ho  WooluMischrift. 


\.   K.   VUI    Nr 


iti  der  Tierreihe    er   die    F.iiilegung   des  Psychischen 
ausgodohnt  wissen  will,  erfahren  wir  nicht. 

Ansicrsbach. 


Sammlung  naturwissenschaftlich  pädagogischer 
Abhandlungen.  Hor.iusgegeben  von  Trof.  Dr. 
l\  Sohnicil  in  M.irlnirg  ;\.  l,.  und  Trof.  Or.  W. 
B.  Schmidt  in  l.eip/ig,  /.weiter  Hand.  Mit  .\b- 
hildungen  im  Texte.  Leiprig  und  Berlin.  Druck 
und  Verlag  von  B.  G.  Teubner,  looS.  —  Preis 
13  Mk. 

Der  umfangreiche  Rmd,  der  eine  reiche  (Quelle 
nicht  nur  fvir  die  Methodik  des  Unterrichts  ist.  son- 
dern auch  viel  .tweckdienliches  L'nterrichtsniaterial 
bringt.  enthSlt  die  folgenden  Abhandlungen : 

1.  Die  Bedeutung  des  F.xpcr:mentes  tiir  den  Ihiter- 
richt  in  der  Chemie  (von  M.  Wehner"!,  11.  Sind  Tiere 
und  rtlan^en  beseelt?  Lehrstort"  für  den  Unterricht 
in  Prima  im  Anschluß  an  die  philosophische  Propä- 
deutik (^F.  HiiokK  111.  Beiträge  lur  Metliodik  des 
botanischen  l'nterrichts  ^F.  Schleichertl,  IV.  Der  dy- 
niuuologische  1  ehrg-ang.  Versuch  einer  geschlossenen 
Naturkunde  ^K..  Renuisl,  V.  Beiträge  zur  Geschichte 
und  Methode  des  chemischen  Unterrichts  in  der 
Volksschule  ^^R.  Böttgert.  VI.  Die  meteorologischen 
Elemente  und  ihre  Beobachtung  mit  Ausblicken  auf 
Witterungskunde  und  Klimalehre.  Unterlagen  tür 
schulgemäiSe  Behandlung  sowie  nun  Selbstunterricht 
l^O.  Meit.Mier\  Vll.  Der  Lehrplan  tur  den  Unterricht 
in  Xaturkur.de,  historisch  und  kritisch  betrachtet 
(^P.  HenklerK  \"1U.  Ph\-siologie  und  Anatomie  des 
Menschen  nüt  Ausblicken  auf  den  ganzen  Kreis  der 
Wirbeltiere  in  methodischer  Behandlung  (^F.  Kienitz- 
Gerloftl 


Anregungen  und  Antworten. 

Herrn  W.  Z.  u\  B.  —  i.  Oie  wicliügslen  Werke  über 
Pflantenbiologie  siuJ  folgende.  .-Vn  erster  S'.cUe  muli 
Siels  das  kUissische  Werk  A.  von  Kerner"s  genannt  »erden: 
Ptlantcnicben  :  1  Bde.  Leipiig  iSoo — ot  (antiq,  clw.i  15  Mk.V  — 
Zur  F.inluhrung  in  d»s  Studium  dieses  Wissenscliatlsiweiges 
sind  folgende  Lehrbüelier  craptehlenswerl :  Fr.  Ludwig, 
Lelirbuoh  der  Biologie  der  Prtanien  (Stuttgart  1805);  und 
J.  Wiesner,  Biologie  der  Pflanien  ^W\en  1SS9  und  1902, 
2,  .-Kutl. ;  bildet  Bd.  HI  von  desselben  Verf.  Elemente  der 
\vissenscliat\liolien  Botanik ;  mit  vielen  l.iter.itunitalenl ;  ferner 
W.  M  i  g  u  1  a,  riUnienbiologie  1  t^uelle  v"ic  Meyer,  Leipzig  ;  S  Mk.). 
—  Ein  g.mt  ausgeicichneles  Werk  über  Biologie  der  Blüten  ist: 
E,  L  o  e  w .  Einführung  in  die  Blütenbiologie  auf  historischer 
Grundlage  ^Berlin,  K.  Dümmlers  Verl.  lS95'>;  dieses  ist  un- 
entbehrlich tvir  jeden,  der  speziell  in  dieses  reich  entwickelte 
Gebiet  eindringen  will.  Derselbe  Verl",  tchrivb:  Blütenbio- 
logische   Kloristik    d,  miulcrcn  und  nördlichen  Eurojxx  ^Stult- 


gatt  18041,  und  in  IVlonio's  Naturvv.  Wochenschrift  iSSo  eine 
„.Vnleitnng  «u  bliitenbiologischen  Beobachtungen",  die  jeder 
lesen  muB.  der  selbst  solche  Studien  treiben  will.  Ein 
kleineres  Werk  über  Blütenbiologie  ist:  R.  Knulh,  Grund- 
rifi  der  Blütenbiologie  (Kiel  und  Leipzig,  l.ipsius  u,  Tischer, 
1S94I.  K.  Knuth  begrüiulele  das  umt'angreiche,  verdienstvoUo 
Handbuch  der  Blütenbiologie  (4  Bde.,  W.  Engelmann,  Leiptig, 
iSoS — tooö),  das  nach  seinem  Tode  von  O.  .\ppel  und  E. 
U  o  e  w  vollendet  wurde.  Ein  gutei  .\bschnilt  über  Blüten- 
biologie tindet  sich  in  W.  1.  Behrens,  l.ehibuch  der  .Mlg. 
Botanik,  5.  .Xutl.  iSo4.  Hie  Beziehungen  »wischen  Blumen 
und  Insekten  wird  behandeln:  O.  Kirchner,  Blumen  und 
Insekten  ^wird  1000  bei  reubner-l.eiprig  erscheinen!.  —  Es 
gibt  natürlich  wahllose  -Vbhandhingeu  über  biologische  The- 
mata ;  von  wichtigeren  seien  hier  noch  genannt ;  (.>.  K  i  r  c  h  - 
ner,  Bestäubungseinrichtungen  der  Blüten  (Stuttgart,  1900  — 
IftOl) ;  viele  .\rbeiten  von  K,  G  oebel,  besonders  seine  Pflanzen- 
biologischen  Schilderungen  (Marburg,  iSSo— o,;;  3  Peile; 
etwa  15  Mk.  antiii  V  —  Die  Beziehungen  der  Pflanzen  Mittel- 
europas in  ihrer  l'mgebung  behandelt  das  großangelegte,  im 
Erscheinen  begritVene  Werk :  Kirchner,  L  o  e  w  und 
Schröter,  Lcbensgcschichle  der  Blütenpflanien  Mitteleuropas 
(Stuttgart,  E.  l'lmerV 

i.  Da  die  Blütezeit  tur  jeden  Ort  eines  größeren  Gebietes 
wie  Deutschland  sehr  verschieden  ist.  so  ist  es  schwierig, 
tur  ein  so  großes  llebict  einen  sog,  B 1  ü  t  e  n  k  a  1  e  n  d  e  r  auf- 
zustellen, d.  h.  ein  chronologisches  Verzeichnis,  in  dem  die 
Pflanzen  nach  ihrer  BUihperiode,  dem  Beginn  und  l'nde  ihres 
Blühens  angeordnet  sind  (E.  Beiche,  Blütenkaleuder  der 
deutschen  Phaaerogamenllora,  J  Bde.,  1S73.  3Mk.l  Dagegen 
kann  man  recht  wohl  für  einen  einzelnen  Bezirk  die  verschie- 
denen Phasen  des  Blühens  durch  jahrelange  Beobachtungen 
ermitteln  und  einen  gewissen  konstanten  .Mi ttel t ermin  lur 
einen  bestimmten  Beobaehtungsort  festlegen.  Der  Blüten- 
kalender wird  lur  jeden  Ort  ein  anderer  sein  (z.  B.  L. 
Beisse  nberger,  Beitrag  tu  einem  Kalender  der  Elora  von 
llermannsladt,  in  .\rohiv  för  Siebenbürgische  Landeskunde,  N. 
K.  XXVI,  1S95.  ^-  57^^-  "•  Hoffmann  hat  liir  Gießen  die 
Mittelwerte  der  Hauptphasen  von  über  lioo  Prtanzenarten 
in  alphabetischer  .\nordnung  der  .Vrten  mitgeteilt  (Berichte 
der  Deutsch.  Bot.  Gesellschalt  IV  iiSSo]  p.  JiSo— 300I.  E. 
Gohn  schildert  ^Dic  Pflanze,  1SS2,  S.  142)  einen  Pflanzen- 
kalender liir  Breslau  (vgl.  Ludwig,  Lehrbuch  der  Biologie 
der  Pflanze,  S.  147V  —  Man  bezeichnet  die  Wissenschaft,  die 
sieh  mit  der  zeitliehen  Entwicklung  des  Pflanzenlebens  im 
Laufe  eines  Jahres  (vornehiulich  mit  der  Belaubung,  dem  .\uf- 
blühen,  der  Eruchtreife,  der  Laubvert^rbung,  dem  Laubfall^ 
und  ihrer  Beziehung  zum  Klima  beschäftigt,  als  P  h  ä  n  o  1  o  g  i  e. 
Untersuchungen  dieser  .\rt  gehen  bis  auf  Linne  zurück.  In 
seiner  ,,Philosophia  botanica"  1,1751!  findet  man  p.  2'2  einen 
Blütenkaleuder  für  l'psala  (beginnt  mit  17  -Vpril:  Hepatica). 
Ein  eifriger  Förderer  phänologischer  Bcoliachtungen  aus 
neuerer  Zeit  ist  besonders  11.  Hoffmann  in  Gießen  gewesen 
(vgl,  seine  ,,Phänologischen  Mitteilungen"  in  den  „Berichten 
der  Oberhessischen  Gesellschaft  lur  Xatur-  und  Heilkunde" 
und  von  1000  an  in  den  „.Abhandlungen  der  Naturforschen- 
den Gesellschall  in  Nürnberg"!.  Seine  Studien  wurden  auf- 
genommen und  fortge>etzt  von  Ihne  (vgl,  dessen  Geschichte 
der  phänologischen  Beobachtungen,  in  H  o  f  f  m  a  n  n  und  Ihne, 
Beitr;ige  zur  Phänologie.  Gießen  1SS4!.  Drude  (Deutschlands 
Pflanzengeographie.  Stuttgart  1S95!,  Knuth  (für  Holstein) 
u.  a.  Ihne  l<at  tur  bestmimte  Gebiete  Kärtchen  entwott'en, 
die  sich  auf  Fragen  der  klimatographischen  Phänologie  be- 
ziehen, so  z.  B.  eine  des  Frühlingseinzugs  in  Europa  (in  Peter- 
maim's  Mitteilungen  1905;  abgedruckt  .luch  in  .Meyer's  Kon- 
vcisatiouslexikon  6.  .\ui',.   X\     .  11.   Ilarms. 


Inhaltt  Prof,  .\,  P  ü  1 1  e  r  ;  „Die  Ernährung  der  Wassertiere"  und  „der  Sloffhaushalt  des  Meeres".  —  Kleinere  Mitteilungen: 
ll'almac  Sander;  Irrlichter.  —  Dr.  phil.  W.  E  ffenbergcr;  Biologische  Beobachtungen  ;ui  einem  deutschen  Myria- 
poden,  Polydesmus  complanatus.  —  Prof.  Wiechert;  Seismomeier.  —  Büclierbesprechungen :  Otto  zi:r  Strassen: 
Die  neuere  Tierpsychologie,  —  S;immlung  n.Uurwissenschaftlich-pädagogischer  .Abhandlungen.  —  Anregungen  und 
Antworten. 


Verantwortlicher  Redakteur : 


Prot'.  Dr.  11.  Potonie,    Groß-Lachtetielde-West  b.  Berlin.      VcrUig  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  von  Lippert  &  Co.  ^G.  Pätz'sche  Buchdr.),  Naumburg  a.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neur  l-olif   Vlir.   l;uw\ 
Tr  a^n/rii   K«llic    XXIV.   I 


Sonntag,  den  17.  Januar  1909. 


Nur/irfjer  li. 


Die  Salamander  und  die  ursprünglichsten  vierbeinigen  Landwirbeltiere. 


!  Naclidruck  verboten,  j 


Von   Vr.  J.   Vemluy»,   l'fivatrlozirtit  a.  'J.  Univcrtilät  <ii>-li<-ii. 


Noch  nicht  ganz  fünfzig  Jahre  sind  vergangen, 
seit  Darwin  und  Wallacc  uns  ihre  Begrün- 
dung der  Abstammungslehre  gegeben  haben. 
Jetzt  erst  fing  diese  Lehre  an  unsere  Anschauungen 
über  die  lebende  Welt  zu  beherrschen.  Sic  lehrte 
uns,  daß  jeder  Organismus  seine  an  Umbildungen 
oft  reiche  Stammesgeschichtc  hat.  So  wie  die 
Gesamtheit  der  Gesetze  eines  Staates  sich  erst 
verstehen  und  würdigen  läßt,  wenn  man  sich  auf 
geschichtlichen  Hoden  stellt  und  die  Verhältnisse 
und  Bedürfnisse  der  Zeit  berücksichtigt,  in  welcher 
jedes  Gesetz  entstanden  i.st,  so  wird  auch  der 
Körperbau  eines  Tieres  uns  erst  verständlich  sein 
können,  wenn  wir  seine  Bildungsgcschichtc  in  den 
1  lauptzügen  ermittelt  haben.  Vieles  im  Bau  der 
ricre,  was  uns  sonst  befremdend  erscheinen 
müßte,  hat  schon  dadurch  eine  Krklärung  gefunden. 

h.s  hat  sich  denn  auch  seit  der  .Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  eine  Keihc  hervorragender 
Forscher  darum  bemüht,  den  Bau  des  men.sch- 
lichen  Körpers,  seine  F!,ntwicklung  und  seine 
individuellen  Abweichungen  aus  der  Vergangen- 
heit zu  erklären.  Dieses  Streben  führte  zur  Auf- 
stellung einer  Reihe  von  hypothetischen  .Stamm- 
formen, deren  Bau  sich  demjenigen  bekannter 
Tiere  mehr  oder  weniger  genau  anschloß.  Man 
hat  versucht,  den  Bau  unserer  Stammformen  bis 
in    die  weiteste  Vergangenheit   zu    rekonstruieren. 

Schien  auch  die  Lösung  dieses  Problems  im 
.Anfang  nicht  sehr  schwierig,  so  hat  doch  eine 
mehr  eingehende  I'rüfung  gezeigt,  daß  wir  von 
der  endgültigen  Beantwortung  vieler  Fragen  noch 
weit  entfernt  sind,  (jar  zu  viele  wichtige  Tier- 
formen sind  ausgestorben  und  uns  entweder  nicht 
oder  nur  unvollständig  als  I""ossiIien  bekannt.  F^s 
bleiben  große  Lücken  im  Stammbaum  der  Wirbel- 
tiere, zu  deren  Ausfüllung  die  Tatsachen  nicht 
ausreichen.  Da  kann  man  vorläufig  nur  durch 
hypothetische  F'ormen  den  .Stammbaum  ergänzen, 
dadurch  die  verschiedenen  Möglichkeiten  be- 
leuchten und  Anhaltspunkte  finden  für  neue 
Untersuchungen. 

Es  hat  nun  in  der  Entstehungsgeschichte  der 
höheren  Wirbeltiere  eine  sehr  wichtige  Zeit  ge- 
geben, da  unsere  Stammformen  vom  Wasserleben 
zum  Leben  auf  dem  Lande  übergegangen  sind. 
Da  wurde  der  Bauplan  ausgebildet,  der  den  Aus- 
gang gegeben  hat  für  die  Organisation  aller 
höheren  Landwirbeltiere.  Manches  schwierige 
Problem  würde  bei  Kenntnis  dieses  Bauplans 
seiner  Lösung  näher  gebracht  werden.  Es  ist 
eine  unserer  wichtigsten  Aufgaben  den  Bau  dieser 
ersten  vierbeinigen  I^ndwirbeltiere ,  der  ersten 
Tetrapoden,   zu  ermitteln. 


Vergleichende  Anatomen,  F^mbryologen  und 
Zoologen  haben  sich  denn  auch  vielfach  dem 
.Studium  jener  lebenden  'I'icrc  zugewendet,  welche 
den  ersten  Ictrapoden  am  näch-Stcn  stehen.  Das 
sind  die  Amphibien. 

Dabei  hat  man  im  Anfang  bei  stammes- 
gcschichtlichen  Untersuchungen  ziemlich  allgemein 
angenommen,  daß  unter  den  lebenden  Amphibien 
die  Salamander  oder  Sc;hwanzlurche  jenen  ältesten 
Tetrapoden  so  nahe  ständen,  daß  sie  selbst  wohl 
als  Ausgangspunkt  für  den  Bau  aller  anderen 
Land  Wirbeltiere,  besonders  auch  der  Säugetiere, 
gelten  dürften.  Dieser  Standpunkt  hat  viele 
Untersuchungen  beherrscht.  Ist  er  nicht  richtig, 
dann  ist  Nachprüfung  in  mancher  FVage  erwünscht. 
Darin  liegt  die  große  Bedeutung  einer  richtigen 
Beurteilung  der  Organisation  der  Schwanzlurche. 
Ihre  Ähnlichkeit  mit  den  ersten  Tetrapoden  abzu- 
wägen, ihren  Charakter  als  ursprüngliche  Tiere  zu 
prüfen,  das  ist  eine  wichtige  Aufgabe. 

.Meine  eigene  Meinung  geht  dahin,  daß  die 
.Salamander  in  mancher  Hin.sicht  umgebildete 
Tiere  sind,  die  weder  den  ersten  'Tetrapoden  noch 
den  .Stammformen  der  Reptilien  und  Säugetiere 
in  jeder  Hinsicht  nahe  stehen.  Bei  ihnen  auf- 
tretende Organisationszustände  dürfen  erst  nach 
sorgfältiger  Prüfung  als  Ausgangspunkt  für  die 
Zustände   höherer   Wirbeltiere  verwertet   werden. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  möchte  ich  hier 
einige  Betrachtungen  über  die  Organisation  der 
Schwanzlurche  oder  Salamander  geben.  Dabei 
gliedert  sich  das  'Thema  in  zwei  Abschnitte. 

F,rstens  gibt  es  unter  den  .Salamandern  einige 
Arten,  die  F'Lschlurche,  welche  so  vollständig 
Wassertiere  sind  und  einen  so  einfachen  Bau  auf- 
weisen, daß  sie  namentlich  früher  als  sehr  ur- 
sprüngliche Tiere  betrachtet  wurden,  welche  den 
Fischen  noch  sehr  nahe  ständen.  Dies  muß  erst 
geprüft  werden,  denn  wäre  es  richtig,  so  brauchten 
wir  den  Grundplan  der  ersten  I^ndwirbeltiere 
nicht  weiter  zu  suchen;  er  wäre  uns  in  jenen 
Arten  gegeben. 

Wir  werden  sehen,  daß  diese  Ansicht  nicht 
richtig  ist.  Die  zweite  Aufgabe  meiner  Aus- 
führungen wird  es  sein,  darzulegen,  daß  auch  die 
typischen  Salamander,  die  Salamandrinen,  in 
mancher  Hinsicht    umgebildete    'Tetrapoden    sind. 

F'angen  wir  mit  den  Fischlurchen  an, 

.Man  unterscheidet  dabei  zwei  kleine  Gruppen 
von  Arten,  die  Kiemenlurche  oder  Perenni- 
branchiata  und  die  JJerotremen.  Erstere  ver- 
danken ihren  Namen  dem  Besitze  von  äußeren 
Kiemen,  welche  in  einem  Büschel  auf  beiden 
-Seiten  hinter  dem  Kopfe  hervorragen  ^Fig.  i;.    Es 


34 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  3 


gehört  dazu  der  ziemlich  bekannte  01m  oder 
Proteus,  der  in  einigen  Höhlenseen  Östeireichs 
lebt,  dann  Necturus  und  die  Armmolche  S i r e n 
und  Pseudobranchus,  alle  aus  Nord- Amerika. 
Erst  1894  wurde  dann  in  Texas  noch  eine  fünfte 
Gattung  der  Kiemenmolche  entdeckt,  Typhlo- 
molge  rathbuni,  die  wie  der  01m  unterirdisch 
lebt.  Alle  bekannten  Exemplare  der  Typhlo- 
molge,  etwa  ein  Dutzend,  wurden  merkwürdiger- 
weise mit  dem  Wasser  eines  188  Fuß  tiefen 
artesischen  Brunnens  lebend  heraufbefördert.  Die 
Figur  1  bringt  eine  Abbildung  dieser  noch  nicht 
allgemein  bekannten  Art. 


Fig.   I.    'I'y  p  h  lo  m  olge  rathbuni,  nach  Black  ford 
,,Nature":   ^j^   nat.   Größe. 


Fig.  2.     Amphiuma  means,  Aalmolch,  nach  Brehm's 
Tierleben;    '/a  nat.  Größe.     Der  dunkle  Fleck  etwas  nach 
vorne   vom  Vorderbeine  ist  der  Kicmenspalt,   der  hier  zeit- 
lebens offen  bleibt. 

Den  typischen  Salamandern  oder  Salamandrinen 
etwas  ähnlicher  sind  die  Derotremen.  Dazu  ge- 
hören der  japanische  Riesensalamander  (Mega- 
lobatrachus),  der  Hellbender  (Crypto- 
branchus  oder  Menopoma)  und  der  in 
Figur  2  abgebildete  Aalmolch  (Amphiuma). 

Es  seien  nun  zuerst  einige  Merkmale  der 
Kiemenlurche  und  Derotremen  hervorgehoben, 
welche  als  ursprünglich  gedeutet  worden  sind, 
indem  diese  Tiere  hierin  eine  von  den  Fischen 
zu  den  Salamandrinen  hinüberleitende  Organisation 
zeigen  sollten. 

Erstens  besitzen  alle  Fischlurche,  mit  alleiniger 
Ausnahme  des  Riesensalamanders,  zeitlebens  offene 
Kiemenspalten    wie  die  Fische  (vgl.  Fig.  2).      Bei 


den  übrigen  Amphibien,  auch  bei  den  Salaman- 
drinen. kommen  offene  Kiemenspalten  nur  den 
Larven  zu ;  bei  den  Reptilien,  Vögeln  und  Säugern 
treten  dieselben  nur  während  der  Entwicklung 
auf.  In  der  Kiemenregion  liegen  bei  allen  Fischen 
einige  aus  Knorpel  oder  Knochen  bestehende 
paarige  Skeletspangen,  die  Kiemenbogen ;  es  sind 
wenigstens  5  solche  Spangen  beiderseits  vorhan- 
den. Die  Salamandrinen  besitzen  nur  2  solche 
Bogen.  Bei  den  Fischlurchen  sind  sowohl  4  wie 
3  und  2  Bogen  gefunden  worden,  also  Zahlen, 
welche  von  den  Fischen  zu  den  Salamandrinen 
überleiten. 

Einen  ähnlichen  Übergang  zeigen  nach 
C.  Rabl  die  Gliedmaßen.  Es  sollen  die 
Fischlurche  besonders  in  der  geringen 
Zahl  ihrer  Zehen  (es  gibt  Arten  mit  nur 
2  und  3  Zehen)  Zustände  darbieten,  welche 
von  den  Flossen  der  Lungenfische  zu  den 
4-  und  5 -zehigen  Füßen  der  Salamandrinen 
^  ,         überleiten. 

Auch  das  Geruchsorgan  einiger  Kiemen- 
TfT-  molche    zeigt    einen    sehr   einfachen  Bau. 

=^~  Namentlich    fehlt     beim    Olm     und     bei 

~  Necturus  ein  Jacobson'sches  Organ,  die- 

ses rätselhafte  Nebensinnesorgan  der  Nasen- 
höhle, welches  den  anderenSchwanzlurchen 
zukommt,    allen    Fischen   aber    fehlt    und 
welches  sich,  soweit  jetzt  ersichtlich,  erst  bei  den 
Stammformen  der  Landwirbeltiere  entwickelt  haben 
muß. 

Da  die  Tatsachen  darauf  hinweisen,  daß  Larven 
oft  ursprünglichere  Verhältnisse  aufweisen  als  die 
erwachsenen  Tiere,  so  war  es  wichtig,  als  für  ver- 
schiedene Organe  der  Fischlurche  nachgewiesen 
wurde,  daß  ihr  Bau  demjenigen  der  Larven  der 
Salamandrinen  ähnlich  ist.  Dies  konnte  damals 
nur  als  ein  Zeichen  der  primitiven  Organisation 
der  Fischlurche  gedeutet  werden. 

Wir  sehen  aus  diesen  Beispielen,  die  ich  noch 
vermehren  könnte,  daß  die  Fischlurche  wirklich 
im  Bau  verschiedener  Organe  sich  mehr  als  die 
Salamandrinen  den  F"ischen  nähern.  Und  es  ist 
sehr  erklärlich,  daß  im  Anfang  der  von  der  Ab- 
stammungslehre beherrschten  Untersuchungs- 
periode den  Fischlurchen  eine  sehr  tiefe  Stellung 
im  Stammbaum  der  Tetrapoden  zugewiesen  wurde ; 
diese  Auffassung  schien  sehr  gut  begründet. 

Und  dennoch  kommt  diese  tiefe  Stellung  im 
System  den  Fischlurchen  nicht  zu.  Die  Fisch- 
lurche sind  nicht  die  ursprünglichsten  Salamander, 
welche  auf  niedrigerer  Entwicklungshöhe  stehen 
geblieben  sind,  während  die  typischen  Salamander 
eine  höhere  Entwicklungsstufe  erreichten  und  jetzt 
nur  noch  als  Larven  das  ursprüngliche  Fisch- 
lurchstadium  durchleben.  Die  sehr  große  Ähn- 
lichkeit namentlich  der  Kiemenlurche  mit  den 
Salamanderlarven  ist  nur  eine  Folge  davon,  daß 
erstere  auch  Larven  sind,  aber  Larven,  die  sich 
nicht  mehr,  wie  ihre  Stammformen  das  getan 
haben  müssen,  zu  vollkommenen  Salamandriden 
entwickeln.      Der    Übergang    der   Larve    zum    er- 


N.  F.  VIII.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


35 


wachsenen  Salamander,  die  Verwandlung  oder 
Metamorphose,  ist  bei  ihnen  unvollständig  ge- 
worden oder  unterbleibt  gänzlich. 

Boas  hat  zuerst  betont,  daß  die  Kiemenlurche 
Salamandcrlarven  sind,  welche  die  Fähigkeit,  sich 
umzuwandeln,  verloren  haben,  aber  dennoch  ge- 
schlechtsreif wurden  und  sich  dann  im  Laufe  der 
Zeit  in  Anpassung  an  ihr  beständiges  VVasserleben 
in  mehrfacher  Hinsicht  umbildeten.  Die  Dero- 
tremen  sind  nach  Boas  Salamander,  die  im 
Übergangsstadium  von  der  Larve  zum  Erwachsenen, 
also  in  der  Verwandlung,    stehen    geblieben    sind. 

Der  Gedankengang  der  von  Boas  gegebenen 
Beweisführung  ist  etwa  folgender; 

Während  die  erwachsenen  Salamander  nach 
dem  Grundplan  eines  Landtieres  gebaut  sind, 
leben  ihre  Larven  im  Wasser  und  haben  sich  im 


An  einem  Beispiele,  welches  ich  Unter- 
suchungen von  Boas  entlehne,  möchte  ich  dies 
erläutern. 

Die  erwachsenen  Salamander  atmen  durch 
Lungen,  wenigstens  soweit  nicht  Verkümmerung 
derselben  eingetreten  ist.  Die  gut  entwickelten 
Lungenarterien  (Fig.  3A:  4  und  /)  führen  den 
Lungen  aus  dem  Herzen  (durch  den  aus  letzterem 
hervorgehenden  Arterienstamm  st)  sauerstoffarmes 
Blut  zu,  welches  in  den  Lungen  aus  der  Luft 
Sauerstoff  aufnimmt.  Der  Salamanderzustand 
schließt  an  denjenigen  der  Lungenfische,  beson- 
ders Ceratodus,  an  und  dürfte  demjenigen  der 
Stammformen      der     Tetrapoden      nahe      stehen. 


Fig.  3.     Arterienbogen  der  Salamander,  schematisch,  aus  Boas,  Lehrbuch  der  Zoologie,  4.   Auflage. 

A  erwachsenes  Tier,    B  Larve,    ao  Aorta,    br  Kieme    (abgeschnitten,    am    zweiten    und    dritten  Bogen  fortgelassen ;    der    vierte 

Bogen  hat  keine   Kieme),    ca   Kopfarterie,   /  Lungenarterie,    sl  aus   dem   Herzen  nach   vorne   führender  Arterienstamm; 

I  — ''   erster,  2 — 2'   zweiter,    3  —  3'   dritter,   4 — 4'   vierter  Arterienbogen;    la — 3«  erste  bis   dritte  zuführende   Kiemenarterie; 

ib—Z/i    erste    bis    dritte    abführende    Kiemenarterie.      Das  Blut  strömt    vom   Herzen    durch   das  Gefäß  st  und   die   Arterienbogen 

(1-3   Fig.  A)  oder  die  zu-  und   abführenden   Kiemengefäße   (1(7-30  und  id—zb  Fig.  B)  zur  großen  Körperarterie,   zur  AorV^iio. 


Laufe  der  Zeit  dem  Wasserleben  immer  mehr 
angepaßt.  So  haben  sie  Unterschiede  gegenüber 
den  erwachsenen  Tieren  erworben,  welche  bei 
der  Verwandlung  ausgeglichen  werden.  Es  haben 
sich  larvale  Organisationszustände  ausgebildet, 
von  denen  sich  nachweisen  läßt,  daß  sie  keine 
ursprünglichen  sind  und  daß  sie  den  erwachsenen 
Stammformen  der  Salamander  nicht  zukamen. 

Es  zeigen  nun  die  Fischlurche  auch  solche 
larvale  Anpassungen;  ja,  diese  Anpassungen  gehen 
noch  weiter.  Es  bleiben  die  Tiere  ja  zeitlebens 
Wasserbewohner,  es  entwickelt  sich  aus  ihnen 
kein  Landtier  mehr.  Und  dadurch  ist  es  möglich 
geworden,  daß  einige  Organe  Llmbildungen  zeigen, 
welche  derart  sind,  daß  sich  niemals  mehr  ein 
erwachsener,  landbewohnender  Salamander  aus 
ihnen  entwickeln  könnte.  Die  Anlage  des  Baues 
der  erwachsenen  Salamander,  die  den  Larven 
immer  zukommen  muß,  zeigt  bei  den  Fisch- 
lurchen Verkümmerungen. 


Während  des  Larvenlebens  aber  herrschen  in 
Anpassung  an  das  Wasserleben  andere  Zustände. 
Die  Lungen  funktionieren  dann  nicht  als  Atmungs- 
organe, denn  die  Larven  sind  Wasserbewohner, 
welche  durch  Kiemen  atmen  (Fig.  3  B,  br).  Wenn 
die  Lungen  nun  durch  die  Lungenarterien  (4  und/) 
wie  bei  den  Erwachsenen  sauerstoffarmes  Blut 
zugeführt  bekämen,  so  würde  in  den  Lungen,  da 
jene  noch  nicht  funktionieren ,  Sauerstoffmangel 
eintreten.  Diese  Schwierigkeit,  eine  Folge  des 
Fehlens  einer  Kieme  im  Verlauf  des  4.  Arterien- 
bogens  (Fig.  3B:  4),  ist  durch  eine  Änderung 
des  Kreislaufs  während  des  Larvenlebens  in 
folgender  Weise  beseitigt.  Durch  ein  Verbindungs- 
gefäß jeder  Lungenarierie  mit  einem  der  abführen- 
den Kiemengefäße  (Fig.  3B:  4'  mit  ib)  wird  den 
Lungen  sauerstoffreiches  Blut  aus  einer  der 
äußeren  Kiemen  der  Larve  zugeführt.  Das  Blut 
strömt  also  vom  Herzen  durch  das  Gefäß  3  a  zur 
Kieme    und   dann  durch  3/',  4'  und  /  zur  Lunge. 


36 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  3 


Das  Verbindungsgefäß  4'  kommt  auch  den  er- 
wachsenen Salamandrinen  (Fig.  3  A)  und  dem 
Lungenfisch  Ceratodus  zu,  aber  bei  diesen  Tieren 
strömt  das  Blut  darin  von  der  Lunge  ab,  indem 
ein  kleiner  Teil  des  durch  Gefäß  4  aus  dem 
Herzen  kommenden  Blutes  nicht  durch  p  zur  Lunge, 
sondern  durch  4'  zur  Aorta  geht.  Bei  den  Larven 
folgt  das  Blut  in  Gefäß  4'  nicht  dieser  ursprüng- 
lichen Richtung,  sondern  strömt  der  Lunge  zu. 
Der  Abschnitt  der  Lungenarterien  aber,  der  sich 
vom  Herzen  bis  zu  diesem  Verbindungsgefäß  er- 
streckt (Fig.  3B:  4)  ist  bei  den  Larven  sehr  zart, 
so  daß  nur  sehr  wenig  oder  kein  sauerstoffarmes 
Blut  aus  dem  Herzen  unmittelbar  den  Lungen  zu- 
geführt wird.  Wir  haben  hier  also  eine  An- 
passung der  Larve  an  ihre  Lebensbedingungen. 

Die  Kiemenlurche  nun  schließen  sich  im  Bau 
dieser  Gefäße  (4,  4'  und  p)  entweder  ganz  den 
Salamandrinenlarven  an ,  oder  es  ist  bei  ihnen 
Rückbildung  eingetreten.  So  fehlt  bei  einigen 
Arten  der  Anfangsabschnitt  der  Lungenarterien 
(4  der  Figur  3),  der  bei  den  Larven  wegen  der 
späteren  Lungenatmung  der  Erwachsenen  vorhan- 
den sein  muß.  Schon  dadurch  kann  bei  diesen 
Kiemenlurchen  sich  niemals  mehr  der  Kreislauf 
der  erwachsenen  Salamandrinen  ausbilden.  Die 
Kreislaufzustände  der  Kiemenlurche  entfernen  sich 
weiter  vom  ursprünglicheren  Zustande  des  Lungen- 
fisches Gerat  odus  ,  als  dies  beim  typischen  Zu- 
stande der  erwachsenen  Salamandrinen  der  Fall 
ist.  Es  kann  der  Kreislauf  der  Kiemenlurche  nur 
von  dem  der  Salamandrinenlarven  abgeleitet 
werden;  die  Kiemenlurche  zeigen  in  dieser  Be- 
ziehung keine  ursprünglichen  Verhältnisse,  aus 
denen  sich  die  Kreislaufszustände  der  erwachsenen 
Salamandrinen  entwickelt  haben  könnten. 

Von  den  Derotremen  zeigt  der  Hellbender 
(Cryptobranchus  oder  Menopoma)  durch- 
aus larvale  Verhältnisse  der  Lungenarterien  (wie 
in  Figur  3  B  ist  Gefäß  4  sehr  schwach ;  das  Blut 
geht  durch  4'  und  p  zur  Lunge) ;  Riesensalamander 
und  Aalmolch  schließen  sich  mit  ihrer  gut  ent- 
wickelten Lungenarterie  (Fig.  3  A,  4  und  p)  mehr 
den  erwachsenen  Salamandrinen  an.  Die  vor- 
liegenden Zustände  sind  nicht  leicht  zu  deuten; 
ich  kann  hier  darauf  nicht  näher  eingehen. 

Auch  andere  Organe  der  Fischlurche,  beson- 
ders der  Kiemenlurche,  zeigen  einen  Bau,  der 
demjenigen  der  Salamandrinenlarven  ähnlich  ist, 
der  aber  in  mehreren  F"ällen  den  Stammformen 
der  Salamandrinen  anscheinend  nicht  zukam.  Die 
ganze  Organisation  der  Kiemenlurche  ist  eine 
larvale. 

Dies  läßt  sich  nur  erklären  durch  die  Annahme, 
daß  die  Kiemenlurche  sich  entwickelt  haben  aus 
Salamandrinenlarven,  deren  Verwandlung  ausblieb. 
Daß  dies  möglich  ist,  läßt  sich  sicher  begründen, 
denn  man  kennt  bei  den  typischen  Salamandern 
alle  Übergänge  einer  etwas  unvollkommenen  Ver- 
wandlung bis  zu  einer  vollständigen  Unterdrückung 
derselben.  Man  nennt  diese  Erscheinung  Neotenie 
und    spricht  von  neotenischen  Larven,    wenn    das 


Larvenleben  sich  über  die  normale  Zeitdauer  aus- 
dehnt, so  daß  die  Verwandlung  viel  später  als 
gewöhnlich  stattfindet  oder  gänzlich  unterbleibt. 
Solche  Larven,  welche  man  auch  von  den  in 
Deutschland  einheimischen  Wassermolchen  her 
kennt,  können  sich  fortpflanzen.  Bei  der  Sala- 
mandrinengattung  Amblystoma  pflanzen  bei- 
nahe alle  Arten  sich  nur  in  der  gewöhnlichen 
Weise  als  erwachsene  Tiere  fort.  Bei  einer  Art 
aber,  Amblystoma  tigrinum,  nähert  sich  die 
Geschlechtsreife  bei  vielen  Arten  sehr  der  Ver- 
wandlung und  kann  unmittelbar  nach  derselben 
eintreten.  Nicht  selten  aber  pflanzen  schon  die 
Larven  dieser  Art  sich  fort,  und  dann  findet  die 
Verwandlung,  jedenfalls  oft,  nicht  mehr  statt.  In 
bestimmten  Gegenden  findet  man  Larven,  die 
Axolotl,  die  regelmäßig  als  solche  geschlechtsreif 
werden  und  bei  denen  die  Verwandlung  so  selten 
ist,  daß  man  die  Larven  als  einen  Kiemenlurch 
unter  dem  Namen  Siredon  beschrieben  hat. 

Genau  so  muß  man  sich  die  Stammformen 
der  Kiemenlurche  entstanden  denken.  Eine  will- 
kommene Bestätigung  dieser  von  Boas  zuerst 
vertretenen  Ableitung  der  Kiemenlurche  hat  die 
Untersuchung  des  Kiemenlurches  Typhlomolge 
rathbuni  durch  Fräulein  E.  T.  Emerson  ge- 
bracht. Dieselbe  hat  ergeben,  daß  diese  Art  sich 
in  ihrem  Bau,  auch  in  einigen  Details,  den  Larven 
eines  nordamerikanischen  Salamandrinen,  Speler- 
pes  ruber,  sehr  nahe  anschließt.  Daneben 
zeigt  sie  schon  einige  Anpassung  an  ihr  unter- 
irdisches Wasserleben.  Es  ist  demnach  kaum 
zweifelhaft,  daß  dieser  Kiemenlurch  sich  entwickelt 
hat  aus  der  neotenischen  Larve  eines  Salamanders 
der  F"amilie  Plethodontidae  ,  der  auch  Speler- 
pes  ruber  angehört. 

Denkt  man  sich  Salamandrinen,  bei  denen  die 
Neotenie  fixiert  wurde,  wie  das  ja  beim  Axolotl 
nahezu  schon  der  Fall  ist,  so  würden  diese  Tiere  allen 
Anforderungen  entsprechen,  die  an  die  Stamm- 
formen der  Kiemenlurche  gestellt  werden  müssen. 
Seit  ihrer  Entstehung  haben  dieselben  sich  dem 
Wasserleben  mehr  anpassen  können,  als  es  sonst 
die  Salamandrinenlarven  tun  können.  Denn  sie 
brauchten  sich  niemals  mehr  zu  Landtieren  um- 
zuändern, während  bei  den  Larven  die  Anpassung 
ans  Wasserleben  doch  immer  in  gewissen  Grenzen 
gehalten  wird  durch  die  Anforderungen  des 
späteren  Landlebens  und  die  beschränkte  Um- 
bildungsmöglichkeit  bei  der  im  Freien  stattfinden- 
den IVIetamorphose.  So  zeigen  einige  Kiemen- 
lurche eine  erhebliche  Streckung  des  Körpers, 
auch  des  Rumpfes,  wodurch  die  Gestalt  mehr 
aalartig  wird.  Diese  Streckung  ist  eine  Anpassung 
ans  Wasserleben.  Aber  aus  einem  Tiere  mit  er- 
heblich verlängertem  Rumpfe  konnte  bei  der 
Verwandlung  kaum  mehr  ein  Tier  sich  entwickeln, 
das  imstande  wäre,  wie  die  typischen  Salamander, 
sich  mit  seinen  Gliedmaßen  auf  dem  Lande  fort- 
zubewegen; dazu  wäre  die  Entfernung  von  vor- 
deren und  hinteren  Gliedmaßen  zu  groß.  Ob- 
gleich   dieselbe  Streckung    des  Körpers    auch    für 


N.  F.  Vin.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


37 


die  Larven  der  Salamandrinen  vorteilhaft  sein 
dürfte,  da  ja  die  Lebensweise  ähnlich  ist,  findet 
diese  Streckung  dennoch  nicht  statt;  durch  die 
Bedingungen  des  späteren  Landlebens  erscheint 
sie  ausgeschlossen. 

Ich  hoffe,  daß  es  jetzt  klar  sein  wird,  wie  wir 
die  Organisation  der  Kiemenlurche  beurteilen  und 
weshalb  wir  das  so  tun.  Sie  sind  aus  neoteni- 
schen  Larven  entstanden  \  denn  ihre  Organisation 
ist  annähernd  dieselbe  wie  diejenige  der  Larven 
und  kann  nur  aus  dieser  abgeleitet  werden,  nicht 
umgekehrt.  Ein  direkter  .Anschluß  der  Kiemen- 
lurche  an  die  Fische  besteht  nicht,  und  anderer- 
seits können  die  Salamandrinen  sich  nicht  aus  den 
Kiemenlurchen  entwickelt  haben.  Über  den  Bau 
der  ursprünglichsten  Tetrapoden  lehren  die 
Kiemenlurche  uns  also  nicht  mehr,  als  die 
typischen  Salamander  und  deren  Larven. 

Etwas  anders,  als  die  Organisation  der  Kiemen- 
lurche, muß  diejenige  der  Derotremen  beurteilt 
werden.  Auch  sie  sind  keine  ursprünglichen 
Salamander.  Aber  von  typischen  Larven  kann 
man  sie  nicht  ableiten,  denn  sie  zeigen  eine 
Mischung  von  Charakteren  erwachsener  Salaman- 
der und  Larven.  Die  einfachste  Erklärung  dieser 
eigentümlichen  Erscheinung  ist  wohl  folgende. 
Die  Deortremen  stammen  ab  von  typischen  Sala- 
mandern, welche  vollständig  zum  Wasserleben  zu- 
rückgekehrt waren.  Die  Verwandlung,  welche 
dazu  dient,  im  Bau  der  Larven  die  für  das  Land- 
leben notwendigen  LTmänderungen  herzustellen, 
verlor  dabei  größtenteils  ihre  Bedeutung,  sie 
dehnte  sich  über  eine  immer  längere  Zeit  aus, 
und  schließlich  trat  dann  bei  den  noch  unvoll- 
kommen umgebildeten  Tieren  schon  Geschlechts- 
reife ein.  Einige  Organe  behielten  die  ursprüng- 
liche Umwandlung  beinahe  vollständig  bei,  andere 
gaben  sie  ganz  oder  größtenteils  auf,  behielten 
den  larvalen  Bau.  So  schließt  M  e  n  o  p  o  m  a  sich 
im  Schädel  den  erwachsenen  Salamandern  an,  in 
seinem  Kreislauf  herrschen  aber  noch  larvale  Ver- 
hältnisse vor. 

Größtenteils  vollendet  wird  die  X'erwandlung 
beim  Riesensalamander.  Dagegen  bleibt  Meno- 
p  o  m  a  auf  mehr  larvaler  Entwicklungshöhe  stehen  ; 
der  Riesensalamander  ist  also  von  diesen  nahe 
verwandten  Gattungen  diejenige,  die  den  gemein- 
samen Stammformen  am  nächsten  steht. 

Eine  ähnliche  Rückbildung  der  Verwandlung 
dürfte  der  Aalmolch  durchgemacht  haben. 

Für  die  Kiemenlurche  Siren  und  Pseudo- 
branchus  wird  vielleicht  die  Ableitung  von 
neotenischen  Larven  zur  Erklärung  ihres  Baues 
nicht  ganz  ausreichen:  auch  für  sie  muß  möglicher- 
weise eine  allmähliche  Verkümmerung  der  Ver- 
wandlung, wie  für  Riesensalamander  und  Meno- 
p  o  m  a ,  angenommen  werden. 

Aber  wie  steht  es  dann  mit  den  vielen  Merk- 
malen der  Fischlurche,  welche  von  so  manchem 
Forscher  als  sehr  ursprünglich  gedeutet  wurden, 
welche  an  die  Stammformen  der  Tetrapoden  er- 
innern sollten  ? 


Darauf  muß  an  erster  Stelle  geantwortet 
werden,  daß  zwar  ein  Organisationszustand,  der 
bei  den  Fischlurchen  auftritt,  nicht  mehr  deshalb 
als  ursprünglich  betrachtet  werden  darf,  daß  aber 
doch  bei  Larven  so  oft  während  der  Entwicklung 
primitive  Zustände  mehr  oder  weniger  vollkommen 
wiederholt  werden,  daß  diese  auch  bei  den  Sala- 
mandrinenlarven  und  dann  auch  bei  den  Fisch- 
lurchen auftreten  können.  Der  eigentümliche  Ur- 
sprung der  Fischlurche  schließt  also  das  Auftreten 
sehr  ursprünglicher  Verhältnisse  nicht  aus,  läßt 
diese  im  Gegenteil  erwarten,  aber  nur  insoweit 
diese  auch  den  Larven  der  Salamandrinen,  deren 
Organisation  sie  ja  wieder  erworben  haben,  zu- 
kommen. Vielleicht  stammen  die  Fischlurche 
auch  teilweise  von  sehr  ursprünglichen  Salaman- 
dern ab,  und  können  dadurch  ursprüngliche  Merk- 
male zeigen,  welche  bei  allen  anderen  Salaman- 
dern und  auch  bei  deren  Larven  verloren  ge- 
gangen sind.  Allein  es  stellt  sich  doch  heraus, 
daß  mit  dem  neu  erworbenen  Einblick  in  die 
Stammesgeschichte  der  Fischlurche  mehrere  der- 
jenigen Eigenschaften,  welche  als  ursprüngliche 
betrachtet  worden  sind,  das  nicht  sein  können. 
So  wird  es  klar,  daß  die  schon  erwähnte,  von 
Rabl  versuchte  Ableitung  der  Szehigen  Glied- 
maßen der  Tetrapoden  aus  den  Flossen  der 
Lungenfische,  wobei  er  die  2-  und  3-zehigen 
Gliedmaßen  einiger  Fischlurche  als  Etappen  des 
Entwicklungsganges  verwertet  hat,  nicht  haltbar 
ist.  Sie  ist  schon  von  M.  Fürbringer  wider- 
legt worden,  und  auch  ich  kann  die  geringe  Ent- 
wicklung der  Extremitäten  und  die  niedrigere 
Zehenzahl  bei  einigen  Fischlurchen  nur  einer  Ver- 
kümmerung zuschreiben.  Mir  scheint,  daß  hier 
zweifellos  die  Folgen  einer  Rückkehr  zum  Wasser- 
leben hervortreten.  Während  bei  den  Larven  der 
Salamandrinen  im  allgemeinen  die  Gliedmaßen, 
wenn  auch  spät,  eine  kräftige  Ausbildung  erreichen, 
da  ja  die  erwachsenen  Tiere  beinahe  immer  ans 
Land  gehen,  ist  bei  den  Fischlurchen  im  An- 
schluß an  ihr  ständiges  Wasserleben  eine  Rück- 
bildung der  Gliedmaßen  möglich  geworden  und 
bei  allen  auch  eingetreten.  Denn  im  Wasser  ist 
das  Körpergewicht  äußerst  gering;  es  genügen 
viel  weniger  kräftige  Gliedmaßen,  es  zu  tragen. 
Wollen  die  Tiere  sich  schneller  fortbewegen, 
dann  schwimmen  sie,  ohne  sich  dazu  ihrer  Glied- 
maßen zu  bedienen.  Dabei  finden  wir  die  am 
wenigsten  entwickelten  Gliedmaßen  bei  denjenigen 
.Arten,  welche  sich  in  der  Streckung  des  Rumpfes 
am  meisten  der  schwimmenden  und  gleitenden 
F'ortbewegung  angepaßt  haben.  Auch  tritt  bei 
verschiedenen  Exemplaren  derselben  Art  eine 
große  Variabilität  auf,  wie  man  das  öfters  findet, 
wenn  Rückbildung  vorliegt.  Bei  ein  und  derselben 
Art,  dem  .Aalmolch,  kennt  man  Exemplare,  deren 
Füße  I,  2  und  3  Zehen  besitzen;  es  kommt  sogar 
vor,  daß  bei  einem  Tiere  die  Zahl  der  Zehen 
links  und  rechts  verschieden  ist. 

Schwieriger  ist  es,  für  die  einfachen  Zustände 
der    Nasenhöhle,    namentlich    für    das  Fehlen    des 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  3 


Jacobson'schen  Organes  beiNecturus  und  beim 
Olm  EU  entscheiden,  ob  Rückbildung  vorliegt  und 
ob  sich  diese  dann  mit  dem  VVasserleben  in  Zu- 
sammenhang bringen  läßt.  Seydel,  dem  wir 
wesentlich  unsere  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiete 
verdanken,  glaubt  letzteres  nicht  annehmen  zu 
dürfen. 

Er  weist  darauf  hin,  daß  das  Jacobson'sche 
Organ  sich  bei  den  Larven  der  Salamandrinen 
schon  ziemlich  frühzeitig  anlegt  und  noch  vor  der 
Verwandlung  seine  vollkommene  Ausbildung  er- 
reicht. Seydel  schließt  hieraus,  daß  dieses 
Organ  schon  funktioniert  bei  den  älteren  Larven, 
welche  doch  ausschließlich  Wasserbewohner  sind, 
und  dann  kann  auch,  meint  er,  im  Wasserleben 
des  01ms  und  Necturus  kein  Grund  für  eine 
Verkümmerung  liegen. 

Demgegenüber  möchte  ich  nun  aber  hervor- 
heben, daß  ein  Organ,  auch  wenn  es  erst  beim 
erwachsenen  Tiere  in  Tätigkeit  tritt,  bei  der  Larve 
doch  schon  gut  entwickelt  sein  kann.  Es  er- 
scheint durchaus  nicht  notwendig,  daß  die  voll- 
kommene Ausbildung  aller  derjenigen  Organe, 
welche  nur  beim  Landleben  von  Bedeutung  sind, 
bis  zur  Verwandlung  aufgeschoben  wird.  Letzteres 
erscheint  nur  notwendig  für  diejenigen  Organe, 
deren  vollkommener  Zustand  für  das  Wasserleben 
der  Larven  nicht  geeignet  ist,  wie  z.  B.  die  Kreis- 
laufsorgane. Aber  für  andere  Organe  darf  man 
das  nicht  immer  erwarten.  Denn  es  läßt  sich 
verstehen,  daß  die  Verwandlung,  wegen  der  Ge- 
fahr, welche  sie  für  das  Leben  der  Tiere  mit  sich 
bringt,  eine  so  geringe  ist,  wie  die  Verhältnisse 
es  nur  erlauben.  Dementsprechend  ist  es  nicht 
befremdend,  wenn  einige  Organe  schon  während 
des  Larvenlebens,  wenn  auch  spät,  die  voll- 
kommene Ausbildung  erreichen,  welche  erst  für 
die  höheren  Ansprüche  des  Landlebens  notwendig 
ist.  So  sind  ja  die  Gliedmaßen  bei  den  Larven 
doch  auch  schon  einige  Zeit  vor  der  Verwand- 
lung viel  besser  ausgebildet,  als  für  ihre  geringen 
Leistungen  während  des  Wasserlebens  erforderlich 
ist;  diese  Entwicklung  wird  wohl  nur  erreicht, 
weil  sie  später  notwendig  ist  für  die  Fortbe- 
wegung auf  dem  Lande,  welche  ja  an  die  Glied- 
maßen viel  höhere  Ansprüche  stellt. 

Die  vollständige  Ausbildung  eines  Organes 
bei  den  Larven  einige  Zeit  vor  der  Verwandlung 
bedeutet  also  nicht,  daß  dieses  Organ  schon  beim 
Wasserleben  in  vollem  Maße  funktioniert.  Ich 
kann  denn  auch  dem  von  Seydel  hervorge- 
hobenen Grund  für  den  ursprünglichen  Charakter 
der  Nasenhöhle  beim  Olm  und  Necturus  nicht 
beipflichten  und  glaube,  daß  Rückbildung  vor- 
liegen muß.  Nachdem  wir  über  die  Fischlurche 
erfahren  haben,  daß  sie  von  Salamanderlarven  ab- 
stammen, könnte  das  Fehlen  des  Jacobson'schen 
Organes  hier  nur  ursprünglich  sein,  wenn  dieses 
Organ  auch  den  Larven  der  Salamander  abginge, 
oder  doch,  als  neu  entstanden,  bei  diesen  Larven 
erst  sehr  spät  angelegt  wurde.  Wir  haben  aber 
gesehen,  daß  es  dort,  so  weit  bekannt,  schon  früh 


auftritt  und  gut  entwickelt  ist.  Auch  hier  dürfte 
also  bei  den  Fischlurchen,  namentlich  beim  Olm 
und  Necturus,  kein  ursprünglicher  Zustand 
vorliegen,  und  Seydel's  Anschauung,  daß  das 
Jacobson'sche  Organ  sich  bei  den  Kiemenlurchen 
zu  bilden  anfängt,  scheint  mir  nicht  mehr  haltbar. 

Wir  sehen  aus  diesen  Betrachtungen,  wie  der 
richtigere  Einblick  in  die  Stammesgeschichte  der 
Fischlurche  von  großer  Bedeutung  sein  kann  für 
unsere  Anschauungen  über  die  Entstehung  ver- 
schiedener Organisationsverhältnisse  der  Tetra- 
poden.  Sie  zeigen  uns,  wie  die  Fischlurche  von 
typischen  Salamandern  abstammen,  den  Fischen 
nicht  näher  stehen  als  diese  und  uns  also  über 
den  Bau  der  ersten  Landwirbeltiere  oder  Tetra- 
poden  nicht  mehr  Auskunft  geben  können,  als 
die  übrigen  Salamander. 

Bevor  ich  von  den  Fischlurchen  Abschied 
nehme,  möchte  ich  noch  kurz  einiges  hervorheben. 

Bei  der  neuen  Boas 'sehen  Ansicht  über  die 
Stammesgeschichte  der  Kiemenlurche  ist  es  klar, 
daß  die  dazu  gehörigen  Arten  sich  unabhängig 
voneinander  aus  neotenischen  Larven  verschiedener 
Salamanderarten  entwickelt  haben  können.  Das 
scheint  auch  wirklich  der  Fall  gewesen  zu  sein. 
Denn  die  Kiemenlurche  weisen  untereinander  so 
viele  Unterschiede  auf,  daß  eine  allen  gemeinsame 
Entwicklung  nicht  wahrscheinlich  ist.  Und  das- 
selbe trifft  auch  für  die  Derotremen  zu,  wo  der 
Aalmolch  sich  unabhängig  von  den  untereinander 
näher  verwandten  Formen,  dem  Riesensalamander 
und  Menopoma,  also  aus  einer  anderen  Sala- 
manderform, entwickelt  haben  dürfte. 

Nur  für  wenige  der  zugehörigen  Arten  können 
wir  die  nächsten  Verwandten  unter  den  Sala- 
mandrinen schon  jetzt  angeben.  Für  Typhlo- 
molge  ist  die  Abstammung  von  einer  Art  aus 
der  Familie  Plethodontidae  näher  begründet 
worden.  Für  den  Riesensalamander  und  Meno- 
poma glaube  ich  eine  Entstehung  aus  den 
Amblystomatidae  annehmen  zu  müssen  und 
zwar  aus  Formen,  welche  mit  den  Gattungen 
Raniceps  undHynobius  verwandt  waren,  mit 
denen  nach  Wiedersheim  und  Drüner  im 
Kopfskelett  und  Kiemenbogenapparat  auffallende 
Ähnlichkeiten  vorliegen.  Diese  Formen  müssen 
demnach  der  Familie  Amblystomatidae  an- 
geschlossen werden.  Dagegen  darf  man  sie  nicht, 
wie  dies  vielfach  noch  geschieht,  mit  dem  Aal- 
molch (Amphiuma)  in  einer  Familie  .^m- 
phiumidae  vereinigen,  denn  die  gemeinsamen 
Derotremen-Charaktere  haben  sie  wahrscheinlich 
unabhängig  voneinander  erworben. 

Ich  komme  jetzt  zum  zweiten  Teil  meines 
Themas,  auf  die  Frage,  inwieweit  die  Organisation 
der  typischen  Salamander  denjenigen  der  Stamm- 
formen der  Tetrapoden  nahe  stehen  diirfte. 

Solange  man  die  Fischlurche  als  Übergangs- 
formen von  den  Fischen  zu  den  Tetrapoden  be- 
trachten konnte,  erschien  auch  eine  sehr  tiefe 
Stellung  der  Salamandrinen  wahrscheinlich.    Jetzt, 


N.  F.  Vin.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


39 


wo  wir  über  die  Abstammung  der  P'ischlurche 
genauer  unterrichtet  sind,  ist  aber  einer  der  wich- 
tigsten Gründe  hinfällig  geworden,  welcher  für 
die  Deutung  der  Salamander  als  F"ormen,  die  den 
Stammformen  der  übrigen  Tetrapoden  sehr  nahe 
stehen,  herangezogen  werden  könnte.  Aber  hier- 
aus geht  nicht  hervor,  daß  die  typischen  Sala- 
mander keine  ursprünglichen  Tiere  sind.  Denn 
wir  haben  nur  erfahren,  daß  die  Fischlurche  uns 
über  die  Stammesgeschichte  der  Salamandrinen 
nicht  unterrichten  können .  weil  sie  nicht  die  ur- 
sprünglichsten Salamander  sind. 

Es  bleibt  demnach  möglich,  daß  die  Sala- 
mander doch  den  Stammformen  der  anderen 
Tetrapoden  sehr  nahe  stehen.  Dafür  spricht  ihre 
sehr  einfache  Organisation,  die  für  viele  Organe 
einen  Bau  aufweist,  der  ursprünglicher  sein  kann 
als  bei  irgendeinem  anderen  lebenden  Tetrapoden. 
Es  muß  noch  ermittelt  werden,  inwieweit  die 
Salamander  sich  den  ursprünglichsten  Tetrapoden 
nähern  und  inwieweit  ihre  Organe  als  Ausgang 
genommen  werden  dürfen  für  unsere  stammes- 
geschichtlichen Betrachtungen  über  die  Organ- 
systeme der  höheren  Wirbeltiere. 

Dazu  verfügen  wir  über  mehrere  Hilfsmittel, 
welche  es  uns  ermöglichen,  uns  vom  Bau  der 
Stammformen  der  Landwirbeltiere  ein  Bild  zu 
entwerfen.  So  kennen  wir  viele  Skelette  ausge- 
storbener Landwirbeltiere  aus  der  Steinkohlen- 
formation und  der  sich  anschließenden  permischen 
Periode,  das  ist  aus  einer  Zeit,  wo  die  Entstehung 
der  Tetrapoden  aus  Fischen  noch  nicht  weit  zu- 
rücklag. Diese  Skelette  erlauben  auch  Schlüsse 
auf  den  Bau  des  Muskelsystems  sowie  auf  die 
Lebensweise  jener  ausgestorbenen  Tiere.  Aber 
es  läßt  sich  nicht  ohne  weiteres  ablesen,  welche 
Arten  darunter  den  Stammformen  aller  Tetra- 
poden am  nächsten  stehen  und  ob  es  überhaupt 
darunter  Arten  gibt,  welche  diesen  Stammformen 
so  nahe  kommen,  daß  sie  mit  diesen  vereinigt 
werden  dürfen.  Hier  kann  nur  ein  sorgfliltiger 
Vergleich  uns  den  Weg  zeigen.  Wenn  ein  Orga- 
nisationszustand auftritt,  der  ungezwungen  die 
.Ableitung  anderer  Zustände  desselben  Organes 
bei  verschiedenen  Abteilungen  der  Tetrapoden 
erlaubt ,  wenn  Anschluß  an  den  Bau  der  Fische 
möglich  ist,  dann  kann  ein  ursprünglicher  Zustand 
vorliegen.  Namentlich  auch  eine  weite  Verbreitung 
eines  Organisationszustandes  kann  wichtige  An- 
deutungen geben.  Wenn  wir  z.  B.  bei  denjenigen 
Fischen,  welche  für  die  Ableitung  der  Tetrapoden 
am  ersten  in  Betracht  kommen,  den  Kopf  bedeckt 
finden  mit  einer  ziemlichen  Zahl  von  Knochen- 
platten, welche  nur  Öffnungen  für  die  Sinnes- 
organe lassen,  sonst  aber  eine  geschlossene  Decke 
des  Kopfes  bilden,  und  wir  finden  diese  Knochen 
in  ähnlicher  Anordnung  auch  bei  karbonischen 
und  permischen  Amphibien,  bei  den  sogenannten 
Stegocephalcn,  und  dann  wieder  bei  den  ältesten 
bekannten  fossilen  Reptilien,  dann  wird  es  wahr- 
scheinlich, daß  diese  geschlossene  Schädeldecke 
auch    den    Stammformen    der  Landwirbeltiere  zu- 


gekommen ist.  Und  da  sich  herausgestellt  hat, 
daß  die  in  dieser  Beziehung  sehr  wechselnden 
Zustände  der  Reptilien  sich  ungezwungen  auf 
jenen  Zustand,  und  nur  auf  jenen ,  zurückführen 
lassen,  so  wird  dies  beinahe  zur  Gewißheit. 

So  sehen  wir,  daß  es  doch  möglich  ist,  man- 
ches über  den  Bau  der  allerersten  Tetrapoden  zu 
ermitteln,  über  den  Bau  von  Tieren,  die  wir  nie- 
mals lebend  gesehen  haben  und  auch  fossil  viel- 
leicht niemals  finden  werden.  Dann  können  wir 
versuchen,  die  ältesten  Tetrapoden  zu  rekonstru- 
ieren. Und  wenn  wir  dann  die  Salamander  mit 
diesen  ältesten  Tetrapoden  vergleichen,  so  können 
wir  wenigstens  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  an- 
geben, inwieweit  erstere  von  den  Stammformen 
aller  Landwirbeltiere  abweichen  und  ob  sie  sich 
davon  entfernt  haben  in  einer  Richtung,  welche 
zu  den  höheren  Landwirbeltieren  überleitet,  oder 
ob  sie  einen  selbständigen,  eigenen  Entwicklungs- 
weg gegangen  sind. 

Und  dann  glaube  ich,  daß  wir  tatsächlich  bei 
den  Salamandern  wichtige  Abweichungen  gegen- 
über den  ersten  Tetrapoden  konstatieren  können. 
Ich  will  mich  wieder  auf  einige  Beispiele  be- 
schränken. 

Den  Salamandern  fehlt  jene  vollständige 
knöcherne  Kopfbedeckung,  von  der  wir  soeben 
erfahren  haben,  daß  sie  den  ältesten  Tetrapoden 
zukam.  Hier  müssen  wir  den  Verlust  vieler 
Knochen  bei  den  Salamandern  annehmen.  Auch 
sonst  dürfte  ihr  Schädel  noch  wesentlich  abweichen 
von  jenem  ursprünglichen  Schädeltypus,  von  dem 
wir  den  Reptilienschädel  ableiten  können. 

Mit  großer  Wahrscheinlichkeit  läßt  sich  auch 
nachweisen,  daß  den  ersten  Tetrapoden  eine  voll- 
ständige Hautbedeckung  von  kleinen,  in  regel- 
mäßigen Reihen  angeordneten  Knochenschuppen 
zukam.  Diese  Hautbedeckung  zeigen  diejenigen 
Fische,  an  welche  wir  die  Landwirbeltiere  an- 
knüpfen müssen;  und  einige  der  ältesten  Stego- 
cephalcn zeigen  diesen  Panzer  noch  in  vollkom- 
mener Ausbildung.  In  Figur  4  ist  ein  beinahe 
vollständig  beschuppter  Stegocephale  abgebildet. 
Bei  den  meisten  ausgestorbenen  Amphibien  war 
der  Panzer  nur  an  der  Bauchseite  erhalten  und 
dort  findet  man  auch  noch  Überbleibsel  jener 
Körperbedeckung  bei  vielen  Reptilien.  Die  Bauch- 
rippen der  Crocodilier,  des  altertümlichen  Reptils 
Sphenodon,  einiger  vereinzelten  Eidechsen  (Tili- 
(|ua  und  Trachysaurus),  sowie  der  Bauch- 
schild der  Schildkröten  sind  aus  jenem  Haut- 
skelette hervorgegangen.  Bei  den  jetzt  lebenden 
Amphibien  kommt  nur  unter  den  Blindwühlen 
dieser  Hautpanzer  noch  vor,  und  zwar  in  ver- 
kümmertem Zustande.  Die  Salamander  müssen 
diese  Körperbedeckung  verloren  haben. 

Ich  wage  es  nicht  zu  versuchen,  eine  Erklärung 
für  die  Rückbildung  dieses  Hautpanzers  bei  den 
Amphibien  zu  geben.  Es  läßt  sich  aber  wenig- 
stens der  Nutzen  der  Erhaltung  des  Panzers  an 
der  Bauchseite  vieler  Stegocephalcn  angeben.  Bei 
den    älteren  Tetrapoden,    mit    ihren    nur    kurzen 


40 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vin.  Nr.  3 


Gliedmaßen  (vgl.  Fig.  4)  und  ziemlich  langem 
Rumpfe,  war  bei  der  kriechenden  Fortbewegung 
auf  dem  Lande  zweifellos  die  Bauchseite  in  fort- 
währender Berührung  mit  dem  Boden.  Eine  be- 
sondere Hautbedeckung  muß  hier  wichtig  gewesen 
sein.  Der  Schuppenpanzer  bedeckt  denn  auch 
noch  manchmal  teilweise  die  nach  unten  gewen- 
dete Haut  der  Oberarme  und  Schenkel,  wie  z.  B. 
bei  dem  in  Fig.  5  abgebildeten  Panzer  von  Bran- 
chiosaurus,  einem  permischen  Stegocephalen, 
der  keinen  Rückenpanzer  mehr  besitzt.  Bei  der 
Kriechbewegung  dürfte  auch  die  Bauchmuskulatur 
mitgearbeitet  haben,  und  diese  mag  dann  am 
Hautskelett  einen  erwünschten  Ansatz  gefunden 
haben. 

Beim  Leben  im  Wasser  aber  besteht  eine  be- 
sondere Bedeutung  des  Bauchpanzers  nicht.  Denn 


Fig.  4.  Ricnodoncopei,  ein  Stegocephale  der  peimischen 
Periode,  vom  Rücken  gesehen,  restauriert  nach  Fritsch, 
etwas  umgeändert ;  '^/^  nat.  Gröfle.  Die  Bedeckung  des  Kopfes 
mit  Knochenplatten  ist  bei  dieser  Art  ungenügend  bekannt 
und   deshalb  nicht  vollständig  angegeben. 


3?- 
Fig.   5.     Bauchpanzer  von  Bran  chi  os  aurus,  au; 
liegenden  von  Sachsen;  aus  Smi  th  Wood  ward  , 
Palaeontology,  nach  Credner;  nat.  Gröl 


aus  dem  Rot- 
.  Vertebrate 
Größe. 


erstens  können  die  Beine  dann  viel  leichter  das 
Körpergewicht  tragen  und  den  Rumpf  heben,  und 
zweitens  sind  die  Tiere  dann  gar  nicht  an  den 
Boden  gebunden ,  sondern  bewegen  sich  vielfach 
auch  schwimmend  und  kriechend  zwischen  Wasser- 
pflanzen umher.  Wenn  also  bei  den  meisten 
Stegocephalen  der  Schuppenpanzer  auf  dem  Rücken 
und  den  Seitenflächen  des  Körpers  verloren  geht, 
aber  an  der  Hauchfläche  gut  erhalten  bleibt,  so 
deutet  dies  darauf  hin,  daß  alle  diese  Stegocephalen 
nicht  ausschließlich  Wasserbewohner  waren,  son- 
dern daß  für  sie  das  Landleben  sehr  wichtig  war; 
denn  nur  dann  könnte  diese  Lebensweise  die  Er- 
haltung des  Bauchpanzers  bedingen. 

Eine    Bestätigung    findet    diese    Ansicht,    daß 
zwischen   Erhaltung   des   Bauchpanzers    und    dem 


Landleben  ein  Zusammenhang  besteht ,  in  dem, 
was  über  den  Bauchpanzer  des  Stegocephalen 
Branchiosaurus  durch  Credner  bekannt 
geworden  ist.  Bei  diesem  Tiere  tritt  der  gut 
entwickelte  Bauchpanzer  erst  kurz  vor  oder  wäh- 
rend der  Verwandlung  auf.  Seinen  Larven,  welche 
als  ausschließliche  Wasserbewohner  nach  obiger 
Auffassung  den  Bauchpanzer  nicht  brauchen, 
kommt  derselbe  noch  nicht  zu.  —  Daß  den 
Fröschen  ein  Bauchpanzer  abgeht,  kann  uns  in- 
soweit nicht  wundern .  als  bei  der  hüpfenden 
Fortbewegung  eine  Reibung  der  Bauchfläche  mit 
dem  Boden  weniger  häufig  ist  und  diese  Fläche 
daher  eines  besonderen  Schutzes  nicht  bedarf. 

Daß  den  Salamandern  der  Bauchpanzer  auch 
fehlt ,  verdient  aber  besondere  Beachtung.  Für 
sehr  viele  Salamander,  welche  sich  vorwiegend 
kriechend  auf  dem  Lande  fortbewegen ,  müßte 
diese  Schutzvorrichtung  doch  anscheinend  ihren 
Nutzen  haben.  So  kommt  die  Frage  auf,  inwie- 
weit sich  bei  ihnen  der  Verlust  des  Bauchpanzers 
mit  der  Lebensweise  in  Verbindung  bringen  läßt. 
Ich  glaube,  daß  dieser  Verlust  für  eine  abnehmende 
Bedeutung  des  Landlebens  bei  den  nächsten 
Stammformen  der  Salamander  spricht.  Jetzt 
könnte  dann  bei  einem  Teil  der  Salamander  das 
Landleben  wieder  von  größerer  Wichtigkeit  ge- 
worden sein. 

Der  Nachweis,  daß  den  ersten  Tetrapoden  ein 
gut  entwickeltes  knöchernes  Hautskelett  zukam, 
erlaubt  uns  noch  einen  Schluß  zu  ziehen.  Es 
darf  daraus  nämlich  gefolgert  werden ,  daß  bei 
diesen  Tieren  die  Hautatmung  nicht  von  großer 
Bedeutung  gewesen  ist.  Wenn  wir  jetzt  bei  den 
Fröschen  und  Salamandern  eine  sehr  entwickelte 
Hautatmung  finden,  so  kann  dies  nur  etwas  neu 
erworbenes  sein,  und  zwar  etwas  äußerst  wichtiges. 
Sie  übt  auf  die  Mischung  von  sauerstoftVeichem 
und  sauerstoffarmem  Blut  einen  großen  Einfluß 
aus.  Die  Trennung  des  Körper-  und  Lungen- 
kreislaufs verlor  durch  die  Hautatmung  an  Be- 
deutung. Zusammen  mit  der  Schlundatmung  mag 
die  Hautatmung  die  vollständige  Verkümmerung 
der  Lungen  und  die  damit  Hand  in  Hand  gehen- 
den Rückbildungen  am  Herzen  ermöglicht  haben, 
welche  viele  Salamander  aufweisen.  Die  neu  er- 
worbene Hautatmung  übt  einen  umgestaltenden 
Einfluß  auf  die  anderen  Atmungsorgane  und  auf 
die  Kreislaufsorgane  aus,  der  das  Ende  seiner 
Wirkung  noch  nicht  erreicht  haben  dürfte.  Die- 
selben Umbildungen  und  Verkümmerungen  der 
Atmungs-  und  Kreislaufsorgane  finden  wir  inner- 
halb verschiedener  Familien  der  Salamander,  bei 
denen  sie  dann  aber  unabhängig  voneinander  er- 
worben sind  und  fortschreiten.  Nicht  nahe  ver- 
wandte Gattungen  bilden  hier  gemeinsame  neue 
Merkmale  und  Organisationszustände  an  wichtigen 
Organsystemen  aus,  welche  nur  scheinbar  ein 
Zeichen  engerer  Verwandtschaft  sind. 

Aber  bei  einer  so  eingreifenden  L^mbildung 
muß  man  sich  fragen,  welche  Einflüsse  hier  tätig 
gewesen  sein  können.     Weshalb  verkümmert  hier 


F.  N.  VIII.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


41 


die  Lungenatniung,    welche   sich  bei  den  höheren 
Tetrapoden  so  vorzüglich  bewährt  hat ' 

Und  dann  glaube  ich,  daß  auch  hier  ein  Grund 
in  der  Lebensweise  gesucht  werden  muß.  Denn 
für  Tiere,  welche  sowohl  im  Wasser  wie  auf  dem 
Lande  leben,  hat  die  Hautatmung  einen  sehr 
großen  Wert.  Weder  die  Kiemen-  noch  die 
Lungenatmung  sind  im  Wasser  und  auf  dem 
Lande  gleich  brauchbar,  die  Hautatmung  aber 
leistet  ihre  Dienste  unter  allen  Umständen. 
Ihre  kräftige  Ausbildung  bei  den  Amphibien 
schreibe  ich  dem  Einfluß  des  Wasserlebens  zu. 
Hier  liegt  eine  Anpassung  an  diese  Lebensweise 
vor,  welche  den  ältesten,  vollständig  beschuppten 
Tetrapoden  nicht  zugekommen  und  erst  innerhalb 
der  Klasse  der  Amphibien,  vielleicht  schon  bei 
den  Stegocephalen,  erworben  worden  ist. 

Fassen  wir  zusammen,  was  wir  jetzt  über  den 
Bau  der  Salamander  und  der  ersten  Tetrapoden 
erfahren  haben ,  so  geht  aus  den  Beispielen  her- 
vor, daß  sehr  wesentliche  Unterschiede  im  Kopf- 
skelett, in  der  Haut,  in  den  Kreislaufsorganen  und 
in  der  Atmung  vorliegen.  Dieselben  sprechen 
dafür,  daß  wichtige  Differenzierungen  die  jetzt 
lebenden  Salamander  von  den  ersten  Landwirbel- 
tieren trennen.  Die  Organisation  der  Salamander 
gibt  uns  nur  ein  unvollkommenes  Bild  vom  Bau 
der  ältesten  Tetrapoden. 

Aber  diese  Beispiele  lehren  uns  noch  etwas 
mehr.  Die  erörterten  Unterschiede  weisen  nach 
einer  bestimmten  Richtung.  Das  Fehlen  eines 
Bauchpanzers,  die  geringe  Bedeutung  der  Lungen- 
atmung, die  in  den  Vordergrund  gerückte  Haut- 
atmung, sie  weisen  darauf  hin,  daß  bei  den 
Stammformen  der  •  Salamander  das  Wasserleben 
von  neuem  das  Übergewicht  über  das  Landleben 
errungen  hat.  Während  die  von  den  ältesten 
Tetrapoden  ab  immer  fortschreitende  Anpassung 
ans  Landleben  in  der  Ausbildung  der  Eidechsen, 
Vögel  und  Säuger  gipfelt,  haben  die  Salamander 
diesen  Weg  frühzeitig  verlassen.  Ihre  Stamm- 
formen haben  wieder  mehr  und  mehr  das  Wasser 
aufgesucht,  und  ihre  Organisation  ist  davon  wesent- 
lich beeinflußt  worden. 

Die  Umbildung  der  Salamander  hat  doppelten 
Charakter.  Sie  äußert  sich  erstens  in  der  Aus- 
bildung neuer  Zustände,  andererseits  in  der  Ver- 
kümmerung von  Vorrichtungen ,  welche  für  das 
Wasserleben  weniger  geeignet  waren  oder  doch 
dabei  ihre  Bedeutung  verloren. 

Es  scheint  mir  sehr  erwünscht,  daß  wir  ver- 
suchen, uns  über  die  Ausdehnung  dieser  Ver- 
kümmerungen und  neuen  Anpassungen  Klaiheit 
zu  schaffen.  Wenn  wir  bei  unseren  vergleichend- 
anatomischen Untersuchungen  immer  wieder  auf 
den  Bau  der  Salamander,  als  in  mancher 
Hinsicht  ursprünglich,  zurückgreifen,  dann 
müssen  wir  diesen  ursprünglichen  Charakter 
genau  abwägen.  Namentlich  für  die  Sinnesorgane, 
welche  von  den  Unterschieden  in  den  Bedingungen 
des  Land-    und   Wasserlebens    so    sehr    beeinflußt 


werden,  scheinen  mir  neue  Untersuchungen  er- 
wünscht. Mir  ist  es  wahrscheinlich,  daß  in  den 
herrschenden  Auffassungen  über  den  schalleitenden 
Apparat,  Trommelfell  und  Gehörknöchelchen, 
vieles  nicht  richtig  ist,  weil  sie  mit  Unrecht  davon 
ausgehen,  daß  hierin  die  Verhältnisse  der  Sala- 
mander ursprünglichen  Zuständen  nahe  stehen. 
Ich  glaube  vielmehr,  daß  auch  hierin  der  Bau  der 
Salamander  sich  nur  durch  weitgehende  Ver- 
kümmerung erklären  läßt.  Und  dabei  verdient 
besondere  Beachtung,  daß  ein  schalleitender 
Apparat  beim  Wasserleben  ohne  jede  Bedeutung 
ist,  so  daß  auch  hier  die  Rückbildung  eine  ein- 
fache Erklärung  finden  würde  in  einem  Zurück- 
treten des  Landlebens  bei  den  Stammformen  der 
jetzigen  Salamander.  Bei  der  großen  Bedeutung 
aber,  welche  man  dem  schalleitenden  Apparate 
bei  stammesgeschichtlichen  Betrachtungen  über 
die  Säugetiere  zugeschrieben  hat,  liegt  hier  eine 
Frage  von  großer  Tragweite  vor. 

Wenn  ich  aber  auf  die  Umbildungen  bei  den 
Salamandern  einen  besonderen  Nachdruck  gelegt 
habe,  so  soll  damit  nicht  behauptet  sein,  daß 
daneben  bei  diesen  Tieren  nicht  recht  ursprüng- 
liche Verhältnisse  auftreten.  Im  Gegenteil !  Wenn 
die  Salamander  wieder  mehr  zum  Wasserleben 
zurückgekehrt  sind,  dann  mag  dies  für  viele  Or- 
gane die  weitere  Entwicklung  gehemmt  haben, 
so  daß  sie  auf  ursprünglicher  Entwicklungsstufe 
stehen  geblieben  sind.  Denn  diese  genügte  oft 
den  vom  Wasserleben  gestellten  Anforderungen, 
während  bei  den  typischen  Landwirbeltieren  die- 
selben Organe  immer  höheren  Ansprüchen  ge- 
nügen mußten  und  sich  dementsprechend  immer 
mehr  vom  ursprünglichen  Zustande  entfernt  haben. 
Die  Ausbildung  der  Rumpfmuskulatur  und  des 
Gliedmaßenskeietts  bei  den  typischen  Salamandern 
einerseits,  den  Reptilien  und  Säugetieren  anderer- 
seits gibt  hierfür  gute  Beispiele.  Allerdings  muß 
auch  hier  auf  Rückbildung,  wenn  auch  nur  in 
geringem  Maße,  geachtet  werden,  wie  sie  ja  das 
Gliedmaßenskelett  mehrerer  Fischlurche  und  der 
Schultergürtel  der  Salamander  aufweisen. 

Ich  habe  versucht,  in  diesen  Ausführungen  zu 
zeigen,  wie  sich  gewichtige  Gründe  beibringen 
lassen  für  die  Auffassung,  daß  die  Salamander, 
wenn  sie  auch  den  ersten  Landwirbeltieren  unter 
allen  lebenden  Tetrapoden  am  nächsten  kommen 
dürften,  doch  in  mancher  Hinsicht  stark  umge- 
bildete Landtiere  sind.  Ich  habe  versucht,  dar- 
zulegen, in  welcher  Richtung  sich  die  stammes- 
geschichtliche Entwicklung  der  Salamander,  so- 
wohl der  mehr  typischen  Salamandrinen  als  der 
Fischlurche,  bewegt  hat. 

Aber  ich  hoffe  in  diesen  Erörterungen  noch 
mehr  gezeigt  zu  haben.  Wenn  ich  hier  versucht 
habe,  eines  unserer  stammesgeschichtlichen  Pro- 
bleme zu  behandeln,  so  lag  mir  daneben  auch 
daran,  einen  Einblick  zu  geben  in  die  Art,  wie 
der  Zoologe  oder  Anatom  in  diesen  stammes- 
geschichtlichen Fragen  arbeitet,  wie  er  versucht, 
weiter  zu  kommen. 


42 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  3 


Der  Widerspruch  der  Meinungen  in  diesen 
Fragen  mag  zeigen,  wie  verwickelt  sie  sind,  und 
eine  Entschuldigung  bieten  für  manchen  Fehler, 
der  uns  im  Lichte  seiner  Zeit  sehr  begreiflich 
wird.  Kann  es  uns  wundern,  wenn  man  sich  im 
.'\nfang  der  vielen  Schwierigkeiten  noch  nicht  be- 
wußt gewesen  ist.  Wer  hätte  erwarten  dürfen, 
daß  uns  in  den  offenen  Kiemenspalten  der  Fisch- 
lurche von  neuem  bei  erwachsenen  Tieren  Bildun- 
gen vorgeführt  worden  sind,  welche  während  langer 
Reihen  von  Generationen  ihren  erwachsenen 
Stammformen  nicht  mehr  zukamen?  Schon  bei 
den  permischen  Tetrapoden  dürften  die  Kiemen- 
spalten bei  den  erwachsenen  Tieren  alle  ge- 
schlossen gewesen  sein. 


Wie  schwierig  muß  es  dann  aber  sein,  bei 
nur  fossil  erhaltenen  Arten  immer  Klarheit  zu 
bringen !  So  dürfen  wir  überzeugt  sein,  daß  das 
Tatsachenmaterial  noch  nicht  ausreicht,  um  den 
Stammbaum  der  Landwirbeltiere  zu  rekonstruieren. 
Unsere  Kenntnisse  müssen  noch  nach  mancher 
Richtung  vermehrt  werden;  dann  erst  können  wir 
mit  mehr  Aussicht  auf  eine  richtige  Antwort 
manchen  phylogenetischen  Fragen  nähertreten. 
Doch  dürfen  wir  deshalb  diese  Fragen  nicht  ruhen 
lassen.  Denn,  wie  so  oft,  zeigt  auch  hier  erst 
mancher  verfehlte  Versuch  den  richtigen  Weg 
zur  Beantwortung.  —  Und  was  in  50  Jahren  er- 
reicht worden  ist,  gibt  uns  schöne  Hoffnung  für 
die  Zukunft. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Gerücht  und  Wunder.  —  In  der  vorurteils- 
losen Wissenschaft  ist  es  seit  langer  Zeit  bekannt, 
daß  eine  Legion  von  Wundergeschichten  und 
mystischen  Erlebnissen  aller  Art  ihre  Entstehung 
lediglich  den  Übertreibungen  und  Entstellungen 
des  Gerüchts  verdankt,  jener  Fama,  die  schon 
dem  Altertum  als  größte  aller  Lügnerinnen  er- 
schien. Angesichts  des  nicht  unbedenklichen  Un- 
heils, das  eine  kritiklos  weitergegebene  und  dann 
auch  vielfach  bedingungslos  geglaubte,  sensationelle 
Wundererzählung  in  vielen  Köpfen  anzurichten 
vermag,  erscheint  es  dringend  geboten,  besonders 
eklatante  Fälle  dieser  Art  aufzuklären  und  dann 
als  warnendes  Beispiel  für  die  Unzuverlässigkeit 
der  im  Volk  umgehenden  mystischen  Geschichten 
vor  der  breiten  Öffentlichkeit  in  ihrem  wahren 
Zusammenhang  darzulegen.  —  So  sei  es  mir  ge- 
stattet, auch  heute  wieder  ein  Schulbeispiel  dieser 
Art,  das  vor  einigen  Monaten  ziemliches  .'\ufsehen 
erregte,  zu  diskutieren. 

Am  26.  September  1908,  mittags  etwa  um 
2  Uhr,  ereignete  sich  in  Berlin  das  furchtbare 
Hochbahnunglück  auf  dem  Gleisdreieck.  In  dem 
Bericht,  den  der  Berliner  Lokal- Anzeiger  am 
Morgen  des  27.  September  darüber  brachte,  fand 
sich  nun  u.  a.  folgender  aufsehenerregende  Passus: 

,,Ein  Herr,  Bruder  des  schwerverletzten  Tape- 
zierers Schumacher,  erzählte  uns:  ,Ich  bin  Reisen- 
der für  ein  hiesiges  Haus,  und  befand  mich  seit 
vierzehn  Tagen  auf  der  Tour.  Heute  war  ich  in 
Swinemünde  und  wollte  nach  Kolberg.  Da,  es 
ist  so  etwa  gegen  2  Uhr,  überkommt  mich  eine 
namenlose  Unruhe.  Etwas  in  mir  sagt  mir  un- 
ablässig, daß  etwas  geschehen  sei.  Kurz  ent- 
schlossen gebe  ich  die  Fahrt  nach  Kolberg  auf 
und  fahre  nach  Berlin  zurück.  Bei  meiner  An- 
kunft auf  dem  Stettiner  Bahnhof  sagen  mir  die 
Extrablätter,  was  vorgefallen  ist,  und  jetzt  finde 
ich  hier  meinen  Bruder  schwer  verletzt.'" 

Hatte  der  Fall  sich  wirklich  so  zugetragen, 
wie  es  hier  behauptet  wurde,  so  lag  eine  ein- 
wandfreie  Fernahnung    vor,    wie    deren    Hunderte 


und  Tausende  immer  wieder  und  wieder  von  den 
verschiedensten  Seiten  berichtet  werden,  ohne  daß 
es  bisher  gelungen  wäre,  einen  absolut  einwand- 
freien und  wissenschaftlich  unangreifbaren  Beweis 
für  das  wirkliche  Vorkommen  solcher  Ferngefühle, 
Ahnungen,  hellseherischer  Begabungen  usw.  zu 
erbringen.  Der  Fall  schien  daher  einer  sorgsamen 
Nachprüfung  wert  zu  sein;  durfte  man  doch  von 
einer  solchen  unter  allen  Umständen,  wie  auch 
das  schließliche  Resultat  sein  mochte,  wertvolle 
Aufklärungen  für  die  psychologische  Wissenschaft 
erhoffen.  Da  ich  überdies  Mitglied  der  Kom- 
mission war,  welche  die  ,, Psychologische  Gesell- 
schaft" in  Berlin  zur  Veranstaltung  ihrer  „Okkul- 
tismus-Enquete" eingesetzt  hatte,  mußte  ich  um 
so  lebhafter  den  Wunsch  hegen,  volles  Licht  über 
einen  Fall  von  Ahnung  zu  verbreiten,  der  auf  den 
ersten  Moment  von  einer  geradezu  frappanten 
Beweiskraft  zu  sein  schien ,  der  überdies  in 
weiten  Teilen  der  Berliner  Bevölkerung  bekannt 
geworden  war  und  viel  besprochen  wurde. 

Nachdem  ich  die  Zustimmung  der  beiden  an- 
deren Mitglieder  unserer  Okkultismus-Kommission 
eingeholt  hatte,  suchte  ich  mich  mit  dem  Herrn, 
der  die  Ahnung  gehabt  haben  sollte,  in  Verbin- 
dung zu  setzen.  Es  war  dies  nicht  ganz  einfach, 
da  der  Name  und  die  Wohnung  des  verunglückten 
Tapezierers  in  den  verschiedenen  Tageszeitungen 
ganz  verschieden  angegeben  worden  waren. 
Schließlich  gelang  es  mir,  den  Gesuchten  aus- 
findig zu  machen:  es  war  der  Kaufmann  Johannes 
Schumann  (nicht  Schumacher),  Berlin,  Bromberger 
Straße  12,  wohnhaft.  Ich  richtete  an  Herrn 
Schumann  einen  eingehenden  Brief,  in  dem  ich 
ihn  über  die  Bedeutung  einer  genauen  Fest- 
stellung der  Tatsachen  und  über  das  Interesse, 
das  unsere  Okkultismus-Enquete  an  dem  Fall 
nahm,  aufklärte.  Im  Anschluß  daran  richtete  ich 
eine  größere  Reihe  von  genau  präzisierten  Fragen 
an  ihn,  die  ich  nach  bestem  Wissen  und  Gewissen 
zu  beantworten  bat.  Herr  Schumann  hatte  die 
große  Liebenswürdigkeit,  auf  meine  Anregung  ein- 
zugehen, und  richtete  am  16.  Oktober  1908  aus 
Königsberg  i.  Fr.,    wohin    er  wieder   verreist  war, 


N.  F.  VIII.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


43 


einen  4  Seiten  langen  Brief  an  mich,  für  den  ich 
ihm  auch  an  dieser  Stelle  herzlichen  Dank  sagen 
möchte. 

Ich  kann  es  mir  versagen,  hier  die  von  mir 
gestellten  Fragen  und  den  Schumann'schen  Brief 
im  ganzen  Umfang  ungekürzt  wiederzugeben. 
Für  die  Beurteilung  des  Vorfalls  genügt  voll- 
kommen der  nachfolgende,  dem  Brief  entnommene 
Abschnitt : 

„Sonnabend  den  26.  September  Vormittag  er- 
ledigte ich  meine  geschäftlichen  Angelegenheiten 
in  Swinemünde.  Hierauf  überlegte  ich,  ob  ich 
den  kommenden  Sonntag  in  Swinemünde  ver- 
bleiben soll  oder  noch  denselben  Tag  nach  Kol- 
berg fahre.  Bald  darauf  erwog  ich  auch,  ob  ich 
wohl  meine  Frau  in  Berlin  mit  meinem  Besuch 
überraschen  soll;  ich  verwarf  jedoch  letzteren 
Plan,  da  er  mir  zu  kostspielig  und  zeitraubend 
erschien.  Ich  beschloß  nun,  Nachmittag  nach 
Kolberg  zu  fahren.  Bevor  ich  mich  noch  zur 
Weiterreise  nach  Kolberg  rüstete,  sagte  mir  plötz- 
lich etwas  unbestimmtes,  fahre  sofort  nach  Berlin. 
Ich  bekam  eine  ungewöhnliche  Unruhe,  dachte  an 
meine  Frau  und  Kind  (i  Jahr  alt)  und  nichts 
hätte  mich  von  der  Reise  mehr  abhalten  können. 
Nachmittag  I  Uhr  18  Minuten  fuhr  ich  von 
Swinemünde  nach  Berlin,  also  bereits  vor  der 
Katastrophe.  Während  der  Fahrt  verlor  sich  die 
innere  Unruhe,  wozu  jedenfalls  die  Zeitungslektüre 
beitrug.  Erst  beim  Eintreffen  in  Berlin  erfuhr  ich 
von  der  furchtbaren  Katastrophe." 

Das  Wunderbare ,  das  dem  Ereignis  in  der 
Schilderung  des  „Berliner  Lokal-Anzeigers"  an- 
haftete, zerfließt  also  —  wieder  einmal !  —  bei 
näherer  Betrachtung  in  wesenlosen  Schein.  Wir 
sehen,  daß  Herr  Schumann  schon  am  Vormittag 
des  verhängnisvollen  Tages  in  Swinemünde  ernst- 
haft den  Gedanken  erwog,  den  darauffolgenden 
Sonntag  in  Berlin  in  Gesellschaft  von  Frau  und 
Kind  zu  verbringen,  die  er  für  mehrere  Wochen 
nicht  wieder  sehen  sollte.  Er  verwarf  zwar  zu- 
nächst den  Plan  wegen  der  damit  verbundenen 
Kosten,  nahm  ihn  aber  auf,  weil  er  einen  Anfall 
von  jener  weitverbreiteten  und  wohlbekannten 
Unruhe  erlitt,  die  einen  von  seinen  Lieben  ge- 
trennten Menschen  gelegentlich  beim  Gedanken 
an  die  Entfernten  ergreift  und  ihn  nicht  selten 
dazu  treibt,  sich  rasch  in  irgendeiner  Weise, 
durch  telegraphische  oder  telephonische  Anfrage 
oder  auch  durch  persönlichen  Augenschein,  von 
ihrem  Wohlbefinden  zu  überzeugen.  Herr  Schu- 
mann nun  entschloß  sich,  im  Hinblick  auf  den 
bevorstehenden  freien  Tag,  zur  Reise  nach  Berlin, 
worin  wahrlich  niemand  etwas  Wunderbares  sehen 
kann.  Da  er  schon  um  i  Uhr  18  Minuten,  also 
zu  einer  Zeit,  wo  das  Hochbahn-Unglück  noch 
gar  nicht  geschehen  war,  von  Swinemünde  abfuhr, 
ist  deutlich  bewiesen,  daß  keine  psychische  Fern- 
wirkung des  verunglückten  Bruders  das  Gefühl 
der  Unruhe  auslöste,  daß  also  von  einer 
Ahnung  in  die  Ferne  unter  keinen  Um- 
ständen die  Rede  sein  konnte!     Es  kommt 


hinzu,  daß  Herr  Schumann  ausdrücklich  betont, 
seine  Unruhe  habe  sich  nur  auf  Frau  und  Kind 
—  also  nicht  auf  den  Bruder!  —  bezogen,  und 
das  unbehagliche  Gefühl  sei  während  der  Fahrt  — 
also  gerade  zur  Zeit  der  Katastrophe!  —  wieder 
verloren  gegangen. 

Lag  hier,  wie  mystisch  veranlagte  Gemüter 
natürlich  nach  wie  vor  als  erwiesen  erachten 
werden,  wirklich  eine  Ahnung  vor,  so  stimmte 
sie  demnach  weder  in  bezug  auf  die  Zeit,  zu  der 
sie  eintrat,  noch  in  bezug  auf  das  Objekt.  Die 
F"ahrt  nach  Berlin,  die  in  der  Schilderung  des 
Berliner  Lokal-Anzeigers  als  etwas  ganz  Unvorher- 
gesehenes und  als  eine  ausschließliche  Folge  der 
inneren  Unruhe  erscheint,  war  mehrfach  und 
gründlich  vorher  erwogen  worden,  und  die  „innere 
Unruhe"  war  weder  ,, namenlos"  noch  trat  sie 
„gegen  2  Uhr"  ein ;  vielmehr  stellte  sie  sich  über 
eine  Stunde  früher  ein  und  beruhte  auf  ganz  all- 
täglichen und  wohlbekannten  psychischen  Vor- 
gängen, als  F'olge  eines  zu  besonderer  Lebhaftig- 
keit gesteigerten  Gedankens  an  Frau  und  Kind, 
die  in  der  Ferne  weilen. 

Der  Fall  selbst  wie  auch  seine  Aufklärung 
sind  typisch  in  ihrer  Art.  Sie  enthalten  für  die 
wissenschaftliche  F'orschung  wie  auch  für  jeden, 
der  sich  ein  unbefangenes  und  ungetrübtes  Urteil 
zu  bewahren  wünscht,  aufs  neue  die  eindringliche 
Mahnung,  jede  scheinbar  noch  so  gut  beglaubigte, 
angebliche  Wundergeschichte  nicht  eher  für  bare 
Münze  zu  nehmen,  bis  nicht  alle  in  Erwägung  zu 
ziehenden  Fehlerquellen  zuverlässig  ausgeschaltet 
und  alle  vom  Gerücht  aufgestellten  Behauptungen 
bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten  hinein  gründlich 
nachgeprüft  worden  sind. 

Dr.  Richard  Hennig. 


Auftreten  der  Raupe  von  Aglossa  pinqui- 
nalis  im  Darm.  —  Vielen  Krankheiten  ist  so- 
wohl der  tierische  wie  menschliche  Körper  unter- 
worfen, deren  Ursachen  in  erster  Linie  auf  das 
Vorhandensein  tierischer  oder  pflanzlicher  Organis- 
men zurückzuführen  sind.  Unter  letzteren  sind 
es  besonders  die  Bakterien,  die  zu  den  gefürch- 
tetsten  Epidemien  Veranlassung  geben  können. 
Von  den  tierischen  Lebewesen  finden  wir  unter 
den  Protozoen,  Würmern  und  Gliedertieren  zahl- 
reiche Vertreter,  welche  teils  auf,  teils  in  dem 
Menschen  ihre  Nahrung  suchen.  In  letzterem 
Falle  kommt  es  hierbei  zu  mehr  oder  minder 
schweren  Erkrankungen  des  heimgesuchten  Or- 
ganismus. Während  die  genaue  Kenntnis  der- 
artiger Erkrankungen  erst  neueren  Datums  ist,  so 
das  Malariafieber,  die  Schlafkrankheit  u.  a.  m., 
reicht  die  Kenntnis  mancher  durch  Insekten  oder 
Würmer  hervorgerufenen  Krankheiten  auf  viel 
frühere  Zeiten  zurück.  Durch  weitgehende  Unter- 
suchungen sind  wir  heutzutage  über  die  meisten 
Erkrankungen,  welche  sich  auf  die  Anwesenheit 
von  Würmern  bei  dem  Menschen  —  sei  es  im 
Darm,  oder  anderen  Körperteilen  —  zurückführen 


44 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  3 


lassen,  vollständig  im  klaren.  Neben  den  Würmern 
sind  es  die  Gliedertiere,  und  unter  diesen  wieder 
die  Dipteren,  welche  in  mannigfacher  Weise  dem 
Menschen  gefährlich  werden  können.  So  die 
Larven  der  ()striden  (Biesfliegen)  und  Museiden 
(Fliegen),  welche  als  gelegentliche  Schmarotzer 
sich  auf  und  unter  der  Haut  des  Menschen,  im 
Gehörgang,  in  der  Conjunctiva,  in  der  Urethra 
und  Vagina,  im  Magen  und  Darm  aufhalten  können. 
Nicht  häufig  sind  bis  jetzt  die  Fälle ,  wo 
Museiden  im  Darme  gefunden  wurden.  Und  doch 
wird  das  Auftreten  derselben  im  Darme  ein  viel 
häufigeres  sein  müssen,  als  bis  jetzt  bekannt  ist. 
Denken  wir  nur  an  die  Gewohnheit  zahlreicher 
Fliegen,  ihre  Eier  auch  auf  Eßwaren  wie  Fleisch, 
Brot,  Käse  usw.  abzulegen,  so  ist  es  leicht  ver- 
ständlich, wie  oft  wir  nicht  nur  Übertragungen 
schädlicher  Krankheitskeime,  sondern  auch  Infek- 
tionen durch  die  Larven  selbst  ausgesetzt  sind. 
Im  Magen  oder  Darm  geben  diese  Larven  bei 
zahlreicher  Einwanderung  Veranlassung  zum  Er- 
brechen, zur  Übelkeit  und  Kolik.  Viele  kolik- 
artige Fälle  dürften  wohl  mitunter-  auf  die  Gegen- 
wart von  Fliegenlarven  im  Darme  zurückzuführen 
sein. 


Fig.    I. 

Die    Raupe    von    Aglossa    pinquinalis     in     l'/a" Fächer 

Vergrößerung.       Am    Vorder-    und     Hinterende    ist    bei    der 

Konservierung   der  Darm  etwas  herausgetreten. 

Abkürzungen:   v  Vorderende;   h   Hinterende. 

Aber  auch  andere  Larvenformen  als  gerade 
Muscidenlarven  können  gelegentlich  in  den  Darm 
des  Menschen  gelangen.  So  wurde  mir  vor  kurzem 
von  einem  befreundeten  Arzte  ein  Tier  zur  Be- 
stimmung zugesandt,  mit  der  Angabe,  daß  sich 
dasselbe  im  Stuhlgange  seines  3V'., -jährigen  Jungen 
befunden  hätte.  Es  wäre  nicht  tot,  sondern  noch 
lebend  gewesen,  was  durch  Zuckungen  des  Tieres 
kenntlich  gemacht  worden  sei.  Die  Zustellung 
geschah  in  Alkohol.  Meine  erste  Vermutung,  daß 
es  eine  Muscidenlarve  sei,  wurde  bei  genauerer 
Untersuchung  des  Tieres  dahin  berichtigt,  daß  es 
sich  um  die  Raupe  des  Schmetterlinges  Aglossa 
pinquinalis  handelte.  In  Fig.  1  ist  das  Tier  in 
i'/.^-facher  Vergrößerung  photographisch  wieder- 
gegeben. Man  erkennt  die  den  Schmetterlings- 
raupen eigentümlichen  vorderen  und  die  fünf 
hinteren  sog.  falschen  Beinpaare.  Während  die 
vorderen    Beinpaare    keinen    wesentlichen    Unter- 


schied mit  denen  der  übrigen  Raupen  aufweisen 
(s.  Fig.  2  b),  lassen  die  falschen  Beinpaare  in  der 
Nähe  der  Fußsohle  einen  deutlichen  Kranz  von 
Chitinhaken  erkennen,  deren  Spitzen  nach  außen 
gerichtet  sind  (s.  Fig.  2  a).  Man  wird  unwillkür- 
lich an  den  Hakenkranz  bei  Taenia  solium  (Haken- 
bandwurm) erinnert,  wo  die  Stellung  und  Form 
der  Haken  fast  eine  ähnliche  ist.  Schon  diese 
eigentümliche  Bewaft'nung  der  falschen  Beinpaare 
läßt  darauf  schließen,  daß  die  Raupe  von  A.  p. 
auf  einem  schlüpfrigen  Substrate  leben  muß,  wo- 
bei ihr  die  Beine  als  gute  Haftorgane  vortreffliche 
Dienste  leisten  müssen.  Was  weiterhin  das  Tier 
als  Raupe  kenntlich  macht,  ist  das  Auftreten  von 
Stigmen  an  jedem  Leibesringe,  während  bei  den 
Muscidenlarven  nur  2  Stigmen  am  hinteren  Körper- 
ende vorhanden  sind.  Die  Farbe  des  Tieres  war 
schmutzigweiß  mit  häufig  auftretender  bräunlicher 
Punktierung.     Der  Kopf  war  dunkelbraun. 


Fig.    2. 
a  Hinterfuß  mit  Hakenkranz ;  b  Vorderes  Bein. 


Es  lag  nun  die  Frage  nahe,  auf  welche  Weise 
die  Raupe  in  den  Darm  des  Kindes  gelangte. 
Es  sei  zunächst  vorweggenommen,  daß  weitere 
Raupen  bis  jetzt  nicht  mehr  in  dem  angeführten 
Falle  zutage  traten,  wir  es  also  nur  mit  einem 
vereinzelten  und  daher  ausnahmsweisen  Auftreten 
der  Raupen  zu  tun  haben  müssen.  Ferner  sei 
zugleich  an  dieser  Stelle  bemerkt,  daß  ein  Irrtum 
in  bezug  auf  den  Befund  völlig  auszuschließen  ist, 
da  der  betreffende  Arzt  jeden  Morgen  den  Stuhl 
des  Knaben  genau  untersuchte,  weil  in  letzter 
Zeit  der  Junge  an  der  bekannten  Kinderwurm- 
krankheit  (Oxyuris  vermicularis)  litt.  Sehen  wir 
uns  einmal  in  der  Literatur  um,  was  über  A.  p. 
angegeben  wird.  Dieser  Schmetterling  gehört  zu 
der  Familie  der  Kleinschmetterlinge  und  unter 
diesen  wieder  zu  der  Gruppe  der  Pyraliden,  der 
Zünsler  oder  Lichtmotten.  Zünsler  ist  ein  bayri- 
scher Provinzialname  für  Lichtmotten.  In  Spuler's 
Schmetterlingswerk  finden  wir  ferner  folgende 
Angabe :  „Die  Raupe  von  A.  p.  ist  dunkelgrau 
mit  schwarzem  Kopf.  Sie  lebt  besonders  in 
Ställen  in  seidenen  Röhren  unter  Streu  und  er- 
nährt sich  von  vegetabilischen  .Abfällen."  In  der 
Synopsis  von  Leunis  wird  die  Raupe  als  dunkel- 
braun angegeben,  in  bezug  auf  ihre  Lebensweise 
gesagt,  daß  sie  sich  von  Fett,  Schmalz  nnd  ähn- 
lichen Stoffen  ernährt.     Demnach  haben   wir   uns 


N.  F.  VIII.  Nr.  3 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


45 


von  der  Lebensweise  des  Tieres  folgende  Vor- 
stellung zu  machen :  Die  Falter  setzen  ihre  Eier 
an  den  Stellen  ab,  wo  die  jungen  Raupen  sofort 
entsprechende  Nahrung  finden  werden.  Solcher 
Stellen  gibt  es  viele,  besonders  auf  dem  Lande, 
so  z.  B.  Holzgefäße  zum  Aufbewahren  von  Butter, 
Fett  u.  a.  m.  Den  Raupen  dienen  hierbei  die 
Haken  der  Beine  in  geeigneter  Weise  zum  Fest- 
halten und  Fortbewegen  an  den  eingefetteten 
Wänden  der  Gefäße.  Hat  die  Raupe  ihre  volle 
Größe  erreicht,  so  verläßt  sie  ihren  ursprünglichen 
."Xufenthaltsort,  um  sich  in  passenden  Schlupf- 
winkeln zu   verpuppen. 

In  unserem  Falle  wird  sich  nun  vielleicht  in 
der  Butter  eine  noch  junge  Raupe  von  A.  p.  be- 
funden haben  —  ungefähr  2  bis  3  mm  groß  — 
und  mit  dem  Essen  in  den  Magen,  bzw.  Darm  des 
Kindes  gelangt  sein.  Trotz  des  außergewöhn- 
lichen Aufenthaltes  entwickelte  sich  die  Raupe 
weiter,  wobei  sie  in  ihren  Beinen  passende  Werk- 
zeuge zum  F"esthalten  an  der  glatten  Darmwand 
besaß.  Die  Ausbildung  des  Pigmentes  wurde 
nunmehr  bei  der  Raupe  gehemmt,  oder  schon 
vorhandenes  Pigment  zerstört ,  daher  die  ab- 
weichende helle  Färbung  des  Tieres.  Der  ev. 
Einwand,  daß  der  Magen-  und  Darmsaft  das  Tier 
zum  Absterben  hätte  bringen  müssen,  läßt  sich 
dadurch  beseitigen,  daß  wir  an  zahlreichen  an- 
deren Beispielen  eine  große  Lebenszähigkeit  von 
im  Darm  lebenden  Larven  beobachtet  haben. 
Unsere  in  Fig.  i  abgebildete  Raupe  ist  fast  aus- 
gewachsen, ihr  Alter  auf  8  bis  10  Tage  zu  be- 
messen, von  der  Zeit  des  Auskriechens  ab  ge- 
rechnet. Es  ergibt  sich  daher  im  Darm  ein 
Aufenthalt  von  6  Tagen,  wenn  wir  annehmen, 
daß  die  Raupe  bei  ihrer  Einwanderung  3  mm 
groß  war.  Es  könnte  aber  die  Raupe  in  ihrer 
abgebildeten  Größe  eingewandert  sein  !  Dagegen 
spricht  wohl  aber  der  Umstand,  daß  das  Tier  ab- 
gesehen von  dem  ev-.  ,, Gesehenwerden",  durch  die 
kauende  Tätigkeit  des  Kindes  hätte  getötet  oder 
wenigstens  gequetscht  werden  müssen.  Wie  schon 
eingangs  erwähnt,  lebte  jedoch  das  Tier  beim 
Austritt  aus  dem  Darm.  Es  war  auch  sonst  an 
der  Raupe  nichts  zu  bemerken,  was  auf  voraus- 
gegangene Verletzungen  hätte  hinweisen  können. 
Ferner  hätte  ein  kurzes  Verweilen  im  Darm  das 
Pigment  nicht  so  zum  Verschwinden  bringen 
können,  wie  es  bei  dem  gefundenen  Tiere  zu  be- 
obachten war. 

Der  ganze  Befund  spricht  demnach  dafür,  daß 
wir  es  hier  mit  einem  zufälligen  Auftreten  und 
zeitweiligen  Verweilen  einer  Schmetterlingsraupe 
im  Darme  des  Menschen  zu  tun  haben,  bedingt 
durch  die  eigenartige  Lebensweise  der  Raupe  von 
A.  p.  Zu  besonderen  Erkrankungen  scheint  eine 
solche  Einwanderung  keine  Veranlassung  zu  geben. 
Vielleicht  sind  derartige  rasch  vorübergehende 
Infektionen  viel  häufiger,  als  man  denkt,  entziehen 
sich  aber  wohl  in  den  meisten  Fällen  den  Beob- 
achtungen. Mögen  daher  beigegebene  Abbildungen 
dazu    dienen ,    dem    Arzte    gelegentlich    die    Er- 


kennung solcher  zutage  tretenden  Larven  zu  er- 
leichtern, dann  wäre  der  Zweck  dieser  kurzen 
Abhandlung  vollständig  erfüllt. 

Dr.  August  Ackermann,  Bonn. 


Bücherbesprechungen. 

Ernst  Haeckel,  Unsere  Ahnenreihe  (Progo- 
nota.xis  Hominis).  Kritische  Studien  über 
])hyletische  Anthropologie.  Festschrift  zur  350- 
jährigen  Jubelfeier  der  Thüringer  Universität  Jena 
und  der  damit  verbundenen  Übergabe  des  phyle- 
tischen  Museums  am  30.  Juli  1 908.  Mit  6  Tafeln. 
Jena.  Gustav  Fischer.  1908.  —  Preis  7  Mk. 
Vor  50  Jahren,  am  i.  Juli  1S58,  machte  Darwin 
die  ersten  Mitteilungen  über  seine  neue  Entwicklungs- 
lehre. Ihre  wichtigste  Konsei|uenz,  nämlich  die  Ab- 
stammung des  Menschen  von  -Säugetieren,  zog  1863 
Thomas  Huxley  in  seinen  drei  berühmten  Abhand- 
handlungen: I.  Über  die  Naturgeschichte  der  menschen- 
ähnlichen Affen,  2.  Über  die  Beziehungen  des  Menschen 
zu  den  nächstniederen  Tieren  und  3.  Über  einige 
fossile  menschliche  Überreste.  In  diesen  Schriften 
wird  der  Nachweis  erbracht,  daß  der  Mensch  zu- 
sammen mit  den  .Affen  und  Halbaffen,  zu  den  Herren- 
tieren (Primates)  gehört.  Übrigens  finden  wir  schon 
bei  Carl  von  Linne  (1735)  den  Menschen  mit  den 
Affen  und  Halbaffen  vereinigt  zur  Ordnung  der 
Anthropomorpha.  In  Deutschland  fand  Darwin's  Lehre 
Eingang  durch  Carl  Vogt  (1S63)  und  besonders  durch 
Haeckel.  Er  versuchte  schon  1866  in  seiner  „Gene- 
rellen Morphologie"  den  Stammbaum  des  Tierreiches 
aufzustellen  und  die  Keimesgeschichte  der  Organismen 
aus  ihrer  Stammesgeschichte  heraus  zu  erklären 
(biogenetisches  Grundgesetz).  Später,  1872,  zeigte  der 
Verfasser  in  seiner  Gastraea-Theorie,  daß  alle  Metazoen 
von  einem  einfachen,  zweischichtigen,  becherförmigen 
Urdarmtier,  seiner  ,,Gastraea",  abzuleiten  sind.  Erst 
1895  fand  Monticelli  in  Neapel  das  Urbild  der  hypo- 
thetischen Gastraea,  das  er  Pemmatodiscus  gastrulaceus 
nannte.  —  Die  wichtigste  Aufgabe  der  Phylogenie, 
die  Abstammung  des  Menschen  bis  hinab  zu  den 
Protozoen  zu  verfolgen,  suchte  Haeckel  1874  in  seiner 
„Anthropogenie"  zu  lösen.  Trotzdem  diese  Wissen- 
schaft der  Anthropogenie  die  historische  Grundlage 
für  die  Anthropologie  bildet,  ist  sie  doch  von  dieser 
lange  Zeit  —  besonders  unter  Virchow's  großem  Ein- 
fluß —  bekämpft  worden.  Erst  in  neuester  Zeit 
bricht  sich  die  Erkenntnis  Bahn,  daß  die  „Anthropo- 
genie das  Fundament  der  Anthropologie  ist".  Das 
Interesse  der  Forscher,  die  sich  mit  der  Ahnenreihe 
des  Menschen  befaßten,  wandte  sich  zunächst  seinen 
nächsten  Verwandten,  den  Affen,  zu.  Von  großer 
Wichtigkeit  wurde  hier  die  Auffindung  des  „missing 
link",  des  fehlenden  Gliedes  zwischen  Affen  und 
Mensch.  Eugen  Dubois  fand  es  1891  auf  Java  und 
nannte  es  Pithecanthropus  erectus.  —  Nachdem  nun 
durch  die  Auffindung  des  „missing  link"  die  Ab- 
stammung des  Menschen  von  den  Affen  als  bewiesen 
zu  betrachten  ist,  wendet  sich  die  Forschung  neuer- 
dings zu  den  älteren  Ahnen  des  Menschen.     Die  ge- 


46 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vin.  Nr.  3 


samte  Vorfahrenreihe  des  iMenschen  sicher  festzustellen, 
dürfte  niemals  gelingen.  Aber  eine  ganze  Anzahl 
typischer  und  wichtiger  Stammformen  läßt  sich  fest- 
stellen, die  zwischen  ihnen  liegende  „phyletische 
Strecken"  begrenzen.  —  Die  Progonotaxis  des  Menschen 
zerfällt  in  zwei  große  Abschnitte.  Der  erste  .Abschnitt 
umfaßt  die  Ahnen,  die  fossil  nicht  bekannt  sind.  Die 
ältere  Hälfte  ist  vom  historisch  geologischen  Gesichts- 
punkte aus  betrachtet  präsilurisch,  die  jüngere  Hälfte 
reicht  vom  Silur  bis  zur  Gegenwart.  Wenn  also  in 
der  ersten  Hälfte  unserer  Progonota.xis  fossile  Doku- 
mente fehlen,  so  können  die  dahingehörigen  Ahnen 
nur  durch  die  Methoden  der  vergleichenden  Anatomie 
und  der  Ontogenie  erschlossen  werden,  wobei  uns 
das  biogenetische  Grundgesetz  die  wichtigsten  Direk- 
tiven gibt.  Was  die  Urkunden  unserer  Progonotaxis 
anbetrifft,  so  lassen  sie  sich  aus  dem  Vorhergehenden 
z.  T.  schon  ersehen.  Sie  sind  i.  die  Paläontologie, 
die  uns  in  den  Fossilien  wertvollste  positive  Kennt- 
nisse vermittelt,  aber  auch  zahlreiche  störende  Lücken 
aufweist,  2.  die  Ontogenie,  die  insofern  sehr  wichtig 
ist,  als  sie  ja  eine  kurze  Rekapitulation  der  Phylogenie 
ist,  und  endlich  3.  die  Morphologie,  die,  vergleichend 
betrieben,  wichtige  Aufschlüsse  über  Verwandtschafts- 
verhältnisse u.  s.  f.  gibt.  Diese  drei  Wissenszweige 
müssen  bei  den  Studien  über  unsere  Progonotaxis  in 
gleicher  Weise  berücksichtigt  und  kritisch  angewendet 
werden.  — 

Die  erste  der  sechs  Strecken  unserer  Progonotaxis 
umfaßt  die  Protisten-Ahnen.  Der  Lehrsatz,  daß  alle 
Wirbeltiere,  somit  auch  der  Mensch,  wie  überhaupt 
alle  Histonen  {=^  Gewebetiere)  von  Protisten  ab- 
stammen, ist  jetzt  wohl  allgemein  angenommen.  Es 
ist  sichergestellt,  daß  jedes  Individuum  von  einer 
Stammzelle  aus,  der  Cytula,  seinen  Ursprung  nimmt. 
Nach  dem  biogenetischen  Grundgesetz  muß  daher  jede 
Tierform  mit  einer  Urstammzelle  in  seiner  Ahnenreihe 
beginnen ,  der  Cytaea.  Unter  den  Protisten  sind 
wiederum  die  Piasmodomen ,  die  Protophyten ,  die 
älteren  Formen ,  aus  denen  erst  später  die  plas- 
mophagen  Protozoen  hervorgegangen  sind.  Die  Proto- 
zoen gingen  aus  den  Protophyten  durch  Umkehr  des 
Stoffwechsels,  durch  „Metasitismus"  hervor.  Bei  den 
Protisten  unterscheidet  man  zwischen  Urzellen  oder 
Archicyten  und  Kernzellen.  Zu  den  Urzellen ,  die 
kernlos  sind,  rechnet  man  die  Moneren.  Zu  diesen 
gehören  die  Chromaceen  und  Bakterien,  die  keine 
Kerne ,  manchmal  nur  Chromidien  besitzen.  Die 
Chromaceae  (^  Cyanophyceae)  sieht  Haeckel  als  die 
„Urorganismen"  an,  die  den  Übergang  von  der  an- 
organischen zur  organischen  Welt  vermitteln.  Ihre 
einfachsten  Formen,  z.  B.  Chroococcus,  Gloeocapsa  etc. 
sind  mit  den  Chromatophoren  der  Metaphyten  ver- 
gleichbar. Das  Protoplasmakügelchen  dieser  Organis- 
men ist  von  einer  Gallerthülle  umgeben,  einem  Schutz- 
organ des  nackten  Zellleibes.  Denken  wir  uns  diese 
Hülle  weg,  so  haben  wir  die  einfachsten  Organismen 
vor  uns,  die  hypothetischen  „Probionten"  des  lauren- 
tinischen  Zeitalters.  Diese  müssen  wir  uns  als  durch 
Urzeugung  entstanden  denken.  —  Die  nächste  Ahnen- 
stufe sind  die  „Algarien",  besonders  die  Palmellaceen 
und   Xanthellaceen.     Diese    sind  einzellige  Algen  mit 


Zellkernen,  aber  noch  ohne  Flimmerbewegung.  Aus 
diesen  .'\lgarien  entstanden  durch  Metasitismus  die 
Amöben,  die  die  älteste  Stammform  der  Protozoen 
bilden.  Die  einfache  Organisation  der  Amöben  und 
die  Tatsache,  daß  amöboide  Zellen  im  Tierreich  viel- 
fach vorkommen  (z.  B.  Leukocyten)  sprechen  dafür, 
daß  sie  .Ahnen  der  Menschen  sind.  Auf  die  Amöben 
folgen  in  der  Progonotaxis  durch  Vermittlung  der 
Mastigamöba  die  Flagellata,  bestimmt  geformte,  mit 
einer  oder  mehreren  Geißeln  schwimmende ,  teils 
plasmodome,  teils  plasmophage  Formen.  Besonders 
die  einfachen  Zoomonaden  und  Monadinen  geben 
uns  ein  ungefähres  Bild  dieser  Progonen.  Die  5.  Stufe 
unserer  Progonen  bilden  die  Blastaeaden,  die  Über- 
gangsgruppe zu  den  Metazoen.  Es  sind  dies  Hohl- 
kugeln, aus  einer  Schicht  gleichartiger  Zellen  gebildet. 
In  der  Ontogenie  der  Histonen  entspricht  diese  Ahnen- 
form der  wichtigen  Blastula.  Noch  heute  gibt  es 
einige  Organismen,  die  auf  der  Stufe  der  Blastula 
stehen,  so  die  plasmodomen  Volvocineen  |  Volvox, 
Pandorina)  und  die  plasmophagen  Catalacten  (z.  B. 
Magosphaera ). 

Die  zweite  Strecke  unserer  Progonotaxis  umfaßt 
die  Invertebraten-Ahnen.  Unter  diesen  Metazoa 
invertebrata  unterscheidet  man  zwei  große  Gruppen, 
die  Niedertiere  oder  Cölenteria  und  die  Obertiere 
oder  Cölomaria  nach  dem  Fehlen  oder  Vorhandensein 
einer  Leibeshöhle  (=  Cölom).  Die  gemeinsame 
Ausgangsform  der  Cölenterien  ist  die  hypothetische 
Gastraea,  die  sich  als  Abbild  infolge  strenger  Ver- 
erbung noch  heute  bei  allen  Metazoen  in  Gestalt  der 
Gastrula  erhält.  Von  der  Gastraea  leiten  sich  ab : 
I.  die  Spongien,  2.  die  Cnidarier  und  3.  die  Platoden. 
Nur  die  letzteren  finden  sich  unter  den  Progonen  des 
Menschen.  Von  den  Gastraeaden- Ahnen  leben  in  der 
heutigen  Fauna  Olynthus  und  Hydra.  Dem  Urbilde 
der  Gastraea  soll  der  von  Monticelli  entdeckte 
Pemmatodiscus  gastrulaceus  vöUig  entsprechen.  Aus 
den  beiden  Keimblättern  der  Gastraea  haben  sich 
alle  Gewebe  entwickelt.  An  diese  Gastraeaden 
schließen  sich  die  Piatodarien,  eine  kleine  Gruppe 
einfach  gebauter  Tiere,  die  von  den  Platoden  ab- 
getrennt werden.  Hypothetisch  sind  unter  ihnen  die 
Archelminthes,  denen  sich  die  .'\coela,  die  niedrigsten 
Turbellarien  anschließen.  Sie  besitzen  an  Stelle  des 
Urdarmes  der  Archelminthes  ein  verdauendes  Paren- 
chym.  Haeckel  faßt  sie  als  Reste  der  Übergangs- 
formen von  den  Gastraeaden  zu  den  Rhabdocölen 
auf.  An  diese  einfachen,  diploblastischen  Cryptocölen 
schließen  sich  in  unserer  .■\hnenreihe  die  triploblasti- 
schen  Platodinien  an,  deren  Nachkommen  die  heute 
lebenden  Rhabdocölen  sind  und  die  sich  auch  durch  ein 
Exkretionssystem  und  die  Sonderung  des  Gehirnes 
von  den  Cryptocöliern  unterscheiden.  Mit  diesen 
Rhabdocölen-Vorfahren,  eben  den  Platodinien,  ver- 
lassen wir  die  Niedertiere  oder  Cölenterien  und  ge- 
langen zu  den  Cölomarien,  den  Tieren,  die  sich  durch 
den  Besitz  einer  Leibeshöhle  auszeichnen.  Mit  dem 
Erwerb  der  Leibeshöhle  gehen  Hand  in  Hand  die 
Entstehung  einer  zweiten  Darmöfthung  und  des  Blut- 
gefäßsystems. Damit  kommen  wir  zu  den  Vermalien 
Haeckel's,   jener  Gruppe,    die  übrig  bleibt,   wenn  wir 


N.  F.  Vtll.  Nr. 


Naturwissenschaflliche  Wochenschrift. 


47 


von  den  „Würmern"  (im  alten  Sinne)  die  Platoden 
und  .'\nneliden  abziehen.  Am  klarsten  treten  uns  die 
hypothetischen  Provermalien  in  den  Gastrotrichen  ent- 
gegen, die  noch  zahlreiche  Pladoten-Merkmale  zeigen, 
aber  einen  After  besitzen.  Von  der  9.  Etappe  unserer 
Progonotaxis,  den  Provermalien,  bis  zu  den  Pro- 
chordoniern  führt  der  allerdunkelste  Weg.  Als  Ziel  des 
Weges  sieht  man  nur  die  „Chordaea",  eine  ebenso 
wichtige  Stammform  wie  die  Gastraea.  Sie  ist  die 
gemeinsame  Stammform  der  Tunicaten  und  der 
Vertebrata.  Wie  sie  aus  den  Frontoniern  entstanden 
ist,  darüber  läßt  sich  nichts  Bestimmtes  angeben.  Die 
Chordaea  ist  längst  ausgestorben  und  dürfte  in  der 
präsilurischen  Zeit  gelebt  haben.  Näheres  über  die 
Chordaea- Theorie  findet  man  in :  Haeckel,  Anthropo- 
genie,  Kap.   10. 

Die  dritte  Strecke  unserer  Progonotaxis  umfaßt 
die  Monorrhinen-Ahnen.  Zu  diesen  gehören  vor  allem 
die  Acranier,  die  heute  nur  durch  den  Amphioxus 
(Branchiostoma)  vertreten  sind,  den  einzigen  Über- 
lebenden einer  großen  Gruppe  aus  dem  präsilurischen 
Zeitalter.  Die  große  Bedeutung  dieses  Tieres  ist 
durch  die  klassischen  Untersuchungen  von  Johannes 
Müller,  Kowalevsky  und  Hatschek  klargelegt  worden. 
So  sehr  einfach  auch  der  Bau  und  die  Entwicklungs- 
geschichte dieses  niedersten  rezenten  Vertebraten  sein 
mögen,  so  zeigt  er  doch  eine  Reihe  sekundärer,  erst 
später  erworbener  Merkmale.  Daraus  ergibt  sich,  daß 
er  nicht  als  direkter  Vorfahre  des  Menschen  auf- 
zufassen ist.  Dagegen  dürften  seine  präsilurischen 
Stammformen,  die  hypothetischen  „Urwirbeltiere"  oder 
Prospondylia,  in  die  Ahnenreihe  des  Menschen  zu 
rechnen  sein.  Auf  diese  uralten  Prospondylien-Ahnen 
folgt  ein  dunkles  Wegestück  in  unserer  Progonotaxis, 
wo  wir  nur  auf  mehr  oder  minder  wahrscheinliche 
Schlüsse  angewiesen  sind.  Festen  Boden  gewinnen 
wir  erst  wieder,  wenn  wir  zu  den  Cyclostomen  ge- 
langen. Diese  Tiere  sind  schon  Schädeltiere  (Cranioten) 
und  als  solche  weit  höher  organisiert  als  der  schädel- 
lose Amphioxus.  Die  beiden  sehr  voneinander  ab- 
weichenden Ordnungen  der  C}clostomen,  die  Myxi- 
noiden  und  die  Petromyzonten ,  sind  höchst  wahr- 
scheinlich divergente  Abkömmlinge  einer  älteren 
Stammgrappe,  die  Haeckel  als  Urschädeltiere  (=  Archi- 
crania)  bezeichnet.  Von  ihnen  sind  fossile  Reste  nicht 
erhalten  und  wir  können  uns  nur  durch  das  Studium  der 
Larve  von  Petromyzon  ein  ungefähres  Bild  jener  alten 
Urschädeltiere  machen.  Diese  „Archicranier"  nun 
sind  in  unserer  Ahnenreihe  sicherlich  vertreten  ge- 
wesen. —  Mit  diesen  Archicranier-Ahnen  schließt  der 
erste  große  Abschnitt  unserer  Progonotaxis  ab  und 
wir  gelangen  nun  in  ein  Gebiet,  wo  wir  infolge  des 
Vorhandenseins  paläontologischer  Urkunden  sicherer 
gehen.  Die  hier  beginnende  vierte  Strecke  unserer 
Progonotaxis  umfaßt  die  Anamnien-Ahnen,  also  solche 
Tierformen,  denen  im  embryonalen  Leben  ein  Amnion 
noch  fehlt.  Sie  beginnen  mit  den  Fischen ,  der 
untersten  Abteilung  der  Gnathostomen.  Von  den 
Fischen  (Pisces)  kommen  nur  die  Selachier  und  Ganoiden 
für  unsere  Ahnenreihe  in  Betracht,  während  die 
Teleostier  oder  Knochenfische  nicht  als  Vorfahren 
des    Menschen    zu    betrachten    sind.      Die    Selachier 


werden  als  Stammform  aller  Gnathostomen  ange- 
sprochen. Die  heute  lebenden  Selachier  freilich  zeigen 
auch  wieder  sekundäre  Merkmale.  Nach  deren  Ab- 
zug gelangte  Haeckel  zu  seinem  hypothetischen  ältesten 
Stammfisch,  dem  Ichthygonus  primordialis,  dem  die 
fossilen  obersilurischen  Proselachier  sehr  nahe  ge- 
standen haben  dürften.  Diese  Proselachier  dürften 
also  zu  unseren  Progonen  zu  rechnen  sein.  An  die 
Selachier,  und  mit  ihnen  durch  Übergänge  verbunden, 
schließen  sich  die  Ganoiden  oder  Schmelzschupper. 
Die  ältesten  Ganoiden  sind  die  Proganoiden,  von 
denen  spärliche  Reste  schon  im  oberen  Silur  vertreten 
sind.  Von  diesen  Proganoiden  führt  die  Entwick- 
lungslinie zu  den  noch  heute  in  Afrika  lebenden 
Crossopterygiern  und  weiter  zu  den  Dipneusten  oder 
Lurchfischen.  Diese  Dipneusten  sind  besonders  in- 
sofern höher  organisiert  als  sie  neben  den  Kiemen 
bereits  Lungen  besitzen ,  die  ihnen  den  Aufenthalt 
außerhalb  des  Wassers  gestatten.  Sie  bilden  aus  diesem 
Grunde  den  Übergang  zu  den  Amphibien  und  eine 
besondere  Stufe  unserer  Ahnenreihe.  Die  ältesten 
Dipneusten  sind  die  Paladipneusten  des  Devon  und 
Carbon,  aus  denen  sich  die  Progonamphibien  ent- 
wickelten ,  die  Ausgangsformen  aller  Vierfüßer.  — 
Es  folgen  nun  die  Amphibien-Ahnen,  die  eine  sehr 
wichtige  und  durch  alle  drei  Urkunden  gestützte  Vor- 
fahrengruppe bilden.  Die  Paläontologie  lehrt  uns  die 
uralten,  sehr  primitiven  Stegocephalen  kennen.  Dann 
zeigt  uns  die  vergleichende  Anatomie,  daß  die  Am- 
phibien in  der  Mitte  zwischen  den  älteren  Fischen 
und  den  Amnioten  stehen  und  endlich  zeigt  uns  die 
Ontogenie,  wie  sich  der  Übergang  vom  Wasser-  zum 
Landleben  gestaltet  hat.  Diese  alten  Stegocephalen 
waren  noch  mit  dem  pentadactylen  Kriechbein  ver- 
sehen. Ihr  salamanderähnlicher  Körper  war  mit  einem 
festen  Panzer  bedeckt.  Die  rezenten  Nacktlurche 
(Lissamphibia)  gehören  nicht  in  die  Ahnenreihe.  Von 
den  Stegocephalen  gelargen  wir  zu  den  Proreptilien, 
den  Ausgangsformen  der  Amnioten,  deren  Hauptmerk- 
male Amnion  und  Allantois  sind.  Die  Amnioten  um- 
fassen die  Sauropsiden  (Reptilien  -f-  Vögel)  und  die 
Säugetiere.  Zuerst  treten  primitive  Reptilien  auf,  die 
permischen  Tocosaurier,  Proreptilien,  die  einen  letzten 
Überrest  in  der  Hatteria  punctata  hinterlassen  haben. 
Zwischen  den  Reptilien-Ahnen  und  den  niedersten 
Säugern  sind  uns  gar  keine  fossilen  Reste  erhalten. 
Man  hat  daher  eine  Übergangsgruppe  angenommen, 
die  Sauromammalien.  Aus  dieser  hypothetischen 
Gruppe  entwickelten  sich  parallel  die  riesigen  Thero- 
morphen  und  die  Säugetiere.  —  Somit  betreten  wir 
die  fünfte  Strecke  unserer  Ahnenreihe,  die  der  Säuge- 
tiere. Die  Säugetiere  bilden  eine  morphologisch  wie 
phyletisch  einheitliche  Gruppe,  die  durch  8  sehr 
wichtige  Merkmale  charakterisiert  ist.  Deshalb  müssen 
die  gesamten  Säugetiere  eine  einzige  Stammform  haben, 
die  eines  unbekannten  Promammale.  Von  diesem 
hypothetischen  Promammale  führt  der  Weg  zu  den 
Monotremen.  Wahrscheinlich  haben  wir  in  den 
mesozoischen  Pantotherien  Progonen  des  Menschen 
zu  suchen.  Sicher  sind  auch  unter  den  Marsupialiern 
oder  Beuteltieren  verschiedene  Stufen  unserer  Pro- 
gonotaxis    zu    suchen ,    besonders    ihre    gemeinsame 


48 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  3 


Stammform,  die  Prodidelphier.  Die  höchst  entwickeUe 
Subklasse  der  Säugetiere  ist  die  der  Zottentiere  = 
Placentalia.  An  der  Wurzel  hängen  alle  die  ver- 
schiedenen, weit  auseinandergehenden  Placentalier  zu- 
sammen. Sie  haben  die  gemeinsame  Stammform  der 
Urzottentiere.  Im  Tertiär  fand  die  große  EntfaUung 
der  Säugetiere  statt.  Aus  den  IMallotherien  (Urzotten- 
tieren)  entwickelten  sich  wahrscheinlich  in  der  Kreide 
die  Lemuraviden,  die  älteren  Halbaffen,  mit  der  Zalin- 

formel    ^  '     '     '  -^     An  sie  schließen  sich  die  jüngeren 

3  ■  I • 4-  3 
Halbaffen  an,  unter  denen  Tarsius  sehr  primitive 
Merkmale  zeigt.  Mit  diesen  Prosimien-Ahnen  haben 
wir  übrigens  die  sechste  Strecke  unserer  Progonotaxis 
beschritten.  An  die  Prosimien  schließen  sich  die 
pithekoiden  Ahnen  an.  Da  sind  zu  nennen  i.  Platyr- 
rhinen  und  2.  Katarrhinen.  Unter  den  letzteren  Ost- 
affen treffen  wir  heute  die  niederen  Hundsaffen  und 
die  höheren  Menschenaffen  oder  Anthropomorpha,  die 
den  unmittelbaren  Übergang  zum  Menschen  bilden. 
Nach  dem  Pithecometra-Satz  Huxley's  sind  wir  zu  der 
Annahme  berechtigt,  daß  der  Mensch  zusammen  mit 
dem  Gibbon,  Orang,  Schimpansen  und  Gorilla  von 
geschwänzten  Hundsaft'en  abstammt.  Wir  haben  also 
in  der  letzten  Strecke  unserer  Progonotaxis  folgende 
Stufen:  i.  ältere  Hundsaffen,  2.  jüngere  Hundsaffen, 
3.    ältere    Menschenaffen,    4.    jüngere   Menschenaffen, 

5.  Affenmenschen     (den     Pithecanthropus     erectus), 

6.  Urmenschen  (Homo  primigenius)  und  7.  Vernunfts- 
menschen (Homo  sapiens).  Darüber  findet  man  näheres 
in  Haeckel:  Syst.  Phylogenie  III,  ^;^  444 — 460. 

In  der  vorliegenden  Schrift  Haeckel's  finden  sich 
noch  2  Abschnitte  über  i.  phyletische  Beiträge  zur 
Kraniologie  und  2.  phyletische  Studien  über  Menschen- 
rassen. Die  Besprechung  dieser  Abschnitte  würde 
hier  zu  weit  führen  und  es  muß  daher  auf  das 
Original  verwiesen  werden. 

Dr.  phil.  Effenberger,  Jena. 


Afrika  und  die  Charakterpflanzen  Afrikas.  II.  Bd."  Cha- 
rakterpfianzcn  .\frikas  {insbesondere  des  trop.).  Die  Fami- 
lien der  afrikan.  Pflanzenwelt  u.  ilire  Bedeutg.  in  derselben. 
I.  Die  Pteridophyten,  Gymnospermen  u.  monokotyledonen 
Angiospermen.  iVIit  16  Vollbildern  u.  316  Textfig.  ;(XI, 
460  S.)  Leipzig '08,  W.  Engelmann.  —  Subskr.-Pr.  18  Mk., 
geb.  in  Leinw.  19,50  Mk.,  Einzelpr.  27  Mk.,  geb.  in  Leinw. 
28,50  Mk. 

Der  I.   Band   ist  noch  nicht  erschienen. 

Fischer,  Prof.  Emil :  Anleitung  zur  Darstellung  organischer 
Präparate.  8.  neu  durc-hgeseh.  Aufl.  (XVI,  98  S.  ra.  19  Ab- 
bildgn.)  8".  Braunschweig  '08 ,  F.  Vieweg  &  Sohn.  — 
Geb.  in  Leinw.  3,20  Mk.,  u.  durchsch.  3,60  Mk. 

Klein ,  F. ;  Elementarmatiiematik  vom  höheren  Standpunkte 
aus.  I.  Tl.:  .Arithmetik,  Algebra,  Analysis.  Vorlesung,  geh. 
im  Wintersem.  1907 — 08.  Ausgearb.  v.  E.  Hellinger.  (VIII 
S.  u.  590  autogr.  S.  m.  Fig.)  gr.  8 ".  Leipzig  '08 ,  B.  G. 
Teubner.  ~   7,50  Mk. 

Klut,  Dr.  Hartwig:  Untersuchung  des  Wassers  an  Ort  und 
Stelle.  (VII,  159  S.  m.  29  Fig.)  8°.  Berlin '08,  J.Springer. 
—   Geb.   in   Leinw.   3,60  Mk. 

Ratr.say,  Prof.  Sir  William:  Die  edlen  u.  die  radioaktiven 
Gase.  Vortrag.  (39  S.  m.  Abbildgn  )  gr.  8".  Leipzig  '08, 
Akadem.   Verlagsgesellschaft.    —    1,40  Mk.,    kart.    1,80  Mk. 


Anregungen  und  Antworten. 

Herrn  Sl.  R.  in  Krakau.  —  Nur  allgemein  interessierende 
Fragen  können  wir  an  dieser  Stelle  beantworten.  Einen  An- 
spruch auf  ."Antwort  können  wir  daher  unseren  Lesern  nicht  immer 
gewähren,  es  sei  denn,  dal3  sie  das  Porto  für  briefliche  Ant- 
wort mitsenden.  —  Die  Geschäftsstelle  des  deutschen  Monisten- 
bundes befindet  sich  in  Berlin  W,  Kurfiirstenstr.   167. 


In  Nr.  46  (1908)  der  Naturw.  Wochenschr.  erschien  ein 
Artikel  von  Dr.  S.  Killermann  über  den  ,,K  ann  ibal  is  mus 
bei  Menschen  und  Tieren".  Dazu  kann  ich  nach  per- 
sönlicher Beobachtung  hinzufügen,  daß  auch  bei  den  Kanarien- 
vögeln, also  nicht  Fleischfressern,  dieselbe  Erscheinung  zu 
konstatieren  ist.  Ich  habe  mehrmals  beobachtet,  daß  die 
Eltern,  besonders  oder  ausschließlich  junge  Eltern,  ihren 
kaum  gefederten  Jungen  erst  die  Federn  auszogen  und  dann 
schlieiSlich  die  Brust  durchstachen ,  wobei  sie  die  Eingeweide 
verzehrten.  Ob  sie  dabei  nach  einer  weichen  Unterlage  für 
ein  neues  Nest  suchten,  ist  fraglich  ;  sie  haben  wenigstens  zu 
dieser  Zeit  keinen  Mangel  an  den  von  den  Kanarienvögel- 
züchtern verwendeten  weichen  Spinnfasern  gehabt. 

Dr.  E.  V.  Budkewicz. 


Literatur. 

Bartels,  Dr.  Walth. :    Die  Gestalt  der  deutschen  Ustseeküste. 

(XI,    12S  S.)   Stuttgart 'oS,  Strecker  &  Schröder.    —  4,50  Mk. 
Cook,   des   Kapit.  James,   Weltumseglungsfahrten     Ein  Auszug 

aus    seinen    Tagebüchern.      Bearb.    u.    übers,    v.   Dr.   Edwin 

Hennig.     Mit    8  Bildern    u.    i    (färb.)   Karte,     i.— 4.  Taus. 

(554  S.)     Hamburg  '08,  Gutenberg-Verlag.  —  6  Mk. ,  geb. 

7  Mk. 
Darmstaedter's  Ludw.,   Handbuch  zur  Geschichte  der  Natur- 
wissenschaften u.  der  Technik.      In  chronolog.   Darstellung. 

2.,  umgearb.  u.  verm.  Aufl.      Unter  Mitwirkg.    v.    Prof.  Dr. 

R.  du  Bois-Reymond    u.    Oberst  z.  D.  C.  Schaefer  hrsg.  v. 

Prof.  Dr.    L.  Datmstaedter.     (X,    1263  S.)     gr.  8".     Berlin 

'08,  J.  Springer.   —   Geb.  in  Leinw.   16  Mk. 
Dircks,  Gust. :   Das  moderne  Spanien.    (III,  376  S.  m.  96  Ab. 

bildgn.)     Le.\.  S».     Berlin  'oS,   H.  Pactel.    —    9  Mk.,    geb. 

in  Leinw.    10  Mk. 
Engler,  A.:     Die    Pflanzenwelt    Afrikas,    insbesondere    seiner 

tropischen   Gebiete.       Grundzüge   der  Pflanzenverbreitung  in 


Berichtigung  zu  der  Antwort  betreffend  ,,v  er- 
kannte Fremde"  (Nr.  47,  Seite  752).  —  Herr  Dr.  Graebner 
macht  mich  darauf  aufmerksam,  daß  die  bisher  als  Bidens 
frondosus  L.  angesehene  Adventivpflanze  jetzt  zu  Bidens 
melanocarpus  Wiegand  gerechnet  wird;  Wiegand  hat 
(in  Bull.  Torrey  Bot.  Club  X.KVI.  (1899)  405)  die  Unterschiede 
seiner  neuen  Art  gegenüber  dem  echten  B.  frondosus 
L.  festgelegt.  Vgl.  auch  .Ascherson  in  Verh.  Bot.  Vereins 
d.  Prov.  Brandenburg  XLII.  (1900)  293.  —  Die  ausführlichste 
Zusammenstellung  über  Adventivpflanzen  gab  F.  Hock 
I  Ankömmlinge  in  der  Pflanzenwelt  Mitteleuropas  während  des 
letzten  halben  Jahrhunderts)  in:  Beihefte  zum  Botan.  Central- 
blatt  IX.  (1900)  241,  X.  (1901)  284,  XI.  (1902)  261,  XII. 
(1902)  41,  XIII.  (1902)  211,  XV.  (igoj)  387,  XVIII.  (1905) 
79;  1.  c.  XI.  (1902)  277  findet  man  Literatur  über  Bidens 
melanocarpus.  H.  Harms. 

Herrn  Dr.  E.  B.  in  Wien.  —  Wir  kennen  nur  das  Buch 
von  Ebert,  ,, .Anleitung  zum  Glasblasen".  Leipzig,  J.  A. 
Barth,   2.  Aufl.    1895.      Preis   2  Mk. 


Inhalt:  Dr.  J.  Versluys:  Die  Salamander  und  die  ursprünglichsten  vierbeinigen  Landwirbeltiere.  —  Kleinere  Mitteilungen  : 
Dr.  Richard  Hennig:  Gerücht  und  Wunder.  —  Dr.  August  Ackermann:  Auftreten  der  Raupe  von  Aglossa 
pinquinalis  im  Darm.  —  Bücherbesprechungen:  Ernst  Haeckel:  Unsere  Ahnenreihe  (Progonotaxis  Hominis).  — 
Literatur:  Liste.   —  Anregungen  und  Antworten. 

Verantwortlicher  Redakteur:    Prof.   Dr.  H.   Potonie,    Groß-Lichterfelde-West  b.  Berlin.      Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 
Druck  von  Lippert  &  Co.  (G.  Pätz'sche  Buclidr.),  Naumburg  a.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Koli;e  VIII.  Band  ; 
der  ganzen  Reihe  XXIV.  B.-ind. 


Sonntag,  den  24.  Januar  1909. 


Nummer  4. 


[Nachdruck  verboten.] 


Vogelschutz  in  den  Vereinigten  Staaten. 

\'on  Dr.   Ernst  Schultze,  Hamburg-Großborstel. 


Die  ungeheuren  Naturschätze,  die  noch  vor 
hundert  Jahren  auf  dem  Gebiete  der  heutigen 
Vereinigten  Staaten  vorhanden  waren,  sind  durch 
unkluge  und  unvorsichtige  Maßnahmen  auf  ein 
zum  Teil  recht  bescheidenes  Maß  zurückgeführt 
worden.  Es  gibt  wenige  Länder,  in  denen  man 
mit  den  Schätzen  der  Natur  so  große 
Verschwendung  getrieben  hat  wie  in  Nord- 
amerika. Am  bekanntesten  ist  die  unsägliche 
Waldverwüstung,  die  riesige  Waldungen  nicht 
nur  dort  ohne  weiteres  vernichtet  hat,  wo  an 
Stelle  der  niedergebrannten  Wälder  Ackerbau 
möglich  ist,  sondern  die  sogar  weite  Strecken 
Landes  jedes  Baumwuchses  beraubt  hat,  selbst 
wenn  sie  von  der  Natur  gar  nicht  zum  Ackerbau, 
sondern  eben  zum  Waldbestand  bestimmt  sind. 
Man  hat  berechnet,  daß  in  manchen  Jahren  der 
Schaden  durch  Waldbrände  mehr  als  100  Millionen 
Dollars  (400  Millionen  Mk.)  betragen  hat.  Der 
Raubbau,  den  ein  großer  Teil  der  amerikanischen 
Farmer  treibt,  bringt  ähnliche  Folgen  mit  sich ; 
ohne  dem  Boden  durch  zeitweiligen  Anbau  von 
Hackfrüchten  oder  durch  anderen  F"ruchtwechsel 
Erholung  zu  gönnen,  wird  Jahr  für  Jahr  dasselbe 
Getreide  oder  dieselbe  Frucht  darauf  gezogen. 

Die  gewaltigen  Kohlenlager,  die  unter  der 
Erdoberfläche  in  den  Vereinigten  Staaten  liegen, 
sind  bereits  so  stark  angegriffen  worden,  daß  be- 
rechnet worden  ist,  dal3  z.  B.  der  Anthrazit  nur 
noch  höchstens  75  Jahre  ausreichen  wird.  Und 
obwohl  die  übrigen  Kohlenlager  der  Vereinigten 
Staaten  noch  gegen  1500  Milliarden  Tonnen  aus- 
machen, so  warnt  doch  das  Geologische  Landes- 
amt in  Washington  ernstlich  davor,  den  Abbau 
der  Kohlenfelder  in  so  verschwenderischer  Art 
weiter  zu  betreiben  wie  bis  jetzt:  so  nämlich,  daß 
den  Kohlenbergwerken  vielfach  nur  der  vierte  Teil 
der  Mächtigkeit  eines  Kohlelagers  entnommen  wird. 

Und  ebenso  geht  es  mit  der  Tierwelt.  Die 
prächtigen  Büffelherden  der  Vereinigten  Staaten 
sind  vernichtet  —  nicht  durch  allmähliches  Ab- 
schießen der  Büfifel,  um  ihr  Fleisch  als  Nahrung 
zu  verwenden,  vielmehr  weil  sich  in  den  1870  er 
Jahren  Aktiengesellschaften  bildeten,  die  lediglich 
die  Häute  und  Hörner  der  Büfifel  verwenden 
wollten  und  die  den  echten  amerikanischen  Groß- 
betrieb einführten.  Die  Büfifel  wurden  nicht  ein- 
zeln mit  dem  Gewehr  erlegt,  sondern  die  Büfifel- 
herden  wurden  mit  Kugelspritzen  beschossen,  und 
den  gefallenen  Tieren  wurden  nur  die  Häute  ab- 
gezogen, während  man  das  Fleisch  größtenteils 
verwesen  ließ,  so  daß  die  Luft  meilenweit  ver- 
pestet   war.      4V0    Millionen    Büffel    sind    in    den 


Jahren  1872 — 1874  getötet  worden,  über  3  Millionen 
nur  der  Häute  wegen. 

Auch  die  V  o  g  e  1  w  e  1 1  der  Vereinigten  Staaten 
ist  von  dieser  unsäglichen  Verschwendung  be- 
troffen worden,  obwohl  sie  sich  wirtschaftlich  viel 
weniger  ausnutzen  läßt  wie  etwa  die  Säugetiere. 
Im  Gegenteil  ist  das  Bestehen  zahlreicher  Vogel- 
arten für  den  Menschen  von  größtem  Nutzen, 
soweit  diese  Vögel  zu  den  Insektenvertilgern  ge- 
hören —  von  den  ästhetischen  Reizen,  die  die 
gefiederten  Sänger  der  Luft  auf  uns  ausüben,  ganz 
zu  schweigen.  Dennoch  ist  man  in  den  Ver- 
einigten Staaten  selbst  gegen  die  Vögel  mit  einer 
Zerstörungswut  vorgegangen,  die  sich  zum  Teil 
schon  bitter  gerächt  hat.  Klagen  doch  die  Farmer 
schon  seit  langem  über  die  geringe  Zahl  der  in- 
sektenfressenden Vögel.  Ein  Beispiel  für  den 
riesigen  Vogelreichtum  früherer  Zeiten :  es  gab  in 
den  Vereinigten  Staaten  so  ungeheure  Mengen 
der  Wandertaube,  die  in  jedem  Frühjahr  in  großen 
Schwärmen  erschien,  daß  diese  Vögel  an  ihren 
Brutstätten  in  den  Wäldern  nicht  zu  Tausenden, 
sondern  zu  Hunderttausenden  beieinander  saßen. 
Damals  mästeten  die  Farmer  ihre  Schweine  mit 
den  Eiern  und  den  jungen  Vögeln,  die  aus  den 
Nestern  der  Wandertauben  fielen. 

Der  Mensch  hätte  in  den  Vereinigten  Staaten 
um  so  mehr  Anlaß  gehabt,  die  Vogelwelt  zu 
schonen  und  zu  schützen,  als  ihr  neben  den  über- 
all vorhandenen  Vogelfeinden,  als  da  sind  Katzen, 
Marder  usw.,  Tod  und  Vernichtung  durch  die 
großen  Stürme  drolien,  denen  die  gewaltige  Flach- 
mulde zwischen  den  .'Mleghanies  und  dem  Felsen- 
gebirge so  häufig  ausgesetzt  ist.  Unzählige  kleine 
Vögel  finden  bei  diesen  heftigen  Stürmen  ihren 
Tod.  Auch  hat  die  Vernichtung  der  Wälder  in 
den  Vereinigten  Staaten  natürlich  in  hohem 
Maße  dazu  beigetragen,  daß  die  Zahl  der  Vögel 
reißend  schnell  abnahm.  Das  Waldgebiet  der 
Vereinigten  Staaten  umfaßt  heute  nur  noch  einen 
kleinen  Bruchteil  der  großen  Landfläche ,  die 
vor  hundert  Jahren  mit  Wäldern  bedeckt  war, 
und  noch  immer  schmilzt  das  Waldgebiet  weiter 
zusammen. 

Der  größte  Feind  der  Vogelwelt  ist  indessen 
doch  wohl  menschlicher  Unverstand  und  Eigen- 
nutz. Gegen  diese  aber  hat  eine  gemein- 
nützige Gesellschaft  einen  lebhaften  und 
tatkräftigen  Kampf  eröffnet,  die  im  Jahre  1886  in 
New  York  begründet  wurde,  schon  2  Jahre  später 
fast  25000  iVIitglieder  besaß  und  sich  in  der 
Zwischenzeit  zu  einer  der  größten  gemeinnützigen 
Gesellschaften    in  den  Vereinigten  Staaten  ausge- 


so 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


wachsen  hat.  Der  Mitgliedsbeitrag  zu  der 
„Audubon  Society"  beträgt  5  Dollars  (20  Mk.) 
jährlich.  Sie  verwendet  ihre  IVIitgliedsbeiträge 
und  die  Zinsen  eines  ihr  durch  die  letztwillige 
Verfügung  von  Mr.  Albert  Wilcox  zugeflossenen 
Kapitals  von  etwa  i  200 000  Mk.  dazu,  die  Vogel- 
schutz-Bestrebungen in  den  Vereinigten  Staaten 
nach  allen  Kräften  zu  fördern.  Nur  9  Staaten  der 
nordamerikanischen  Union  besitzen  keine  Zweig- 
vereine der  Audubon  Society.  Alle  anderen 
ziehen  aus  ihrer  Tätigkeit  Nutzen.  In  zwei  Staaten 
haben  sogar  die  Parlamente  in  Übereinstimmung 
mit  dem  Gouverneur  beschlossen,  daß  die  dortigen 
Zweigvereine  der  Audubon  Society  als  Staats- 
organe anzusehen  seien;  man  hat  ihnen  dort 
klugerweise  die  Aufgaben  und  die  Befugnisse 
der  Ausschüsse  für  Wildschutz  (State  Game 
Commissions)  übertragen. 

Übrigens  beschränkt  sich  die  Audubon  Society 
nicht  auf  den  Vogelschutz  allein,  sondern  nimmt 
sich  der  Erhaltung  der  Tierwelt  der  Ver- 
einigten Staaten  und  ihrer  Kolonien 
ganz  im  allgemeinen  an.  So  hat  sie  z.  B. 
die  Vögel  der  Sandwichinseln  vor  den  japanischen 
Federjägern  gerettet.  Das  Abschießen  der  Elche, 
nur  um  ihre  Geweihe  als  Schmuckstücke  ver- 
wenden zu  können ,  wird  von  ihr  verhindert. 
Wildschützen,  die  trotz  der  bestehenden  Gesetze 
Wildarten  abschießen,  die  nicht  geschossen  wer- 
den dürfen,  werden  von  ihr  unbarmherzig  ver- 
folgt und  vor  die  Gerichte  gezogen.  Die  Audubon 
Society  hat  dazu  beigetragen,  daß  die  Union  Ge- 
setze zum  Schutze  der  letzten  Büffel  erließ,  ferner 
daß  bessere  Wildschutzgesetze  für  Alaska  ge- 
schaffen wurden.  Auf  den  Bahamainseln  hat  die 
Audubon  Society  die  Flamingos  vor  der  Vernich- 
tung bewahrt,  indem  sie  den  Erlaß  eines  beson- 
deren Gesetzes  veranlaßte.  Sie  hat  den  weißen 
Reiher,  den  schönsten  Watvogel  Amerikas,  vor 
Vernichtung  bewahrt,  und  sie  hat  den  Schutz 
auch  der  anderen  Vogelarten,  wie  wir  noch  sehen 
werden,  in  erfolgreichster  Weise  betrieben. 

Der  Name  der  Audubon  Society  konnte  nicht 
schöner  und  ^treffender  gewählt  werden.  John 
James  Audubon  war  der  bedeutendste  Orni- 
thologe  Nordamerikas.  Trotz  seines  französischen 
Blutes  war  er,  wie  schon  seine  Vornamen  zeigen, 
ganz  amerikanisiert.  Er  wurde  am  4.  Mai  1780 
in  der  Nähe  von  New  Orleans  geboren,  ging  in 
sehr  jungen  Jahren  nach  Paris,  um  sich  dort  unter 
David  in  der  Malerei  auszubilden,  und  lebte  seit 
1798  als  Farmer  an  den  Ufern  des  Schuylkill  in 
Pennsylvanien.  Zwölf  Jahre  später  ging  er  nach 
Kentucky,  damals  noch  eine  völlige  Wildnis,  und 
durchstreifte  hier  die  Wälder  und  befuhr  die 
Ströme,  um  das  Leben  der  Vögel  zu  erforschen 
und  ihre  Arten  zu  zeichnen.  1826  begab  ersieh 
nach  Europa,  um  hier  die  Herausgabe  eines  vier- 
bändigen Werkes  über  die  Vögel  Amerikas  zu 
beginnen,  das  sich  durch  außerordentlich  sorg- 
fältige Beobachtungen,  durch  die  lebensvollsten 
Schilderungen  und  durch  vorzügliche  Abbildungen 


auszeichnete.  Drei  Jahre  später  kehrte  Audubon 
wieder  nach  Amerika  zurück.  Hier  schrieb  er 
noch  eine  ganze  Reihe  von  Büchern  über  die 
amerikanische  Vogelwelt.  In  den  letzten  Jahren 
seines  Lebens  arbeitete  er  viel  mit  einem  deutsch- 
amerikanischen Pfarrer  und  Naturforscher,  John 
Bachmann,  zusammen.  Mit  ihm  gemeinschaftlich 
schrieb  er  zwei  Werke  über  die  Vierfüßer 
Amerikas,  von  denen  das  eine,  wie  sein  großes 
Vogelwerk,  mehrfache  Auflagen  erlebte.  Audubon 
starb  am  27.  Januar   185 1   in  New  "\'ork. 

Über  die  gegenwärtige  Wirksamkeit  der 
Audubon  Society  gibt  ein  Aufsatz  von  Mr.  T.  Gilbert 
Pearson  in  der  amerikanischen  Zeitschrift  ,,The 
Worlds  Work"  Näheres  an,  aus  dem  die  wichtigsten 
Tatsachen  im  folgenden  berichtet  seien.  Die 
Audubon  Society  sucht  die  Vernichtung;  der  Sing- 
vögel und  ebenso  das  massenhafte  Abschießen 
wilder  Vögel  zu  verhindern.  Wo  Gesetze  für 
den  Vogelschutz  noch  fehlen,  sucht  sie  sie 
vorzubereiten  und  durchzusetzen.  Wo  sie  dagegen 
schon  geschaffen  sind,  bemüht  sie  sich  —  was  in 
den  Vereinigten  Staaten  noch  wichtiger  ist  wie 
in  manchem  anderen  Lande  —  zu  veranlassen, 
daß  sie  auch  wirklich  durchgeführt  werden.  Ferner 
strebt  sie  dahin,  daß  in  jedem  einzelnen  Staate 
der  amerikanischen  Union  ein  Ausschuß  für  Wild- 
schutz eingesetzt  werde  und  daß  dieser  Ausschuß 
möglichst  ein  sog.  unpolitischer  sei,  d.  h.  daß  er 
nicht  ausschließlich  mit  den  Anhängern  und 
Günstlingen  der  gegenwärtig  gerade  am  Ruder 
befindlichen  Partei  besetzt  werde. 

Ihre  wichtigste  Aufgabe  sieht  die  Audubon 
Society  in  der  Erziehung  des  Publikums  und  in 
der  Einwirkung  auf  die  öffentliche 
Meinung.  Schon  die  Schulkinder  sollen  lernen, 
daß  der  Mensch  den  Vögeln  Schutz  gewähren 
soll.  Der  Junge  soll  dahin  gebracht  werden,  ein- 
zusehen, daß  der  Vogel  für  uns  auch  dann  Inter- 
esse haben  kann,  wenn  wir  ihm  sein  Nest  nicht 
fortnehmen.  Und  das  Mädchen  soll  erkennen 
lernen,  daß  ein  lebender  Vogel  schöner  ist,  als 
sein  Flügelpaar,  wenn  es  zum  Schmucke  eines 
Damenhutes  verwendet  ist.  Da  die  Amerikaner 
ihre  Kinder  fast  wie  erwachsene  Leute  behandeln, 
hat  die  Audubon  Society  Hunderte  von  „Junior 
Secretaries"  (was  erheblich  respektvoller  klingt, 
als  wenn  man  es  einfach  mit  „Kindersekretäre" 
übersetzt)  ernannt,  die  unter  ihren  Kameraden, 
also  unter  der  Schuljugend,  die  Vogelschutz- 
bestrebungen fördern.  Auch  auf  die  Schulbehörden 
und  die  Lehrer  und  Lehrerinnen  wirkt  die  Audubon 
Society  ein,  und  ihre  Broschüren  werden  Jahr  für 
Jahr  in  Zehntausenden  von  Exemplaren  verteilt 
und  verkauft.  Sie  sind  mit  farbigen  Abbildungen 
versehen,  die  die  Amerikaner  ja  prächtig  herzu- 
stellen wissen.  Außerdem  veröffentlicht  die 
Audubon  Society  eine  Zeitschrift  „Bird  Lore",  die 
von  Mr.  Frank  M.  Chapman  von  dem  amerikani- 
schen Museum  für  Naturgeschichte  herausgegeben 
wird.  In  den  landwirtschaftlichen  Unterrichts- 
anstalten   treibt    die    Audubon    Society    eine    aus- 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


51 


gedehnte  Propaganda.  Die  Jägerklubs  werden 
von  ihr  beeinflußt  und  aufgeklärt.  Ihre  Vortragen- 
den durchziehen  das  Land,  um  Lehrerversamm- 
lungen, P'armerkongresse  usw.  zu  besuchen  und 
dort  die  Wichtigkeit  des  Vogelschutzes  darzutun. 
Die  Presse  wird  beständig  mit  Nachrichten  ver- 
sehen. Natürlich  wird  auch  von  der  Kunst  der 
Interviews  ein  reichlicher  Gebrauch  gemacht; 
insbesondere  hochstehende  Beamte  und  offizielle 
Persönlichkeiten  müssen  daran  glauben.  Wenn 
ein  Vogelschutzgesetz  in  Vorbereitung  ist,  so 
stehen  ein  oder  mehrere  Vertreter  der  Gesell- 
schaft stets  zur  Verfügung,  um  das  Gesetz  zu 
vertreten.  Häufig  hat  sich  schon  der  Fall  er- 
eignet, daß  die  gesetzgebenden  Körperschaften 
die  betreffenden  Vertreter  ersucht  haben,  ihnen 
einen  größeren  Vortrag  über  Vogelschutz  zu  halten. 
Übrigens  hat  sich  die  Audubon  Society  ge- 
sagt, daß  es  unmöglich  sein  würde,  die  Vogel- 
Schutzbestrebungen  in  Nordamerika  erfolgreich 
durchzuführen,  wenn  die  Vögel  zwar  in  be- 
stimmten Staaten  der  Union  geschützt  sind,  in 
anderen  aber  nicht.  Das  würde  nur  bedeuten, 
daß  die  Schutzmaßnahmen  des  einen  Staates  den 
Vogeljägern  des  anderen  zugute  kommen.  Keine 
Tierklasse  wandert  ja  so  gern  und  regelmäßig 
und  über  so  große  Gebiete  wie  gerade  die  Vögel. 
Die  Audubon  Society  hat  daher  den  brennen- 
den  Wunsch,  daß  ein  einheitliches  Vogel- 
schutzgesetz für  die  ganzen  Vereinigten  Staaten 
geschaffen  werde,  das  den  Vögeln,  die  als  Jagd- 
wild betrachtet  werden,  in  allen  Jahreszeiten  und 
in  allen  Staaten  der  Union  Schutz  verleiht.  Über 
200  Arten  solcher  Vögel  sind  gegenwärtig  noch 
in  jedem  Staate  der  Union  zu  finden,  und  sie 
machen  mehr  als  vier  Fünftel  aller  nordameri- 
kanischen Vögel  aus.  Aber  die  Verfassung  der 
Vereinigten  Staaten  wird  allgemein  so  ausgelegt, 
daß  nur  diejenigen  Dinge,  die  ausdrücklich  darin 
genannt  sind,  der  amerikanischen  Bundesregierung 
zustehen,  während  alle  anderen  zur  Machtvoll- 
kommenheit der  Kinzelstaaten  gehören.  Da  die 
Begründer  der  nordamerikanischen  Union  nicht 
daran  gedacht  haben,  daß  das  Wild  eines  beson- 
deren Schutzes  bedürfen  könnte,  und  auch  nicht 
daran  zu  denken  brauchten  —  denn  zu  ihrer  Zeit 
war  es  außerordentlich  zahlreich  und  sie  gingen 
nicht  so  verschwenderisch  damit  um,  wie  dies 
später  ihre  Nachkommen  taten  — ,  so  ist  in  der 
amerikanischen  Verfassung  nicht  von  Wildschutz 
die  Rede.  Die  strenge  Auslegung  der  Verfassung 
macht  es  daher  unmöglich,  daß  von  der  Bundes- 
regierung ein  entsprechendes  Gesetz  geschaffen 
wird.  So  hat  die  Audubon  Society  denn  die 
riesige  Arbeit  in  Angriff  nehmen  müssen,  die 
Gesetzgebungsmaschinen  aller  Einzelstaaten  in  Be- 
wegung zu  setzen,  soweit  sie  sich  in  Bewegung 
setzen  ließen !  In  nicht  weniger  als  37  unter  den 
46  Staaten  der  Union  hat  sie  das  erwähnte  Vogel- 
schutzgesetz durchgesetzt,  das  allgemein  unter  dem 
Namen  ,, Audubon  Law"  bekannt  ist.  Auch  die  Mehr- 
zahl der  9  Provinzen  Kanadas  haben  es  angenommen. 


Am  erfolgreichsten  ist  das  Vorgehen  der 
Audubon  Society  im  Staate  Nordkarolina  ge- 
wesen. Dort  haben  die  gesetzgebenden  Körper- 
schaften im  März  1903  beschlossen,  den  Zweig- 
verein der  Audubon  Society  mit  allen  Rechten 
eines  Regierungsamtes  für  Wildschutz  auszustatten. 
Und  da  dieser  Zweigverein  sich  ebenso  wie  die 
Hauptgesellschaft  von  rein  politischen  Einflüssen 
freihält,  so  ist  seine  Wirksamkeit  besonders  er- 
folgreich gewesen.  Von  allen  Seiten  wird  ihr 
große  Achtung  entgegengebracht.  Im  Jahre  1907 
brachten  im  Staate  Nordkarolina  die  Angestellten 
der  Audubon  Society  245  Fälle  der  Verletzung 
der  Wildschutzgesetze  vor  Gericht,  und  durch 
diese  strenge  Verfolgung  sind  natürlich  viele  an- 
dere Versuche,  sie  zu  verletzen,  im  Keime  er- 
stickt worden.  Das  Wildschutzgesetz,  das  in 
Nordkarolina  am  meisten  verletzt  wird,  ist  das 
Verbot  der  Verschickung  von  Wachteln.  Die 
amerikanische  Wachtel ,  Quail  genannt  (Ortyx 
virginianus),  ist  als  Delikatesse  gerade  in  den  Nord- 
staaten besonders  geschätzt ;  sie  ist  kleiner  als 
das  europäische  Rebhuhn,  aber  größer  als  unsere 
Wachtel  und  besitzt  ein  vorzügliches  Fleisch.  Um 
die  Versendung  von  Wachteln  nach  Norden  zu 
verhindern,  ist  in  der  Jagdzeit  einer  der  Inspek- 
toren der  Audubon  Society  beständig  auf  den 
Beinen,  und  er  fängt  namentlich  in  Greensboro 
immer  wieder  solche  Sendungen  ab.  Die  wich- 
tigste Hilfe  leistet  ihm  dabei  sein  Hund,  der  mit 
untrüglicher  Sicherheit  festzustellen  vermag,  ob 
in  dem  Inhalt  eines  großen  Koffers  oder  eines 
Hutkoffers,  eines  Korbes  oder  eines  Whiskeyfasses 
Wachteln  versteckt  sind.  In  all  diesen  und 
anderen  Behältern  werden  sie  mit  Vorliebe  ge- 
schmuggelt. 

Die  Tätigkeit  der  Audubon  Society  nach  dieser 
Richtung  hin  wird  nicht  nur  von  all  den  Tausen- 
den gern  unterstützt,  denen  die  Erhaltung  der 
Singvögel  am  Herzen  liegt,  sondern  auch  von  den 
Besitzern  und  Pächtern  vieler  großer  Jagdgebiete. 

Dem  Staate  Nordkarolina  folgte  im  P'ebruar 
1907  der  Nachbarstaat  Südkarolina,  indem  er  den 
dortigen  Zweigverein  der  Audubon  Society  mit 
den  Pflichten  und  Rechten  eines  Fischerei-  und 
Wildschutz-Ausschusses  bekleidete.  Verlassene 
Reisfelder  dieses  Staates  werden  nun  in  große 
Entenbrutstätten  umgewandelt. 

Besonderen  Schutzes  bedarf  das  Rotkehlchen. 
In  den  Südstaaten  gilt  es  allgemein  als  jagdbarer 
Vogel.  Wenn  das  Rotkehlchen  im  Winter  nach 
Süden  wandert,  findet  man  in  den  Städten  der 
nordamerikanischen  Südstaaten  große  Reihen  von 
toten  Rotkehlchen  zum  Verkauf  ausgestellt.  Ins- 
besondere des  Nachts  werden  sie  abgeschossen 
oder  anders  getötet.  Sie  pflegen  auf  den  Asten 
einer  Zeder  oder  Fichte  zu  schlafen.  Dort  sitzen 
die  Rotkehlchen  so  dicht  auf  den  Zweigen,  daß 
das  Abschießen  einer  einzigen  Schrotladung  zu- 
weilen 20 — 30  tote  Vögelchen  herunterbringt. 
Die  dortigen  Neger  und  ebenso  die  bösen  Buben 
von    weißer    Hautfarbe    brauchen    indessen    nicht 


52 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


einmal  ein  Gewehr,  um  die  Vögel  zu  töten,  da 
sie  eine  noch  einfachere  Jagdart  befolgen.  Sie 
gehen  nachts  zu  zweien  in  die  Wälder.  Einer 
von  ihnen  trägt  ein  Licht  und  klettert  auf  einen 
Baum,  während  der  andere  auf  die  Zweige  der 
umstehenden  Bäume  mit  einer  Stange  losschlägt. 
Die  erschreckten  Vögel  fliegen  dann  dem  Lichte 
zu,  und  der  Neger  oder  der  weiße  Junge,  der  das 
Licht  trägt,  ergreift  die  Vögel,  die  ängstlich  um 
das  Licht  flattern,  drückt  ihnen  den  Kopf  ein  und 
wirft  sie  zu  Boden.  Zuweilen  soll  man  in  den 
Südstaaten  nachts  bis  zu  20  solcher  Lichter  auf 
kleinem  Räume  nebeneinander  sehen  können.  Die 
Zahl  der  Rotkehlchen,  die  dann  ihr  Leben  lassen 
müssen,  geht  in  die  Tausende.  Durch  die  Be- 
mühungen der  Audubon  Society  sind  nun  in  den 
verschiedenen  Staaten  Schutzgesetze  für  das  Rot- 
kehlchen angenommen  worden.  In  Nordkarolina 
hat  man  nur  ihre  Tötung  zwischen  Sonnenunter- 
gang und  Sonnenaufgang  verboten,  in  Südkarolina, 
in  Alabama  und  Texas  z.  B.  ist  es  dagegen  über- 
haupt strafbar,  ein  Rotkehlchen  zu  töten. 

Die  ärgsten  Feinde  der  Vogelwelt  sind  aber 
vielleicht  nicht  die  Leidenschaften  der  Lecker- 
mäuler, die  sich  an  dem  zarten  Fleisch  von  Sing- 
vögeln gütlich  tun  wollen,  sondern  die  Mode- 
torheiten, die  das  weibliche  Geschlecht 
von  Zeit  zu  Zeit  befallen.  Vor  einigen  Jahren 
wurde  es  bei  den  Damen  wieder  einmal  modern, 
auf  den  Hüten  statt  der  sonst  so  beliebten  hängen- 
den Gärten  einen  riesigen  Aufbau  von  Federn 
von  Meerschwalben,  Möwen  oder  anderen  See- 
vögeln zu  führen.  Die  Folge  war  —  da  für  die 
Mode  nichts  zu  teuer  ist  —  daß  überall  auf  den 
kleinen  Inseln  an  der  Ostküste  Nordamerikas  die 
Federjäger  abschössen,  was  sie  von  Seevögeln 
nur  erreichen  konnten,  natürlich  ohne  Rücksicht 
auf  die  Erhaltung  der  betreffenden  Vogelarten. 
Man  rüstete  Schiffe  aus,  die  Vorräte  für  mehrere 
Monate  an  Bord  führten,  und  betrieb  das  Ab- 
tötungsgeschäft  als  Großbetrieb.  Um  die  in  den 
Nestern  liegenden  Eier  und  kleinen  Vögel  kümmerte 
man  sich  nicht.  Diese  unmenschlichen  Vogel- 
jagden haben  damals  die  Atlantische  Küste  der 
Vereinigten  Staaten  und  ihre  Golfküste  einer  un- 
geheuren Zahl  von  Seevögeln  beraubt.  Allein  in 
den  beiden  Staaten  Nordkarolina  und  .Südkarolina 
wurden  damals  im  Laufe  von  8  Jahren  eine  halbe 
Million  Flügelpaare  an  die  Modegeschäfte  verkauft. 
Und  auf  Cobbs  Island  im  Staate  Virginia  wurden  in 
einem  einzigen  Jahre  loooo  Vögel  abgeschossen. 
Die  Audubon  Society  hat  auch  diesem  Unfug  einen 
Riegel  vorgeschoben.  Sie  hat  für  die  Verbesse- 
rung der  Gesetzgebung  gesorgt,  und  sie  besoldet 
eine  Anzahl  von  Wärtern,  die  eine  große  Zahl 
von  Brutstätten  der  Seevögel  an  der  ganzen  öst- 
lichen und  südlichen  Küste,  also  auf  der  riesigen 
Strecke    zwischen    dem    Staate    Maine    und    dem 


Rio  Grande,  regelmäßig  überwachen.  Ebenso 
wird  die  ganze  Küste  des  Stillen  Meeres,  soweit 
sie  den  Vereinigten  Staaten  gehört,  überwacht. 
Infolgedessen  nimmt  die  Zahl  der  Seevögel  wieder 
stark  zu,  und  man  hoft't,  daß  sie  die  Zahl  wieder 
erreichen,  die  sie  vor  20  Jahren  aufwiesen.  Ins- 
besondere ist  die  Zunahme  der  Möwen  bemerkens- 
wert, wie  man  in  den  Seestädten  beobachten  kann. 
Die  Seevögel  sind  auch  nicht  mehr  so  scheu  wie 
in  den  Jahren,  in  denen  sie  so  erbarmungslos  ab- 
geschossen wurden. 

Präsident  Roosevelt,  der  große  Naturfreund, 
hat  seinerseits  dazu  beigetragen,  den  Vogelschutz 
zu  pflegen.  Er  hat  durch  eine  Exekutivorder 
eine  Anzahl  kleiner  Inseln  an  den  Küsten 
und  im  Inneren  dazu  bestimmt,  den  Vögeln  als 
Brutstätten  und  Ruheplätze  zu  dienen. 
Sie  dürfen  daher  von  Menschen  ohne  besondere 
Erlaubnis  nicht  betreten  werden.  Nur  die  Beamten 
der  Audubon  Society  haben  dort  Zutritt,  um  die 
Vermehrung  der  Vögel  zu  beobachten  und  ihnen 
Schutz  gegen  die  Unbilden  der  Witterung  zu 
ver.schaffen.  Die  bedeutendsten  dieser  Vogelbrut- 
stätten liegen  in  den  Staaten  Louisiana  und 
Florida  (je  vier),  ferner  zwei  in  Michigan,  eine  in 
Norddakota,  eine  in  Oregon,  eine  in  Nebraska 
(wo  man  überhaupt  dem  Vogelschutz  große  Auf- 
merksamkeit zuwendet)  und  endlich  drei  an  der 
Küste  des  nordwestlichsten  Staates,  Washington. 
Aber  auch  in  den  anderen  Staaten  finden  sich 
manche  Vogelbrutstätten,  die  von  der  Audubon 
Society  überwacht  werden. 

Man  hofft,  daß  infolge  dieser  Maßnahmen  auch 
solche  Abarten,  deren  Zahl  bereits  arg  zusammen- 
geschmolzen war,  sich  wieder  vermeliren  werden. 
So  waren  z.  B.  einige  .Abarten  der  Meerschwalbe 
bereits  soweit  abgeschossen,  daß  nur  noch  weniger 
als  looo  Vögel  davon  am  Leben  waren.  Jetzt 
hat  sich  ihre  Zahl  bereits  wieder  gehoben. 

Die  Tätigkeit  der  Audubon  Society 
ist  somit  von  unschätzbarem  Werte  für  die 
ganzen  Vereinigten  Staaten.  Ein  Land  ohne 
Vögel  entbehrt  eines  der  schönsten  Reize,  mit 
denen  die  Natur  uns  umgibt.  Der  Wälder  haben 
sich  die  Vereinigten  Staaten  bereits  zum  größten 
Teile  beraubt.  Ließen  sie  nun  auch  noch  die 
.Singvögel  aussterben,  so  würden  die  Nachkommen 
des  heutigen  Geschlechtes  es  diesem  niemals  ver- 
geben können,  daß  es  mit  dem  von  der  Natur 
verschwenderisch  gespendeten  Reichtum  so  un- 
bedacht umging.  Die  Audubon  Society  hat  der 
öffentlichen  Meinung  Amerikas  diese  schlimmen 
Folgen  klar  vor  Augen  geführt,  und  sie  hat  dafür 
gesorgt,  daß  man  der  Gefahr  mit  tatkräftigen 
Maßnahmen  begegnete.  Ihr  gebührt  hoher  Dank, 
und  ihrer  Tätigkeit  ist  auch  für  die  Zukunft  der 
allerbeste  F>folg  zu  wünschen. 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


53 


Sammelreferate  und  Übersichten 


tische 
m  en" 
recht 


über  die  Fortschritte  in 

Neues  aus  der  Bakteriologie.  —  Seit  der 
Erfindung  des  Ultramikroskopes  ist  auch 
hier  und  da  die  Behauptung  von  der  Exi- 
stenz bestimmter  Ultramikroorganismen  aufge- 
taucht. So  hatten  namentlich  E.  Raehlmann 
(Münch.  medizin.  Wochenschr.  51.  Jg.,  1904,  und 
Berliner  klin.  Wochenschr.  41.  Jg.,  1905)  sowie  N. 
Gaiduko  w  (Centralbl.  f  Bakteriol,  IL  Abtlg.,  Bd.  16, 
1906,  und  Verhandl.  Deutsch.  Zool.  Gesellsch.,  1906) 
solche  ultramikroskopische  Wesen  als  leicht  zu 
beobachtende,  überaus  häufige  Erscheinung  be- 
schrieben; ja  der  letztgenannte  spricht  sogar  von 
solchen,  die  er  teils  außer-,  teils  innerhalb(!) 
von  Algen-,  Pilz-  u.  a.  Zellen  gesehen  haben 
wollte.  Nun  veröfi"entlicht  H.  IMol  isch  in  Botan. 
Zeitg.  66.  Jg,  1908,  I.  Abtlg.,  S.  131,  eine  kri- 
Studie  „Über  Ultramikroorgan  is - 
nach  welcher  das  Vorkommen  solcher  doch 
zweifelhaft  erscheint.  Mo  lisch  hat  mit 
der  gleichen  optischen  .Ausrüstung  und  an  dem 
gleichen  Material  wie  jene,  in  Faulflüssigkeiten,  in 
algenhaltigem  Teich-  und  Grabenwasser  usw.,  nach 
Ultramikroben  gesucht,  aber  durchweg  mit  nega- 
tivem Resultat,  und  das  vier  Monate  lang  fast 
täglich  !  Was  an  nachweislichen  Mikroorganismen 
in  der  Dunkelfeldbeleuchtung  erschien,  konnte  bei 
genauem  Zusehen  mit  stärksten  Objektiven  (Zeiß 
hom.  Imm.  2  mm,  Oc.  18)  auch  im  durchfallenden 
Licht  wahrgenommen  werden.  In  siebzehnjähriger 
Praxis  als  Bakteriologe  hat  M.  (wie  sehr  viele 
Andere  mit  ihm)  niemals  auf  irgendwelcher  Kultur- 
platte eine  Kolonie  gefunden,  die  nicht  aus 
mikroskopisch  definierbaren  Organismen  bestanden 
hätte. 

Ultramikroskopische  Krankheits- 
erreger hatte  man  vermutet  für  die  Lungen- 
seuche der  Rinder,  für  die  Maul-  und  Klauen- 
seuche, für  die  „Mosaikkrankheit"  des  Tabaks,  für 
die  „infektiöse  Chlorose"  der  Malvaceen.  Die 
Erreger  der  erstgenannten  Krankheit  stehen  eben 
noch  diesseits  der  Grenze  gewöhnlicher  mikro- 
skopischer Sichtbarkeit,  für  die  Maul-  und  Klauen- 
seuche ist  ein  organischer  Erreger  nicht  nach- 
gewiesen, und  daß  ein  solcher  nicht  mit  Not- 
wendigkeit durch  indirekten  Beweis  gefolgert 
werden  kann,  das  lehren  die  beiden  erwähnten 
Pflanzenphänomene  (vgl.  über  die  Mosaikkrankheit 
F.  W.  Hunger,  Ber.  Deutsch.  Botan.  Gesellsch. 
23.  Bd.,  1905,  über  die  infektiöse  Chlorose  E. 
Baur,  Sitzber.  d.  k.  preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 
Bot.  Gesellsch.  22.  Bd.,  1904, 
von  welchen  beiden  wohl  mit 
daß  sie,  trotz  ihres  infektiösen 
durch  Organismen ,  sondern 
durch  Stoffwechselprodukte  hervorgerufen  werden, 
die  autokatalytisch  die  Krankheit  übertragen. 

Durch  die  durchweg  negativen  Befunde  von 
M  o  1  i  s  c  h  verliert  auch  die  X  ä  g  e  1  i  'sehe  Hypothese^) 
von    den  Probien,    primitiven  Organismen    von 


1906,  Ber.  Deutsch, 
und  24.  Bd.,  1906), 
Sicherheit  feststeht, 
Charakters     nicht 


den  einzelnen  Disziplinen. 

kleinsten  Dimensionen,  die  noch  in  der  Gegen- 
wart jederzeit  durch  Urzeugung  sollten  entstehen 
können,  sehr  an  Glaubhaftigkeit  —  da  die  mole- 
kulare Größe  gewisser  Eiweißkörper  schon  inner- 
halb der  ultramikroskopischen  Sichtbarkeit  liegt,  so 
ist  die  Existenz  weit  verbreiteter  Organismen, 
die  im  Ultramikroskop  nicht  sichtbar  sein  sollten, 
recht  unwahrscheinlich  geworden. 

Über  Fortbewegungsgeschwindigkeit  und 
Bewegungskurven  einiger  Bakterien  veröffentlicht 
R.  Stigell  im  Centralbl.  f.  Bakteriol.,  I.  Abt.,  45, 
einige  interessante  Berechnungen  und  Skizzen. 
Die  bei  1500-facher  Vergrößerung  beobachteten 
Höchstmaße  der  Geschwindigkeit,  auf  /t  in  i  Sek. 
bezogen,  waren  für: 

Bac.  subtiüs  5,55         Bac.  typhi  2,50 

„      proteus  2,90  „      megatherium  2,08 

„      butyricus         4,47         Vibrio  cholerae       4,38 

mesentericus   4,08  „        proteus         3,34 

„      pyocyaneus     2,70  „        aquatilis       6,66 

Diese  Höchstmaße  dürften  charakteristischer 
sein  als  die  von  St.  aus  je  10  Messungen  berech- 
neten Durchschnittswerte;  die  lo  Parallelbestim- 
mungen zeigen  sehr  starke  Differenzen,  augen- 
scheinlich beruhen  sie  z.  T.  auf  Beobachtungen 
an  Individuen,  deren  Beweglichkeit  schon  im  Ab- 
nehmen begriffen  war. 

Recht  eigenartig  sind  die  Skizzen  von  Be- 
wegungskurven; während  die  einen  sich  annähernd 
geradlinig  oder  in  schwacher  Schlängelung  fort- 
bewegen, beschreiben  andere  ziemlich  enge  Win- 
dungen, die  bei  Bac.  pyocyaneus  etwa  an  orien- 
talische Schriftzeichen  erinnern. 

Die  Nitrifikation  ist  eine  der  interessantesten 
Erscheinungen  in  der  ganzen  belebten  Natur,  als 
die  absonderliche  Lebensäußerung  von  Organismen, 
die  nicht  Kohlenstoffverbindungen  veratmen,  son- 
dern an  deren  Stelle  Ammoniakverbindungen  zu 
Nitriten  und  Nitraten  oxydieren.  Nach  Wino- 
gradsky's  grundlegenden  Arbeiten  wissen  wir,  daß 
es  zweierlei  Gruppen  von  Organismen  sind,  deren 
die  einen  (Nitrosobakterien)  aus  Ammoniaksalzen 
Nitrite,  die  anderen  (Nitrobakterien  i.  e.  S.)  aus 
Nitriten  Nitrate  bilden,  stets  unter  Verbrauch  von 
atmosphärischem  Sauerstoff.  Während  nun  die 
Oxydation  der  salpetrigen  Säure  zu  Salpetersäure 
ein  exothermischer  Vorgang  ist,  würde  die  Oxy- 
dation von  Stickstoff  zu  salpetriger  Säure  einen 
Energieverbrauch  bedingen;  da  aber  einerseits 
auch  der  Wasserstoff  des  Ammoniaks  zu  Wasser 
verbrannt  wird,  andererseits  die  Nitritation  nur  in 
Gegenwart  freier  Basen  oder  kohlensaurer  Salze 
stattfindet,  welch  letztere  die  entstehende  freie 
Säure  binden,  so  ist  ein  Energiegewinn  der  Er- 
folg auch  dieses  Vorganges.  Der  chemische 
Prozeß,    der    bei    der    Nitritbildung   aus  schwefel- 


')  C.  V.  Nägeli,    Mechanisch    physiologische  Theorie    der 
.Abstammungslehre.     München-Leipzig   1884. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


saurem  Ammoniak  in  kalkhaltigem  Boden  sich 
abspielt,  findet  also  etwa  in  folgender  F'ormel 
seinen  Ausdruck: 

(NHJ„SO,  +  2CaC03  +  3O,  - 
Ca(NO,).,  +  Ca  SO^  -f  2  CO.,  +  4  H.,0. 

Bezüglich  der  Art,  wie  die  betreffenden  Vor- 
gänge sich  im  normalen  Boden  abspielen,  ist  noch 
vieles  dunkel;  erst  in  neuester  Zeit  ist  es  ge- 
lungen, einige  schwerwiegende  Irrtümer  zu  be- 
richtigen, welche  sich  an  die  sonst  so  überaus 
wichtigen  Arbeiten  von  Winogradsky  an- 
knüpften. Seine  Untersuchungen  waren  nämlich 
durchweg  in  Lösungen  angestellt,  und  es  hat 
sich  hier,  wie  anderwärts,  wieder  gezeigt,  daß  es 
grundfalsch  sein  kann,  Ergebnisse  dieser  Her- 
kunft auf  die  Vorgänge  im  Erdboden  zu  über- 
tragen. Nach  Winogradsky  sollten  die  Nitroso- 
und  Nitrobakterien  äußerst  empfindlich  sein  gegen 
lösliche  organische  Substanzen,  sie  sollten  durch 
mehr  als  0,2  %  Ammonsulfat  bereits  in  ihrer 
Tätigkeit  gehemmt  werden,  auch  sollte  Nitrit-  und 
Nitratbildung  niemals  gleichzeitig  nebeneinander 
erfolgen  können,  vielmehr  die  Nitratbakterien 
selbst  durch  Spuren  von  Ammoniaksalz  gehindert 
werden,  ihre  Tätigkeit  zu  entfalten,  die  erst  be- 
ginnen könnte,  nachdem  alles  Ammoniak  in  Nitrit 
umgewandelt  wäre.  Wenn  nun  auch  an  der 
Richtigkeit  jener  Beobachtungen  an  sich  nicht  zu 
zweifeln  ist,  so  liegen  denn  doch  im  natürlichen 
Boden  ')  die  Dinge  wesentlich  anders,  und  müssen 
obige  Sätze  als  durchaus  ungültig  bezeichnet 
werden.  Daß  dem  so  ist,  dafür  bringt  eine  Arbeit 
von  L.  C.  Coleman,  Untersuchungen  über 
Nitrifikation  (in  Centralbl.  f.  Bakteriol.,  II.  Abt., 
20,  S.  401  ff.,  1908),  eine  Reihe  von  Beweisen, 
durch  zahlreiche  analytische  Belege  unterstützt. 
Die  auffallendsten  und  auch  am  besten  durch- 
geführten Resultate  erhielt  C.  bei  Verwendung 
von  Dextrose,  die  bis  zu  0,5  "j^  des  Bodenge- 
wichtes nicht  nur  ertragen  wurde,  sondern  sogar 
eine  deutliche  und  regelmäßige  Beschleunigung 
der  Nitrifikation  bewirkte;  auch  war  die 
Nitrifikation  keineswegs  dadurch  verhindert,  daß 
an  Ammonsulfat  i  "i„  des  Bodengewichtes  gegeben 
wurde,  was,  auf  die  beigefügte  Wassermenge  be- 
rechnet, eine  7,5-prozentige  Lösung  ergab  —  also 
das  37V2-fache  der  von  Winogradsky  ange- 
gebenen Höchstkonzentration.  Eine  später,  nach 
der  dritten  Woche,  eintretende  scheinbare 
Hemmung  ist  auf  Rechnung  einer  Denitrifikation 
zu  setzen,  welche  durch  die  Anwesenheit  organi- 
scher Substanz  im  Boden  naturgemäß  begünstigt 
wurde.  Rohrzucker,  Milchzucker,  Glyzerin  wirkten 
kaum  merklich,  ebenso  buttersaurer  Kalk,  während 


')  Hierin  verhalten  sich  nun  verschiedenartige  Böden 
durchaus  verschieden :  ganz  leichter  Sand  ändert  wenig  an 
den  für  wäflrige  Lösungen  gültigen  Thesen  Winogradsky's; 
je  reicher  ein  Boden  aber  an  absorptionsfähiger  Sub- 
stanz, an  Humus-  und  Tonpartikelchen  ist,  um  so 
weiter  entfernen  sich  die  tatsächlichen  Vorgänge  von  jenen 
Sätzen. 


essigsaurer  Kalk  hemmend  wirkte;  sehr  stark  war 
letzteres  der  Fall  mit  Pepton  und  Harnstoft'. 

Das  Feuchtigkeitsoptimum  für  die  Nitrifikation 
liegt  um  i6°/|,  herum;  stärkere  Befeuchtung 
hemmt  mehr  als  größere  Trockenheit,  weil  sie 
den  unbedingt  notwendigen  Luftzutritt  erschwert. 
In  zu  feuchtem  Boden  wirkt  auch  Dextrose  nicht 
fördernd,  sondern  hemmend  auf  die  Nitrifikation. 
Das  Optimum  der  Temperatur  liegt  nach  früheren 
Untersuchungen,  die  Verfasser  bestätigt  fand,  bei 
etwa  26"  C. 

Sehr  auffallend  erscheint  das  weitere  Schicksal 
der  beigefügten  Dextrose,  die  in  reinem  sterilen 
Sand,  in  Mengen  von  0,02  bis  0,05  "/oi  i"  Rein- 
kulturen ebenfalls  vielleicht  eine  Beschleunigung 
bewirken  kann;  dabei  verschwindet  aber  die 
Dextrose  allmählich,  und  wenn  die  Kulturen  des 
Verfassers  wirklich  rein  waren  (für  den  Nitrit- 
bildner gibt  er  selbst  Unreinheit  zu),  dann  würden 
wir  das  überraschende  Ergebnis  vor  uns  sehen, 
daß  —  wieder  entgegen  Winogradsky  —  die 
Nitrobakterien  nicht  so  ausgesprochen  prototroph 
wären,  wie  man  lange  angenommen  hat.  Zur 
Assimilation  von  Kohlensäure  sind  Nitrit-  wie 
Nitratbildner  befähigt,  auch  ist  die  Dextrose  nicht 
imstande,  fehlende  Kohlensäure  zu  ersetzen,  auch 
eine  Reizwirkung  kommt  kaum  in  Frage,  die 
Rolle  des  Zuckers  ist  also  noch  recht  fraglich  und 
der  Aufklärung  bedürftig. 

Über  Anaerobiose  liegt  eine  neue  Arbeit 
vor:  Ein  experimenteller  Beitrag  zur 
Kenntnis  der  Bedeutung  des  Sauerstoff- 
entzuges  für  die  Entwicklung  obligat 
anaerober  Bakterien,  von  R.  Burri  und 
J.  Kürsteiner,  in  Centralbl.  f  Bakteriol.  usw., 
II.  Abtlg.,  21,  1908,  S.  289.  An  Kulturen  von 
Bacillus  putrificus,  eines  obligat  anaeroben  Spalt- 
pilzes, wurde  die  neue  und  auffallende  Tatsache 
beobachtet,  daß  nach  der  von  Kürst  einer  (vgl. 
Naturw.  Wochenschr.,  Bd.  8,  S.  406  u.  S.  551) 
früher  beschriebenen  Methode  streng  anaerob  ver- 
schlossene Bouillonröhrchen  auch  dann  lebhaftes 
Wachstum  zeigten,  wenn  nach  relativ  kurzer  Zeit 
der  Verschluß  geöfthet  und  die  Zuchten  bei 
vollem  (d.  h.  nur  durch  den  gewöhnlichen  Watte- 
pfropfbehindertem) Lu  ft  zu  t  ritt  gehalten  wurden. 
Das  gelang  ganz  besonders  auch  bei  solchen 
Röhrchen,  die  bisher  noch  keine  Spur  von 
Trübung  hatten  erkennen  lassen,  aber  trotzdem 
unter  genannten  Bedingungen  nach  kurzer  Zeit, 
infolge  lebhafter  Bakterienvermehrung,  sich  stark 
trübten.  Ja.  die  Trübung  war  ganz  regelmäßig 
in  den  geöffneten  Röhrchen  stärker,  als  in  den 
verschlossen  gebliebenen,  vielleicht  infolge  einer 
Reizwirkung  des  eindringenden  Sauerstoffes.  Die 
Grenze  der  Entwicklungsmöglichkeit  lag  ziemlich 
genau  bei  13 — 14  Stunden  anaeroben  Aufent- 
haltes im  Thermostaten  bei  37".  Zuweilen  ent- 
wickelten sich  aber  im  Luftzutritt  auch  Kulturen, 
die  nach  kürzerer  Zeit,  bis  herab  zu  6  Stunden, 
geöffnet  wurden,  andererseits  blieben  ältere  manch- 
mal   im    Wachstum    zurück,    zeigten    erst    nach 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


5S 


mehreren  Tagen  langsame  Zunahme  der  Trübung, 
welche  nun  entweder  doch  noch  normale  Inten- 
sität erreichte,  oder  aber  wieder  unter  anaeroben 
Verschluß  gebracht  werden  mußte,  um  sich  nor- 
mal zu  entwickeln ;  das  Kxtrem  stellten  solche 
Zuchten  dar,  deren  bereits  sehr  merkliche  Trübung 
nach  Entfernen  des  Verschlusses  keine  Spur  von 
Zunahme  mehr  zeigte,  und  erst  nach  Neumon- 
tierung  des  Burri 'sehen  Verschlusses  normal 
weiterwuchsen. 

Die  Erklärung  des  Hauptergebnisses  ist  im  folgen- 
den zu  suchen:  Die  bereits  entwickelte  Anaeroben- 
kultur ist  imstande,  zutretenden  Sauerstoff  un- 
schädlich zu  machen;  doch  ist  ausgeschlossen, 
daß  letzterer  etwa  veratme t  würde;  Anaerobier 
können  eben  nicht  normal  atmen.  Vielmehr 
müssen  es  reduzierende  Substanzen  sein 
(Anaerobier  entbinden  z.  B.  fast  durchgehends 
freien  Wasserstoff),  welche  den  Sauerstoff  so  weit 
absorbieren,  daß  er  an  die  Spaltspitze  nicht  mehr 
herantreten  kann,  außer  in  minimaler  Menge,  in 
welcher  er  nun  vielleicht  sogar  als  Reizstoff 
wirkt  (vgl.  o.).  Die  sog.  anaeroben  Züchtungs- 
verfahren würden  nur  der  Bestimmung  dienen, 
den  allerersten  Generationen  das  im  Sauerstoft 
liegende  Entwicklungshemmnis  zu  beseitigen. 
Dann  geht  eine  normal  kräftige  Kultur  auch  bei 
Luftzutritt  ihren  Weg,  selbst  wenn  (vgl.  o.)  im 
Beginn  des  Luftzutrittes  die  Bakterienvermehrung 
noch  zu  keiner  sichtbaren  Trübung  fortgeschritten 
war.  Die  oben  kurz  skizzierten  Ausnahmefälle 
schwächeren  Wachstums,  bzw.  geringerer  Wider- 
standsfähigkeit gegen  molekularen  Sauerstoft 
deuten  einerseits  auf  eine  gewisse  Variabilität  der 
Bakterien  auch  in  dieser  Hinsicht,  andererseits  aut 
einen  Existenzkampf,  der  nicht  von  allen  Zuchten 
glücklich  bestanden  wird.  Die  Untersuchungen 
erstreckten  sich  nur  auf  die  eine,  obengenannte 
Art;  ob  das  Ergebnis  —  was  an  sich  nicht  un- 
wahrscheinlich ist  —  zu  verallgemeinern  sein  wird, 
mag  die  Zukunft  lehren. 

Übrigens  hat  schon  vor  2  Jahren  Hans 
Pringsheim  (Über  ein  Stickstoff  assimi- 
lierendes Clostridium,  in  Centralbl.  f.  Bak- 
teriol.,  II.  Abtlg..  16,  1906,  S.  795)  ein  dem 
Clostridium  butyricum  Prazmowski  und  dem  Cl. 
Pasteurianum  Winogradsky  naheverwandtes  Butter- 
säurebakterium  beschrieben ,  das  „im  offenen 
Kolben  Zuckerlösung  vergärt",  unter  gleichzeitiger 
Bindung  von  Luftstickstoft",  wenn  eine  geringe, 
unzureichende  Menge  Stickstoff  als  Ammonsulfat 
gegeben  wird.  Es  dürfte  sich  auch  hier  um  eine 
von  Haus  aus  anaerobische  Form  handeln,  welche 
leichter  als  andere  in  hoher  Schicht  zu  kultivieren 
ist.  Man  kann  sich  den  Vorgang  wohl  so  vor- 
stellen, daß  die  Bakterienvermehrung  zuerst  in 
der  -j-  sauerstofffreien  Bodenschicht  einsetzt, 
und  daß  die  hier  alsbald  erzeugten  reduzierenden 
Stoffe  die  weitere  Entwicklung  durch  die  ganze 
Flüssigkeitssäule  ermöglichen. 

Über  einen  extrem  verkürzten  Ent- 
wicklungsgang       bei        zwei        Bakterien- 


spezies ist  eine  Arbeit  von  L.  Garbowskiim 
Biolog.  Centralbl.  27,  1907,  S.  717  betitelt.  Der 
Verfasser  beobachtete  an  frisch  isoliertem  Bacillus 
tumescens  Zopf  eine  überaus  rasche  Auskeimung 
der  soeben  aus  den  Mutterzellen  freigewordenen 
Sporen,  andererseits  eine  sehr  rasche  Sporen- 
bildung in  den  soeben  der  Spore  entkeimten 
Stäbchen,  die  sich  gar  nicht  erst  teilten, 
sondern  sofort  zur  .Sporu  lation  schritten, 
wobei  bisweilen  die  neue  Spore  das  Keimstäbchen 
vollständig  ausfüllt.  (Bei  Bac.  asterosporus  A. 
Meyer  wurde  Sporenbildung  im  Keimstäbchen 
ebenfalls  beobachtet.)  Die  Sporen  werden  unter 
solchen  Bedingungen  immer  kleiner,  von  durch- 
schnittlich 2,2  /<  ging  ihre  Länge  in  drei  Monaten 
bis  auf  1,4  bis  1,6  //  zurück.  Die  Erscheinung  kam 
nur  auf  einem  mit  i  "/„  Dextrose  versetzten  Nähragar 
zum  Vorschein,  auf  einer  Mischung  von  i  Teil 
dieses  Agars  mit  2  Teilen  wäßriger  Agarlösung 
trat  sie  sehr  vereinzelt  auf,  und  behielten  die 
Sporen  auch  ihre  Größe  bei.  Andere  Nährböden 
ergaben  ebenfalls  teils  sehr  zahlreiche,  teils  sehr 
spärliche  Beispiele  dieser  Abkürzung  des  Ent- 
wicklungsganges. Ein  halbes  Jahr  später,  nach 
weiterer  Kultur  des  Stammes,  hatte  sich  die 
Sporengröße  auf  1,6 /(  verringert,  jedoch  trat  die 
oben  beschriebene  Erscheinung  bei  weitem  weniger 
charakteristisch  zutage. 

Über  Entwicklungszyklen  bei  Bakterien 
schreibt  F".  Fuhrmann  in  den  Beiheften  zum 
Botan.  Centralbl.,  Bd.  23,  1.  Abt.,  1907.  Eine  von 
ihm  aus  Flaschenbier  isolierte  Art,  Pseudo- 
monas cerevisiae,  ein  durch  ein  endständiges 
Geißelbüschel  lebhaft  bewegliches  Stäbchen,  war 
im  wesentlichen  der  Gegenstand  seiner  Unter- 
suchungen. Interessant  und  nachahmenswert  ist 
die  Methode,  deren  er  sich  bediente,  um  einzelne 
Zellen  in  ihrer  Entwicklung  einige  Zeit  zu  ver- 
folgen :  er  fing  die  Zellen  in  den  Maschen  von 
dünn  geschnittenen  Scheiben  (die  selbstredend 
sterilisiert  wurden)  von  Sambucus-  oder  Helian- 
thus-Mark,  die  dann  in  die  feuchte  Kammer  und 
mit  dieser  unters  Mikroskop  gebracht  wurden. 
Hier  spielten  sich  die  zu  beschreibenden  Er- 
scheinungen sogar  sehr  rasch  ab ,  beschleunigt 
wohl  durch  beginnenden  Sauerstoft'mangel. 

Das  lebhafte  Schwärmen  der  Stäbchen  ver- 
langsamt sich  vor  jeder  Zweiteilung,  allmählich 
wird  aber  überhaupt  die  Bewegung  träger  und 
hört  zuletzt  ganz  auf,  während  zugleich  die  Zellen 
sich  niclit  mehr  trennen,  sondern  zu  P'äden  ver- 
einigt bleiben;  die  kürzeren  Fäden  führen  noch 
schlängelnde  Bewegungen  aus,  die  längeren  sind 
unbeweglich  und  zeigen  kaum  noch  eine  Gliede- 
rung in  Zellen.  Innerhalb  der  Zellen  treten  unter- 
dessen winzige,  stark  lichtbrechende  Körnchen  auf, 
welche  mehr  und  mehr  zu  größeren  verschmelzen, 
die  Konturen  'der"  Fäden  beginnen  zu  verschwin- 
den, und  zuletzt  findet  man  nur  einen  ,, Detritus", 
aus  jenen  Körnchen  bestehend,  die,  mit  alter 
Methylenblaulösung  tingiert,  die  charakteristische 
„metachromatische",  d,  h.  rote  Färbung  annehmen. 


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und 
den 
jene 


Bei  erhöhter  Temperatur  findet  diese  Entwicklung 
unter  einer  geringen  Vergrößerung  der  Zellen 
statt,  die  sich  z.  T.  kolbig  aufgetrieben  zeigen; 
das  ist  noch  mehr  der  Fall  in  Lösungen  mit 
I — 2  Ammoniumchlorid  als  Stickstoftquelle 
0,5%  Saccharose  als  Kohlenstoffquelle;')  in 
kolbigen  Anschwellungen  sind  hauptsächlich 
Körnchen  enthalten. 

Dieselben  sind  nun  sicherlich  keine  Sporen, 
trotzdem  aber  noch  lebensfähige  Dauer- 
zustände, die  zu  neuen  Kulturen  aus- 
keimen können  —  ein  höchst  auffallender, 
wohl  aber  nicht  für  alle  analogen  Bildungen  all- 
gemeingültiger Befund.  (Ref.  wenigstens  hat  sehr 
oft  vergeblich  versucht,  solche  Bakterienkolonien 
weiterzuzüchten,  die,  auf  Agarplatten  aufgegangen, 
der  Weiterzüchtung  wert  schienen,  sich  aber 
unter  dem  Mikroskop  nur  noch  als  aus  Körnchen 
bestehend  erwiesen;  obwohl  die  Platten  oft  nur 
8 — 14  Tage  alt  waren,  ist  in  keinem  Fall  die 
Aussaat  von  Erfolg  gewesen  —  verschiedene 
Arten  verhalten  sich  also  wohl  verschieden.) 
Werden  kolbige  Zellen  mit  Körncheninhalt  in 
frisches  Nährsubstrat  gebracht,  so  treten  die  Körn- 
chen zu  kurzen  Ketten  geordnet  heraus,  ein  jedes 
wächst  zu  einem  Stäbchen  heran,  und  nun  erst 
trennen  sich  die  Zellen,  um  jetzt  selbstbeweglich 
davon  zu  schwärmen.  Zwischenstufen,  die  erst 
auf  dem  Wege  zum  Kolbenstadium  waren,  gehen 
dagegen  den  beschriebenen  Gang  zu- 
rück, in  gleicher,  nur  umgekehrter  Reihenfolge: 
die  Körnchen  verteilen  sich  zu  immer  winziger 
werdenden  Pünktchen,  dadurch  wird  der  Zellen- 
inhalt immer  homogener,  und  die  Fäden  teilen 
sich  in  schwärmende  Kurzstäbchen.  (Diese  Er- 
scheinung ist  eine  interessante  Illustration  zu  der 
Behauptung  mancher  Vitalisten ,  es  bestehe 
zwischen  Lebensvorgängen  und  solchen  in  unbe- 
lebter Substanz  ein  fundamentaler  Unterschied 
darin,  daß  die  ersteren  nur  in  einer  Richtung 
verlaufen  könnten,  die  letzteren  aber  reversibel 
wären.  Hier  haben  wir  wieder  einmal  ein 
Beispiel  für  Umkehrung  eines  unleugbaren  Lebens- 
vorganges; ebenso  gibt  es  zur  Genüge  Vorgänge 
in  der  unbelebten  Weh,  die  nicht  umkehrbar  sind: 
Gewitter,  Wasserfälle  und  vieles  andere.) 

Bringt  man  die  Dauerzustände  in  konzentrier- 
tere,  5 — lo-prozentige  Chlorammoniumlösung,  so 
findet  zwar  keine  Entwicklung  statt,  die  Aus- 
keimung erfolgt  aber  prompt  nach  Übertragung 
in  eine  normale  Nährlösung;  frischlebende  Kulturen 
aber  ertragen  die  konzentrierte  Lösung  nicht,  son- 
dern gehen  zugrunde.  Die  beschriebene  Körn- 
chenbildung ist  also  als  eine  der  Sporulation 
analoge  Bildung  von  Dauerzuständen,  zur  Über- 
windung   ungünstiger    Außenbedingungen,    anzu- 


')  Als  ,,Nähr"lösung  enthält  dieselbe  übrigens  viel  zu 
viel  Stickstoff.  Dem  natürlichen  Bedürfnis  der  Bakterien  an 
Kolilenstoff  und  Stickstoff  würde  es  ungefähr  entsprechen, 
wenn  man  Kohlenhydrat  und  Ammoniaksalz  im  Verhältnis 
von  20 :  I  darreichte.  Die  übergroße  Salmiakgabe  erklärt 
wohl  hinreichend  die   Deformation  (Anm.  d.  Ref.). 


sehen.  Die  Körnchen  sind,  gleich  den  Sporen, 
austrocknungsfähig,  aber  bei  weitem  nicht  im 
gleichen  Grade  hitzebeständig.  Vom  Diphtherie- 
Bazillus  ist  es  lange  bekannt,  daß  er  Austrock- 
nung überdauert,  obwohl  auch  er  keine  Sporen 
erzeugt;  doch  bildet  gerade  er  sehr  leicht  und 
intensiv    die    „metachromatischen"  Körnchen   aus. 

Es  sind  höchst  auffallende  Gebilde  bakterieller 
Herkunft,  die  Herm.  IVIüller-Thurgau  (Cen- 
trale, f.  Bakteriol.,  IL  Abt.,  20.  Bd.,  S.  353  ff.) 
als  Bakterienblasen  oder  Bacteriocysten 
beschreibt.  .Ähnliche,  aber  meist  weit  weniger 
charakteristische  Bildungen  haben  so  manchen 
Autor  veranlaßt,  wunderliche  Theorien  aufzustellen, 
wonach  die  Spaltpilze  gar  keine  selbständigen  Zellen 
bzw.  Organismen,  sondern  nur  Bestandteile,  Bruch- 
stücke bzw.  Bausteine  höherer  Zellen  sein  sollten, 
welch  letztere  aus  Bakterien  entstehen  und  wieder 
in  solche  zerfallen  könnten.  Müller-Thurgau 
steht  auf  diesem  Standpunkte  nicht,  er  beschreibt 
die  Dinge  als  das ,  was  sie  sind,  als  Gebilde 
eigener  Art,  die  mit  Zellen  wohl  einige  Ähnlich- 
keiten aufweisen,  aber  selbst  etwas  ganz  anderes 
sind. 

In  Obst-,  besonders  Birnweinen  fand  Verfasser 
nach  abgelaufener  Hauptgärung  oft  zahlreiche 
blasenförmige  Gebilde,  von  mikroskopischer  Klein- 
heit bis  zu  mehreren  mm,  in  Ausnahmefällen 
selbst  von  10 — 20  mm  Durchmesser.  Den  ein- 
zigen Inhalt  der  Blasen  bildeten  Bakterien,  niemals 
wurden  Fremdkörper  darin  gefunden;  junge 
Blasen  sind  mit  Bakterien  innerlich  ganz  erfüllt, 
ältere  nur  noch  teilweise,  die  Bakterienmasse 
bildet  dann  ungefähr  ein  Kugelsegment,  der 
übrige,  oft  weit  größere  Raum  ist  mit  Flüssigkeit 
gefüllt. 

Die  Blasen  entwickelten  sich  nur  in  Birnsäften 
von  einem  mittleren  Gerbstoffgehalt;  ein  solcher 
dürfte  für  die  Entstehung  der  Blasenhaut  von 
Wichtigkeit  sein,  ein  Mehr  an  Gerbstoff  hemmt 
die  Entwicklung  derselben. 

Die  Haut  ist  an  normalen  Blasen  durchaus 
glatt,  von  mäßiger  F"estigkeit,  sie  kann  durch 
Wasserverlust  schrumpfen,  um  bei  Wasserzutritt 
wieder  ganz  das  vorige  Aussehen  anzunehmen. 
Häufig  fanden  sich  entleerte  Häute;  die  Bakterien 
hatten ,  obwohl  nicht  selbstbeweglich ,  die 
schützende  Hülle  wohl  durch  einen  Spalt  verlassen. 

Die  Bakterien  sind  in  den  Cysten  bald  mehr 
in  Form  von  Kurzstäbchen  oder  selbst  Kokken, 
bald  als  Langstäbchen  oder  als  lange  Fäden  ent- 
halten ,  die  alle  als  Entwicklungsstufen  einer  Art 
auftreten  können,  insofern  die  Fäden  zu  kokken- 
artigen Kurzstäbchen  zerfallen.  Es  sind  durchweg 
Milchsäurebakterien,  die  als  neue  Arten: 
Bacterium  mannitopoeum,  B.  gracile, 
Micrococcus  cystipoeus,  beschrieben  werden. 

In  günstigen  Fällen  konnten  in  Obstmosten 
schon  in  der  vierten  Woche  mit  bloßem  Auge 
sichtbare  Bacteriocysten  auftreten ;  da  sie  sich  erst 
nach  der  Hauptgärung  entwickelten,  und  diese 
14  Tage  beanspruchte,  so  bleiben  also  10 — 14  Tage 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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für  die  Entwicklung  der  Blasen.  Die  Entstehung 
der  Blasen  konnte  einwandfrei  an  Reinkulturen 
verfolgt  werden.  Es  bilden  sich  zunächst  Fäden 
der  in  Frage  kommenden  Bakterien  aus,  die  sich 
zu  kleinen  Knäueln  verschlingen,  deren  oft  mehrere, 
zuweilen  viele  aus  einem  Faden  hervorgehen  und 
so  miteinander  zusammenhängen,  woraus  dann 
auch  Gruppen  von  Blasen  entstehen.  Die  Knäuel 
nämlich  werden  durch  reichliche  Absonderung 
von  Schleim,  der  die  Zellen  auch  dann  noch  zu- 
sammenhält, wenn  sie  als  Zellen  sich  voneinander 
getrennt  haben,  zu  Zoogloeen  geballt,  und 
diese  Zoogloeen  sind  es,  die  durch  Abscheidung 
einer  leidlich  resistenten  Haut  zu  den  Bacterio- 
cysten  werden.  Die  gruppenweise  Entstehung 
führt  zur  Bildung  eines  kleinen  Nabels,  der  an 
den  Blasen  auch  dann  noch  wahrnehmbar  ist, 
wenn  sie  sich  voneinander  losgelöst  haben.  Wie 
in  der  Entstehungsweise,  so  zeigt  sich  auch  in 
der  Beschaffenheit  der  Zoogloeen  in  den  Obst- 
weinen eine  große  MannigfaUigkeit.  Oft  finden 
sich  in  einem  Obstweintrub  fast  nur  einzelne 
Zoogloeen  verschiedener  Größe,  während  in  an- 
deren Fällen  die  meisten  in  mehr  oder  weniger 
losen  Gruppen,  von  oft  bis  über  loo  Stück,  zu- 
sammenhängen. Die  größte  der  beobachteten 
Zoogloeen  besaß  einen  Durchmesser  von  2,6  mm. 
Die  Zoogloeen  können  sich  nun  mit  einer 
Membran  umgeben,  sie  tun  dies  aber  nur  in  gerb- 
stoffreicheren Medien;  so  konnten  unbehäutete 
Zoogloeen,  die  in  einem  gerbstoffarmen  Birnsaft 
gewachsen  waren,  durch  Übertragung  in  gerbstoff- 
reicheres Substrat  zur  Blasenbildung  übergehen. 
Die  Haut  zeigt  manche  Ähnlichkeiten  mit  einer 
Zellmembran,  aber  auch  wichtige  Unterschiede : 
sie  ist  nicht  doppelbrechend,  unlöslich  in  Kupfer- 
oxydammoniak, färbt  sich  nicht  mit  Jod  -\- 
Schwefelsäure.  Auch  Pilzcellulose  dürfte  nicht  in 
Frage  kommen.  Die  Haut  löst  sich  in  gesättigter 
Kalilauge  in  i — 2  Tagen  vollständig  auf,  in 
25-prozentiger  Chromsäure  schon  in  30 — 60  Min.; 
in  starker  Salzsäure  unlöslich,  färbt  sie  sich  beim 
Kochen  in  dieser  rötlich,  was  auf  Gerbstoff 
schließen  läßt.  Sie  dürfte  ihrem  Wesen  nach  eine 
echte  Niederschlagsmembran  sein,  ent- 
standen infolge  der  Berührung  der  kolloidalen 
Kittmasse  der  Zoogloeen  mit  dem  Gerbstoff  des 
Nährmediums,  wenn  sie  auch  mit  den  nach 
Pfeffer's  Anweisung  aus  Leim  und  Tannin- 
lösung erzeugten  „künstlichen  Zellen"  nicht  in 
allen  Punkten  übereinstimmt.  Letztere  nämlich 
zeigen  unter  dem  Mikroskop  eine  Menge  Unregel- 
mäßigkeiten, entstanden  durch  Risse,  welche  durch 
erneute  Niederschläge  verschlossen  wurden ;  solche 
fanden  sich  nicht  in  den  Häuten  der  Bacterio- 
cysten,  die  vielmehr  stets  glatt  und  gleichmäßig 
erschienen,  was  auf  ein  sehr  langsames  und  regel- 
mäßiges Wachstum  schließen  läßt.  Die  ,, künst- 
lichen Zellen"  sind  in  heißem  Wasser  leicht  lös- 
lich, die  Bakterienblasen  aber  unlöslich.  Zuweilen 
fanden  sich  an  den  Blasen  oder  an  sonst  unbe- 
häuteten  Zoogloeen    lange    Schläuche,    manchmal 


schraubig  gewunden,  meist  von  unregelmäßiger 
Form,  von  dergleichen  Membransubstanz  gebildet; 
solche  Schläuche  (wohl  an  Rißstellen  der  Cyste 
gebildet)  konnten  während  ihres  Wachstums  be- 
obachtet werden,  es  zeigte  sich  dann  der  Schlauch 
an  der  Spitze  offen,  an  der  Öffnung  stets  von 
einem  feinen  Gerinnsel  umgeben,  und  verlängerte 
sich  rasch,  indem  am  freien  Ende  stets  neue 
Wandpartien  sich  ansetzten.  Bei  starker  Ver- 
größerung erschienen  die  Schläuche  wie  aus  lauter 
kleinen  Ansatzstücken  aufgebaut.  (Ganz  dieselben 
Erscheinungen  kann  man  beobachten,  wenn  man 
die  Entstehung  der  bekannten  Perrocyankupfer- 
membranen  unter  Deckglas  mit  dem  Mikroskop 
verfolgt;  Ref.)  Die  Blasenhaut  zeigt  übrigens 
nachweislich  Flächenwachstum  und  scheint  auch 
in  die  Dicke  wachsen  zu  können;  jedenfalls  be- 
ruht das  allmähliche  Größerwerden  der  Blasen 
nicht  auf  bloßer  Dehnung  der  Membran. 

Die  „biologische  Bedeutung"  der  Bak- 
terienblasen sieht  Verfasser  darin,  daß  sie  eine 
Schutzhaut  darstellen.  Da  sie  aber,  wie  der  Ver- 
fasser ausdrücklich  feststellt,  nur  unter  den  künst- 
lichen Bedingungen  der  Mostgärung  überhaupt 
zustande  kommen,  in  natürlichem  Substrat,  in 
faulenden  Birnen,  aber  gar  nicht  zur  Entwicklung 
gelangen,  so  dürfte  wohl  die  rein  kausale 
Auffassung  die  zu  treffendere  sein.  Viel- 
leicht haben  wir  gerade  hier  wieder  einmal  ein 
Beispiel  dafür,  daß  recht  eigenartige  Gebilde  ent- 
stehen können,  obwohl  sie  keine  biolo- 
gische Bedeutung  haben. 

Wichtige  Untersuchungen  über  Bienenkrank- 
heiten veröffentlicht  A.  Maassen:  Zur  Ätio- 
logie der  sog.  Faulbrut  der  Honig- 
bienen, in  Heft  i,  p.  53  des  6.  Bandes  der 
Arbeiten  der  Kaiserl.  Biolog.  Anstalt  für  Land- 
und  Forstwirtschaft. 

Seit  Jahrzehnten  haben  die  Imker  zweierlei 
Seuchen  ihrer  Pfleglinge  beobachtet:  die  „gut- 
artige" und  die  „bösartige  P'aulbrut"  oder  „Brutpest". 

Die  gutartige  Faulbrut  befällt  die  unge- 
deckelten  Larven,  die  nach  dem  Tode  breiartige 
Beschaftenheit  und  einen  starken  Geruch  nach 
Kapronsäure  annehmen,  übrigens  aber  rasch  ein- 
trocknen. Die  Bienen  können  die  vertrockneten 
Kadaver  fortschaffen,  worauf  oft  die  Seuche  von 
selbst  zurückgeht. 

Der  bösartigen  Faulbrut  erliegen  die 
gedeckelten  Larven,  die  eine  stark  schleimige 
Konsistenz  annehmen,  bei  schwachem  Faulgeruch; 
die  Krankheit  ist  nur  durch  energisches  Eingreifen 
zu  bekämpfen,  meist  geht  das  ganze  Volk  oder 
gar  der  ganze  Bienenstand  zugrunde. 

Als  Erreger  der  ersteren  Infektion  ist  der  seit 
1885  bekannte  Bacillus  alvei  anzusehen,  der  sehr 
widerstandsfähige,  jahrzehntelang  keimkräftige 
Sporen  bildet,  in  Kulturen  aber  leicht  degeneriert. 
Sein  Hauptsitz  ist  der  Darmkanal  der  Bienen- 
larven. Mit  dem  B.  alvei  gemeinsam  findet  sich 
oft  ein  Streptokokkus  von  lanzettförmiger  Gestalt, 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


Str.'apis,  dem  Str.  pneumoniae  und  Str.  lactis 
verwandt,  mit  einem  Temperaturoptimum  von 
36—39''.  In  den  toten  Maden  sterben  sie  rasch 
ab,  wohl  infolge  selbst  erzeugter  freier  Säure. 
Die  gegenseitigen  Beziehungen  der  beiden  Spalt- 
pilze sind  noch  nicht  völlig  aufgeklärt;  der 
Streptokokkus  scheint  für  sich  allein  zur  Infektion 
untauglich  zu  sein. 

Die  bösartige  Erkrankung,  die  in  fast  90 "/(, 
der  beobachteten  Fälle  festgestellt  wurde .  wird 
durch  Bacillus  Brandenburgiensis  n.  sp., 
einen  beweglichen,  sporenbildenden  Spaltpilz,  her- 
vorgerufen. Er  findet  seine  üppigste  Entwicklung 
nicht  im  Darm,  sondern  im  Fettkörper  der  Larven. 
Seine  Sporen  sind  über  20  Jahre  lang  haltbar, 
aber  weniger  hitzebeständig  als  die  von  B.  alvei. 
Sehr  charakteristisch  und  darum  diagnostisch  ver- 
wertbar   ist    seine    Eigenschaft,    die    Geißeln    in 


Menge  abzuwerfen  und  dieselben  zu  ,, Geißel- 
zöpfen" zu  verflechten,  die  mit  größter  Ähnlich- 
keit das  Bild  einer  Spi  roch  acte  (!)  vortäuschen. 
Bekanntlich  ist  von  den  Pathologen  schon  für 
eine  ganze  Reihe  sog.  Spirochaeten  nachgewiesen 
worden,  daß  es  sich  nicht  um  solche ,  sondern 
um  Kunstprodukte  oder  Gebilde  anderweiten 
Ursprungs  handelte. 

In  zahlreichen  Fällen  wurden  auch  Misch- 
infektionen  von  Bac.  alvei  und  Brandenbur- 
giensis gefunden;  dann  war  aber  der  erstere  durch 
den  letzteren  in  seiner  Entwicklung  stark  gehemmt 
oder  unterdrückt,  und  das  Krankheitsbild  war 
ganz  das  der  bösartigen  Epidemie.  Nur  durch 
ein  besonderes  Verfahren  war  es  dann  möglich, 
neben  dem  Bac.  Brandenburgiensis  auch  den  Bac. 
alvei  herauszuzüchten. 

Dr.  Hugo  Fischer. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Die  Wiederkehr  des  Halley'schen  Kometen. 

—  Der  erste  Komet,  dessen  Umlaufszeit  erkannt 
wurde  und  der  daher  einen  Wendepunkt  in  der 
Erforschung  dieser  Himmelskörper  brachte,  ist  der 
Halley'sche  Komet.  Er  ist  zugleich  derjenige, 
dessen  Periodizität  am  weitesten  zurückverfolgt 
werden  kann  und  von  dem,  obwohl  seine  Um- 
laufszeit größer  als  die  der  übrigen  periodischen 
Kometen  ist,  die  meisten  Erscheinungen  vorliegen. 
Dies  kommt  wohl  hauptsächlich  daher,  daß  dieser 
Komet  bei  jeder  Wiederkehr  eine  außergewöhn- 
liche Helligkeit  hatte  und  daher  stets  die  allge- 
meine Aufmerksamkeit  auf  sich  lenkte,  so  daß  es 
selbst  für  sehr  frühe  Zeiten  gelingt,  sein  Auftreten 
nachzuweisen.  Freilich  wird  dieser  Nachweis 
immer  schwieriger,  je  weiter  die  Erscheinung 
zurückliegt,  weil  man  im  Altertum  und  auch  noch 
lange  Zeit  im  Mittelalter  die  Kometen  nicht  für 
Himmelskörper,  sondern  für  irdische  Lichterschei- 
nungen hielt,  die  von  Ausdünstungen  der  Erde 
herrühren  und  daher  nur  ganz  oberflächliche  An- 
gaben über  ihren  Ort  und  ihre  Bewegungen  am 
Himmel  machte. 

Erst  der  Astronom  Johann  Müller  genannt 
Regiomontan  beobachtete  mit  seinem  Schüler 
Walther  den  1472  erschienenen  Kometen  syste- 
matisch. Seinem  Beispiel  folgten  in  anerkennens- 
werter Weise  andere  Astronomen,  wodurch  in  der 
Folgezeit  ein  viel  sichereres  und  brauchbareres 
Beobachtungsmaterial  als  bisher  hinterlassen  wurde. 


Kepler,  der  zwar  noch  nicht  an  die  kosmische 
Natur  der  Kometen  glaubte,  nahm  1608  an,  daß 
sie  eine  geradlinige  Bahn  durchlaufen,  während 
der  Danziger  Astronom  Joh.  Hevel  durch  die 
Beobachtungen  des  Kometen  vom  Jahre  1664  ver- 
anlaßt wurde,  sich  dahin  auszusprechen,  daß  sich 
alle  Kometen  in  krummlinigen  Bahnen  bewegen, 
die  von  der  geraden  Linie  nur  sehr  wenig  ab- 
weichen und  deren  konkave  Seite  sich  gegen  die 
Sonne  richtet. 

Am  4.  November  1681  entdeckte  Gottfried 
Kirch  in  Koburg  einen  großen  Kometen,  den 
auch  G.  S.  Dörffel  in  Plauen  eifrig  beobachtete. 
Dieser  machte  nun  zum  erstenmal  den  Versuch, 
die  Bahn  eines  Kometen  zu  bestimmen.  Er  be- 
stätigte dadurch  die  Hevel'sche  Idee  und  ergänzte 
und  erweiterte  sie  dahin,  daß  die  Bewegungslinie 
wohl  eine  Parabel  sein  möge,  in  deren  Fokus  die 
Sonne  stehe.  Die  Untersuchungen  DörfTel's  waren 
nur  auf  graphischem  Wege  ausgeführt  worden. 
Bald  darauf  entwickelte  aber  J.  Newton  eine  erste 
Methode  einer  rechnerischen  Bahnbestimmung  und 
erprobte  sie  auch  an  dem  Kometen  des  Jahres 
1680.  E.  Halley  wendete  sie  dann  auf  alle  ihm 
zugänglichen  Kometenbeobachtungen  an  und 
konnte   1705  bereits  24  Bahnen  mitteilen. 

Ein    Vergleich    seiner    Rechnungen    ließ 
nun  die  große  Ähnlichkeit  der  Bahnen    des 
von    Peter    Apian,    des    1607    von    J.   Kepler 
des   1681    von  G.  Kirch  entdeckten  Kometen    er 
kennen,  deren  Elemente  die  folgenden  waren: 


ihm 

1531 
und 


Periheldurchgang 

1531 
1607 
1682 


Neigung  der 

Länge  des 

Länge  des 

Bahn 

Knoten 

Perihels 

I7«56' 

49''2S' 

301  »39' 

17    2 

50  21 

302   16 

17  56 

51  16 

302  53 

Periheldistanz 

o,S7 
o,S9 
0,58 


Bewegung 
[   rückläufig 


Er  schloß    daraus,    daß    der    Komet    in    etwa      Bahn    keine   Parabel,    sondern    eine    geschlossene 
76  Jahren  die  Sonne  umkreise  und  daß  daher  die      Ellipse    sei.      Auch  glaubte  er,    daß  der  im  Jahre 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschriit. 


59 


1456  erschienene  Komet  mit  diesem  identisch  sei, 
wenn  er  auch  aus  Mangel  an  guten  Beobachtungen 
dafür  keine  Bahn  berechnen  koonte.  Ja  so  sehr 
war  sein  Vertrauen  auf  seine  Rechnungen,  daß  er 
die  Wiederkehr  des  Kometen  für  das  Jahr  17 58, 
also  "jG  Jahre  später  ansagte. 

Diese  erste  Vorhersage  ging  auch  wirklich  in 
Erfüllung,  wenn  er  sie  auch  nicht  mehr  selbst  er- 
leben sollte,  da  er  bereits  16  Jahre  vorher  im 
Jahre  1742  im  87.  Lebensjahre  sein  taten-  und  er- 
folgreiches Leben  abgeschlossen  hatte.  Seit  dieser 
Zeit  ist  der  Name  Halley's  mit  diesem  Kometen 
verknüpft. 

Wie  man  schon  aus  der  obigen  Zusammen- 
stellung sieht,  sind  die  Perioden  der  Rückkehr 
nicht  ganz  gleich,  wodurch  die  Zeit  der  Wieder- 
kehr auch  entsprechend  unsicher  wird.  A.  Cl. 
Clairaut  unternahm  daher  neue  Untersuchungen, 
wobei  er  den  Einfluß  der  Störungen  durch  Jupiter 
und  Saturn  berücksichtigte,  aus  welchen  hervor- 
ging, daß  dadurch  eine  Verzögerung  von  618  Tagen 
eintrete,  weshalb  er  die  Rückkehr  des  Kometen  in 
sein  Perihel  auf  Mitte  April  1759  ansagte,  wobei 
er  eine  Unsicherheit  in  der  Zeit  von  einem  Monat 
angab. 

Der  Komet  wurde  am  25.  Dezember  1758 
wieder  aufgefunden,  während  er  sein  Perihel  am 
13.  März  1759  passierte,  also  32  Tage  früher,  als 
die  Rechnungen  Clairauts  ergeben  hatten,  wobei 
aber  zu  berücksichtigen  ist,  daß  dieser  Termin 
noch  innerhalb  der  Unsicherheitsgrenze  der 
Rechnung  liegt.  Die  Unsicherheit  wird  noch  ver- 
ständlicher, wenn  man  bedenkt,  daß  der  Komet 
jeweilen  nur  einige  Hundert  Tage  beobachtet 
werden  kann,  während  die  ganze  Umlaufszeit 
86006  Tage  beträgt,  so  daß  dieser  F"ehler  erst 
ein  Tausendstel  der  Umlaufszeit  ist.  Überdies 
muß  man  berücksichtigen,  daß  damals  noch  nicht 
die  zwei  äußersten  Planeten,  Uranus  und  Neptun, 
entdeckt  waren. 

Die  nächste  Rückkehr  zum  Perihel  hatte  G.  D. 
Pontecoulant  für  den  13.  November  1835  be- 
rechnet, während  sie  nur  drei  Tage  später,  am 
16.  November  eintrat.  Bei  dieser  Berechnung  war 
der  Einfluß  des  1781  von  Herschel  entdeckten 
Uranus  schon  berücksichtigt  worden. 

Die  englischen  Astronomen  P.  H.  Co  well 
und  A.  C.  D.  Crommelin  unternahmen,  nun  in 
den  letzten  Jahren  eine  neue  und  genaue  Unter- 
suchung der  Bahn  des  Kometen,  wobei  sie  seinen 
Laufauch  soweit  wie  möglich  rückwärts  verfolgten. 
Schon  früher  hatte  Pontecoulant  die  Erschei- 
nungen seit  1531  untersucht  und  durch  die 
Rechnungen  von  G.  Celoria,  der  die  Beobach- 
tungen von  Toscanelli  aus  dem  Jahre  1456 
wiedergefunden  hatte,  stand  fest,  daß  der  Halley- 
sche  Komet  auch  in  diesem  Jahre  erschienen  war. 
Die  weitere  Rückwärtsrechnung,  die  mit  großen 
Schwierigkeiten  verknüpft  ist,  hat  nun  den  beiden 
genannten  englischen  Astronomen  die  Gewißheit 
gebracht,  daß  bis  zum  Jahre  1066  die  Erschei- 
nungen   sicher   gestellt    und    daß    wohl    auch    die 


beiden  Kometen  vom  Jahre  451  und  760  mit  ihm 
identisch  sind.  Nach  ihren  weiteren  Llntersuchun- 
gen  gehört  auch  der  im  Jahre  87  v.  Chr.  in  Italien 
beobachtete  Komet  hierher  und  wahrscheinlich 
der  nach  den  chinesischen  Berichten  240  v.  Chr. 
erschienene  Komet,  der  also  noch  um  zwei  weitere 
Umläufe  zurückliegt.  Von  den  dazwischen  liegen- 
den Erscheinungen  fehlen  bisher  die  nötigen  An- 
gaben, doch  lassen  sich  wahrscheinlich  noch  einige 
weitere  namentlich  in  China  beobachtete  Kometen 
identifizieren. 

Man  hat  daher  die  folgenden  sicheren  Er- 
scheinungen des  Halley 'sehen  Kometen  : 

Sonnennähe  Umlaufszeit 

87  V.  Chr. 

451  Juli  3.  a.  St. 

760  Juni   II. 

1066  April   I. 

1145  April  29. 

1222  September  15. 

1301  Oktober  22. 

1378  November  8. 

1456  Juni  8. 

1531  August  25. 

1607  Oktober  27.    n.    St. 

1682  September   14. 

1759  März   12. 

1835  November   16. 

1910  April   13. 

Man  kann  diesen  Zahlen  entnehmen,  daß  die 
Umlaufszeit  des  Halley'schen  Kometen  innerhalb 
mehrerer  Jahre  hin-  und  herschwankt  und  im 
Mittel  etwa  76 '/.j  Jahre  ist,  daß  sie  aber  infolge 
der  Störungen,  die  der  Komet  durch  die  Planeten 
erfährt,  bald  längere,  bald  kürzere  Zeit  beträgt. 
Seine  Bahn  (Fig.  i)  ist  äußerst  langgestreckt,  wes- 
halb der  Komet  im  Perihel  bis  innerhalb  der  Venus- 
bahn gelangt,  während  er  im  Aphel  noch  um 
767  Millionen  Kilometer  weiter  von  der  Sonne 
absteht,  als  der  äußerste  Planet  Neptun,  der  in 
fast  4500  Millionen  Kilometer  Entfernung  von  der 
Sonne  seine  Bahn  hat.  Er  kann  daher  sich  der  Sonne 
bis  auf  102  Millionen  Kilometer,  gegen  58  des 
Merkur  und  108  der  Venus,  nähern,  während  er 
über  6200  Millionen  Kilometer  sich  wieder  ent- 
fernt. Da  seine  Bahn  aber  gegen  die  Erdbahn 
um  17^  geneigt  ist,  so  erhebt  er  sich  im  Perihel 
um  27  Millionen  Kilometer  über  (nach  der  Nord- 
seite) und  im  Aphel  um  740  Millionen  Kilometer 
unter  (nach  Süden)  der  Erdbahn.  Es  leuchtet 
aber  unmittelbar  ein,  daß  seine  Bahn,  je  nach 
der  Stellung  der  Planeten  mehr  oder  minder 
stark  verändert  werden  kann,  woher  auch  die 
großen  Schwankungen  der  Umlaufszeiten  rühren, 
die  ja  bei  den  Planeten  so  regelmäßig  sind. 

Der  Halley'sche  Komet  ist  bei  allen  seinen 
Erscheinungen  ein  prachtvolles  Beobachtungs- 
objekt   gewesen,    so    zeigte    er   z.  B.    1758    einen 


"]"]  Jahre 

77-2  „ 

76,5  .. 

79  Jahre  i   Monat 

•]•]  „  4  Monate 

79  -  I 

n  .,  — 

n  n  7 

75  -,  2 

76  „  2 
74  „  9 
1^  „  5 

76  „  7         ,. 

74  „  5 


6o 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


Schweif  bis  30"  Länge.  Besonders  interessante 
Wahrnehmungen  machte  F.  W.  Bessel  1835. 
Am  2.  Oktober  sah  er  eine  fächerförmige  Licht- 
ausströmung in  der  Richtung  gegen  die  Sonne, 
die  sich  in  den  folgenden  Tagen  rasch  änderte  und 
teilweise  eine  pendelartige  Bewegung  annahm,  für 
welche  Bessel  eine  Periode  von  2  Tagen  9  Stunden 
berechnete,  während  der  Schwingungsbogen  den 
dritten  Teil  des  Kreisumfangs  umfaßte.  Alle  diese 
und  ähnliche  Beobachtungen  von  der  D.  F.  A  r  a  g  o  , 
J.  Herschel  u.  a.  zeigen,  daß  der  Komet  in  fort- 
währenden Wandlungen  begriffen  ist,  die  auf  das 
Aussehen  und  unter  Umständen  auch  auf  den 
Lauf  des  Kometen  von  Einfluß  und  Bedeutung 
sind. 

Die  bevorstehende  Rückkehr  des  Halley 'sehen 


und  daher  auch  nahe  in  der  gleichen  Ebene  mit 
den  übrigen  Planeten  ist. 

Die  mit  römischen  Ziffern  bezeichneten 
Punkte  der  Erd-  und  Venusbahn  bezeichnen  den 
Ort  dieser  Gestirne  je  am  Anfange  des  betreffen- 
den Monats.  Anfangs  März  1910  tritt  der  Komet 
in  Erdbahnentfernung,  die  Erde  selbst  ist  aber 
dann  recht  weit  entfernt.  Rasch  aber  nähern 
sich  beide  Gestirne.  Am  13.  April  findet  der 
Periheldurchgang  des  Kometen  statt  und  im  Mai, 
kurz  nachdem  er  den  absteigenden  Knoten  passiert 
hat,  wird  er  in  Erdnähe  stehen,  worauf  er  sich 
wieder  rasch   entfernt. 

Am  günstigsten  ist  wohl  die  Erscheinung, 
wenn  der  Komet  sich  im  Juni  und  Juli  der  Erde 
nähert,  da  dann  die  Beobachtung  in  der  Entwick- 


l'ig.     I.       Die    Bahn 

des  llalley'schen 
Kometen  imPlaneten- 
system. 


Flg.  2.      Der  Lauf  des   Kometen  Halley  bei  seiner  nächsten  Wiederkunft. 


Kometen  findet  die  Astronomen  mit  neuen  Hilfs- 
mitteln ausgerüstet,  nämlich  dem  Spektroskop  und 
der  Photographie.  Mit  Hilfe  der  letzteren  hofft 
man  auf  eine  frühzeitige  Entdeckung,  was  für 
seine  Bahnberechnung  besonders  wichtig  ist.  Die 
beistehende  Figur  2  gibt  nach  den  Rechnungen 
von  Cowell  und  Crommelin  einen  Anhaltspunkt 
über  die  zu  erwartende  Erscheinung,  indem  der 
Weg  vom  I.  Januar  1909  bis  i.  Juli  1911  ange- 
deutet ist. 

Während  dieser  Zeit  bleibt  der  Komet  immer 
ziemlich  weit  vom  Jupiter  entfernt,  dessen  Ort 
für  den  i.  Januar  1908  und  1909  eingezeichnet 
ist.  Die  beiden  folgenden  Jahre  wird  er  ent- 
sprechend weiter  außerhalb  der  Bahn  stehen. 
Recht  nahe  kommt  dagegen  der  Komet  dem 
Mars  insbesondere  zu  Beginn  des  Jahres  1910, 
wo   er   durch    seinen    aufsteigenden  Knoten   geht 


lung  seines  Schweifes  am  leichtesten  ist.  Trifft 
er  die  Erdnähe  in  den  folgenden  Monaten,  so  ist 
die  Schweifentwicklung  noch  nicht  so  weit  vorge- 
schritten, daß  günstige  Beobachtungen  möglich 
wären.  Aber  auch  dieses  Mal  steht  der  Komet 
recht  günstig. 

Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  der  Komet 
in  der  nächsten  Zeit  mit  Hilfe  der  Photographie 
gefunden  wird,  also  zu  einer  Zeit,  wo  er 
sich  noch  in  der  Nähe  der  Jupiterbahn  be- 
findet. Er  wird  dann  nur  eine  unscheinbare 
runde  Nebelmasse  ohne  Schweif  sein,  da  dieser, 
falls  er  schon  vorhanden,  in  entgegengesetzter 
Richtung  von  der  Erde  aus  steht.  Sein  schein- 
barer Ort  war  bis  im  November  19Q8  in 
den  Zwillingen,  nördlich  vom  Orion,  von  wo 
er  langsam  nach  Westen  weiter  rückte.  Mit 
der  Annäherung  an  die  Marsbahn  wird  auch  sein 


F.  N.  VIII.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


6i 


Lauf  am  Himmel  schneller.  Er  bewegt  sich  durch 
den  Stier  bis  zu  den  Fischen  in  den  nächsten 
beiden  Monaten,  wo  er  Mitte  April  stationär  wird 
und  dann  im  raschen  Lauf  nach  Osten  eilt. 

Zur  Zeit  seiner  größten  Erdnähe  am  lO.  Mai  1910 
ist  seine  scheinbare  Bewegung  so  rasch  wie  die 
des  Mondes,  also  15"  bis  20"  in  einem  Tage. 
Zur  gleichen  Zeit  erreicht  er  seine  größte  Helligkeit. 

Je  nachdem  der  Komet  früher  oder  später, 
als  den  13.  April,  nach  den  Rechnungen  von 
Cowell  und  Crommelin,  in  sein  Perihel  (Sonnen- 
nähe) gelangt,  ist  seine  Stellung  zur  Erde  ver- 
schieden. In  diesem  Falle  ist  er  im  Mai  der  Erde 
am  nächsten,  aber  da  er  dann  sehr  nahe  bei  der 
Sonne  steht,  kann  man  ihn  dann  nur  einige  Tage 
vorher,  anfangs  Mai  am  Morgen  und  Ende  Mai 
am  Abend  sehen. ') 

Prof.  Messerschmitt-München. 

')  Eine  ausführliche  Aufsuchungsephemeride  des  Kometen 
wurde  im  Dezember  1908  in  den  .Astronomischen  Nachrichten 
publiziert.  Ked. 


J.  Nusbaum,  Beitrag  zur  Frage  über  die 
Abhängigkeit  der  Regeneration  vom  Nerven- 
system bei  Nereis  diversicolor  O.  F.  Müll. 
(Arch.  f.  Entwicklungsmechanik  der  Organismen 
Bd.  XXV,  1908).  —  Trotz  der  zahlreichen  Ar- 
beiten über  die  Regeneration  verschiedener  Tiere 
ist  die  wichtige  Frage,  ob  die  Regenerationsvor- 
gänge von  dem  Zentralnervensystem  beeinflußt 
werden,  bisher  nicht  endgültig  gelöst.  Es  liegen 
zweierlei  Ansichten  vor :  Die  einen  Forscher  (Jost, 
Rabes,  Morgan)  haben  die  Abhängigkeit  der  Re- 
generationsprozesse vom  Nervensystem  konstatiert, 
die  Beobachtungen  anderer  (Carriere,  Barfurth, 
Loeb)  sprechen  gegen  den  Einfluß  desselben  auf 
die  Regenerationsvorgänge.  In  der  vorliegenden 
Arbeit  sehen  wir  einen  Versuch,  diese  Frage  zu 
ergründen  und  gleichzeitig  dieselbe  theoretisch  zu 
erklären.  Die  Experimente  hat  Verf.  an  Nereis 
diversicolor  und  zwar  folgendermaßen  ausgeführt 
(Fig.  i).  Es  wurden  dem  Wurme  die  letzten 
Segmente  (7 — 15)  abgeschnitten  und  von  den 
übrigen  an  4 — 10  Segmenten  das  Bauchmark  aus- 
geschnitten oder  mit  einer  glühenden  Nadel  zer- 
stört. Durch  Autotomie  warfen  die  Würmer  ein- 
zelne von  den  operierten  Segmenten  ab,  es  blie- 
ben aber  immer  i — 3  Segmente  mit  zerstörtem 
Bauchnervenstrang.  Die  Wundheilung  ging  ganz 
normal  vonstatten. 

Bei  den  auf  diese  Weise  operierten  Tieren 
trat  aber  eine  Verzögerung  im  Regenerations- 
prozesse ein ,  erst  in  der  6. — 7.  Woche  konnte 
man  einen  kleinen  Regenerationskegel  konstatieren, 
während  bei  den  Tieren,  denen  bloß  das  Hinter- 
ende abgeschnitten  wurde,  schon  in  der  3. — 4. 
Woche  der  Regenerationskegel  erschien. 

Die  Ursache  dieser  Verzögerung  zeigt  die 
mikroskopische  Untersuchung  der  operierten  Wür- 
mer;   es  wird  nämlich    zwischen  dem  Prozeß  der 


Wundheilung  und  der  eigentlichen  Regeneration 
des  Hinterendes  (der  Neubildung  neuer  Segmente) 
ein  ganz  besonderer  Prozeß  eingeschaltet,  die 
Neubildung  des  Nervensystems  in  denjenigen  Seg- 
menten ,  in  denen  es  zerstört  wurde.  Sagittal- 
schnitte  durch  die  operierten  Tiere  zeigen  einige 
Tage  nach  der  Zerstörung  des  Bauchmarkes 
(Fig.  2),  daß  von  dem  intakt  gebliebenen  Bauch- 
marke Nerven  gegen  das  Hinterende  des  Wurm- 
körpers wachsen  und  an  denjenigen  Stellen,  wo 
die  Bündel  derselben  mit  dem  Epithel  in  Berüh- 
rung kommen  eine  Proliferation  des  letzteren  be- 
ginnt, welche  die  zur  Regeneration  des  Bauch- 
markes dienenden  Zellen  liefert.  Außer  dieser 
Zellanhäufung  am  hinteren  Ende  hat  der  Verf. 
an    der    Grenze    zweier   Segmente    ebenfalls    eine 


Fig.  I.  Der  hintere  Körperteil  von  Nereis  diversicolor  dem 
einige  Segmente  abgeschnitten  und  in  den  drei  weiteren  das 
Bauchmark    zerstört    wurde.       Vergrößert.       (Nach    Nusbaum.) 


Fig.  2.     Ein  Teil  eines  Sagittalschnittes  durch  die  V'entralwand 

einer  Nereide  einige  Zeil  nach   der  Operation. 

a  Analöffnung,    d  Darmepithel,   b  Blutgefäße,    e  Epithel, 

n  Bauchmark.     (Nach  Nusbaum.) 


Proliferation  des  Hauptepithels  konstatiert  und 
vermutet  daher,  daß  fast  an  der  ganzen  Bauch- 
fläche, wo  das  Nervensystem  zerstört  wurde,  seg- 
mentweise vom  Epithel  zelliges  Material  zur 
Regeneration  des  Bauchmarkes  zugeführt  wird. 
Erst,  nachdem  der  zerstörte  Teil  des  Bauch- 
markes vollständig  regeneriert,  beginnt  der  eigent- 
liche Regenerationsprozeß,  d.  h.  die  Bildung  einer 
Proliferationszone  vor  dem  Analsegment,  in  wel- 
cher median  die  Anlage  des  Bauchmarkes  und 
lateral  die  Anlagen  für  das  Cölomgewebe  und  die 
longitudinale  Muskulatur  liegen. 

Aus  obigen  Experimenten  zieht  N.  den  Schluß, 
daß  die  Wundheilung  von  der  Anwesenheit  des 
Nervensystems  nicht  abhängt,  dagegen  der  Rege- 


62 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  4 


nerationsprozeß  von  demselben  beeinflußt  wird. 
Für  den  Einfluß  des  Nervensystems  auf  die  Re- 
generation 'spricht  die  Verzögerung  des  Regenera- 
tionsprozesses sowie  das  stetige  Vorausgehen  der 
Reparation  des  Bauchstranges  der  Ausbildung  des 
Analsegmentes.  Bei  der  ontogenetischen  Ent- 
wicklung ist  dagegen  der  Einfluß  des  Nerven- 
systems von  keiner  Bedeutung,  was  aus  zahlreichen 
Versuchen  anderer  Forscher  zu  ersehen  ist.  Diesen 
Unterschied  zwischen  dem  ontogenetischen  und 
dem  Regenerationsprozesse  hebt  der  Verf  beson- 
ders hervor  und  sucht  ihn  dadurch  zu  erklären, 
daß  bei  der  ontogenetischen  Entwicklung  die 
Auslösung  von  Erbpotenzen  vor  der  Differenzierung 
des  Nervensystems  stattfindet  und  daher  von  dem- 
selben nicht  beeinflußt  werden  kann,  dagegen  bei 
der  Regeneration,  wo  eine  Rückdifferenzierung 
der  sonst  passiven  und  nur  ihresgleichen  produ- 
zierenden Elemente  stattfindet,  „liefert  das  Nerven- 
system einen  der  wichtigsten  formativen  inneren 
Reize,  welche  die  Auslösung  von  Erbtendenzen 
in  den  Elementen  der  Wunde  bedingen".  Diese 
Reize  werden  wahrscheinlich  beim  Zusammen- 
treffen der  Nervenfasern  mit  den  Elementen  der 
Wunde  denselben  übermittelt.  Während  der  Re- 
generationsprozeß durch  formative  Reize  des 
Zentralnervensystems  bedingt  ist,  genügen  zur 
Heilung  der  Wunde  traumatische  Reize,  der  erstere 
Prozeß  kann  daher  ohne  Nervensystem  nicht  zu- 
stande kommen,  während  der  letztere,  auch  wenn  das 
Nervensystem  im  betreffenden  Segmente  zerstört 
wurde,  sich  in  ganz  normaler  Weise  vollzieht. 

Karoline  Reis. 


Wetter-Monatsübersicht. 

Bis  gegen  Ende    des  vergangenen    Dezember    war    es    in 
der    westlichen    Hälfte    Deutschlands    mild ,    aber    größtenteils 


T[5mj5eralur-5t&inima  oini^si*  ürlc  im  DciombsrlSOS 


I   OBXe.nb..  8 


BwlinerWelferburftau. 


trübe,  während  im  Osten  etwas  liälteres  und  gleichzeitig 
freundlicheres  Wetter  vorherrschte.  Besonders  warm  für  die 
Jahreszeit  waren  die  ersten  Tage  des  Monats,  in  denen,  wie 
aus  der  beistehenden  Zeichnung  ersichtlich,  sogar  die  Tem- 
peraturminima  in  verschiedenen  Gegenden  5  oder  mehr  Grad 
über  dem  Gefrierpunkte  lagen.  Das  wiederholte  sich  später 
noch  um  die  Monatsmitte  ;  an  vielen  Orten  des  Rhein-  und 
Wesergebictes  ging  das  Thermometer  in  der  Nacht  zum  15. 
nicht  unter  8"  herab  und  stieg  an  diesem  und  dem  folgenden 
Tage  bis  auf  12  oder   13,  iu  Aachen  bis  14°  C. 

In  Ostdeutschland  sanken  die  Temperaturen  bald  nach 
.Anfang  Dezember  ziemlich  bedeutend,  in  der  Nacht  zum  7. 
zu  Osterode  bis  auf  —  10,  zu  Bromberg  bis  — 9,  zu  Posen, 
Breslau  und  an  anderen  Orten  bis  — S"  C,  ohne  daß  der 
Erdboden  durch  eine  hinreichende  Schneedecke  vor  dem 
tieleren  Eindringen  des  Frostes  geschützt  war.  Kurz  darauf 
trat  hier  etwas  milderes  Wetter  ein  und  hielt  auch  während 
der  zweiten  Hälfte  des  Monats  noch  an,  nachdem  im  Westen 
bereits  eine  langsame  Abkühlung  begonnen  hatte,  die  bis  fast 
zum  Schlüsse  des  Jahres  mehr  und  mehr  zunahm.  Im  Osten 
aber  erfolgte  mitten  wäTirend  des  Weihnachtsfestes  ein 
schroffer  Übergang  zu  strengerem  Froste,  der  sich  am  meisten 
in  Westpreußen,  Hinterpommern  und  Posen  steigerte.  In  der 
klaren  Nacht  zum  28.  brachten  es  daselbst  Marienburg  bis 
auf  31,  Graudenz  auf  28,  Lauenburg  auf  25,  Bromberg 
auf  24,  Schivelbein  auf  23,  Konitz  und  Tremessen  auf 
21"  C  Kälte.  Auch  zu  Berlin  gehörten  der  28.,  29.  und  30. 
mit  Mittellemperaturen  von  —  13,4,  —  14,7  und  —  13.  ■"  C 
fast  zu  den  kältesten  Dezembertagen,  die  man  nach  lang- 
jährigen Aufzeichnungen  hier  erwarten  kann.  Die  mittleren 
Temperaturen  des  Monats  waren  demgemäß  östlich  der  Elbe 
um  I  bis  1  Va  Grad  zu  niedrig,  während  sie  in  Nordwest- 
und  Süddeutscliland  ihren  normalen  Werten  nahezu  ent- 
sprachen. 

Die  in  unserer  zweiten  Zeichnung  dargestellten  Nieder- 
schläge waren  zwar  sehr  häufig,  ihre  Mengen  aber  im  allge- 
meinen  gering.      .Anfangs  fanden  an   der  östlichen   Ostseeküste 


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Monatesummc  im  DezcmD. 

.07,  QB.  05. 01. 03. 


ßerJire.  WtfTtfbureou. 


zahlreiche  Regenfälle  statt,  die  sich  allmählich  weiter  nach 
Westen  und  Süden  ausbreiteten  und  im  Osten  mehr  und  mehr 
in  Schneefälle  übergingen.  Zwischen  dem  10.  und  20.  De- 
zember regnete  es  am  stärksten  an  der  Nordseeküste,  am 
Rhein  und  in  seiner  weiteren  Umgebung  sowie  in  ganz  Süd- 
deutschland, wo  es  bis  dahin  fast  völlig  trocken  geblieben 
war. 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


63 


Wahrend  der  nächsten  fünf  Tage,  in  manchen  Gegenden 
auch  schon  früher,  higerle  über  dem  Frdboden  bestandig  ein 
aufierordcntlich  starker  Nebel,  durch  den  der  Verkehr,  be- 
sonders in  West-  und  Mittcldcutschhind,  nicht  unerheblich 
erschwert  wurde,  doch  kamen  wesentliche  Niederschläge  in 
dieser  Zeit  nur  vereinzelt  vor.  Dann  stellten  sich  nordöstlich 
der  F.lbe  zahlreiche  Schneefälle  ein,  die  sicli  bis  zum  Kndc 
des  Monats  fast  täglich  wiederholten  und  allmählich  auf  ganz 
Deutschland  ausdehnten.  Am  stärksten  waren  sie  an  der 
pommerschen  und  westpreußischen  Küste,  wo  der  Schnee  zu- 
letzt durchschnittlich  I  '/j  Dezimeter  hoch  lag.  Die  gesamte 
Xiedersclilagshöhe  des  Monats  aber  betrug  für  den  Durcli- 
schnilt  aller  berichtenden  Stationen  nicht  mehr  als  20, g  mm, 
während  die  gleichen  Stationen  im  Mittel  der  früheren  De- 
zembermonale  seit  beginn  des  vorigen  Jahrzehnts  49,9  mm 
und  im  Dezember  1907  sogar  67,6  mm  Niederschlag  geliefert 
haben. 


In  der  allgemeinen  Anordnung  des  Luftdruclvcs  traten 
von  einem  Tage  zum  anderen  meistens  nur  langsame  Ände- 
rungen ein.  In  den  ersten  Tagen  des  Dezember  befand  sich 
in  Kußland  eine  umfangreiche  Barometerdepression,  von  der 
verschiedene  Teilminima  mit  milden,  feuchten  Südwestwinden 
nach  der  Ostseeküste  gelangten ,  während  Südwest-  und 
Mitteleuropa  von  einem  Hochdruckgebiet  eingenommen  wur- 
den. Nachdem  sich  dieses  am  4.  mit  einem  zweiten ,  aus 
Nordwesten  neu  herangekommenen  Ma.ximum  vereinigt  hatte, 
wurde  es  durch  mehrere  außerordentlich  tiefe  atlantische 
Minima,  die  rasch  hintereinander  bei  Island  auftraten  und 
nordostwärts  fortzogen,  weiter  und  weiter  nach  Osten  gedrängt. 
In  Ostdeutschland  herrschten  daher  jetzt  längere  Zeit  hindurch 
ziemlich  kalte,  trockene  südöstliche  Winde  vor,  während  im 
Westen  etwas  mildere  Südwinde  wehten. 

Erst  am  20.  Dezember  vermochte  das  barometrische 
Ma.\imum,  das  inzwischen  in  Rußland  an  Umfang  und  Höhe 
noch  zugenommen  hatte,  sein  Gebiet  wieder  auf  den  größten 
Teil  des  europäisciien  Festlandes  auszudehnen.  Bald  darauf 
zerfiel  es  in  mehrere  Teile,  von  denen  sich  der  eine  nord- 
westwärts  verschob,  und  am  25.  Dezember  abermals  mit 
einem  neuen  Barometermaximum  in  Verbindung  trat,  das  vom 
nördlichen  Eismeer  nach  Nordskandinavien  vorrückte.  Dort 
erreichte  das  Maximum  in  den  nächsten  Tagen  785  mm 
Höhe  und  die  von  ihm  ausgehenden  eisig  kalten,  scharfen 
Nordostwinde  führten  in  beinahe  ganz  Nord-  und  Mitteleuropa 
außerordentlich  strenge  Kälte  lierbei.  Auf  den  britischen 
Inseln  aber  und  im  westlichen  Mittelmeergebiete  hielten  sich 
gegen  Ende  des  Monats  ziemlich  tiefe  Depressionen  auf,  die 
dort  lange  anhaltende  starke  Niederschläge  verbreiteten  und 
von  denen  auch  einzelne ,  jedoch  sehr  flache  Teilminima  auf 
das  Festland  gelangten.  Dr.   E.   Leß. 


Bücherbesprechungen. 

Alois    Sigmund,    Die  Minerale  Niederöster- 
reichs.     194  Seiten    mit    8  Original-Abbildungen 
und  3  Profilen  nach  Grubenkarten  im  Texte.     Wien 
und  Leipzig,  Fr.  Deuticke.      1909.  —  Preis  6  Mk. 
In  dem  eingehenden  Werke  wird  das  Vorkommen 
von    1 1 2    verschiedenen    aus  Niederösterreich  bislang 
bekannt  gewordenen  Mineralien  beschrieben ;  eine  Auf- 
zählung der  zu  diesem  Zwecke  durchgesehenen  Mine- 
raliensammlungen    und    ein    ausführliches    Literatur- 
verzeichnis ist  der  Arbeit  vorangeschickt.     Die  Mine- 
ralien werden,  nach  chemischem  Grundsatz  geordnet, 
eins  nach  dem  andern  behandelt.     Diese  Art  der  An- 
einanderreihung von  Wichtigem  und  weniger  Wichtigem 
besitzt  leider  den  Nachteil  einer  etwas  geringen  Über- 
sichtlichkeit ;  man  erhält  nur  schwer  ein  anschauliches 
Bild  über  die  ganze  Mineralverteilung  im  Lande;  die 
Einleitung   des   Buches   genügt    hierfür   nicht.     Wenn 
man    auch    die   Bedeutung   gewisser  Örtlichkeiten   als 


Mineralfundpunkte  aus  der  Ausführlichkeit,  mit  der 
sie  behandelt  sind,  oder  aus  der  Häufigkeit,  mit  der 
einige  von  ihnen  bei  den  einzelnen  Mineralien  wieder- 
kehren, abnehmen  kann,  so  würde  doch  ein  Kapitel, 
in  dem  die  wichtigen  und  klassischen  Fundpunkte 
und  zusammengehörige  Gebiete  in  scharfumrissenen 
Zügen  ihrer  Bedeutung  entsi>rechend  herausgehoben 
sind,  für  den  Leser  außerordentlich  anregend  wirken. 
Etwas  wird  dieser  Nachteil  durch  eine  Aufzählung 
aller  in  Betracht  kommenden  ( )rtlichkeiten  mit  je- 
weiliger Angabe  aller  dort  gefundenen  Mineralspezies 
ausgeglichen. 

Im  übrigen  bietet  aber  das  Werk  eine  Fülle  wert- 
vollen Materials;  eine  solche  Inventuraufnahme  ist 
gleich  wichtig  für  den  Mineralogen  und  den  Sammler, 
wie  für  den  Techniker  und  Industriellen,  der  Aus- 
kunft über  das  .auftreten  dieses  oder  jenes  Stoftes  im 
Lande  wünscht,  wie  endlich  für  den,  der  auf  einer 
Studienreise  begriffen,  die  wichtigsten  Fundstellen  be- 
suchen will :  aber  gerade  für  diesen  letzteren  dürfte 
oben  genannter  Nachteil  fühlbar  werden. 

Der  \Vert  der  vorliegenden  Arbeit  wird  dadurch 
erhöht,  daß  der  Verfasser  sich  nicht  auf  die  Mine- 
ralien als  solche  beschränkt,  sondern  sie  auch  in  ihrer 
Verbreitung  als  Gesteine,  wie  Kalk,  Dolomit,  Marmor, 
Gips,  Magnesit,  Kaolin,  Kohle,  Torf  usw.  bespricht. 
Bei  den  technisch  wichtigen  IMineralien  wird  auch 
ihre  wirtschaftliche  Bedeutung  und  die  Geschichte 
des  örtlichen  Bergbaus  in  kurzen  Zügen  behandelt, 
wodurch  der  Bergmann  mancherlei  Aufschluß  über 
noch  vorhandene  und  früher  nicht  abgebaute  Erze 
erhalten  wird.  Namentlich  dem  Gold,  Silber,  Blei, 
Eisen  wird  ein  breiterer  Raum  gewährt.  Die  letzten 
Kapitel  über  die  Silikate,  bei  denen  gleichzeitig  auf 
die  Gesteine,  in  denen  sie  aufsetzen,  übergegriffen 
wird,  werden  weniger  für  den  Praktiker  als  den  wissen- 
schaftlichen Mineralogen   von  Wert  sein. 

O.  Schneider. 

i)    Pahde- Lindemann,     Leitfaden    der    Erd- 
kunde   für    höhere  Lehranstalten.     6  Hefte  kart., 
ä  60  Pf     Berlin  und  Glogau,  C.  Flemming,   1907. 
2)  Dr.  M.  Geistbeck,    Leitfaden    der    mathe- 
matischen   und  ph\sikalischen  Geogra- 
phie.    30.  u.  31.  Auflage.      1S6  Seiten    mit   116 
Abb.     Freiburg  i.  B.,  Herder,    190S.    —  Preis  geb. 
2  Mk. 
1)  Der  Leitfaden   von  Pahde-Lindemann   ist  eine 
von  Dr.  Lindemann  besorgte,  verkürzte  Ausgabe  des 
größeren  Lehrbuchs  von  Prof  Dr.  Pahde,  das  bereits 
in    zweiter    Auflage    vorliegt    und    viel    Anerkennung 
gefunden  hat.    Die  Gliederung  des  Leitfadens  in  ein- 
zelne Klassenhefte    ist    ein    dankenswertes    Entgegen- 
kommen gegenüber  dem  Wunsche  nach  Erleichterung 
der  Schulmappe.     Auch  mit  Rücksicht  auf  das  „Zer- 
lernen"  der  Schulbücher  im  Laufe  des  Schuljahrs  ver- 
dient diese  Trennung  Nachahmung.     Die  Darstellung 
ist  schlicht  und  klar,    die  Stoffauswahl  wohlgelungen. 
Besonders  gut  gefällt  uns  die  im  vierten  und  fünften 
Heft  an  der  Hand  einiger    lehrreicher  Profile    durch- 
geführte   Berücksichtigung    der    Geologie.     Auch   die 
astronomischen  und  meteorologischen  Teile  des  fünf- 


64 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  4 


teil  Heftes  zeichnen  sich  durch  sehr  sachgemäße, 
klare  Darstellung  und  saubere,  instruktive  Figuren 
aus.  Das  sechste  Heft  ist  eine  sehr  schön  gedruckte 
Zusammenstellung  verkleinerter  Abbildungen  der  be- 
kannten Hölzel'schen  geographischen  Charakterbilder, 
die  wohl  zu  den  beliebtesten  Anschauungsmitteln 
jeder  Schule  gehören.  Hiermit  wird  dem  Schüler  zu 
einem  recht  niedrigen  Preise  eine  ihm  sicherlich  viel 
Freude  gewährende  und  förderliche  Gabe  angeboten. 
2)  Wenn  es  ein  Werk  bis  zur  31.  Auflage  (aller- 
dings wohl  meist  doppelt  zählende)  gebracht  hat,  so 
bedarf  es  kaum  noch  einer  Empfehlung.  Es  genüge 
daher  die  Angabe,  daß  wir  bei  aufmerksamer  Durch- 
sicht nirgends  auf  veraltete  Angaben  gestoßen  sind. 
Die  Figuren  20  und  21,  welche  irreale  Stellungen 
der  Erdachse  veranschaulichen  sollen,  halten  wir  für 
entbehrlich,  sie  können  in  flüchtigen  Schülern  sogar 
falsche  Begriffe  erwecken.  Dagegen  scheint  uns  eine 
Besprechung  der  Methoden  zur  Bestimmung  der 
Sonnenentfernung  recht  wünschenswert.  Bei  den 
neuen  Sternen  sollte  als  Beispiel  lieber  die  Nova 
Persei  von  igoi  genannt  werden.  Unter  den  Doppel- 
sternen sollten  auch  die  durch  Spektralanalyse  als 
solche  erkannten  Erwähnung  finden.  Im  recht  reich- 
haltigen Literaturanhang  verdiente  unter  A I  auch 
Newcomb's  „Astronomie  für  jedermann"  (Jena,  G. 
Fischer)  Erwähnung ,  unter  B  III  Koerber's  Trans- 
formator für  sphärische  Koordinaten  (Berlin,  D.  Reimer) 
und  Schmidt's  Sonnenzeiger  (Wien,  Freytag  u.  Berndt). 


Prof.  Dr.  R.  Fitzner,  Die  Regenverteilung 
in  den  deutschen  Kolonien.  115  Seiten. 
Berlin,  H.  Paetel,  1907.  —  Preis  4  Mk. 
Für  den  wirtschaftlichen  Wert  unserer  Kolonial- 
gebiete ist  die  Regenmenge  an  erster  Stelle  maßgebend. 
Demgemäß  sind  in  allen  Kolonien  eine  größere  An- 
zahl von  Regenstationen  eingerichtet  worden,  die  zum 
Teil  unter  dankenswerter  Unterstützung  seitens  der 
Farmer  arbeiten  und  bereits  einen  Überblick  gewinnen 
lassen.  Die  erste  Zusammenstellung  der  Ergebnisse 
dieser  Messungen  wird  daher  in  Kolonialkreisen 
ebenso  interessieren,  wie  in  dem  der  Fachmeteorologen. 
Wir  heben  hier  einige  besonders  markante  Zahlen 
heraus:  In  Kamerun  schwankt  die  jährliche  Regen- 
höhe von  3  m  (Küste)  bis  10  m  (Debundscha),  in 
Togo  von  0,6  m  (Lome)  bis  1,6  m  1  Amedschowe). 
Für  Südwestafrika  konnte  bereits  eine  Regenkarte 
entworfen  werden ,  die  Seite  40  wiedergegeben  ist, 
einen  Küstenstreifen  mit  unter  100  mm  jährlicher 
Regenhöhe  zeigt,  nach  dem  Inneren  zu  eine  allmäh- 
liche Steigerung  erkennen  läßt ,  die  jedoch  im  Süd- 
osten des  Gebietes  (Warmbad)  nicht  über  200  mm 
hinausgeht,  während  sie  im  Nordosten  (Grootfontein) 
500  mm  überschreitet.  Auch  für  Deutsch  Ostafrika 
finden  wir  Seite  72  eine  Regenkarte.  Hier  liegt  das 
trockenste  Gebiet  (unter  750  mm)  im  Binnenlande, 
südöstlich    vom    Viktoria    Nyansa ,    während    an    der 


Küste  Regenhohen  von  800  (im  Süden)  bis  1400  mm 
(im  Norden)  beobachtet  wurden.  Im  Kilimandjaro- 
gebiet  finden  wir  ca.  1500  mm, '^an  einzelnen  Punkten 
der  Kolonie  aber  (z.  B.  in  Herkiüu  und  Rutenganio) 
2  bis  3  Meter.  In  Neu-Guinea  und  den  ozeanischen 
Kolonien  sind  die  Regenhöhen  naturgemäß  wieder 
wesentlich  höher.  In  Tsingtau  fallen  jährlich  600 
bis  700  mm  Regen,  also  etwa  ebensoviel  wie  in 
Deutschland.  Hinsichtlich  jahreszeitlicher  Verschieden- 
heiten müssen  wir  auf  die  Schrift  selbst  verweisen. 

Kbr. 

Literatur. 

Lassar-Cohn,  Prof.  Dr.:  Die  Chemie  im  täglichen  Leben. 
Gemeinverständliche  Vorträge.  6.  verb.  Aufl.  (VIII,  344  S. 
m.  24  Abbüdgn  )  S".  Hamburg  '08,  L.  Voß.  —  Geb.  in 
Leinw.  4  Mk. 

Nielsen,  Doz.  Dr.  Niels:  Lehrbuch  der  unendlichen  Reihen. 
Vorlesungen ,  geh.  an  der  Universität  Kopenhagen.  (VIII, 
287  S.)  Lex.  8°.  Leipzig  '09,  B.  G.  Teubner.  —  11  Mk., 
geb.   12  Mk. 

Schenck,  Prof.  Dr.  Rud.:  Physikalische  Chemie  der  Metalle. 
0  Vorträge  üb.  die  wissenschaftl.  Grundlagen  d.  Metallurgie. 
(V,  193  S.  m.  114  Abbildgn.)  Lex.  8".  Halle  '09,  W. 
ivnapp.  —  7  Mk.,  geb.  in  Leinw.  7,75   Mk. 

Schneider,  Prof  Dr.  Karl  Camillo :  Histologisches  Praktikum 
der  Tiere  f.  Studenten  u.  Forscher.  (IX,  615  S.  m.  434 
Abbildgn.)  Lex.  8«.  Jena  '08,  G.  Fischer.  —  15  Mk., 
geb.    ib   Mk. 

Strasburger,  Prof.  Dr.  F.duard :  Das  kleine  botanische  Prak- 
tikum {.  Anfänger.  Anleitung  zum  Selbststudium  der  mikro- 
skopischen Botanik  u.  Einführg.  in  die  mikroskop.  Technik. 
6.  umgearb.  Aufl.  (VIII,  258  S.  m.  128  Holzschn.)  Le.K.  8». 
Jena  '08,  G.   Fischer.  —  6  Mk.,  geb.   7   Mk. 

Thonner,  Frz.:  Die  Blütenpflanzen  Afrikas.  Eine  Anleitung 
/um  Bestimmen  der  Gattungen  der  afrikan.  Siphonogamen. 
(XVI,  673  S.  m.  I  Karte  u.  150  Taf)  Lex.  8».  Berlin 
'08,  R.  Friedländer  &  Sohn.  —  10  Mk.,  geb.  in  Halbfrz. 
12  Mk. 

Anregungen  und  Antworten. 

Herrn  Dr.  G.  A.  in  Greifswald.  —  Über  die  Technik 
des  Torfschlämmens  linden  Sie  eine  gute  Zusammen- 
stellung in  Keil  hack,  Praktische  Geologie,  2.  Auflage. 
Eine  durch  Abbildungen  unterstützte  Anleitung  zum  Bestimmen 
der  Pflanzenteile  (namentlich  Früchte  usw.,  überhaupt  Phanero- 
gamenreste)  gibt :  I. Andersso  n,  Studier  öfver  Finlands  Torf- 
mossar  (mit  4  Tafeln) ;  Helsingfors  1S98  (leider  schAvedisch  ge- 
schrieben, mit  kurzem  deutschen  Auszug);  ferner  2.  M  üll  er ,  G. 
und  Webe  r,  C.  A.,  Über  eine  frühdiluviale  und  vorglaziale  Flora 
bei  Lüneburg.  Abhandl.  k.  Pr.  Geol.  Landesanst.  1904  (mit 
Tafeln).  3.  Keid,  Cl,,  and  M.  Reid;  The  fossil  Flora  of 
Tegelen-sur-Meuse,  near  Venloo ,  in  the  Provinz  of  Limburg 
(mit  3  Tafeln).  Verh.andelingen  der  kon.  Akad.  van  Weten- 
schappen  te  Amsterdam.  II.  Sektion.  Amsterdam ,  September 
1907.  4.  Reid,  Cl.,  and  M.  Reid,  On  the  preglacial  Flora 
of  Britain.  Linnean  Society's  Journal,  Botany,  vol.  XXXVIII. 
igoS  (^mit  5  Tafeln).  Es  ist  aber  dringend  zu  raten,  die  Be- 
stimmungen nicht  nur  auf  .\bbildungen  zu  gründen,  sondern 
unter  allen  Umständen  rezentes  Vcrgleichsmaterial  zu  Rate  zu 
ziehen.  Eine  diesbezügliche  Sammlung  legt  man  am  besten 
selbst  an,  da  erfahrungsgemäß  in  den  meisten  Herbarien  der 
Museen  und  Institute  Samen  und  Früchte  der  Pflanzen  ent- 
weder fehlen  oder,  in  unreifem  Zustand  gesammelt,  als  Ver- 
gleichsmaterial nicht  brauchbar  sind.  Dr.  J.  Stoller. 


Inhalt:  Dr.  Ernst  Schultze:  Vogelschutz  in  den  Vereinigten  Staaten.  —  Sammelreferate  und  tjbersichten  :  Dr.  Hugo 
Fischer:  Neues  aus  der  Bakteriologie.  --  Kleinere  Mitteilungen:  Prof.  Messerschmitt:  Die  Wiederkehr  des 
Halley'schen  Kometen.  —  J.  Nusbaum:  Beitrag  zur  Frage  über  die  Abhängigkeit  der  Regeneration  vom  Nervensystem 
bei  Nereis  diversieolor.  —  Wetter-Monatsübersicht.  —  Bücherbesprechungen:  Alois  .Sigmund:  Die  Minerale 
Niederösterreichs.  —  i)  Pahd  e-Lind  emann:  Leitfaden  der  Erdkunde.  2)  Dr.  M.  Geistbeck:  Leitfaden  der 
mathematischen  und  physikalischen  Geographie.  —  Prof.  Dr.  R.  Fitz  n  er:  Die  Regenverteilung  in  den  deutschen  Ko- 
lonien. —  Literatur:  Liste.  —  Anregungen  und  Antworten. 

Verantwortlicher  Redakteur:    Prof.   Dr.  H.  Potonie,    Groß-Lichterfelde-VVest  b.  Berlin.      Verlag  von  Gustav   Fischer  in  Jena. 
Druck  von  Lippert  &  Co.  (G.  Pätz'sche   Buchdr.j,  Naumburg  a.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  folge  VIII.   Band  ; 
der  ganzen   Keihe  XXIV.  Band. 


Sonntag,  den  31.  Januar  1909. 


Nummer  5. 


Die  Nutzpflanzen  unter  den  Flechten. 


[Nachdruck  verholen.] 


Von  Prof.   Dr.  Victor  Schiffner,   Wien. 

(Mit  25  Figuren.) 

Die  unscheinbaren  Flechten  werden  von  den  letztere  zu  entfernen  wird  die  Flechte  in  reinem 
Laien  gewöhnlich  nur  wenig  beachtet  und  ge-  Wasser  mazeriert,  dann  getrocknet  und  gemahlen, 
meiniglich  für  ein  recht  unnützes  Produkt  der  Das  Mehl  wird  abermals  gewässert,  um  die  Bitter- 
schafifenden  Natur  angesehen,  und  doch  finden  keit  ganz  zu  benehmen,  und  dann  zu  Brot  ver- 
sieh unter  ihnen  eine  Menge  von  recht  nützlichen  backen  oder  zu  einem  Gelee  in  süßer  oder  saurer 
Pflanzen,  die  sich  der  Mensch  zu  seinen  Zwecken  Milch  zubereitet.  Nach  Thenard  hat  dieses 
dienstbar  gemacht  hat,  aber  freilich  sind  die  Mehl  halb  soviel  Nährwert  als  Weizenmehl, 
mannigfachen  Nutzanwendungen  der  Flechten  Daß  diese  Hechte  dem  Menschen  durch 
nicht  so  allgemein  verbreitet,  und  so  allgemein  längere  Zeit  ausschließlich  als  Nahrung  zu  dienen 
bekannt,  wie  die  der  meisten  Nähr-  und  Nutz-  vermag,  ist  durch  die  Tatsache  erhärtet,  daß  John 
pflanzen  unter  den  höheren  Gewächsen,  und  ich  Franklin  und  die  Teilnehmer  an  seiner  Nord- 
glaubte daher,  daß  es  vielleicht  nicht  ohne  Inter-  polexpedition  im  Jahre  1821  wochenlang  aus- 
esse wäre,  diesen  Gegenstand  in  Kürze  zusammen-  schließlich  von  dieser  Flechte  lebten, 
zufassen  und  über  die  Nutzpflanzen  unter  den  In  gleicher  Weise  wird  gelegentlich  das 
Flechten  zu  berichten.  ,, Renntier  Moos"  {Cladonia  rangiferina]  verwendet 

Die  Nutzanwendungen  der  Flechten  lassen  sich  (Fig.  3,  4),  welches  eine  ähnliche  Verbreitung  hat, 

in    drei    Kategorien     scheiden     und     möge    nach  wie   Cetraria  islaudica.      Im    nördlichen    Finnland 

diesem  Gesichtspunkte    der  reiche  Stoff,    den    ich  hat  man  diese  Flechte  in  Zeiten  der  Not,  gemi.>cht 

hier  zu  behandeln  habe,  eingeteilt  werden :  mit   etwas  Roggenmehl,    zu    Brot    verbacken    und 

I.    Die    Flechten    als    Nährpflanzen    für    den  nach    Bosc     gibt    sie    mit    Milch    ein    nahrhaftes 
Menschen  und  die  Nutztiere. 


2.  Die  Flechten  als  Heilmittel. 

3.  Die  F"lechten  in  ihrer  Verwendung  zu  tech- 
nischen Zwecken  (vorzüglich  zur  Erzeugung  von 
Alkohol  und  Farbstoffen). 

I.  Die  Flechten  als  Nährpflanzen  für  den 
Menschen  und  die  Nutztiere. 


Gelee. 

Ebenso  könnten  Evernicn  und  Sticta  piilino- 
naria  verwendet  werden,  letztere  ist  aber  sehr 
bitter  durch  das  in  ihr  enthaltene  Stictin;  welches 
extrahiert  werden  muß. 

Gyrophora  proboscidea    (Fig.    10,    11)    und   G. 
cylindrica  {F"ig.   5,  6)    werden    von  den  Pelzjägern 
im    arktischen    Amerika    als    Nahrungsmittel    ver- 
wendet und  erstere,    sowie   Gyr.  erosa  werden  in 
Die    Verwendbarkeit     gewisser    Flechten     als      Kanada  gegessen  und  heißen  dort  „tripe  de  röche" 
Nahrungsmittel    beruht   auf  ihrem    größeren  oder      (nach  Lindsay). 

geringeren    Gehalt    an    Lichenin    und    Isolichenin  In  Japan  und  China  spielt  Gyrophora  esciilenta 

(Flechienstärkej.  Dieser  Stoff  ist  freilich  in  den  Miyoshi  (Flg.  7,  8)  eine  bedeutende  Rolle;  sie 
Flechten  stets  gepaart  mit  Bitterstoffen  (Cetrar-  soll  sehr  wohlschmeckend  sein  und  gilt  als 
säure  u.  a),  welche  die  Flechten  für  den  Menschen  Delikatesse;  sie  wird  in  Wasser  aufgekocht  und 
als  Nahrungsmittel  problematisch  machen  würden,  meistens  mit  Shoju  (d.  i  eine  Sauce  aus  den 
wenn  sie  sich  nicht  auslaugen  und  durch  reich-  Bohnen  von  Soja  hispidd)  gegessen.  Sie  wächst 
liches  Auswaschen  bis  zu  einem  hohen  Grade  in  den  Gebirgen  Japans  an  feuchten  Granitwänden 
entfernen   ließen.  und  wird  von  Krämern  überall  feilgehalten,  auch 

Besonders    in  Zeiten  der  Not  und  in  den  von      bildet    sie    einen    bedeutenden    Exportartikel.     Im 
der  Natur   spärlich  bedachten  arktischen   Ländern      Japanischen  heißt  sie  ,,Iwatake". 
und    in  den  Wüsten    sind  Flechten  als  Nahrungs-  In  Japan    wird    noch    eine  andere  Flechte  ge- 

mittel verwendet  worden.  gessen :    Alectoria    sulcata    (Lev.)    Nyl.,    die    dort 

In  dieser  Beziehung  kommen  besonders  folgende      ,,Bandai-no-kinori"    heißt  (Fig.  9).      Sie    soll    nach 
Arten  in  Betracht.  Miyoshi  sehr  wohlschmeckend  sein. 

Cetraria    islandica    („Isländisches    Moos")    ist  F'ür   die  Wüsten  Vorderasiens    und  Afrikas  ist 

nicht  nur  in  Island  und  dem  arktischen  Gebiete  von  Bedeutung  als  Nahrungsmittel  die  merk- 
rings  um  den  Pol,  sondern  durch  ganz  Mittel-  und  würdige  Krustenflechte  Lecaiiora  [Spaerotkid/ia) 
Südeuropa  verbreitet  und  bildet  auf  sandigen  csculenta  Evers.,  die  überdies  auch  in  den  Wüsten 
Böden  oft  Massenvegetation  (Fig.  I,  2).  Nach  Amerikas  vorkommt  und  auch  als  Seltenheit  auf 
Berzeli  US  enthält  sie  44%  Lichenin,  i  "/^  Liehe-  europäischem  Boden  (in  Giechenland)  gefunden 
nostearin    und  daneben  bittere  Cetrarsäure.      Um      wurde.      Die    dicke  hellbraune  Kruste  wächst  auf 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  5 


Felsen,  wird  aber  vom  Winde  abgebröckelt  und 
in  der  Wüste  hin  und  her  gerollt,  wodurch  sie 
zu  ringsum  gleich  ausgebildeten,  etwa  erbsen- 
großen Körnern  auswächst,  die  oft  in  erheblicher 
Masse  in  Mulden  und  Tälchen  zusammengeweht 
werden  (Fig.  12).  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  diese 
Flechte  das  im  alten  Testament  erwähnte  „Manna" 
sei,  von  dem  die  Juden  in  der  Wüste  lebten. 
Daß  die  Körner  dieser  Flechte  von  den  Wüsten- 
stürmen weit  verweht  werden  und  stellenweise 
als  „Mannaregen"  niederfallen,  ist  vielfach  beob- 
achtet (durch  Parrot  1826,  1845  im  Distrikt 
Jenischehir  usw.).  Nach  einer  Analyse  von 
Goebel  enthält  die  F"lechte  65.91  "/„  Kalkoxalat, 
23  "/o  Lichenin,  2,5"/,,  Inulin,  sie  ist  also  viel 
weniger  nahrhaft  als  Cetraria  islandica.  Die 
Tartaren  bereiten  daraus  eine  Art  Brot.  Nahe 
verwandte  eßbare  Arten,  vielleicht  von  L.  esat- 
Iciita  nicht  spezifisch  verschieden,  sind:  Lecanora 
desertornui  Kremi^elh.,  L.  affiiiis  und  L.friiticubsa. 
Schließlich  sei  noch  darauf  verwiesen,  daß 
Forskäl  berichtet,  daß  aus  dem  griechischen 
Archipel  ganze  Schiffsladungen  der  auch  bei  uns 
an  Räumen  gemeinen  Evernia  prunastri  nach 
Ägypten  eingeführt  werden,  wo  sie  vermählen  und 
dem  Mehl  zugesetzt  wird,  um  das  Brot  nach 
dortiger  Ansicht  wohlschmeckender  zu  machen. 

Fast    noch    wichtiger    für    gewisse    Gegenden 
sind  die  Flechten  als  Nahrungsmittel  für  die  dem 
Menschen     unentbehrlichen     Nutziiere,     wodurch 
diese  Länderstrecken  für  den  Menschen  überhaupt 
bewohnbar  gemacht  werden.     Dies  gilt  besonders 
von  den  Polargegenden,  wo  eine  Flechte  :    Cladonia 
raiigifcrina     (das     „Renntiermoos")     (Fig.    3,    4), 
nahezu  die  ausschließliche  Nahrung  des  Renntieres 
bildet,    welches  dem  Bewohner   dieser    armseligen 
Gegenden    nicht    nur    unentbehrliches  Zugtier  ist, 
sondern    ihn    auch    mit    allem    zu    seinem    Leben 
notwendigen,    mit    Nahrung,    Kleidung,    und    mit 
Knochen    und    Gehörn     zu    seinen    Gerätschaften 
versorgt.      Die    Wichtigkeit    dieser    Flechte    kann 
nicht    besser    charakterisiert     werden    als     durch 
folgenden  Ausspruch   Linne's,  des  großen  Refor- 
mators   der    deskriptiven    Naturwi.ssenschaften,    in 
seiner  Flora  suecica:  „Huic  licheni  innititur  oecono- 
mia    et    salus  totius  Lapponiae,    hoc   enim  hyeme 
toto  sustentantur  rangiferi,  Lapponum  pecora;  Lap- 
pones  enim  pastores  sine  Haccho  et  Cerere  viventes" 
(Auf   dieser    Flechte    beruht    die    Volkswirtschaft 
und  Volkswohlfahrt    von    ganz  Lappland,    mit  ihr 
werden  während  des  Winters  die  Renntiere,  d.   i. 
der    Viehstand    der    Lappländer    unterhalten;    die 
Lappländer    sind    nämlich    ein    Hirtenvolk    ohne 
Wein-  und   Ackerbau).     Außerhalb  der  arktischen 
Zone  ist  diese  Flechte  als  Viehfutter  freilich  von 
geringerer  Bedeutung;   in  Norwegen    und  Jütland 
wird    sie    als  Winterfütterung    für    Schafe    und    in 
Krain  für  Schweine,  Pferde  und  Ochsen  verwendet. 
Schulrat  Steiner  teilt  mir  mit,  daß  im  Vintsch- 
gau    Usnca  barbata    als   Notfutter   für   das    Klein- 
vieh   eingesammelt    wird    und    dann     unter    den 
„Schab"  (Laubholzzweige)  gemischt  wird. 


II.  Die  Flechten  als  Heilmittel. 
Eine  tatsächliche  Heilwirkung  dürfte  nur  der 
bereits  erwähnten  Cetraria  islandica  (Fig.  i,  2) 
zukommen,  welche  noch  gegenwärtig  gegen  Er- 
krankungen der  Respirationsorgane  als  Tee  an- 
gewendet wird  und  wegen  ihres  Bitterstoffes  wohl 
auch  gleichzeitig  appetitanregend  wirkt.  ')  Ihre 
medizinischen  Eigenschaften  waren  zuerst  den 
Bewohnern  Islands  bekannt.  1670  berichtet 
Olaus  Borrichius  (Ole  Borrich)  über  die- 
selbe in  der  Schrift:  De  musco  cathartico  Islandiae 
in  Acta  Havniensia  und  1672  Breyne  unter  dem 
Namen :  Muscus  Eryngii  folio  im  III.  Bande  der 
Miscellanea  naturae  curiosorum.  Definitiv  wurde 
sie  erst  in  den  Arzneischatz  aufgenommen  über 
Empfehlung  von  Linne  (1737)  und  Scopoli 
(1700).  —  Die  Drogue  kommt  nicht  aus  Island 
in  den  Handel,  sondern  vorzüglich  aus  Schweden, 
der  Schweiz  (Kanton  Luzern),  Spanien,  Deutschland 
(besonders  Fichtel-   und  Riesengebirge). 

In-  vorlinneischen  Zeiten  waren  mehrere 
Flechten  (zumeist  „per  signaturam",  d.  h.  wegen 
äußerer  Ähnlichkeiten)  offizineil,  so :  Sticta  pitlmo- 
naria  seit  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  gegen 
Lungenkrankheiten  (Caesal  pi  n  ,  Boer haveusw.), 
Xaiithoria  parietiiia  gegen  Gelbsucht, '-')  Usiiea 
barbata  (als  Muscus  s.  ajga  arborum)  auch  als 
Haarwuchsmittel  und  anderweitig  (nach  Theo- 
phrast,  Üioscorides,  Plinius,  Avicenna 
u.  a.),    Cladonia  pyxidata  gegen  Keuchhusten. 

1697  kam  in  England  der  Pulvis  antilyssns 
(ein  Heilmittel  gegen  Hundswut)  durch  Dampier 
auf,  welcher  aus  Pcltiger a  canina  (daher  der  Name) 
und  gleichen  Teilen  schwarzen  Pfeffers  bestand. 

Auch  Pcltigera  aphthosa  wurde  als  Heilmittel 
(besonders  als  Anthelminthicum)  angewendet. 

Eines  großen  Rufes  gegen  Epilepsie  erfreute 
sich  die  Tolcnkopfsflechte,  welche  einst  mit 
horrenden  Preisen  bezahlt  wurde.  Es  ist  die  ge- 
meine Parnielia  saxatilis,  welche  gelegentlich  auf 
alten   Menschenschädeln  wuchs. 

Pcrtusaria  amara  (Fig.  19)  wurde  während 
der  napoleonischen  Kontinentalsperre  als  Ersatz 
für  die  Chinarinde  empfohlen. 

Ctilorea  vulpina  (Fig.  20)  wird  mit  zerstoßenem 
Glas  von  den  norwegischen  Bauern  als  Gift 
gegen  Füchse  verwendet,  ob  das  Glas  oder  die 
Flechte  verderblich  auf  die  Füchse  wirken,  ist 
nicht  sicher;  für  Hunde  soll  sie  giftig  sein. 

Von  den  Alpenbewohnern  wird  in  manchen 
Gegenden  Thamnolia  vermiciilaris  als  Mittel  gegen 
die  Lungenseuche  der  Schweine  angewendet  (nach 
persönlicher  Mitteilung  des  Herrn  Schulrates 
Steiner). 

III.    Technische    Verwertung    der    Flechten. 
Es  mögen  hier  vorweg  die  Nutzanwendungen 
verschiedener    Flechten    genannt    werden,    welche 
von  minderem  Belang  sind. 


'1    Ehedem    wurde    sie    auch    gegen    Wechselfieber    ange- 
vendct  (Müller  und   Cazin). 

-)   Auch  als   Fiebermittel   und   Adstringens. 


F.  N.  VIII.  Nr.   5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Linne    erzählt,    daß    die  Kauern    in    Smaland 
(Schweden)    Hellen    eandelariiis    (Xanthoria     Can 
delarid)   gepulvert    zu    Talglichtern    mischen,    um 
sie  gelb  zu  färben  und  sie  den  an  Festtagen  ver- 
wendeten Wachskerzen  ähnlich  zu  machen. 

Nach  Gmelin  (Sibir.  Reise  III,  p.  426)  wird 
in  Sibirien  in  einem  Kloster  Stieta  pulnionaria 
statt  des  Hopfens  zum  Hierbrauen  verwendet.  Es 
finden  sich  Angaben,  daß  dieselbe  Flechte  ge- 
legentlich   auch    zum    Gerben    Verwendung    fand. 


findet  in  der  Parfumerie  vielfach  Anwendung,  da 
sie  (jerüche  aufsaugt  und  festhält. 

Weitaus  wichtiger  als  die  genannten,  nur  ge- 
legentlichen Verwendungen  ist  die  F~abrikation 
von  .Alkohol  aus  Flechten.  Es  wird  zu  diesem 
Zwecke  besonders  Cladonia  nrngi/'eriiia  [V\g.  3,  4), 
minder  häufig  auch  Cetraria  islaiidica  (Fig.  i,  2) 
verwendet. 

Das  Verfahren  dieser  Alkoholgewinnung  wurde 
etwa   1826  in  Frankreich  von  Roy  entdeckt,  aber 


Nutzbare  Flechten  I.  ( i'hotograpliie  von  J.  Brunnthaler. ) 
Fig.  I.  Cetraria  islanitica,  steril  (aus  Böhmen).  —  2.  ('.  islaiidica  var.  plafi/loha,  mit  Apothecien  (Böhmerwald).  —  3.  Cladonia 
rangiferinu  var.  spongiosa  Mort.,  ist  eine  auf  der  Tundra  häufige  Form  |^j  illand,  Igt.  Mortensenl.  — 4.  Cladonia  rantjif-rina 
t.  vulgaris,  mit  .Apothecien.  —  5.  Gyro/ihora  cißindrica,  mit  .Apoth.  |  Böhmen).  —  6.  Dieselbe,  von  der  Unterseite.  —  7.  Gi/ropliora 
esculenia,  IJberseite  (Japan,  Orig.-lix.  von  Miyoshi).  —  8.  Dieselbe,  Unterseite.  —  g.  Alectoria  sutcata  (Japan,  Nikl<o,  Igt. 
Miyoshi).  —  10.  Gyrophora  probosridea  var.  arctica,  mit  Apoth.,  Oberseite  (Grönland,  igt.  Breulel). —  II.  Dieselbe,  Unter- 
seite. —  12.   Sphaerotliallia  esadenta,   steril  (Sahara  von  Algier,  Igt.  Hohenacker).  —  13.  Evernia  prima slri,  steril  (aus  Böhmen). 


Als  Weberschlichte  wird  eine  aus  Flechten 
gekochte  Gelatine  von  den  armen  Webern  der 
Gebirgsgegenden  verwendet  und  anstatt  Gummi 
arabicum  in  einigen  Stoffdruckfabriken  besonders 
in  Lyon.  Nach  Roumeguere  geben  lange, 
mazerierte  Strauchflechten  einen  Leim  zum  Leimen 
der  Farben,  der  wie  tierischer  Leim  wirkt;  er  ist 
bekannt  unter  den  Namen:  „Colle  forte"  oder  „Colle 
de  Flandre". 

Physcia  {Anaptyehia)  ciliaris  und  andere  Flechten 
werden  gepulvert  zu  kosmetischen  Pudern  ver- 
wendet (,,Poudre  de  Chypre").    Evernia  prunastri 


erst  1868  durch  Prof.  Stenberg  in  Schweden 
und  später  in  Rußland  behufs  fabriksmäßiger 
Herstellung  von  Alkohol  in  großem  Maßstabe 
eingebürgert. 

Das  Verfahren  besteht  in  folgendem :  Durch 
Kochen  in  verdünnter  Schwefel-  oder  Salzsäure 
wird  das  Lichenin  in  Glykose  verwandeil ;  die  so 
behandelte  Mechtenmasse  wird  neutralisiert  mit 
Kreide  oder  kohlensaurem  Natron  und  ergibt  dann 
durch  Gärung  und  Destillation  einen  sehr  gtiten 
Alkohol.  Man  soll  aus  I  kg  Flechten  etwa  '/.,  1 
Alkohol     erhalten.       Von     i86g — 1883     sind     in 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  5 


Schweden  17  Fabriken  entstanden.  In  dem  Jahre 
1809  soll  Skandinavien  1  120  000  1  Flechtenspiritus 
produziert  haben.  Es  ist  merkwürdig,  daß  in 
neuerer  Zeil  nichts  Sicheres  mehr  über  diese  In- 
dustrie in  die  Öffentlichkeit  gedrungen  ist.  Es  ist 
zu  vermuten,  daß  solche  Fabriken  auf  die  Dauer 
mit  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  haben  werden, 
bezüglich  der  Beschaffung  des  nötigen  Flechten- 
materiales. 

Zweifellos  die  wichtigste  Verwendung  der 
Flechten  zu  praktischen  Zwecken,  wodurch  einige 
zu  einem  bedeutenden  Artikel  des  Welthandels 
geworden  sind,  ist  die  Bereitung  von  wert- 
vollen Farbstoffen  aus  denselben.  Wohl 
der  wichtigste  dieser  Farbstoffe  ist  die  „Orseille". 
Mit  diesem  Namen,  der  unbekannter  Herkunft  ist,') 
bezeichnet  man  gegenwärtig  im  Weithandel 
zweierlei:  I.  einen  bestimmten  aus  Flechten  her- 
gestellten Farbstoff  und  2.  das  Rohmaterial  der 
zu  dessen  Bereitung  verwendeten  Flechten. 

Der  Besprechung  der  Farbstoffflechten  und 
ihrer  Produkte  sollen  einige  historische  Daten 
vorausgeschickt  werden. 

Angeblich  reicht  die  Kunst  aus  Flechten 
Farben  zu  bereiten  bis  in  das  Altertum  zurück. 
Theophrast  etwa  300  v.  Chr.  erwähnt  „%o  dk 
növTinv  <f'V-Ai)g",  welches  nach  Krempelhuber 
Roccella  tincloria  sein  soll.  Auch  das  bei  Plinius 
(Lib.  26,  cap.  66)  erwähnte  Phycos  thalassion, 
quo  in  Creta  vestes  tingunt"  soll  eine  Farbflechie 
sein.  Ich  glaube  eher,  daß  mit  beiden  irgend  eine 
Floridee  (vielleicht  Rhyfypitloca  tincloria)  gemeint 
ist.  Sicher  unrichtig  ist  die  Ansicht  von  Bory 
de  Saint  Vincent,  wonach  der  Purpur  von 
Tyros  der  Phönizier  Orseille  gewesen  sein  soll. 
Es  ist  wohl  zweifellos  sicher,  daß  der  Purpur  der 
Alten  von  Schnecken  (M  u  rex  a  rte  n)  abstammte. 
Sicher  ist,  daß  diese  Kunst  lange  im  Orient  be- 
kannt war  und  von  dort  durch  einen  Florentiner 
deutscher  Abstammung  Namens  Federigo  um 
1300  nach  Europa  kam.  Seine  Nachkommen 
wurden  durch  das  Geheimnis  der  Orseillefabrika- 
tion  sehr  reich  und  ein  angesehenes  Patrizier- 
geschlecht, das  sich  Oricellari,  dann  Ruccellari 
und  endlich  Ruccellai  nannte. 

Erst  1540  wurde  die  Bereitung  der  Orseille 
durch  Rosetti's  Buch  über  die  Färbekunst  all- 
gemeiner bekannt  und  1729  trug  M  i  c  h  el  i  durch 
sein  ausgezeicimetes  Werk:  Nova  plantarum  genera 
viel  zur  Verbreitung  der  Keniunis  von  der  Her- 
stellung der  Flechtenfarben  bei. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  genaue  Angaben  zu 
machen  über  die  Entwicklung  der  Technik  in  der 
Bereitung  der  Flechtenfarben ;  einige  wenige  Hin- 
weise mögen  genügen.  Ursprünglich  war  das 
Verfahren  ein  äußerst  kompliziertes,  durch  An- 
wendung zahlreicher  ganz  unwesentlicher  Stoffe 
und  Manipulationen.  Erst  1750  gab  Hellot 
(L'art  de  la  teinture  des  laines)    ein    vereinfachtes 


Verfahren  an.  Die  Akademie  von  Lyon  ver- 
anstaltete eine  Preisausschreibung  für  Arbeiten 
über  nützliche  Flechten.  1787  wurden  unter 
dem  Titel  ,,Memoires  sur  les  lichens"  drei  wichtige 
preisgekrönte  Arbeiten  von  Hoffmann,  Willemet 
und  Amoreux  publiziert,  von  denen  die  erste 
bereits  die  Bereitung  des  Lackmus  in  Holland 
beschreibt. 

Die  Entdeckung  der  chromogenen  Substanzen 
in  den  Hechten  durch  Robiquet,  Heeren  usw. 
führte  eine  neue  Ära  in  der  Flechtenfarbentechnik 
ein.  Man  suchte  die  chromogenen  Stoffe  rein 
darzustellen  und  daraus  die  Farben  herzustellen. 
(Stenhouse  1848,  Fouacier  1855,  Frezon 
1858.)  Ein  wichtiges  Resultat  dieser  Bestrebungen 
war  die  Erfindung  des  „Pourpre  frangaise"  durch 
Guinon,  Marnas  und  Bonnet  1858,  über 
dessen  Herstellung  Persoz')  berichtet. 

Gauthier  deClaubery  teilt  185Q  ein  von 
H  a  1  a  i  n  e  erfundenes  Verfahren  mit,  durch  welches 
aus  gewöhnlicher  Orseille  drei  Produkte  gewonnen 
werden:  i.  ,,eine  amaranihrote  Seidenfarbe,  2.  eine 
rosarote,  3.  als  wichtigste  die  „Orseille  solide". 

Späterhin  befaßte  man  sich  wegen  des  wachsen- 
den Einflusses  der  Anilinfarben  nicht  weiter  mit 
der  Verbesserung  der  F"lechtenfarben. 

Während  aber  durch  die  Anilinfarben  fast  alle 
anderen  Farbstoffe  völHg  verdrängt  wurden,  ist 
dies  mit  den  Flechtenfarben  nicht  der  Fall.  Sie 
werden  gegenwärtig  noch  viel  zum  P~ärben  von 
Wolle  (seltener  von  Seide  und  zum  Kattundruck) 
verwendet,  aber  meistens  nicht  rein,  sondern  als 
Gemisch  mit  anderen  Farbstoffen,  besonders  um 
diesen  mehr  Glanz  zu  geben  (letzteres  gilt  beson- 
ders vom  Indigo). 

Vielleicht  alle  Flechten  könnten  Farbstoffe 
geben.  Lindsay,  Clerc,  Lebail  u.  a.  haben 
über  500  Flechtenarten  auf  ihre  Farbstoffe  unter- 
sucht und  violette,  braune,  grüne,  gelbe  usw. 
gefunden. 

Von  praktischer  Verwendbarkeit  sind  aber  nur 
wenige  und  auch  von  diesen  spielt  nur  eine  ge- 
ringe Anzahl  eine  bedeutende  Rolle  im  Welt- 
handel. 

Vorweg  mögen  einige  erwähnt  werden,  welche 
sich  keine  hervorragende  Stellung  in  der  Farben- 
fabrikation erringen  konnten,  aber  doch  von 
einiger  Bedeutung   sind  für  beschränkte  Distrikte. 

In  England  wird  aus  Sticta  fu/iiioiiaria  eine 
braune  Farbe  zum  Färben  von  Stoffen  gewonnen. 

Wichtiger  scheint  Pannelia  saxatilis  zu  sein, 
aus  der  auch  eine  braune  Farbe  hergestellt  wird. 
Nach  Hoffmann  sind  in  Schottland  jährlich 
mehr  als  200  Leute  mit  dem  Einsammeln  dieser 
Flechte  beschäftigt. 

Uiiibilicavia  piisttilata  (Fig.  25)  wird  in  Lyon 
zum  F"ärben  von  Seide  (braun  und  rot)  verwendet. 

Von  Bedeutung  für  den  Welthandel  sind   aber 


')    Alle    bisher    gegebenen    Erklärungen    sind     zweifellos 
unrichtig. 


')  Persoz,  Maliere  colorante  violette  derivee  de  l'orseille 
ou  pourpre  Frani;aise  de  M.  Guinon  (Rep.  de  chemie  poure 
et  appliquee  l8s9  p.  189)  und  Rouceray  1.  c.  p.  18IT.  (1906"). 


N.  F.  VIII    Nr.  5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


69 


nur  folgende  fünf  Farbstoffe,  die  uns  nun  aus- 
schließlich beschäftigen  sollen:  i.  die  Orseille 
(=  Orseille  d' herbe),  2.  das  C  u  d  b  e  a  r  oder 
Persio,  3.  der  Orseilleex  t  rakt,  4.  der 
französische  Purpur  und  5.  der  Lackmus. 
I.  Die  Orseille  (Orseille  d'herbe)  wurde 
früher  so  gewonnen ,  daß  man  die  Flechten  mit 
faulendem  Urin  lange  Zeit  ma/.erierte  und  dann 
Ätzkalk  zusetzte.  Später  verwendete  man  statt 
des  Urins  wässerigen  .Ammoniak.  Gegenwärtig 
bereitet     man     diesen     Farbstoff     auf     folgende 


Gewebsteile  der  Flechten  erkennen  läßt,  und  in 
Wasser  und  Alkohol  leicht  löslich  ist.  Die  Lö>ung 
ist  mit  Alkalien  violett,  mit  Säuren  schön  rot. 

2.  Das  Cudbear  (so  in  England  genannt) 
oder  der  Persio  (in  Deutschland)  ist  ein  rot- 
violettes Pulver,  bestehend  aus  der  getrockneten 
und  zerriebenen  Orseille.  Dieser  Stoff  wird  auch 
,, roter  Indigo"  genannt  und  besonders  in  Kanada, 
England  und  Schottland  erzeugt. 

Der  Orseilleextrakt  kommt  in  verschie- 
denen   Formen    in    den    Handel    als:     ,, einfach". 


Nutzbare  Flechten  II.  (Photographie  von  J.  B  r  u  n  n  t  h  al  e  r.) 
Fig.  14.  Roccella  phj/copsis,  mit  Soredien  (Nrapel,  Camaldoli).  —  15-  ß-  phycopsis,  mit  Sor.dien  (Madeira,  Igt.  J.  Born- 
müller). —  i6.  Ä.  .Vuntiigiiei  (hus  M.idajjaskarJ.  —  17.  Ochrulechia  tartarea,  mit  Apothecien  (^Schweden,  Öt',  Risinge).  —  18.  0. 
tartarea,  sterile  Krusie  (Schweden,  Södermanland).  —  19.  Pertusaria  amara  (Aus  Korfu).  —  20.  C'hlorea  vvlpina,  mit  Apoihec. 
(Tirol,  Windisch -Matrei).  —  21.  Iloccella  hypomecha  (Teneriff--,  Igt.  Hory).  —  22.  R.  ßicifurmis  (Ma.li-iia.  Igt.  J.  Born- 
müller). —  23.  DenJrographa  leucophaea,  mit  Apoihec  (Kalifornien,  Igt.  H.  \V  i  1 1  e  y).  — 24.  Perittsaria  tlealhala  var.  laevigata 
(Bei  Heidelberg,  Igt.  Zwackh).   —    25.    l'mbilicaria  pustulata,   mit  Apothec.      (.•\us   Nied. -Österreich). 


Weise.  ')  Die  Flechten  werden  gekocht  unter 
Zusatz  von  2 — 3  kg  Kalk  auf  100  kg  Flechten. 
Der  Saft  wird  etwas  eingedickt,  die  Flechten- 
masse gereinigt  und  in  3  m  langen  Kesseln  (die 
man  ,,barques"  nennt)  mit  einem  Teile  des  Saftes 
und  .Ammoniak  (oder  Gaswasser)  täglich  3 — 4  mal 
umgerührt,  indem  man  die  Temperatur  auf 
25  —  30"  C  erhält,  nach  2 — 3  Monaten  ist  das 
Produkt  fertig.  Dieses  ist  eine  teigige  Masse  von 
dunkelrotvioletter  Farbe,  die  unter  dem  Mikroskop 


')  Verfahren  der  Fabrik  Lucien,  Picard  &  Co. 


,, doppelt",  „konzentriert",  und  als  ,,Orseille- 
karmin".  Er  wird  aus  dem  ausgekochten  Safte 
der  H'lechten  (siehe  bei  Orseille)  bereitet  durch 
Zusatz  von  Ammoniak  und  unter  Durchlüftung 
unter  einer  konstanten  Temperatur  von  25 — 30"  C. 

4.  Der  französische  Purpur  (pourpre 
frangaise,  pourpre  de  Guinon)  ist  eine 
sehr  schöne  rotviolette  Farbe,  deren  komplizierte 
Herstellung  Persoz  ausführlich  mitteilt.  Es  ist 
im  wesentlichen  eine  ammoniakalische  Orzein- 
lösung,  gefällt  mit  Chlorkalcium. 

5.  Der    Lackmus  ist  eine    holländische    Er- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  5 


findung;  er  wird  aus  RocccUa  oder  Ochrolechia 
tartarea  (Fig.  17,  18)  hergestellt,  ähnlich  wie  die 
Orseille,  aber  durch  sehr  lange  Gärung  unter 
Anwendung  von  Kalk  oder  Pottasche  u.  Ammoniak. 
Es  ist  im  freien  Zustande  rot,  seine  Salze  sind 
blau.  Mit  Gips  oder  Kreide  gemischt,  kommt 
er  in  Stücken  oder  Täfelchen  in  den  Handel, 
wird  aber  nur  mehr  als  Reagens,  zum  Färben  der 
Wäsche  und  des  Weines  verwendet.  Er  wird  in 
Holland,  Frankreich  und  einigen  Orten  West- 
deutschlands hergotellt. 

Die  ,,Parelle"  ist  eine  Orseille  aus  Ochro- 
lechia parella,  die  nicht  mehr  in  den  Handel 
kommt. 

Obwohl  man  schon  lange  praktische  Methoden 
zur  Bereitung  der  Farbstoffe  kannte,  war  über 
deren  Entstehung  wi>senschaftlich  nichts  be- 
kannt; man  wußte  nur,  daß  die  F'lechten  selbst 
keinen  gefärbten  Stoff  enthalten,  sondern  daß 
dieser  erst  durch  gewisse  Behandlung  derselben 
entstehe. 

Angebahnt  wurde  die  wissenschaftliche  Er- 
kenntnis dieser  Vorgänge  durch  die  Entdeckung, 
daß  die  Orseille  durch  Umwandlung  bestimmter 
in  der  Flechte  enthaltenen  Stoffe  entstanden  sei, 
die  auch  isoliert  wurden,  wobei  aber  leider  wenig 
Rücksicht  genommen  wurde  auf  sichere  Bestimmung 
des  untersuchten  Materiales,  wodurch  diese  Re- 
sultate nahezu  wertlos  wurden. 

Rob'iquet  entdeckte  1829  das  Orcin  in 
Pertiisaria  dcalbata,  welches  sich  unter  Einfluß 
von  Licht,  Wasser  und  Ammoniak  in  Orseille 
umwandelt.  1830  entdeckte  Heeren  andere 
chromogene  Substanzen:  das  Erythrin,  Pseudo- 
erythrin  und  die  Roccellsäure. 

Schunck  entdeckt  1847  die  Lecanorsäure 
(C"'H'''0')  und  nennt  das  Erythrin  passender: 
Erylhrinsäure  (C'  H'-O'")  ')  Wir  wissen  jetzt, 
daß  die  in  den  Färbeflechten,  verschiedene 
Flechtensäuren  enthalten:  Erylhrinsäure,  Lecanors., 
Parells.,  Roccells.  usw.,  die  farblos  und  meist 
Körper  aus  der  Benzolreihe  sind.  -;  Durch 
Alkalien  werden  sie  gespalten  in  Kohlensäure  und 
Orcin  (C'H^O^),  einen  farblosen,  in  Wasser  löblichen 
Körper,  welcher  mit  Sauerstoff  und  Ammoniak 
das  Orcein  (C'H'NO'')  gibt,  einen  braunen, 
amorphen  Körper,  in  Alkalien  und  Alkohol  lös- 
lich und  violett  werdend.  Das  Orcein  ist  der 
wesentliche  Bestandteil  der  Orseille,  das  nahe 
verwandte  braunrote  Azolitmin  (C'H'NO')  ist  der 
wesentliche  Bestandteil  des  Lackmus. 

Über  den  wichtigen  Prozeß  der  Entstehung 
des  Orcei'ns  (resp.  der  Orseille)  sind  drei  ver- 
schiedene .Ansichten  aufgetaucht.  I.  Amoreux 
(1787),  Robiquet  (1829)  erblicken  darin  einen 
rein    chemischen    Prozeß.      Das    Orcin    soll 


')  Eine  Methode  zur  Herstellung  reinen  Erythrins  gibt 
Ronceray,   Contrih.   ä  l'etude  des  Lichens   a  Orseille.    1904. 

^)  Nach  Ronceray  (1.  c.  1904)  sind  die  i'lechtensäurcn 
Ausscheidungsprodukte  des  Flechtenpilzes;  sie  finden  sich  aus- 
kristallisiert äußerlich   an  den   Hyphen. 


unter  Einwirkung  von  Luft,  Wasser  und  Ammoniak 
ohne  jedwede  Fermentation   Orcein   geben. 

2.  Nach  Czapek,  Über  Orseillegärung  (in  Centn 
f  Bakter.  1898)  geschieht  dies  nur  unter  Einwirkung 
eines  Mikroben  (eines  Bacillus,  ähnlich  dem  B. 
subtilis),  der  von  ihm  auch  rein  gezüchtet  wurde. 
Derselbe  entstammt  dem  zur  Bereitung  verwen- 
deten faulen  Urin.') 

3.  Ronceray  (1.  c.  1904)  betont,  daß  Czapek 
dabei  das  in  den  Flechten  enthaltene  freie  Orcin 
nicht  berücksichtigt  habe  und  daß  Cz.  selbst  an- 
gibt, daß  mit  Chlorofoi  mzusatz  dennoch  eine 
Violettfärbung  (wenn  auch  verlangsamt)  eintritt. 
Ronceray  weist  nach,  daß  bei  der  Orseille- 
bildung  eine  Mikrobe  nicht  unbedingt  mittätig 
sein  müsse,  daß  aber  dieselbe  auch  sicher  nicht 
ein  rein  chemischer  Prozeß  sei,  sondern  auf  der 
Wirkung  einer  in  der  Flechte  enthaltenen  Diastase 
beruhe.  Solches  wurde  schon  früher  von  Du- 
claux  vermutet  (Traite    de    microbiologie   1901). 

Handelssorten. 

Orseille  nennt  man  nicht  nur  den  F'arbstoff, 
sondern  im  Handel  wird  auch  das  Rohprodukt, 
die  Farbstoff  liefernden  Flechten  selbst,  mit  diesem 
Namen  bezeichnet. 

Seit  langer  Zeit  unterscheidet  man  im  Handel 
zwei  Hauptsorten  von  Flechtenwaare :  Die  eine  ist 
die  Orseille  de  terra  (oder  Or.  de  monta- 
gne),  durchwegs  dorsiventral  gebaute  Flechten, 
zumeist  Krustenfiechten. 

Pertiisaria  dcalbata  Nyl.  var.  variolaria  liefert 
die  ,,Ors.  der  Pyrenaeen,  Alpen  und  Sevennen"  '-) 
(vgl.  Fig  24). 

Lccauora  (Ochrolechia)  tartarea  Ach. (Fig.  17,  18) 
wird  in  Schweden  (und  Kanada)  zu  Persio  ver- 
arbeitet.    Sie  ist  die  „Ors.  de  Suede". '') 

Umbilicaria  pjistnlata  DC.  (Fig.  25)  bildet  den 
Hauptbestandteil  der  ,,Ors.  de  Norwege". 

In  Schweden  sollen  auch  Eveniia,  Parmelia, 
Gyropliora  vellea  u.  a.  zum  Färben  verwendet 
werden. 

Die  Orseille  de  terre  war  einst  von 
großer  Wichtigkeit;  gegenwärtig  spielt  sie  keine 
nennenswerte  Rolle.  Von  wirklicher  Bedeutung 
in  der  Farbenindustrie  ist  nur  noch  die  zweite 
Hauptsorte:  Orseille  de  mer  oder  Ors.  de 
herbe  (auch  ,,Orchal"  genannt). 

Sie  besteht  fast  ausschließlich  aus  Roccella- 
Arten,  ansehnlichen  Strauchflechten,  zumeist  Felsen 
der  wärmeren  Meeresstrände  bewohnend.  Im 
Laufe  der  Zeit  kamen  über  ein  Dutzend  Sorten 
von  Orseille  de  mer  in  den  Handel,  die  nach  dem 

')  Czapek  faßt  die  Orseillegärung  als  einen  Entgiftungs- 
Ijrozeß  auf.  Der  Bacillus  spaltet  aus  den  Flechtensäuren  das 
für    ihn  giftige   Orcin   ab,    das  Orcein  ist  für  ihn  unschädlich. 

-')  Nach  F.  Henneguy,  Les  Lichens  utiles,  (Paris  1883) 
soll  aber  Ptrtusaiia  dealbata  an  und  für  sich  wertlos  sein, 
ebenso  wie  andere  Flechtenarten,  die  als  Gemisch  in  dieser 
Orseille  vorkommen.  Sie  verdanke  ihre  Anwendung  als  Farb- 
stoff geringen   Mengen   von  beigemischter  Lecanoia. 

^)  In  Schweden  wird  daraus  auch  eine  braune  Farbe 
hergestellt,   die  dort  „Boeltelet"  heißt. 


N.  F.  VIII.  Nr.   5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


71 


Ursprungslande  oder  Stapelplatze  benannt  waren, 
wie  z.  B.  „Orseilie  des  Canaries",  ,,Ors.  de  Moga- 
dor",  „Ors.  de  Valparaiso",  „Ors.  de  Manille"  usw. 

Diese  Sorten  enthielten  nur  selten  eine  einzige 
Spezies,  meistens  Gemische  von  mehreren,  was 
ja  auch  natürlich  ist,  da  oft  mehrere  von  den 
habituell  nur  schwer  unterscheidbaren  Arten  ge- 
meinsam wachsen.  Systematisch  wurden  die 
Arten  von  Roccella  erst  gründlich  festgelegt  in 
Darbishires,  Monographia  Roccellarum  (in 
Bibl.  botan.  1898),  weswegen  ältere  Angaben  über 
die  Zusammensetzung  der  Sorten  der  Orseilie  de 
mar  ganz  unsicher  sind. 

Von  den  17  Spezies  der  genannten  Mono- 
graphie wurden,  soweit  dies  aus  der  Literatur 
hervorgeht,  folgende  als  Orseilie  verwendet: 

1.  Roccella  fiiciformis  (L.)  DC.  —  Küsten  des 
Mittelmeers,  des  atlant.  Ozeans  von  England  bis 
Senegal  und  Kongo,  auch  auf  den  atlantischen 
Inseln.  —  Steinbewohnend  (Fig.  22). 

2.  R.  tinctoria  DC.  —  Wie  vorige,  aber  bis 
zum  Kap  und  auf  Socotra  und  Neuseeland.  — 
Steinbewohnend. 

3.  A'.  phycopsis  Ach.  —  Verbreitet  wie  die 
vorigen,  aber  weniger  weit  südlich  an  der  atlant. 
Küste;  ist  aber  auch  aus  Madagaskar,  Australien 
und  Neu-Kaledonien  bekannt.  —  Steinbewohnend. 

(Fig.   14,    15)- 

4.  R-  hypoiHccha  Ach.  —  Cap  der  Guten  Hoff- 
nung, Kanaren  (Fig.  21). 

5.  R.  portentosa  Mont.  —  Chile  und  Peru.  — 
Steinbewohnend. 

6.  R.perucnsis  Kremplh.  —  Kalifornien  bis  Chile 
und  auf  St.  Domingo.  —  Holzbewohnend. 

7.  R.  difficilis  Darbish.  —  Vielleicht  nur  stein- 
bewohnende Form  der  vorigen;  auch  in  Brasilien. 

8.  R.  canaricnsis  Darbish.  —  Kanarische  Inseln. 
Steinbewohnend. 

9.  A'.  Montagnei  Bei.  —  Trop.  Afrika,  Ost- 
Indien,  Ceylon,  Ind.  Archipel,  China,  Philippinen. 
—  Kommt  auch  im  Binnenlande  vor.  —  Holz- 
bewohnend (Fig.  16). 

10.  DendrcgrapJia  Icucopliaea  Darbish.  — 
Habituell  der  Roccella  fucifonnis  ganz  ähnlich 
und  früher  mit  ihr  verwechselt.  Wächst  an 
Steinen  und  Bäumen  (Fig.  23). 

Nach  der  Angabe  von  R  o  n  ceray  (1904),  die 
sich  auf  Mitteilungen  eines  Großhändlers  in 
Orseilie  stützt,  kommen  gegenwärtig  im  Handel 
nur    noch    folgende    4  Handelssorten  in  Betracht : 

1.  „Orseilie  de  Mozambique". 

2.  ,,Ors.  de  Madagascar"  beide  bestehend  aus 
Rocc.  Montagnei. 

3.  „Ors.  du  Cap.  Vert",  angeblich  aus  A'. 
tinctoria  (wohl  aber  auch  aus  R.  fiiciformis,  R. 
canariensis .-  und  R   phycopsis .-). 

4.  „Ors.  de  Californie",  bestehend  aus  Dendro- 
grapha  leucopliaea. 

In  letzter  Zeit  soll  noch  eine  Sorte  als 
„Orseilie  des  colonies"  in  den  Handel  kommen, 
die  aus  einem  Gemisch  von  Usnea  Arten  besteht. 
(Eine  Probe  enthielt    U.  plicata  F>.  und    U.  angu- 


lata  Ach.)  —  Erstere  ist  nahezu  kosmopolitisch, 
letztere  in  Nord-  und  Südamerika,  Madagaskar, 
Tasmanien,  Neu -Seeland. 

Ich  will  mit  zwei  statistischen  Daten  schließen, 
welche  ein  beredtes  Zeugnis  abgeben  von  der 
Wichtigkeit  der  Farbflechten  und  ihrer  Produkte 
im  Welthandel.  1881  wurden  in  Frankreich  im- 
portiert an  F^arbflechten  1486677  kg  im  Werte 
von  2004793  F"r.,  im  selben  Jahre  wurden  ex- 
portiert aus  Frankreich  an  Flechtenfarbstoffen 
I  018931   kg. 

Anhang,   betreffend   die   Literatur  über  den  Nutzen 

der  Flechten. 
Es  liegt  mir  ferne,  an  dieser  Stelle  alle  die  Werke  und 
Abhandlungen  aufzuzählen,  welche  sich  mit  unserem  Gegen- 
stande befaßt  haben.  l-ür  den  Zeitraum  von  den  ältesten 
Zeiten  bis  zum  Jahre  1870  exi-tieit  übrigens  bereits  eine 
solche  (nahezu  vollständige)  Zusamnien-tellung,  auf  die  ich 
hier  verweisen  kann,  da  sich  das  betreffende  wertvolle  Werk 
in  jeder  grödren  Bibliothek  findet;  es  ist:  A.  v.  Krerapel- 
huber,  Geschichte  und  Literatur  der  Lichen<ilogie.,  I.  Bd. 
liSby,  II.  Bd.  1869,  III.  Bd.  1872.  Man  findet  daselbst  im 
I.  Bd.,  p.  57q — 589,  59;— 601  und  im  III.  Bd.,  p.  gq — loo, 
lOI  103  die  Titel  von  217  Schriften  angegeben,  welche  sich 
mit  der  Nutzbarmachung  der  Flechten  befassen.  Ich  will  nur 
zur  Ergänzung  einige  der  wichtigeren  Schriften  über  diesen 
Gegenstand  anführen,  welche  in  den  Verzeichnissen  von 
Krempelhuber  nicht  enthalten  sind; 
Ascherson,    Eine    im   Februar   1880  auf  dem   Droguenbazar 

in  Cairo  angekaufte   Probe  von  Strauchflechten,  (Sitzb.   d. 

Ges.   nalurf    Freunde  zu   Berlin    1S81}. 
Berg,   B.,   These  de   Dorpat,    1S72. 
Bougon,   La  manne  des  Hebreux   dans  le  desert,   Le  Natura- 

liste,   1S98,  p.  41  —  42. 
Bryant,    Verzeichnis    der    zur    Nahrung    dienenden  Pflanzen, 

Leipzig   1786. 
Buchner,    Über    die    Bestandteile   des    isländischen    Mooses, 

Cetraria  islandica,   Berlin    1 S89.   20  p.   8°. 
Calkins,    An    edible    Liehen    not    herctofore  noted   as   such, 

Kot.  Gaz.,    1892,  p.   418. 
Clerc,    Des   Lichens    et  leurs  produits,    These   de   pharmacie 

de   Paris,    1869. 
Czapek,  Über  Orseillegärung,   Centr.  f.   Bakteriol.   VI,    1898, 

p.  49. 
Darbishire,   Monographia  Roccellarum,   Bibl.  botan.  Nr.  45, 

1898. 
Dragendorf,    Die    Heilpflanzen    der    verschiedenen    Völker 

und    Zeiten,    ihre    Anwendung,    wesentlichen   Bestandteile 

und   Geschichte,  Stuttgart,  F.   Enke,    1898. 
Efibare  Hechten,  Zeitschr  f.  Naturw.,  Bd.  67,  1894,  p.  277  — 280. 
Etoc,   La  Lecanora  esculenta  et  la  Manne   des  Hebreux,  Bull. 

acad.   Internat,   de   Geogr.  bot.    1899,   p.   49-53- 
Fink,   B.,  Lichens:    their    economic   Hole,    The    Plant  World 

IX,   1906,  p.   258 — 265. 
Flückiger    et    Hanbury,    Histoirc    des    drogues  d'origine 

vegetale   II,    1878. 
Girardin,   Legons   de  chimie  elementaire  appliquee  aux  arts 

industriels  VI,    1870. 
Goris  et   Ronceray,  Sur  les   Lichens  ä  orseilie.  Bull.  Soc. 

pharmac.   XllI,    1906,   p.  463. 
Haidinger,   Ein  Mannaregen   bei   Karput  in   Klein-.Asien  im 

März  1864,  Sitzb.   d.   Ak.   d.  Wiss.,   Wien  L,   II.  Abt.  1865, 

p.    170-  177. 
Hansteen,    Nordische   Flechten    als   Nahrungsmittel,    Retcrat 

in   Chemikerzeitung    1906,   Nr.   51. 
Harlay,    Plantes   de   differenles  faniilles  fournissant  l'orseille 

et  ie    tournesol,    Manuscrit  pour  le   prix    Menier    189b    in 

Biblioih.   de  l'ecole   de    l'harmacie   de  Paris. 
Heldreich,     Die     Lackmu-flechte     des     grierhischen     Archi- 

pelagus,  Sitzb.  d.  Ges.  naturforsch.  Freunde  zu  Berlin  1881. 
Henneguy,   Les  Licliens  utiles,   Paris,   O.   Doin,    1883. 
Hennings,   Orseillcflechten  im  Kongogebiet,   Gartenfl.   1888, 

p.    147  —  148. 


72 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  5 


Hennings,  Lichenologisches,  Orseillcflechtcn  im  Kongo- 
gebiet,  Verh.   bot.  Vtrr.   Brandenb.    1889,  p.    128 — 129. 

Herissey,  Kecherches  sur  l'emulsine,  These  du  pharmacie 
1899,  p.   18. 

Hesse,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Flechten  und  ihrer  charak- 
teristischen Bestandteile,  Journal  für  praktische  Chemie, 
Bd.  57,   1898,  p.  232—318. 

Hilger  und  Buchner,  Zur  chemischen  Charakteristik  der 
Bestandteile  des  isländischen  Mooses,  Ber.  d.  deutsch. 
Chem.   Ges.   1S90,  p.  461 — 464. 

Istvänffy,  Ehetö  zu'mök  (Eßbare  Flechten)  in  Tcrmes- 
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Karsten,  H.,  Flora  von  Deutschland,  Österreich  und  der 
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Kobert,  Lehrb.  der  Inioxicationen  (enthält  Notiz  über  die 
Giftigkeit  von   Chlorea  vulpina  und   Cetraria  pinastri). 

^,  Über  Giftstoffe  der  Flechien,  Sitzber.  d.  Dorpater  naturf. 
Ges.    1892,   p.    157 — 166. 

— ,  Ist  die  Wandflechte  giftig,  und  was  enthält  sie?,  Zeitschr. 
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Lefranc,  Les  Roccella  et  le  Kliyliphlora  tinctoria  de  la 
Mediterranee,  par-dcvant  la  pourpre  de  Tyre,  Bull.  Soc. 
bot.   de    France    1874,   p.   85  —  95. 

Ludwig,  Lehrbuch  der  niederen  Kryptogamen,  Stuttgart,  F. 
Enke.    1892. 

De  Luynes,  Sur  la  preparation  industrielle  de  l'orcine, 
Bu'l.  de  la  SoC-,  D'encouragcment  pour  l'industrie  natio- 
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Magnin,  Les  Lichens  utiles,  Lyon    1878. 

Matsumura  et  M  i  yo  sh  i ,  Crypiogamae  Japonicae  Iconibus 
illustraiae,  Vol.  1,  Tab.  VI,  Gyrophora  esculanta  (Text 
japanisch  1,    1899. 

Miyoshi,  On  edible  Lichens,  Bot.  Magaz.  Tokyo,  Nr.  46, 
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Miyoshi,    Lichens    coUected    in    the    prov.    of    Tosa ,    Bot. 

Magaz.  Tokio   IV,  Nr.  44,   p.   21 — 23,    1890,  japanisch! 
— ,  Eine  eßbare  japanische  Flechte,  The  Bot.  Magaz.   Tokio,  V, 

Nr.  51,  p.    152—153,   1890. 
— ,  Die    eßbare    Flechte    Japans    (Gyrophora    esculenta).    Bot. 

Cent.   LVI,  Nr.  6,  p.   161  —  163,'   1893. 
Müller-Becks,    Verzeichnis    der    eßbaren    Pflanzen  Japans, 

Berlin   1886. 
Reiße,  Dissert.  inaug.  med.  de  Lichene  islandica   177S. 
Renard,   Histoire  naiurelle,   chimique   et  medicale   du  Liehen 

d'lslande.   Paris    1836. 
Renard  et  Lacour,    De    la    manne    du    desert,    ou    manne 

des  Hehreux.  Journ.  de  med.  et  de  pharm.  d'Algerie  1880. 
Ronceray,    Contribution    a    I'etude    des  Lichens   a    Orseille, 

These    pour  l'obiention    du   Diplome   de   Doct.   de   l'Univ. 

de   Paris,   Paris,   A.  Joanin  &  Co.,    1904. 
Senft,    E.,    Über    einige    in  Japan    verwendete  vegetabilische 

Nahrungsmitlei      mit     besonderer     Berücksichtigung      der 

japanischen  Militärkonserven,  Pharmazeutische  Praxis  1906, 

Heft   12,   1007,  Hell  i   u.  f. 
Stein,   Orseilleflechten  im  Kongogebiet,   Gartenfl.  1888,  p.  431. 
Stitzenberger,  Die  ökonomischen  Beziehungen  der  Flechten, 

Ber.    d.  St.   Gallischen  nat.   Ges.    1877 — 1^>    P-   202  —  217. 
Teesdale,    M.    1.,    The   ,, Manna"   of  the   Israelites,    Science- 

Gossip    1897,  P-   229  —  232,   with   5   fig. 
Wagner  et  Gauti  er,  Nouveau  Traite  de  chimie  industriel  II, 

Paris   1879. 
Wiesner,      Die     Rohstoffe     des    Pflanzenreiches,      11.     Aufl., 

Flechten  von   Fr.    Krasser,  I.   Bd.,   p.  664  —  673,    1900. 
— ,   Mikroskopische   Unt<'rsuchung  alter  ostturkestanischer  und 

anderer  asiatischer  Papiere,    Denkschr.    d.  kais.   ,\kad.   d. 

Wiss.     Wien,   LX.XII,     1902,    p.   583 — 632.       Enthält    den 

Nachweis,  daß  F'lechten  bei  der  Herstellung  alter  indischer 

Papiere  verwendet   wurden. 
Zopf,     Über    den    Nutzen    der    Flechten,    Die    Natur    1S96, 

p.   185  —  187. 


Sammelreferate  und  Übersichten 

über  die  Fortschritte  in  den  einzelnen  Disziplinen. 


Neues  aus  der  Astronomie.  Eine  neue 
Auffassung  der  Sonnen  Corona  glaubt  R. 
W.  Wood  auf  Grund  der  von  ihm  experimentell 
festgestellten  Emission  polarisierten  [Jchts  seitens 
fluoreszierender  Gase  verfechten  zu  können.  Das 
Licht  der  Corona  ist  bis  auf  etwa  1 1  "/,,  in  radialer 
Richtung  polarisiert,  zeigt  dabei  ein  kontinuier- 
liches Spektrum  mit  einigen  hellen  Linien,  vor 
allem  der  grünen  Coroniumiinie  (^=5303),  und 
gibt  am  Bolometer  keine  auf  Wärmestrahlung 
deutende  Ausschläge.  Gerade  dieses  Felilen  der 
Wärmestrahlung  ist  nicht  gut  mit  der  meist  ge- 
machten Annahme  vereinbar,  daß  das  kontinuier- 
liche Spektrum  von  weißglühenden,  festen  Teil- 
chen herrühre.  Dagegen  bietet  sich  nach  Wood's 
Experimenten  der  Auffassung  keine  Schwierigkeit, 
daß  die  Corona  aus  gemischten  Metalldämpfen 
bestehe,  die  unter  dem  Einfluß  der  Sonnenstrahlung 
fluoreszieren.  Die  hellen  Coronalinien  könnten 
einfacli  Fluoreszenzlinien  bekannter  Elemente  sein, 
denn  beim  Natrium  besteht,  wie  Wood  gleichfalls 
nachgewiesen,  keinerlei  Beziehung  zwischen  den 
Fluoreszenzlinien  und  den  auf  andere  Weise  er- 
regten, bisher  bekannten  Linien.  (Phys.  Zeitschr. 
vom    15.  September   1908.) 

Die  Aufnahme  von  Wass  erst  o  f  f  wol  k  e  n 
(sog.    Flocculi)    in    der    Soniienatmosphäre 


erfolgte  bisher  zumeist  im  Lichte  der  Linie  Hj- 
Neuerdings  konnten  solche  Gebilde  jedoch  unter 
Anwendung  farbenempfindlicher  Platten  durch 
Haie  auf  Mt.  Wilson  auch  mit  Hilfe  der  roten 
H„  -  Linie  photographiert  werden,  wobei  sich  be- 
merkenswerte Unterschiede  gegen  Bilder,  die  im 
H,i  -  Licht  aufgenommen  waren,  ergaben.  Vor 
allem  zeigen  sich  am  Sonnenrande  die  Protube- 
ranzen im  H„-Licht  weit  ausgedehnter,  ja  selbst 
auf  die  Scheibe  projizierte  Protuberanzen  wurden 
in  diesem  Lichte  abgebildet.  Die  Aufnahmen 
machen  den  Eindruck  ausgedehnter  Wirbel,  wie 
sie  von  der  Fleckentheorie  Faye's  bereits  seit 
langer  Zeit  angenommen  wurden.  Da  die  H„- 
Wolken  auch  ein  anderes  Rotationsgesetz  befolgen, 
wie  die  vermutlich  tiefer  liegenden  H<) -Flocculi, 
so  wären  solche  Wirbel  auch  nach  der  Helmholtz- 
schen  Luftwogentheorie  an  der  Grenze  ungleich 
bewegter  Schichten  der  Sonnenatmosphäre  leicht 
erklärbar.  Gerade  die  Entstehung  von  Wirbeln 
aus  Luftwogen  ist  von  Emden  kürzlich  näher 
untersucht  worden.  Es  scheint,  daß  diese  theo- 
retischen Entwicklungen  durch  die  Fortschritte 
in  der  Photographie  der  Flocculi  eine  treffliche 
Bestätigung  finden.  -  Besonders  die  im  September- 
heft (1908)  des  Astrophysical  Journal  reprodu- 
zierten   Aufnahmen    zeigen    die    Wasserstoffwirbel 


N.  F.  Vm.  Nr.  5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


73 


sehr  deutlich.  Durch  Aufnahmen,  die  in  kurzen  Gestalt  von  Protuberanzen  wieder  zu  erscheinen. 
Intervallen  aufeinander  folgten,  konnte  direkt  ver-  Die  Geschwindigkeit  dieser  ,, Stürme"  in  der 
folgt     werden,     wie     die    Wasserstoffmassen    der      Sonnenatmosphäre  erreichte  Werte   von  mehr  als 


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Der  Komet  Morchouse  (1908 c)  am  30.  September   1908,  um   14'' 22™  Cal.  Z.     Expositionsdauer   i''50ii 

1   cm  =  0,24°. 


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Der   Komet  Morehouse  (1908c)  am    1.   Olttober    igoS   um    I,V'43"i   Cal.   Z       Expositionsdauer  2'' 

I   cm  ^=  0,24". 


Sonnenatmosphäre  von  den  hlecken  angezogen 
und  sozusagen  verschlungen  werden,  um  gelegent- 
lich   später    in    der    Umgebung    der    Flecken    in 


100  km  in  der  Sekunde.  IVIerkwürdig  ist  dabei, 
daß  nur  größere  Wolken  nach  den  Flecken  hin 
strömen,    während  die  kleineren,  vermutlich  weil 


74 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII    Nr.  5 


sie  in  einem  anderen  Niveau  schweben,  wohl  auch 
durch  ihr  Aussehen  Strömungen  andeuten,  aber 
keine  so  schnell  erkennbaren  Positionsänderungen 
zeigten.  Ihre  Bewegung  muß  also  eine  wesent- 
lich langsamere  sein. 

Aus  Spektralaufnahmen  von  Sonnenflecken, 
welche  Haie  unter  Vorschaltung  eines  Fresnel- 
schen  Rhombus  und  eines  Nicol'schen  Prismas  in 
verschiedenen  Stellungen  des  letzteren  aufgenom- 
men, zeigten  sich  in  den  verbreiterten  und  ver- 
doppelten Linien  gewisse  Intensitätsunterschiede, 
die  nach  Zeemann  fast  mit  Sicherheit  anzeigen, 
daß  es  sich  hier  um  die  ersten  kosmischen  Fest- 
stellungen des  Zeeman  n  -  Effekt  s,  d.  h.  des 
Einflusses  starker  magnetischer  Kraft  auf  die  Licht- 
schwingungen handelt.  Die  Sonnenflecken  sind 
danach,  wie  ja  auch  ihr  Einfluß  auf  den  Erdmag- 
netismus erwarten  ließ,  starke  magnetische  Kraft- 
felder, deren  Kraftlinien  auf  der  Sonnenoberfläche 
nahezu  senkrecht  stehen.  (Nature  vom  20.  August 
1908.)  Näheres  hierüber  teilte  Zeemann  auf  der 
Kölner  Naturforscherversammlung  mit.  Während 
man  früher  die  verdoppelten  Linien  im  Sonnen- 
fleckenspektrum  für  durch  Druck  verbreiterte 
dunkle  Linien  hielt,  die  von  einer  feinen,  hellen 
Emissionslinie  überlagert  und  so  nur  scheinbar  in 
zwei  Teile  geteilt  werden,  ist  durch  Hale's  neueste 
Feststellungen  erwiesen  worden,  daß  es  sich  hier 
in  der  Tat  um  einen  von  der  Natur  im  größten 
Maßstabe  hervorgerufenen  Zeemann-Effekt  handelt. 
Der  Longitudinal-Zeemann-Effekt,  d.  h.  die  Beein- 
flussung der  Lichtschwingungen  bei  Betrachtung 
in  der  Richtung  der  Kraftlinien,  besteht  in  der 
Zerteilung  einer  Linie  in  zwei  entgegengesetzt 
zirkulär  polarisierte  Komponenten.  Ist  aber  das 
magnetische  Feld  nicht  gleichförmig  oder  die 
Lichtquelle  nicht  homogen,  so  zeigen  nur  die 
Ränder  der  verbreiterten  Linie  die  Zirkularpolari- 
sation. Haie  konnte  nun  die  Zirkularpolarisation 
an  den  Linien  6302,7  und  6363,1  im  Flecken- 
spektrum vortrefflich  nachweisen.  Die  Linien 
zeigen  sich  je  nach  der  Stellung  des  vorgeschal- 
teten Nicol  bald  nach  rechts,  bald  nach  links  ver- 
breitert, während  dicht  dabei  liegende  atmosphä- 
rische Linien  keinerlei  derartige  Deformation  auf- 
weisen. Zeemann  hat  die  betreffenden  Aufnahmen 
in  Köln  vorgezeigt  und  in  der  physikalischen 
Zeitschrift  vom  15.  November  1908  veröft'entlicht. 
Nach  der  neuesten  Veröft'entlichung  (Astrophys. 
Journal,  November  1908)  hat  Haie  die  Sicherheit 
der  hier  wiedergegebenen  Auffassung  noch  da- 
durch wesentlich  erhöhen  können,  daß  er  bei 
entgegengesetzten  Rotationsrichtungen  der  Sonnen- 
wirbel auch  umgekehrt  gerichtete  magnetische 
Felder  nachweisen  konnte,  wie  man  nach  den 
Beobachtungen  an  Solenoiden  erwarten  mußte. 
Auch  gelang  es  bereits,  nahe  dem  Sonneiirande 
lineare  Polarisation  in  den  Sonnenflecken  nachzu- 
weisen, also  auch  den  TransversalZeemann-Effekt 
(quer  zu  den  Kraftlinien)  zu  beobachten.  Die 
Stärke  des  magnetischen  Feldes,  auf  das  diese  P"or- 
schungen  schließen  lassen,  beträgt  etwa  3000  Gauß. 


Eine  erhebliche  Förderung  haben  Hale's  Sonnen- 
forschungen durch  ein  neues,  auf  Mount  Wilson 
aufgestelltes  Instrument,  das  Turm-Teleskop, 
erfahren,  das  nunmehr  neben  dem  Snow-Teleskop 
den  spektrographischen  Forschungen  dient.  Auf 
einem  65  P'uß  hohen  Stahlgerüstturm  ist  ein  mit 
zwei  sehr  dicken  (30  cm)  Spiegeln  versehener 
Coelostat  montiert,  der  die  Sonnenstrahlen  im 
Innern  des  Turmes  durch  ein  Objektivglas  von 
30  cm  Öffnung  und  18  m  Brennweite  vertikal 
nach  unten  sendet.  Am  Grunde  des  Turmes  be- 
findet sich  der  Spalt  eines  Spektrographen  Littrow- 
scher  Konstruktion  und  durch  diesen  fällt  das 
Licht  in  eine  9  m  tiefe  Untergrundkammer  ein, 
in  deren  Grunde  das  Kollimationsobjektiv  und 
darunter  ein  Rowland'sches  Gitter  angeordnet  sind, 
von  dem  das  in  ein  Spektrum  aufgelöste  Licht 
wieder  heraufreflektiert  wird,  um  hier  die  photo- 
graphische Platte  zu  erreichen.  Diese  neue,  durch 
Beihilfen  Carnegies  ermöglichte  Konstruktion  hat 
den  Zweck,  Störungen  in  der  Bildschärfe  zu  ver- 
meiden, die  bei  dünneren  Spiegeln  durch  Gestalt- 
änderungen infolge  der  Erwärmung  auftreten,  und 
die  andererseits  bei  horizontalem  Strahlengang 
durch  vertikale  Luftströmungen  entstehen.  In  der 
Tat  sind  mit  dem  Turm-Teleskop  bereits  ausge- 
zeiclnnete  Erfolge  erzielt  worden  sowohl  hinsicht- 
lich der  Fleckenspektra,  als  auch  in  bezug  auf  die 
Rotationsbestimmungen  aus  der  Ver-chiebung  der 
Wasserstofflinien.  Während  das  Snow-Teleskop 
nur  etwa  eine  Stunde  lang  bei  niedrigem  Sonnen- 
stande benutzbar  ist,  kann  das  Turm -Teleskop 
fast  den  ganzen  Tag  über  mit  gutem  Erfolge  ge- 
braucht werden. 

Prof.  M  a  r  t  u  s  hat  seine  Studien  über  die 
Mondkrater,  über  die  wir  Seite  294  des  vorigen 
Jahrgangs  berichteten,  unter  Benutzung  der  Pariser 
photographischen  Mondaufnahmen  fortgesetzt 
(Weltall,  8.  Jahrg.,  Heft  21—24,  9.  Jahrg.,  Heft  i  u.  f.). 
Die  Grundrisse  einiger  Ringgebirge  wurden  nach 
einem  einfachen  Verfahren  ermittelt,  wobei  sich 
wiederum,  besonders  bei  größeren  Kraterlöchern 
in  der  Umgebung  von  Ringgebirgen,  die  nach 
dem  Mondrande  zu  langgestreckte  Form  einzelner 
dieser  Krater  herausstellte,  namentlich  in  hohen 
nördlichen  und  südlichen  Breiten.  Das  früher  aus 
Neison's  Mondkarten  abgeleite  Ergebnis  wurde  also 
durch  die  Ausmessung  der  Photographien  im 
ganzen  bestätigt,  wenn  auch,  wie  zu  erwarten  war, 
erhebliche  Ungenauigkeiten  der  Zeichnungen  zu- 
tage traten.  Der  Betrag  der  Abweichung  der 
Mondkrater  von  der  Kreisform  ist  in  Wahrheit 
erheblich  geringer ,  als  nach  den  Neison'schen 
Zeichnungen  gefunden  war.  Demnach  hält  M.  an 
der  Aufsturztheorie  fest.  Aus  den  Mondphoto- 
graphien  konnte  auch  die  Ortsveränderung  der 
Erde  am  Himmel  des  Mondes  ermittelt  werden. 
Für  einen  Beobachter  auf  dem  Monde  würde  die 
Erde  während  jedes  Monats  eine  länglich  runde, 
breit  liegende  Bahn  von  13 — 15  Grad  Durchmesser 
im  Sinne  der  Uhrzeigerbewegung  beschreiben. 

Die  mögliche  Breite  des  Nebelringes,  aus  dem 


N.  F.  VIII.  Nr.  5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


75 


unser  Mond  hervorging,  dürfte  nach  den  Rech- 
nungen von  Martus  weniger  als  12  Erdhalbmcsser 
betragen  haben.  Im  Anscliluß  an  diese  Betrach- 
tungen wurden  auch  die  Salurnringe ,  sowie  die 
Monde  Saturns  und  Jupiters  rechnerisch  unter- 
sucht. Martus  kommt  dabei  zu  dem  Ergebnis, 
daß  die  große  Anziehungskraft  des  Saturn  das 
Aufrollen  seiner  Ringe  zu  Trabanten  verhindert, 
da  die  einzelnen  Ringteilchen  infolge  der  großen 
Saturnnähe  sehr  erhebliche  Geschwindigkeitsunter- 
schiede aufweisen  müssen  und  daher  einander 
nicht  lange  genug  nahe  bleiben,  um  sich  vereinigen 
zu  können.  Vm  den  Marsmond  Phobos  und  die 
vier  seit  1892  entdeckten  Jupitermonde  hält  Martus 
die  Entstehung  aus  Dunstringen  für  unmöglich, 
da  hier  die  Geschwindigkeitsunterschiede  noch 
größer  als  in  den  Saturnringen  sein  müssen.  Diese 
Trabanten  müssen  demnach  als  eingefangene 
Planetoiden  angesehen  werden,  während  der  Mars- 
mond Deinios  noch  aus  einem  Ringe  hervorge- 
gangen sein  kann. 

Der  Komet  Morehouse  (1908c)  war  eine 
der  hellsten  Erscheinungen  der  letzten  Jahre  und 
konnte  bei  der  hohen,  nördlichen  Deklination  im 
Oktober  und  November  in  unseren  Gegenden 
zeitweilig  mit  bloßem  .Auge  wahrgenommen  wer- 
den. Besonders  intensiv  war  die  Wirkung  des 
Kometenlichtes  auf  die  photographische  Platte, 
so  daß  eine  große  Reihe  schöner  Photographien 
gewonnen  werden  konnten.  Barnard  hatte  bis 
zum  26.  Oktober  bereits  190  Aufnahmen  gemacht, 
über  die  er  im  Novemberheft  des  Astrophysical 
Journal  berichtete.  Durch  diese  Aufnahmen  sind 
sehr  schnell  sich  vollziehende,  wesentliche  Ver- 
änderungen im  Aussehen  des  Kometen  festgehalten 
worden.  Die  stärkste  Änderung  ereignete  sich 
zwischen  dem  30.  September  und  i.  Oktober  und 
wird  durch  die  hier  wiedergegebenen  Bilder  ver- 
anschaulicht. .Am  30.  September  wurde  eine  un- 
gewöhnlich hell  leuchtende  Materie  vom  Kopf 
ausgeschleudert,  die  am  darauffolgenden  1  age  nur 
noch  in  sehr  aufgelöstem  Zustande  weitab  vom 
Kopfe  im  Schweif  zu  erkennen  ist.  Dicht  am 
Kopf  zeigt  der  Schweif  am  i.  Oktober  deutlich 
eine  Zerspaltung  in  mehrere,  unter  verschiedenen 
Winkeln  ausströmende  Strahlen.  Barnard  hat  in 
beiden  Nächten  mehrere  .Aufnahmen  gemacht,  und 
wenn  diese  noch  durch  europäische,  in  die 
Zwischenzeit  fallende  Aufnahmen  ergänzt  werden 
könnten,  würde  man  alle  Stadien  der  großen  Ver- 
änderung scharf  verfolgen  können.  Spätere  Auf- 
nahmen desselben  Kometen,  über  die  Barnard  im 
Dezemberheft  des  Astrophys.  Journal  berichtet, 
zeigten  nochmals  am  15.  Oktober  ein  explosions- 
artiges Anschleudern  von  .Schweifmaterie,  die  sich 
bis  zum  16.  mit  der  gleichbleibenden  Geschwin- 
digkeit von  3,3'  pro  Stunde  vom  Kopf  entfernte. 
Im  ganzen  hatten  bei  diesem  Kometen  die  Kräfte, 
welche  die  Bewegung  der  Schweifteilchen  be- 
stimmten, ihren  Sitz  mehr  im  Kometen  selbst  und 
nicht,  wie  es  die  verschiedenen  Theorien  annehmen, 
in  der  Sonne.   Eine  in  kurzen  Zeitintervallen  sich 


wiederholende  Pulsation  der  Helligkeit  des  Kopfes 
glaubt  Barnard  mit  dem  A\ige  übrigens  sowohl 
bei  diesem  wie  bei  dem  Daniel'schen  Kometen 
mit  Sicherheit  beobachtet  zu  haben.  —  Die  photo- 
graphisch besonders  hohe  Wirksamkeit  des  Lichtes 
von  Komet  Morehouse  spricht  sich  auch  darin 
aus,  daß  am  5.  November  der  dem  Auge  infolge 
des  Mondlichts  völlig  unsichtbare  Schweif  gleich- 
wohl in  einer  Ausdehnung  von  8 — 9  Grad  photo- 
graphiert  werden  konnte. 

Eine  umfassende  spektrographische  Durch- 
musterung des  Himmels  in  bezug  auf 
radiale  Geschwindigkeiten  ist  in  den 
Jahren  1903  bis  1907  in  Bonn  durch  F.  Küstner 
und  Zur  hellen  für  die  Sterne  des  zweiten  und 
dritten  Spektraltypus  bis  herab  zur  vierten  Größen- 
klasse ausgeführt  worden.  Die  Geschwindigkeits- 
werte, die  aus  der  Verschiebung  der  Spektrallinien 
im  Vergleich  mit  einem  mitphotographierten 
Eisenspektrum  sich  ergaben,  finden  sich  im  Juni- 
heft des  Astrophysical  Journal  veröffentlicht.  Unter 
den  99  Sternen,  die  in  Bonn  beobachtet  wurden, 
befinden  sich  15,  von  denen  bereits  die  Veränder- 
lichkeit der  Geschwindigkeit  bekannt  war  und 
drei  weitere  (d  Tauri,  i  Bootis  und  ,»  Pegasi),  bei 
denen  eine  solche  Veränderlichkeit  auf  Grund  der 
Bonner  Bestimmungen  vermutet  werden  muß. 
Der  wahrscheinliche  Fehler  des  aus  einer  Platte 
sich  ergebenden  Geschwindigkeitswertes  beträgt 
+  0,64  km ,  die  Messungen  zeichnen  sich  also 
durch  eine  hohe  Genauigkeit  aus. 

Die  Bahnelemente  des  Algol  haben 
durch  Curtiss  auf  Grund  der  bis  jetzt  vorliegen- 
den Messungen  der  radialen  Geschwindigkeit  die- 
ses Sterns  eine  erneute  Behandlung  erfahren,  durch 
welche  festgestellt  wurde,  daß  Algol  samt 
seinem  dunklen  Begleiter  sich  auf  einer  Bahn  von 
nicht  weniger  als  89  Millionen  Kilometer  Radius 
in  1,9  Jahren  um  einen  dritten,  ebenfalls  nicht 
sichtbaren  Stern  bewegt.  Die  radialen  Geschwin- 
digkeiten zeigen  nämlich  eine  entsprechende 
periodische  Schwankung  (Amplitude  9,4  km).  Es 
ist  zu  vermuten,  daß  die  gegenseitigen  Anziehungen 
zwischen  den  drei  das  Algol-System  zusammen- 
setzenden Himmelskörpern  alle  Abweichungen 
erklären ,  welche  die  Beobachtungen  der  Minima 
gegen  die  Vorausberechnung  zeigen,  der  die  An- 
nahme einer  einfachen  Doppelsternbahn  zugrunde 
liegt.     (Astrophys.  Journal,  September   1908.) 

Auf  dem  Gebiete  der  Himmelsphotogra- 
phie  wird  besonders  eifrig  am  Harvard-Obser- 
vatorium unter  Pickering's  Leitung  gearbeitet. 
Man  hat  hier  in  Verbindung  mit  der  peruanischen 
Filiale  zu  Arequipa  kürzlich  eine  Aufnahme  des 
gesamten  Himmels  auf  nur  55  Platten  vollendet, 
die  sich  durch  einen  außerordentlichen  Reichtum 
an  Sternen  (vielfach  bis  herab  zur  12.  Größe)  aus- 
zeichnet und  sich  namentlich  für  das  Studium  der 
veränderlichen  und  neuen  Sterne  sehr  nutzbringend 
erweisen  wird ,  zumal  Glasnegativkopien  käuflich 
abgegeben  werden.  Exakte  Positionsbestimmungen 
lassen  dagegen  diese  Platten  bei  der  Ausdehnung 


1^ 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  5 


des  auf  einer  jeden  abgebildeten  Himmelsgebietes  graphischen  Himmelskarte  (vgl.  Naturw.  Wochen- 
naturgemäß  nicht  zu,  wie  ja  auch  gar  nicht  be-  Schrift  Bd.  5,  S.  753  f-)  irgendwie  Konkurrenz  zu 
absichtigt  war,  der  großen,  internationalen  photo-      machen. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Die    Sinnesempfindungen    des    Amphioxus 

untersucht  G.  H.  Parker  in  einer  ausführlichen 
Arbeit  (Proceedings  of  the  .American  Academy  of 
Arts  and  Sciences,  Vol.  XLIII,  1908).  Das  Material 
bestand  aus  Branchiostoma  caribaeum  Sunde- 
vall,  einer  westindischen  Art,  die  unserem  B. 
lanceolatum  nahe  verwandt  ist.  Die  erwähnte 
Art  kam  in  der  Nähe  der  Bermuda  Biological 
Station  sehr  häufig  vor.  Es  konnten  daher  täg- 
lich frische  Exemplare  beschafft  werden,  die  sich 
mehrere  Tage  im  Aquarium  hielten.  Parker 
untersuchte  die  Wirkungen  von  Licht,  Hitze,  me- 
chanischen und  chemischen  Reizen  auf  die  Tiere. 

Durch  verschiedene  Beobachter  (wie  Willey, 
Nagel  und  Hesse),  war  angegeben  worden,  daß 
Amphioxus  sehr  empfindlich  gegen  Licht  sei. 
Wenn  nämlich  Licht  plötzlich  in  das  Aquarium 
fällt,  so  schwimmen  alle  Exemplare  wild  durch- 
einander. Parker  konnte  durch  sorgfältiges  Ex- 
perimentieren feststellen,  daß  diese  Erscheinung 
nicht  auf  das  Licht  direkt  zurückzuführen  ist. 
Durch  das  Licht  veranlaßt,  schwammen  nur  einige 
Tiere  umher;  durch  Berührung  reizten  sie  ihre 
Nachbarn,  so  daß  auch  diese  unruhig  umher- 
schwammen. Das  erregte  Schwimmen  ist  also 
mehr  durch  den  Reiz  der  Berührung,  als  durch 
den  Einfluß  des  Lichtes  veranlaßt.  Amphioxus 
ist  also  nach  Parker  nur  wenig  gegen  Licht 
empfindlich.  Eine  Veränderung  des  Verhaltens 
der  Tiere  konnte  nie  bei  einer  plötzlichen  Ab- 
nahme des  Lichts  beobachtet  werden,  aber  immer 
bei  einer  schnellen  Steigerung. 

Man  hat  sich  seit  langem  über  die  Organe 
der  Lichtempfindung  bei  Amphioxus  gestritten. 
So  wurde  der  ansehnhche  Pigmentfleck  am  Vorder- 
ende des  Nervenrohrs  von  joh.  Müller,  Retzius 
u.  a.  für  ein  primitives  Auge  gehalten.  Hesse 
glaubte,  daß  das  Licht  durch  zwei  seillich  liegende 
Gruppen  von  Integumentzellen  am  Vorderende 
des  Tieres  aufgenommen  würde.  Nüßlin  war 
der  Meinung,  daß  das  Vorderende  der  Rücken- 
flosse lichtempfindlich  wäre,  während  Nagel  diese 
Eigenschaft  der  gesamten  Haut  zuschrieb.  Hesse 
vertrat  dagegen  die  Ansicht,  daß  die  zahlreichen 
kleinen  Pigmentflecken  des  Rückenmarks  einfache 
Augen  wären,  die  man  mit  denen  der  Planarien 
vergleichen  könne.  Durch  verschiedene  Experi- 
mente, besonders  durch  Exstirpation  des  einen 
oder  anderen  Organs  wurde  Parker  zur  Bestäti- 
gung der  Hesse 'sehen  Theorie  geführt.  Es 
dürften  demnach  wohl  die  „Rückenmarksaugen" 
die  wirklichen  Aufnahmeorgane  des  Lichtes  dar- 
stellen. Der  Teil  des  Körpers  von  Amphioxus, 
der  durch  Licht  gereizt  werden  kann,  breitet  sich 


von  einem  Punkte  etwas  hinter  dem  Vorderende 
bis  zur  Schwanzspitze  aus. 

Wie  W.  Müller  schon  1874  gezeigt  hat,  ist 
Branchiostoma  lanceolatum  negativ  phototropisch; 
die  gleiche  Eigenschaft  zeigt  auch  B.  caribaeum. 
Amphio-xus  schwimmt  also  von  einer  Lichtquelle 
weg.  Da  er  sich  bei  Belichtung  bewegt  und  erst 
in  dunklen  Gebieten  ruht,  bezeichnet  man  ihn  als 
photokinetisch  (photodynamisch). 

Einige  Beobachter  haben  gemeint,  der  Amphi- 
oxus grabe  sich  so  in  den  Sand  ein ,  daß  das 
Hinterende  hervorrage.  Man  hat  aber  gefunden, 
daß  dies  nicht  der  Fall  ist,  sondern  daß  das  Vorder- 
ende frei  hervorsteht.  Auch  dieses  wird  bei  Be- 
lichtung noch  eingezogen,  eine  Wirkung,  die  wahr- 
scheinlich auf  die  vordersten  Rückenmarksaugen 
zurückzuführen  ist.  Es  ist  aber  eine  irrtümliche 
Meinung,  daß  der  Amphioxus  nur  am  Tage  in 
den  Sand  eingegraben  sei  und  eine  näclnliche 
Lebensweise  führe.  Parker  konnte  beobachten, 
daß  die  Tiere  auch  während  der  Dunkelheit  in 
ihrer  Lage  im  Sande  verharren.  Wahrscheinlich 
verändert  Branchiostoma  caribaeum  seinen  Wohn- 
platz nur,  wenn  es  dazu  gezwungen  wird. 

Parker  untersuchte  ferner  den  Einfluß  der 
Hitze  auf  Amphioxus.  Das  Seewasser,  in  wel- 
chem die  Tiere  lebten,  hatte  eine  Temperatur 
von  31"  C.  Dieser  Wärmegrad  wurde  als  der 
normale  angenommen.  Schon  bei  40"  C  starben 
die  Tiere.  Durch  längeren  Aufenthalt  in  Wasser 
von  4"  C  werden  die  Tiere  ebenfalls  getötet.  Von 
Gebieten  warmen  Wassers  schwimmt  Amphioxus 
hinweg;  er  gehört  also  zu  den  negativ  thermo- 
tropischen  Tieren. 

Wie  schon  oben  dargelegt  ist ,  beruht  die 
augenblickliche  große  Empfindlichkeit  des  Amphi- 
oxus gegen  Licht  hauptsächlich  auf  der  leichten 
Reaktion  mechanischen  Reizen  gegen- 
über. Die  empfindlichsten  Teile  sind  die  Mund- 
kapsel und  die  Mundeirren.  Auf  eine  Berührung 
derselben  reagiert  das  Tier  stets  durch  eine  Rück- 
wärtsbewegung. 

Der  „c  he  m  ische  Sin  n"  des  Amphioxus  hat 
seinen  Sitz  in  der  ganzen  Körperoberfläche  und 
besonders  in  der  Mundregion.  Jedenfalls  dient 
dieser  Sinn  dazu,  den  Amphioxus  vor  ungünstigen 
chemischen  Umgebungen  zu  schützen.  Nagel 
hat  bereits  gezeigt,  daß  die  Tiere  gegen  Chloro- 
form usw.  empfindlich  sind;  er  sagt,  daß  jeder 
Teil  des  Körpers  ungefähr  gleich  empfindlich  gegen 
chemische  Reize  ist,  ja,  daß  das  Hinterende  emp- 
findlicher als  irgendein  anderer  Körperteil  sei. 
Parker  verwandte  zu  seinen  Experimenten  Säuren, 
süße,  bittere  und  alkalische  Substanzen,  sowie 
Mischungen  von  Öl  und  anderen  Stoßen.  Er 
konnte  feststellen,    daß    die  Körperoberfläche  des 


N.  F.  Vm    Nr.  5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


n 


Amphioxus  empfindlich  ist  gegen  Lösungen  von 
Salpetersäure,  Pottasche,  Pikrinsäure,  Alkohol, 
gegen  starken  Äther,  Chloroform,  Terpentin,  Ber- 
gamotöl,  Rosmarinöl,  aber  nicht  gegen  Zucker- 
lösungen. Ebenfalls  reagiert  er  auf  verdünntes 
Seevvasser  und  auf  Süßwasser.  Da  Amphiojtus 
die  oben  genannten  chemischen  Substanzen  flieht, 
kann  man  ihn  als  negetativ  chemotropisch  be- 
zeichnen. 

Den  Experimenten ,  die  wohl  als  einwandfrei 
bezeichnet  werden  können,  schließt  der  Verfasser 
noch  einige  Betrachtungen  über  das  Nervensystem 
und  die  Sinnesorgane  des  Amphioxus  an.  Wir 
wollen  auf  diesen  Teil  der  Arbeit  nicht  näher 
eingehen,  da  es  noch  eingehender  Untersuchungen 
bedarf,  ehe  alle  diese  Probleme  geklärt  sind.  Man 
erkennt  aber  aus  Park  er 's  Beobachtungen,  daß 
es  von  großem  Wert  ist,  immer  wieder  die  Le- 
bensweise auch  häufig  vorkommender  Tiere  zu 
studieren.  Erst  eine  vergleichende  Zusammen- 
stellung aller  Lebenserscheinungen  kann  uns  ein 
völliges  Verständnis    des   Tierlebens   ermöglichen. 

Dr.  Brohmer,  Jena. 


Ein  Meteorkrater.  —  Immer  wieder  lenkt 
das  Colorado  Plateau  im  südwestlichen  Anteil  der 
Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  die  Augen 
der  Geologen  und  Geographen  auf  sich :  die  sehr 
eigenartigen  Beziehungen  zu  den  jungen  tektoni- 
schen  Störungen,  die  diesem  intramontanen  Ge- 
biet in  weitem  Bogen  ausweichen,  die  Entwicklung 
der  paläozoischen  Schichten,  die  ungeheuer  groß- 
artigen Erosionsformen  der  sog.  Caiion's,  schließ- 
lich auch  die  vielgerühmte  Farbenpracht  haben 
von  jeher  die  .'\ufmerksamkeit  des  Gelehrten  und 
des  Reisenden  gefesselt.  Es  kommt  nunmehr 
eine  neue,  ganz  einzigartige  Erscheinung  hinzu, 
über  die  uns  eine  interessante  kleine  Abhandlung 
von  Merrill  ■)  belehrt. 

Etwa  2  Meilen  vom  Canon  Diablo  im  Staate 
Arizona,  südlich  der  St»  Fe- Bahn  befindet  sich  in 
das  Plateau  eingesenkt  eine  krater förmige 
Vertiefung  von  etwa  kreisrunden  Umrissen 
(Durchmesser  II 70 — 1200  m).  Ihr  Boden  liegt 
134  m  unter  der  Hochfläche  und  rings  um  sie 
läuft  ein  Wall  von  etwa  48  m  Höhe.  Der  Wall 
besteht  aus  groben  Gesteinsblöcken  und  kleinerem 
Material  bis  zu  ganz  mürbem  Gesteinsmehl  und 
ist  offenbar  aus  der  Masse  erbaut,  die  einst  im 
Schichtenzusammenhang  jene  Vertiefung  ausgefüllt 
hat,  d.  h.  aus  Sandsteinen  und  Kalken  der  zu 
oberst  gelegenen  karbonischen,  zum  geringen  Teil 
auch  permischen  Schichten.  In  weitem  Umkreise 
um  den  „Krater"  aber  finden  sich  zahlreiche 
Meteorsteine  und  zwar  der  Zusammensetzung 
nach  Mesosiderite.  Da  diese  Diamanten  führen, 
wurden  sie  sehr  schnell  ausgebeutet  und  so  konnte 
leider  nicht  der  ganze  Fund  der  Wissenschaft 
dienstbar    gemacht    werden.      Immerhin  ließ   sich 


Smithsonian  miscellaneous  colleclions,  Vol.  50. 


erweisen,  daß  es  sich  hier  um  den  größten 
bisher  bekannten  Meteorfall  handelt.  Was 
nämlich  die  Zahl  der  gefundenen  Einzelstücke  an- 
betrifft, so  kann  sich  nur  der  berühmte  Steinfall 
von  L'Aigle  im  Jahre  1S03  mit  seinen  2000  —  3000 
Exemplaren  dem  hiesigen  an  die  Seite  stellen, 
dagegen  ist  das  Gesamtgewicht  größer  als  je  zu- 
vor: der  in  Ensisheim  am  7.  November  1492  ge- 
fallene Stein  wog  150  kg,  derartige  Stücke  sind 
auch  an  unserem  Krater  sogar  mehrfach  vorhan- 
den; in  Tucuman,  Argentinien,  fielen  17S3  über 
1500  kg,  in  Bemdego,  Brasilien,  1784  ca.  8700. 
Hier  aber  wird  die  Gesamtschwere  auf  20  tons, 
also  das  2 — 3  fache,  geschätzt. 

Bei  so  außerordentlichen  Mengen  wird  man 
auch  ungewöhnliche  Wirkungen  vorauszusetzen 
berechtigt  sein  und  die  Frage  drängt  sich  unwill- 
kürlich auf,  ob  der  Krater  das  Werk  des 
Meteor  falls  sei.  Vulkanische  Kräfte  und  heiße 
Quellen  sind  nicht  in  der  Nähe  und  nichts  deutet 
auf  ihre  Anwesenheit  an  der  fraglichen  Stelle  hin. 
Wohl  sind  große  Mengen  des  lockeren  Sandes 
eingeschmolzen,  doch  erhält  man  nicht  den  Ein- 
druck eines  vulkanischen  Glases  oder  eines  zu 
Vergleichszwecken  im  Carnegie  -  Institut  herge- 
stellten künstlichen  Quarzflusses,  vielmehr  wird 
man  an  die  Erscheinungen  bei  Blitzröhren  erinnert. 
Auch  hört  diese  Metamorphose  der  sandi- 
gen Lagen  nach  der  Tiefe  hin  auf,  die  Ursache 
muß  also  von  oben,  d.  h.  von  außen  herange- 
treten sein.  Neben  hohen  Hitzegraden 
müssen  aber  ferner  gewaltige  mechanische 
Kräfte  wirksam  gewesen  sein.  Nicht  nur  zeigen 
die  Sandkörnchen  unter  dem  Mikroskop  starke 
Zertrümmerungsspuren,  sondern  auch  große  Fels- 
blöcke sind  7-2  "i'lc  weit,  feineres  Material  bis 
auf  30  km  im  Umkreis  geschleudert  worden  und 
auch  in  senkrechter  Richtung  haben  Verlagerungen 
um  90  m  aufwärts  stattgefunden. 

Andererseits  fehlt  es  nicht  an  Einwendungs- 
möglichkeiten :  Im  Krater  selbst  hat  man  nur  3 
oder  4  Meteorsteine  auflesen  können,  dafür  zeigten 
aber  die  lockeren  sandigen  Lagen  bis  zu  200  m 
Tiefe  chemisch  nachweisbare  Spuren  von  Eisen 
und  Nickel,  den  Hauptbestandteilen  der  Meteorite. 
Nach  Analogie  der  Wirkungen,  die  in  dem  Boden 
einschlagende  Geschosse  hervorbringen,  sollte  man 
ferner  dem  Durchmesser  von  1200  m  entsprechend 
einen  Einschlagskörper  von  ca.  150  m  Durchmesser 
vermuten,dann  wäre  aber  eine  Gesamtmasse  zu  erwar- 
ten, von  der  die  gefundene  kaum  ein  Tausendstel 
darstellt.  Es  könnte  freilich  noch  in  der  Tiefe  ver- 
borgenes Material  den  Nachforschungen  entgangen 
sein,  doch  besteht  gerade  auch  in  dieser  Hinsicht 
ohnehin  eine  beträchtliche  Abweichung  von  allem, 
was  wir  bisher  bei  Meteorfällen  zu  finden  gewohnt 
sind.  Das  tiefste  Eindringen  in  den  Erdboden 
wurde  bei  dem  Meteor  von  Knyahinya  in  Ungarn 
durch  Haidinger  beobachtet  und  betrug  nur  — 
3  "3  m.  Selbst  der  150  kg  schwere  Ensisheimer 
Stein  bohrte  sich  nur  i  '/.j  m  tief  ein,  die  meisten 
bleiben  oberflächlich  liegen  oder  versinken  nur  gerade 


78 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  5 


um  ihren  eigenen  Durchmesser  in  die  Erde.  Und 
hier  besteht  ein  weites  und  durch  Bohrungen  als 
etwa  330  m  tief  ermitteltes  Kraterloch!  Machen 
wir  uns  klar,  wovon  das  Eindringen  abhängt:  Es 
wird  im  allgemeinen  angenommen,  daß  die  Me- 
teore durch  den  Widerstand  der  Luft  ihre  ganze 
Eigengeschwindigkeit  einbüßen  und  mit  der  Ge- 
schwindigkeit eines  einfach  fallenden  Körpers  die 
feste  Erdrinde  erreichen.  Der  Eintritt  in  die  At- 
mosphäre erfolgt  dagegen  nach  zahlreichen  Be- 
obachtungen mit  ungemein  wechselnder  Geschwin- 
digkeit und  das  ist  sehr  erklärlich;  überholt  nämlich 
ein  Meteor  die  Erde  bei  ihrer  Bewegung  um  die  Sonne 
von  hinten  her,  so  ist  seine  scheinbare  Geschwin- 
digkeit gleich  der  Dift'erenz,  trifft  er  sie  von  vorn, 
gleich  der  Summe  der  Eigengeschwindigkeiten 
beider  Himmelskörper.  Trifft  nun  eine  hohe  Ge- 
schwindigkeit zusammen  mit  so  großer  Menge, 
wie  sie  in  unserem  Falle  zweifellos  vorliegt,  so 
ist  es  wohl  denkbar,  daß  die  Wirkung  des  Auf- 
pralls ungewöhnliche  Dimensionen  annimmt.  Man 
kann  daher  Merrill's  Annahme  zustimmen,  es  sei 
die  Masse  des  Meteors  sowie  ein  großer  Teil  der 
betroffenen  Sandsteine  und  Kalke  im  Augenblick 
des  Aufpralls  durch  die  dabei  entwickelte  Hitze 
eingeschmolzen  und  sofort  vergast  worden  und 
die  Expansionskraft  der  Gase  habe  zu  einer  ge- 
waltigen Explosion  geführt,  bei  der  nun  das 
ganze  Material  in  weitem  Umkreise  verspratzt 
worden  sei.  Damit  ist  zugleich  auch  eine  weitere 
auffällige  Erscheinung  erklärt,  daß  nämlich  die 
Oberfläche  der  einzelnen  Stücke  nicht  die  üblichen 
vom  Luftdruck  hervorgerufenen  Eindrücke  auf- 
weist, es  sind  eben  Bruchstücke.  Daß  der  Fall 
nicht  ganz  jugendlichen  .alters  sein  kann,  beweisen 
die  bei  den  Bohrungen  angetroffenen,  Mollusken- 
schalen und  Gips  enthaltenden  Ablagerungen 
eines  Sees,  der  einst  den  Krater  erfüllt  hat. 
Ihre  Mächtigkeit  beträgt  20  m  und  überlagert 
werden  sie  von   7  m   Aufschüttungsmaterial. 

Wenn  Merrill  den  Fallwinkel  des  Meteors  zu 
etwa  70"  aus  NW  angibt,  so  hat  diese  Berechnung 
keineGrundlage.fallsseine  Annahme  einer  Explosion 
richtig  ist,  die  einzelnen  Meteorite  also  nicht  ur- 
sprüngliche Lagerung  einnehmen.  Doch 
diese  Frage  ist  für  das  eigentliche  Problem  ohne 
Bedeutung.  Man  wird  —  unbeschadet  einiger  noch 
offenbleibender  Fragen  —  einstweilen  daran  fest- 
halten dürfen,  daß  ein  gewaltiger  Meteor- 
fall hier  eine  kraterähnliche  Öffnung 
in  ein  altes  Plateau  der  Erdoberfläche 
geschlagen  hat.  Damit  wird  die  alte  Frage 
wieder  aufgerollt,  ob  viele  ähnliche  Erscheinungen 
der  Mondoberfläche  (wo  die  physikalischen  Ver- 
hältnisse dafür  etwas  günstiger  liegen  würden)  in 
gleicher  Weise  zu  erklären  sind.  Gewiß  werden 
auch  die  Anhänger  der  noch  reichlich  phantasti- 
schen „Aufsturztheorie",')  nach  welcher  die  Wclt- 
körper    sich  überhaupt  aus  kleineren  aufeinander- 


stürzenden  Meteormassen  im  Laufe  langer  Zeiten 
aufgebaut  hätten,  dieses  Vorkommen  als  willkom- 
menen Beweis  für  die  Richtigkeit  ihrer  Anschau- 
ungen ergreifen.  Man  kann  aber  ebensowohl  das 
Gegenteil  daraus  herleiten,  denn  nach  allem,  was 
wir  bisher  auf  der  Erde  kennen,  handelt  es 
sich  hier  um  eine  ganz  einzig  dastehende  Aus- 
nahmeerscheinung. Dr.  Edw.  Hennig. 


Himmelserscheinungen  im  Februar  1909. 

Stellung  der  Planeten:  Merkur  und  Venus  sind  un- 
sichtbar, Mars  ist  morgens  in  der  Schlange,  Saturn  abends 
in  den  Fischen  etwa  I ','2  Stunden  lang  sichtbar.  Nur  Jupiter, 
der  am  28.  in  Opposition  kommt,  kann  die  ganze  Nacht  hin- 
durch  gesehen   werden. 

Verfinsterungen   der  Jupitertrabanten: 
Am      I.   um    n    Uhr  55,7   Min.   ab.   M.E.Z.  Eintr.   d.     111.  Trab. 
>.       6.     „     II      „      53,9      „      „         „  „        „      11.      „ 

.,      13-    ,.       9     „      10,7      „      „         „  „         „       I.       „ 

..     20.    ,,     1 1      ,,        4,3      „      „         ,,  ,,         „       I.       ,, 

Algol  -  Mininna  können  beobachtet  werden  am  I  ^.  um 
8  Uhr  45   Min.  und  am   iS.  um  5   Uhr  34  Min.  abends. 


')  Es   wurde  darüber  in  Nr.  45  des  V.  Bandes   der  ,, Natur 
wissensch.   Wochenschrift"   (4.   November    1906)   berichtet. 


Bücherbesprechungen. 

K.  Brunner  v.  Wattenwyl,  k.  k.  Hofrat  und  Jos. 
Redtenbacher,  Prof.  am  k.  k.  Elisabeth-Gymnasium 
in  Wien,    Die    Insekten  familie    der  Phas- 
miden,  mit  Unterstützung    der   hohen  k.  k.  Aka- 
demie der  Wissenschaften  in  Wien  aus  der  Treitl- 
Stiftung.    Leipzig,  Verlag  von  Wilhelm   Engelniann, 
1906 — 1908,  589  S.  gr.  4"  mit   27   Taf.   —  Preis 
65   Mk.,  geb.   70  Mk. 
Die    Stab-     und    Blattheuschrecken    sind, 
obgleich    sie    fast    ausschließlich    in  den  Tropen  vor- 
kommen ,    jedem  Lehrer ,    ja ,    man    darf  wohl   sagen, 
jedem  Gebildeten  in  einzelnen  ihrer  Vertreter  bekannt. 
Wohl  keine  Schulsammlung  ist  so  klein,  daß  sie  nicht 
einzelne    Stücke    dieser    äußerst    interessanten    Tiere 
enthielte.  —  Die  Artnamen  derartiger  Vertreter  fest- 
zustellen, war  bisher  keine  leichte  Aufgabe,  und  des- 
halb   können    wir    den   Verfassern    des    vorliegenden 
Werkes  nicht  dankbar  genug  sein ,    daß    sie  uns  von 
den   sämtlichen    bisher  bekannten    (etwa   2000)  Arten 
nicht    nur    gute    Beschreibungen,    sondern    auch    zur 
leichten    Orientierung    Bestimmungsschlüssel   und  von 
den    wichtigsten    Gattungsvertretern    vorzügliche    Ab- 
bildungen geliefert  haben.    Es  bedarf  keiner  weiteren 
Worte    auf    die  Wichtigkeit    des  Werkes  hinzuweisen. 
Jeder,  der  eine  Schulsammlung  oder  Privatsammlung 
zu   verwalten   hat,   wird  aus    eigener  Erfahrung  wissen, 
wie  notwendig  ein  solches  Buch  war.  —    Es  sei  mir 
gestattet,    von    den    einleitenden  Worten  des  Werkes 
einiges    in    gekürzter    Form    hier  wiederzugeben    und 
dann  einige  Ergänzungen    bzw.  Berichtigungen   folgen 
zu    lassen.    —    Die    Familie    der    Phasmiden    enthält 
die    größten    Formen    unter    den    lebenden  Insekten ; 
einige  Arten  erreichen  im  weiblichen  Geschlechte  die 
Länge  von    '  ,,  — '/.,  m.    —   Die  ziemlich  gleichförmige 
Lebensweise    der   Phasmiden    läßt   eine    gewisse  Ein- 
förmigkeit im  Körperbau  derselben  erwarten,  die  je- 
doch  in  Wirklichkeit  keineswegs  vorhanden   ist.    Zwar 


N.  F.  VIII.  Nr.   5 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


79 


kommt    allen    Phasmiden    die     Eigentümlichkeit    zu, 
verscniedene  Ptlanzenteile,    insbesondere  Stengel  und 
Blätter  nachzuahmen,  worauf  schon  die  Bezeichnungen 
Stabheuschrecke,   wandelnde  Blätter  usw.    hindeuten; 
im  einzelnen  aber  herrscht  eine  erstaunliche  .Mannig- 
faltigkeit.     Zwischen    dem    spindeldürren ,    schlanken 
Leib,    durch    den    die  -Männchen    von    Bacillus  usw. 
an  Gras-  oder  Binsenhalme    erinnern    und  dem  kräf- 
tigen,  dicken   walzenförmigen  Körper  von  EuryciDitlia 
usw.  finden    sich    alle    möglichen    Übergänge;    dabei 
ist    der  Körper    glatt    oder    rauh ,    mit  Dornen    und 
Stacheln    bekleidet    {Ohrimus  etc.)    oder    mit    flachen 
zackigen    Fortsätzen ,    Schuppen  u.  dgl.    besetzt ,    wo- 
durch   derselbe    an    die    mit    Moosen    und    Flechten 
bewachsene   Borke  von    Baumzweigen  erinnert  [Lam- 
poiiius    etc.).       Seltener    als    die    Nachahmung    von 
Stengeln    und    Zweigen    ist   jene    von    frischen     oder 
abgestorbenen    Bläitt-rn,    wie    man    sie    in    der    voll- 
kommensten F'orm  bei    PhylUum  und  Chitoniscus  fin- 
det; liat  ja  doch  diese  vollendete  Nachäfifung  bei  den 
Eingeborenen  Ostindiens  den  Glauben  hervorgerufen, 
daß    diese  Tiere    ursprünglich    Blätter    waren.   —    Es 
ist  festgestellt,  daß  der  grüne  Farbstoff  von  Phylliiim 
spektroskopisch     große    Ähnlichkeit    mit    Chlorophyll 
besitzt,    wodurch    allerdings    die  Identität  der  beiden 
Stoffe    nicht    erwiesen    ist.     Unhaltbar    ist    auch    die 
Annahme ,    daß    die    grüne  Farbe    von    dem  Genüsse 
grüner    Pflanzenteile    herrühre     oder    daß    mit    dem 
Welken    der    Blätter    die    grüne    Farbe    durch    Braun 
ersetzt  würde.  —  Am  Seitenrand  des  Metathorax  von 
Leosthenes,  JVisyrus  und  Prisopus  treten  zarte,  beweg- 
liche   am  Rande    bewimperte    Blättchen    auf,    welche 
wegen  ihrer  Ähnlichkeit  mit  den  bekannten  Organen 
der  Ephemeridi-nlarven    für  Tracheenkiemen  gehalten 
wurden.    Neuere  Autoren  bezweifeln  mit  Recht  diese 
Deutung,  da  z.  B.   Nisyrus  gar  nicht  im  Wasser  lebt. 
Die  Arten  der  Gattung  Prisopus  leben    freilich  nach 
Murray  mit  dem  Kopfe  gegen  den  Strom  gerichtet, 
die    ausgehöhlte,    am    Rande    bewimperte    Unterseite 
des  Körpers  an  Steinen  förmlich  festgeklebt ,    in  den 
Bergwässern  Brasiliens.    Selbst  bei  diesen  ist  übrigens 
die    Kiemennatur   jener  Blättchen    keineswegs    festge- 
stellt und  die  hornige  Beschaffenheit  derselben  macht 
dies    wenig    wahrscheinlich.    —    Eine    weitere  Eigen- 
tümlichkeit   sind    die   bei   vielen  Phasmiden  vorkom- 
menden   Stinkdrüsen ,    lange  schlauchförmige  Organe, 
die  vor    den   Voiderhüften    mit    einer    stigmenartigen 
Öffnung    münden.    —    Wie    die  Imagines    an    Zweige 
und  Blätter  erinnern,  so  gleichen    die  Eier  derselben 
auf  das  Täuschendste  verschiedenen  Samen ,    so    daß 
sie  wiederholt    als    solche    angesehen    und   sogar  ver- 
sendet wurden.    —    Merkwürdig   ist ,    daß  die  äußere 
derbe    Eischale    nicht    bloß    das    Aussehen ,    sondern 
mitunter    auch    die    Struktur    eines    Pflanzengewebes 
zeigt.      Ein    dünner    Schnitt    durch    die   Eischale   von 
PhylUum  bietet  ein  ähnliches  Bild ,    wie  das  Rinden- 
gewebe mancher  Pflanzen  und  diese  Ähnlichkeit  wird 
noch  dadurch  erhöht,    daß   jenes  Gewebe    zahlreiche 
grüne  Körner    enthält ,    welche    an    Chlorophyllkörner 
erinnern.    —    Die  Zahl    der    Eier    scheint    bevrächt- 
lichen  Schwankungen  zu  unterliegen;    20  —  50    dürfte 
als  die  häufigste  Durchschnittszahl  gelten,  doch  sollen 


manche  Arten  mehr  als  100  Eier  ablegen.  —  Die 
Zahl  der  Häutungen  ist  nur  bei  wenigen  Arten  be- 
kannt ,  dürfte  aber  durchweg  gegen  vier  oder  fünf 
betragen.  —  Als  eine  Eigentümlichkeit  der  Larven 
wird  angegeben,  daß  Stachel-  und  lappenförmige 
F"ortsätze  des  Körpers  und  der  Beine  bei  ihnen 
stärker  ausgebildet  seien  als  bei  der  Imago  und  mit- 
unter selbst  bei  solchen  F'ormen  auftreten ,  die  im 
vollkommenen  Zustande  derlei  Auszeichnungen  gar 
nicht  besitzen.  —  Dagegen  kann  man  bei  verschie- 
denen Arten  auch  den  entgegengesetzten  Fall  be- 
obachten, daß  derlei  Lappen  an  den  Beinen  der 
Larven  schwächer  ausgebildet  sind  als  beim  voll- 
kommenen Insekt  oder  ganz  fehlen.  —  Sehr  bekannt 
ist  die  Reproduktionsfähigkeit  der  Phasmiden. 
Schneidet  man  ein  Bein  unterhalb  des  Schenkelgelenkes 
ab,  so  fällt  der  Rest  noch  vor  der  nächsten  Häutung 
ab,  wird  aber  bei  der  Häutung  selbst  als  ein  kurzer 
gerader  Stumpf  mit  bereits  erkennbarer  Gliederung 
oder  als  verkümmertes  Bein  (mit  geradem  Schenkel, 
aber  fast  kreisförmig  gekrümmten  Schienen  und 
Tarsen)  erneuert.  Im  ersteren  Falle  nimmt  das  Bein 
erst  bei  der  nächsten  Häutung  das  Aussehen  an,  das 
es  im  zweiten  Falle  hat.  In  beiden  Fällen  aber  geht 
dasselbe  bei  der  nächstfolgenden  Häutung  in  ein 
Bein  von  normaler  Bildung  über,  welches  nur  durch 
geringere  Größe  und  viergliedrige  Tarsen  ausgezeich- 
net ist.  —  Die  Phasmiden  sind  durchwegs  Pflanzen- 
fresser von  trägem,  stumpfsinnigem  Charakter ;  gleich 
den  Faultieren  Südamerikas  klettern  sie  langsam  und 
schwerfällig  von  Zweig  zu  Zweig,  aber  nur,  wenn  das 
Bedürfnis  nach  Nahrung  sie  hierzu  antreibt.  —  Ihr 
Flug  wird  al'gemein  als  ein  schwerfälliger  bezeichnet, 
da  die  Hinteiflügel  mehr  als  Fallschirm  verwendet 
werden.  —  Das  F"utter  nehmen  sie  hauptsächlich  in 
der  Nachtzeit  zu  sich  und  sind  dabei  sehr  gefräßig. 
—  Das  wichtigste  natürliche  Schutzmittel  der  Phas- 
miden gegenüber  den  Feinden  besteht  vor  allem  in 
ihrer  frappanten  Ähnlichkeit  mit  Pflanzengebilden 
der  verschiedensten  Art.  Bei  vielen  Arten  wurde 
ferner  beobachtet,  daß  sie  sich  bei  Gefahr  totstellen, 
indem  sie  den  Körper  vollkommen  unbeweglich  halten, 
die  Vorderbeine  dicht  neben  dem  Kopfe  gerade  nach 
vorn  ,  das  eine  oder  andere  der  vier  hinteren  Beine 
aber  starr  nach  der  Seite  strecken,  wodurch  die  Ähn- 
lichkeit mit  Zweigen  noch  erhöht  wird.  Eine  weitere 
sehr  verbreitete  und  ausgiebige  Schutzwafife  besteht 
in  den  schon  erwähnten  Stinkdrüsen.  —  Während 
bei  der  großen  Mehrzahl  der  Phasmiden  Männchen 
und  Weibchen  nahezu  in  gleicher  Menge  auftreten, 
besteht  bei  einigen  Gattungen  {Bacillus  etc.)  ein  ab- 
normes Verhältnis,  indem  die  Männchen  außerordent- 
lich selten  sind.  Diese  Erscheinung  hat  die  Ver- 
mutung angeregt ,  daß  bei  diesen  Tieren  wenigstens 
gelegentlich  parthenogenetische  Fortpflanzung  statt- 
finden dürfte  und  tatsächlich  gelang  es  im  Laufe  der 
letzten  Jahre ,  bei  verschiedenen  Spezies  dies  festzu- 
stellen. —  In  den  neueren  Lehrbüchern  der  Zoologie 
werden  die  Phasmiden  wegen  der  fünfgliedrigen 
Tarsen  noch  immer  mit  den  Mantiden  und  Blattiden 
vereinigt.  —  Tatsächlich  haben  sie  mit  den  beiden 
genannten  Gruppen  außer  den    fünfgliedrigen  Tarsen 


80 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


N.  F.  VIII.  Nr.  5 


noch  den  Mangel  der  Sprungbeine  und  Zirporgane, 
sowie  die  normale  Lage  der  Flügelscheiden  bei  den 
Larven,  sonst  aber  auch  nichts  gemeinsam.  —  Von 
Handlirsch  ist  ein  für  allemal  festgestellt,  daß  die 
Phasmiden  eine  relativ  junge  Insektengruppe  sind 
und  vermutlich  zusammen  mit  den  heutigen  Saltatorien 
von  den  paläozoischen  Protolocustiden  abstammen. 
—  —  Damit  hätte  ich  einige  der  vielen  Punkte, 
welche  die  Einleitung  des  Werkes  behandelt,  in  Form 
eines  kurzen  A-uszuges  berührt.  —  Was  die  Feinde 
der  Phasmiden  anbetrifft ,  so  habe  ich  im  Bismarck- 
Archipel  durch  eine  umfangreiche  Untersuchung  der 
Mageninhalte  aller  dort  vorkommenden  Vögel  fest- 
stellen können ,  daß  Teile  von  Phasmiden  sich  nur 
bei  einer  einzigen  Vogelart  fanden.  Der  Spornkuckuck 
(Centropus  ateralhus)  ist  es,  der  die  Phasmiden  trotz 
ihrer  großen  Ähnlichkeit  mit  Zweigen  und  Blättern 
zu  finden  weiß.  Er  sucht  die  Pflanzen  aber  auch, 
wie  ich  mich  überzeugen  konnte ,  mit  einer  außer- 
ordentlichen Gründlichkeit  ab.  Meine  Untersuchung 
der  Vogelmägen  beweist  also ,  daß  die  Phasmiden 
vor  den  übrigen  insektenfressenden  Vögeln  des 
Bismarck-Archipels  einigermaßen  sicher  sind,  daß 
ihnen  also  ihre  oben  genannten  Eigenschaften  einen 
weitgehenden  (wenn  auch  nicht  absoluten)  Schutz  und 
damit  große  Vorteile  im  Kampfe  ums  Dasein  ge- 
währen (vgl.  Mitt.  zool.  Mus.  Berlin,  Bd.  i,  Heft  3, 
S.  171).  —  Wenn  die  Verfasser  des  Werkes,  gestützt 
auf  eine  Mitteilung  M  on  t  ro  uziers,  die  verdickten 
Hinterl)eine  des  Männchens  von  Eurycantha  horrida 
als  Waffe  auffassen,  die  „gewaltig  verwunden"  soll,  so 
entspricht  das  meiner  Erfahrung  nicht.  Ich  habe 
das  Tier  sehr  oft  lebend  in  Händen  gehabt,  ohne 
etwas  von  dieser  geiährlichen  Waffe  zu  verspüren. 
Ich  habe  nur  gefunden,  daß  es  sich  mit  den  Hinter- 
beinen vorzüglich  festhalten  kann  und  da  die  Hinter- 
beine nur  beim  Männchen  stark  verdickt  sind,  glaube 
ich  annehmen  zu  dürfen ,  daß  dieselben  besonders 
zum  Festhalten  des  Weibchens  dienen,  obgleich  ich 
die  Paarung  nicht  beobachtete.  Dahl. 


Heinrich    Kirchmayr,     Die     analytische    Be- 
rechnung   regulärer    Kristalle,    für    Stu- 
dierende der  Kristallographie.     47  Seiten 
mit    31    Figuren    im    Text.     Verlag   von   W.    Junk 
in  Berlin.      1908.  —  Preis   1,50  Mk. 
Eine    sehr    sachliche    .'\bwä.;ung    des   Wertes    des 
vorliegenden  kurzen  Werkes  gibt  der  Verfasser  selbst, 
indem  er  sagt,    daß  sich  die  angewendete  analytische 
Methode  nur  für  gewisse  Fälle  des  regulären  Systems 
gut  eignet,  namentlich,  um  aus  den  Indices  die  Flächen- 
und    Kantenwinkel    sowie    die    Kantenlängen    zu    be- 
rechnen.    Für  den  Studierenden,  wenigstens  den  An- 
fänger, dürfte  daher  das  im  übrigen  einfach  und  klar 


gefaßte  Buch  weniger  in  Frage  kommen,  da  dieser 
sich  zunächst  in  einen  einzigen,  bestimmten,  allge- 
mein gültigen  Weg  der  Kristallberechnung,  der  ihm 
doch  nicht  erspart  bleibt,  wird  einarbeiten  müssen. 
In  der  Hand  des  fertigen  Kristallographen  und  nament- 
lich bei  der  Anfertigung  von  Kristallmodellen  wird 
es  aber  vielfach  gute  Dienste  leisten. 

O.  Schneider. 


Anregungen  und  Antworten. 

Herrn  P.  J.  Bg.  in  Ka.  —  LUe  Reste  von  Pithecan- 
thropus  sind  von  Dubois  nicht  so  gefunden  worden,  daß 
man  von  vornhereia  ohne  Zweifel  anzunehmen  hätte,  sie 
stammten  auch  von  einem  und  demselben  Tiere.  Sie  lagen 
in  einer  knochenreichen  Flußablagerung  unter  zahlrciclien 
Resten  von  Stegodon,  Axis ,  Bubalus,  Bibns,  Sus  usw.  Im 
September  1891  wurde  der  rechte  dritte  obere  Molar  gefun- 
den, in  etwa  I  m  Entfernung  dann  das  Schädeldach.  Im 
Jahre  darauf  wurde  ganz  nahe  dem  Fundplal^e  des  ersten 
Jahres  der  linke  zweite  obere  Molar  und  in  15  m  Entfernung 
das  linke  Femur  entdeckt.  Trotz  dieser  so  weit  auseinander- 
liegenden Fundstätten  der  einzelnen  Teile  ist  dennoch  Duhois 
davon  überzeugt,  daß  sie  nicht  nur  zu  derselben  Tierart,  sondern 
sogar  zu  einem  und  demselben  Skelette  gehören ;  einerseits 
weil  die  anatomischen  Merkmaie  der  KopUeile  mindestens 
für  den  menschenähnlichsten  der  menschenähnlichen  Affen 
sprechen,  diejenigen  des  Femur  vielleicht  sogar  für  einen  Men- 
schen ;  andererseits  aber  trotz  des  fünfjährigen  Grabens  nicht  ein 
einziger  Skelettrest  der  gleichen  Tierart,  auch  nicht  einer 
ähnlichen,  zu  der  die  Knochen  z.  T.  gerechnet  werden  könn- 
ten, gefunden  wurde,  obwohl  die  R'-ste  der  genannten  ande- 
ren Tiere  so  massenhaft  vorhanden  waren,  daß  sie  in  etwa 
115  zentnerschweren  Kisten  nach  Leyden  transportiert  wurden 
und  dort,  obwohl  nur  z.  T.  ausgepackt,  ein  ganzes  Haus  an- 
füllen. —  Inzwischen  hat  nun  1907  eine  neue  Ausgrabung 
in  denselben  .Schichten  stattgefunden ,  die  von  Frau  Selenka 
mit  Unterstützung  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften 
unternommen  worden  ist.  Aber  auch  diese  Ausgrabung  hat 
kein  neues  Material  von  Pithecanthropus  zutage  gefördert. 
Dennoch  sind  hierbei  Beobachtungen  gemacht  worden,  die 
geeignet  sind,  Dubois'  -Ansicht  zu  stützen.  Die  Ausgrabungen 
wurden  mit  der  größten  Sorgfalt  überwacht  und  jedes  Stück 
sogleich  mit  Nummer  und  Etilcett  versehen,  die  Nummer  gleich 
mit  genauester  .i^ngabe  des  Fundortes  sowohl  bezüglich  der 
Tiefe  wie  der  seitlichen  Entfernung  von  bestimmten  Stellen 
in  ein  Fundbuch  eingetragen.  Da  hat  sich  nun  gezeigt,  daß 
Reste  eines  und  desselben  Tieres  in  der  Tat  meterweit  sowohl 
in  horizontaler  wie  vertikaler  Erstreckung  gefunden  sind.  So 
tragen  z,  B.  die  z.  T.  in  den  Nähten,  z.  T.  durch  Bruch  ge- 
trennten Stirnbeine  eines  jungen  männlichen  Hirsches,  die  un- 
zweifelhaft aneinanderpassen ,  andere  Bezeichnung  des  Fund- 
ortes wie  sogar  der  Schicht.  Der  B'uch  ist  mit  Sicherheit  alt 
und  vor  der  Ablagerung  beider  Knochen  erfolgt.  —  Der 
Verfasser  dieser  Notiz,  der  die  Bearbeitung  der  Säugetiere 
übernommen  hat,  ist  nach  solchen  Feststellungen  von  der  Zu- 
sammengehörigkeit der  Skeletteile  des  Pithecanthropus  über- 
zeugt. Str. 

Das  Oxyburserazin  (vgl.  Naturw.  Wochenschr.  N.  F. 
Bd.  Vlll,  S.  10)  ist  meines  Wissens  nicht  im  Handel.  Nähere 
.Auskunft  über  seine  Verwendung  gegen  Flechtenerkrankungen 
dürfte  der  Entdecker  der  Substanz  Herr  Dr.  Werner  von 
Bolton  (Charlottenburg-Nonnendamm,  Physikalisch-Chemisches 
Laboratorium   von  Siemens  &   Halske)  geben.  Mg. 


Inhalt:  Prof.  Dr.  Victor  Sehiffner:  Die  Nutzpflanzen  unter  den  Flechten.  —  Sammelreferate  und  Übersichten:  F. 
Koerber:  Neues  aus  der  .Astronomie.  —  Kleinere  Mitteilungen:  G.  H.  Parker:  Die  Sinnesempfindungen  des  Am- 
phio.tus.  —  Dr.  Edw.  Hennig:  Ein  Meteorkratcr.  —  Hinimelserscheinungen  im  Februar  1909.  —  Büctierbesprechun- 
gen  :  K.  Brunner  v.  Wattenwyl  und  Jos.  R  e  d  te  n  b  ac  h  er  :  Die  Insektenfamilie  der  Phasmiden.  —  Heinrich 
Kirchmayr:  Die  analytische  Berechnung  regulärer  Kristalle,  für  Studierende  der  Kristallographie.  —  Anregungen 
und   Antworten. 


Verantwortlicher   Redakteur; 


Prof.   Dr.   H.   Potonie,    Groß-Lirhterfelde-West  b.   Berlin.      Verlag  von   Gustav   Fischer  in  Jena. 
Druck  von  Lippert  &  Co.  (G.  Pätz'sche   Buchdr.),  Naumburg  a.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  holge  Vlll.   Band  ■ 
der  ganzen  Keihe  XXIV.  Band. 


Sonntag,  den  7.  Februar  igog. 


Nummer  6. 


Über  örtlich  getrenntes  oder  geselliges  Vorkommen  verwandter  Pflanzenformen. 


[Nachdruck  verboten,  i 

Der  amerikanische  Botaniker  Robert  Green- 
leaf  Leavitt  hat  im  American  Naturalist 
(Vol.  XLI,  207 — 240)  eine  Studie  über  die  geo- 
graphische Verbreitung  nahe  ver- 
wandter Arten  veröffentlicht.  Er  geht  von 
der  .Auffassung  aus,  daß  sich  aus  der  Verteilung 
nahe  verwandter  Formenkreise  erkennen  lassen 
müsse,  ob  sie  durch  allmähliche  Entwicklung  oder 
durch  Mutation  im  Sinne  von  deVries  entstan- 
den seien.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die 
F"rage,  inwieweit  Isolierung  der  neu  entstehenden 
Arten  notwendig  ist,  um  eine  Vermischung  aus- 
zuschließen und  eine  selbständige  Entwicklung 
der  einzelnen  neuen  Formenkreise  zu  ermöglichen. 
Der  Verfasser  hat  mir  nun  die  Frage  vorgelegt, 
welcher  Art  meine  Erfahrungen  über  die  Ver- 
breitung nahe  verwandter  Pflanzenarten  seien.  Es 
ist  mir  unmöglich,  mich  darüber  ganz  kurz,  also 
etwa  in  einem  gewöhnlichen  Briefe,  auszusprechen. 
Die  Mannigfaltigkeit  der  Erscheinungen  und  Vor- 
gänge in  der  Natur  ist  viel  zu  groß,  um  eine  Zu- 
rückführung  der  Tatsachen  auf  wenige  allgemeine 
Gesichtspunkte  zu  gestatten.  Ich  möchte  daher 
versuchen,  in  den  folgenden  Betrachtungen  meine 
Ansichten  über  die  Bedeutungderisolierung 
und  der  freien  Kreuzung  für  die  Artenbil- 
dung darzulegen  und  zwar  mit  besonderer  Bezug- 
nahme auf  die  geographische  Verbreitung  der 
nahe  verwandten  Formen.  Ich  bin  der  Ansicht, 
daß  die  Beobachtung  in  der  freien  Natur  viele 
Vorstellungen  berichtigen  muß,  die  man  sich  in 
der  Studierstube  gebildet  hat.  Der  Freifeld- 
botaniker muß,  wie  auch  Leavitt  betont,  die 
Brauchbarkeit  der  von  den  Gelehrten  theoretisch 
gefundenen  und  im  Anschluß  an  bestimmte  Schul- 
meinungen formulierten  Lehren  an  der  wilden 
Pflanzenwelt  prüfen. 

Variation.  Es  würde  viel  zu  weit  führen, 
wenn  ich  auf  die  mit  den  besprochenen  Fragen 
zusammenhängenden  Vorstellungen  über  Ursachen 
der  Abänderungen,  über  Variation  und  Mutation 
(plötzlich  auftretende  erbliche  Abänderung)  usw. 
eingehen  wollte.  Ich  muß  indes  von  vornherein 
betonen,  daß  ich  die  gegenwärtig  üblichen  Unter- 
scheidungen zwischen  den  Wirkungen  der  Varia- 
tion und  der  Mutation  nicht  für  glücklich  halte. 
Die  unter  dem  Namen  der  Variation  zusammen- 
gefaßten Erscheinungen  sind  von  äußerst  mannig- 
faltiger Art.  Mit  vollem  Rechte  sagt  de  Vries: 
„nichts  ist  variabler  als  das  Wort  Variabilität". 
Eine  besondere  Klasse  von  Variationen  sollen  die 
Mutationen  sein ;  es  ist  nun  aber  offenbar  nicht 
sachgemäß,  in  jedem  Einzelfalle  nur  zwei  ver- 
meintliche  Möglichkeiten,    Variation    in    engerem 


\on  W.  O.  Pocke. 


Sinne  oder  Mutation,  in  Betracht  zu  ziehen.  Im 
Jahre  1875  habe  ich  in  ausführlicher  Begründung 
vorgeschlagen  (Jen.  Zeitschr.  f.  Naturwissensch.  IX), 
statt  des  unbestimmten  Begriffes  der  Variation 
zunächst  wenige  versciiiedene  Stufen  oder  Formen 
von  Varietäten  zu  unterscheiden;  1877  habe  ich 
in  meiner  Synopsis  Rubor.  Germ,  6  verschiedene 
Stufen  des  Artvvertes  angenommen,  nachdem  ich 
1866  die  Ungleich  Wertigkeit  behauptet  hatte. 
Schon  1872  hatte  Engler  (Monogr.  Saxifraga) 
in  einzelnen  Fällen  auf  eine  vollständige  Gliede- 
rung in  Spezies  verzichtet  und  hatte  Schwärme 
von  allzu  nahe  verwandten  Arten  zu  einem  Typus 
polymorphus  zusammengefaßt.  Christ  sprach 
sich  1873  über  die  Ungleich  Wertigkeit  der  Rosen- 
arten aus.  Es  hat  aber  lange  Zeit  gedauert,  bis 
entsprechende  Anschauungen  in  den  floristischen 
Werken  zum  Ausdruck  gelangt  sind;  neuerdings 
ist  dies  z.  B.  von  Ascherson  und  Graebner 
versucht.  Die  Kompromisse,  die  man  zwischen 
der  mannigfaltigen  lebendigen  Natur  und  dem 
toten  systematischen  Schema  zu  schließen  sucht, 
werden  niemals  befriedigen,  aber  sie  sind  doch 
unentbehrlich,  um  formale  Näherungswerte  zu  er- 
halten, an  die  sich  die  Vorstellungen  anlehnen 
können.  Man  pfropft  immer  noch  in  die  Begriffe 
von  Mutationen  und  Varietätsstufen  ganz  ver- 
schiedenartige Eigenschaften  hinein,  die  in  gar 
keiner  festen  Beziehung  zueinander  stehen.  Man 
wird  bei  neuen  Formen  nach  den  Vorfahren  und 
dem  Ursprünge  (plötzliche  oder  allmähliche  Aus- 
prägung), dem  Grade  der  Verschiedenheit  von 
der  Stammform,  dem  erfahrungsmäßigen  syste- 
matischen Werte  der  Unterschiede  (z.  B.  geringe 
Bedeutung  der  auffallenden  Pelorien  und  Varietates 
monopliyllac,  dissectae,  discoidcae  usw.),  der  Erb- 
lichkeit der  Merkmale,  der  Anpassung  an  die 
mannigfaltigen  Lebensbedingungen  usw.  forschen. 
Die  Kenntnis  dieser  Eigenschaften  dürfte  ein 
besseres  Bild  von  der  Bedeutung  einer  be- 
stimmten Abänderung  geben,  als  eine  Unter- 
suchung darüber,  ob  diese  Abänderung  eine 
Varietät  oder  eine  Mutation  ist. 

Es  ist  nur  ein  einziges  Verfahren  bekannt, 
durch  welches  man  mit  einiger  Sicherheit  solche 
wesentliche  Abänderungen  erzielen  kann,  die 
,, sprungweise",  also  unvermittelt,  entstehen  und 
sich  unverändert  fortpflanzen,  die  sich  also  ver- 
halten wie  die  Mutationen  von  Oenotliera 
Lamarckiana.  Jenes  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
bewährte  Verfahren  besteht  in  der  Kreuzung  ver- 
wandter Arten  oder  ausgeprägter  Rassen.  Unsere 
Kulturgewächse  sind  größtenteils  aus  Rassen-  oder 
Arten-Kreuzungen    hervorgegangen;    man    findet 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIIl.  Nr.  6 


daher  bei  ihnen  außerordentlich  zahlreiche  der- 
artige unvermittelt  auftretende  Abänderungen.  Es 
ist  nicht  zu  verstehen,  weshalb  de  Vries  unter 
der  Nachkommenschaft  von  Hybriden  keine  Muta- 
tionen und  keine  daraus  hervorgehenden  neuen 
Arten  anerkennen  will,  während  er  doch  die 
zweifellos  aus  Hybriden  entstandenen  Kulturrassen 
als  wirkliche  Mutationen  betrachtet.  Dies  eine 
Beispiel  mag  nur  zeigen,  welchen  Schwierigkeiten 
man  begegnet,  wenn  man  den  Mutationsbegriff 
für  die  tatsächliche  Beurteilung  bestimmter  Ab- 
änderungen zu  verwerten  sucht.  Ein  näheres 
Eingehen  auf  diese  Vorstellungen  würde  ausführ- 
liche Auseinandersetzungen  erfordern. 

Isolierung  und  Wanderungen.  Als 
man  anfing,  sich  eingehend  mit  den  Anschau- 
ungen zu  beschäftigen,  welche  sich  als  Folge- 
rungen aus  der  Darwin'schen  Entwick- 
lungslehre ergaben,  legte  man  sich  notwendig 
auch  die  Frage  vor,  wie  es  möglich  sei,  daß  Ab- 
änderungen von  Tier-  und  Pflanzenarten  zu  Varie- 
täten und  selbständigen  neuen  Arten  umgeprägt 
werden  könnten,  obgleich  sie  durch  freie  Kreu- 
zung mit  der  Stammform  stets  wieder  zu  dieser 
zurückgeführt  werden  müßten.  Es  schien  kaum 
denkbar,  daß  die  natürliche  Auslese  die  neuen 
Formen  in  ausreichender  Weise  begünstigen 
könnte,  um  sie  zu  einer  Verdrängung  der  Stamm- 
art zu  befähigen.  Ohne  Ausschluß  der  Kreuzungen 
schien  es  auch  nicht  möglich,  daß  eine  Abände- 
rung sich  im  Wettbewerb  mit  dem  alten  Typus 
einen  gesicherten  Platz  erobern  könne.  Als  das 
beste  Mittel,  um  der  neuen  Form  die  Möglichkeit 
einer  selbständigen  Entwicklung  zu  gewähren,  er- 
schien die  Auswanderung,  die  örtliche  Trennung. 
Auf  diesen  Gedanken  baute  sich  die  Wag n  er- 
sehe Migrationstheorie  auf,  nach  welcher  Wan- 
derungen den  Anstoß  zu  einer  je  nach  den 
neuen  Heimatsgegenden  verschiedenartigen  Ent- 
wicklung der  Tiere  und  Pflanzen  gegeben  haben 
sollten.  Örtliche  Trennung  bewirkt  aber  an  sich 
keine  Variation;  viele  Pflanzen  der  subarktischen 
Gegenden  Europas  finden  sich  in  den  Alpen  und 
anderen  Gebirgen  in  unveränderter  Gestalt  wieder, 
obgleich  sie  hier  seit  der  Eiszeit  durch  einen 
breiten  Zwischenraum  von  ihren  nordischen  Art- 
genossen getrennt  sind.  Noch  viel  älter  ist  die 
Sonderung  Nordeuropas  von  Amerika;  trotzdem 
aber  gibt  es  in  beiden  Erdteilen  viele  überein- 
stimmende Arten.  Zeit  und  Ort  sind  in  diesen 
Fällen  ohne  Einfluß  auf  den  Arttypus  geblieben. 
Andererseits  schien  die  Migrationstheorie  eine 
gewisse  Stütze  in  der  Auffindung  von  zahlreichen 
„Schöpfungszentren"  zu  gewinnen.  Man  fand,  daß 
bestimmte  systematische  Gruppen  von  Tieren 
oder  Pflanzen  vorzugsweise  in  bestimmten  Gegen- 
den vertreten  sind;  daraus  schloß  man,  daß  an 
diesen  Stellen  die  Urheimat  der  Gruppe  (Ord- 
nung, Gattung  oder  Sammelart)  zu  suchen  sei 
und  daß  sich  die  Einzelglieder  der  Gruppe  von 
dort  aus  längs  der  Bergketten  oder  der  Ebenen 
oder   der  Flüsse    nach    verschiedenen    Richtungen 


ausgebreitet  hätten.  In  manchen  Fällen  schienen 
derartige  Vorstellungen  die  Tatsachen  ganz  gut 
zu  erklären.  Aber  die  geologischen  Unter- 
suchungen zeigten  bald,  daß  aus  der  jetzigen  Ver- 
breitung der  Organismen  nicht  geradezu  auf  die 
ehemalige  geschlossen  werden  darf.  Pferde  gab 
es  in  Amerika  vor  Ankunft  der  Europäer  nicht; 
trotzdem  machen  die  beobachteten  paläontolo- 
gischen Tatsachen  es  wahrscheinlich,  daß  die  ur- 
sprüngliche Heimat  dieser  ganzen  Tiergruppe  in 
Amerika  lag.  Im  Miozän  Europas  hat  man 
mancherlei  amerikanische  Baumarten  gefunden,  so 
daß  man  in  jedem  Falle  fragen  muß :  ist  der 
Typus  im  Osten  oder  im  Westen  des  Atlantischen 
Ozeans  entstanden  oder  ist  er  nach  beiden  Ländern 
aus  einer  arktischen  oder  sonstigen  Urheimat  ein- 
gewandert? 

So  sehr  auch  derartige  Erfahrungen  zur  Vor- 
sicht mahnen,  so  gibt  doch  für  die  nördliche  ge- 
mäßigte Zone  die  Annahme  eines  ehemaligen 
Zusammenhangs  zwischen  den  Verbreitungs- 
bezirken ähnlicher  Arten  eine  gute  Erklärung. 
Aus  einem  arktischen  oder  zirkumpolaren  Lande 
zogen  sich  Pflanzen  und  Tiere  während  der  kühler 
werdenden  Pliozänzeit  und  Eiszeit  südwärts  zurück. 
Viele  Arten  werden  zugrunde  gegangen  sein; 
viele  der  widerstandsfähigsten  und  für  Wande- 
rungen gut  ausgerüsteten  Formen  konnten  später 
einen  Teil  ihres  ehemaligen  Wohngebietes  von 
neuem  besiedeln,  andere  Arten  erhielten  sich  hie 
und  da  an  einzelnen  geeigneten  Standorten,  die 
in  der  Gegenwart  durch  weite  Zwischenräume 
getrennt  sein  können.  Die  Annahme,  daß  in  ver- 
gangenen Zeiten  auch  die  Lücken  in  der  Ver- 
breitung für  die  betreffende  Art  bewohnbar  ge- 
wesen seien,  ist  in  vielen  Fällen  durchaus  wahr- 
scheinlich und  gibt  eine  weit  bessere  Erklärung 
der  Tatsachen,  als  die  Vorstellung,  daß  Stürme 
oder  Vögel  die  Samen  an  neuen  Standorten  aus- 
gestreut hätten.  Die  Möglichkeit  einer  derartigen 
Verbreitungsweise  soll  übrigens  durchaus  nicht 
bestritten  werden. 

Das  Vorkommen  übereinstimmender  oder  sehr 
ähnlicher  Pflanzen  an  weit  voneinander  getrennten 
Standorten,  die  ähnliche  Lebensbedingungen  bieten, 
ist  längst  bekannt.  Berühmt  ist  das  Beispiel  der 
drei  nahe  verwandten  Cedern-Formen  vom  Atlas, 
Libanon  und  Himalaya.  Echte  Hochgebirgs- 
pflanzen, wie  das  Edelweiß  {Leontopodiuin)  treten 
in  den  weit  getrennten  höheren  Bergketten 
Amerikas,  Asiens  und  Europas  auf  Erwähnt 
wurde  bereits  die  Übereinstimmung  mancher  sub- 
arktischer mit  alpinen,  sowie  nordamerikanischer 
mit  europäischen  Arten.  Der  ostwestliche  Ver- 
lauf der  wichtigsten  Bergketten  in  Europa  sowie 
im  westlichen  und  mittleren  Asien  läßt  die  scharfe 
Absonderung  der  Gebirgsbewohner  von  den  nor- 
dischen Arten  deutlich  hervortreten,  während  in 
Amerika  und  Ostasien  die  mehr  nordsüdliche 
Richtung  der  Gebirge  als  günstiger  für  Wande- 
rungen und  für  die  Erhaltung  eines  Zusammen- 
hanges    zwischen     den    Gliedern     der     einzelnen 


N.  F.  Vm-  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


83 


Formenkreise  erscheint.  Als  Beispiel  einer  geo- 
graphischen Trennung  von  charakteristischen 
Pflanzentypen  seien  hier  die  in  einem  vielfach 
unterbrochenen  Gürtel  der  nördlichen  Halbkugel 
auftretenden  Gewächsformen  erwähnt.  In  den 
einzelnen  geographischen  Abschnitten,  in  welche 
dieser  Gürtel  zerfällt,  haben  sich  die  Typen  in 
etwas  verschiedener  Weise  entwickelt,  so  daß  sie 
als  Varietäten,  Rassen  oder  ähnliche  Arten  unter- 
schieden werden.  Zu  diesen  Typen  gehören  z.  B. 
die  echten  Kastanien,  die  in  Nordamerika  und 
Mittelasien  vorkommen,  die  nahe  verwandten 
Ebereschen  {Sc'/-/'t(s)  Europas,  Ostasiens,  West- 
und  Ostamerikas,  die  Steinhimbeeren,  von  denen 
die  europäische  Art,  Ritbits  saxatilis,  auch  durch 
Nordasien  verbreitet  ist,  während  zwei  ähnliche, 
früher  als  Varietäten  betrachtete  Arten  in  Japan 
und  in  Nordamerika  wachsen.  Noch  ähnlicher 
sind  sich  die  echten  Himbeeren,  Riibus  idaciis, 
'  zwischen  deren  Rassen  sich  keinerlei  haltbare 
Artgrenzen  ziehen  lassen.  Merkwürdig  sind  einige 
amerikanische  Potentillen,  P.  fruticosa  und  P. 
peniisilvanka,  die  in  Nordasien  und  Europa  ganz 
zerstreut  an  einzelnen  Orten  in  wenig  abweichen- 
den Rassen  auftreten. 

Alle  diese  Tatsachen  erklären  sich  ungezwungen 
aus  der  tertiären  Verbreitung  und  aus  den  eiszeit- 
lichen Wanderungen  der  Arten,  sowie  aus  einer 
verschieden  gestalteten  Weiterentwicklung  der- 
selben innerhalb  der  jetzigen  vollständig  geson- 
derten Verbreitungsbezirke.  Bis  soweit  genügt 
zur  Erklärung  der  Artenbildung  die  Migrations- 
lehre in  Verbindung  mit  den  bekannten  Tatsachen 
der  gewöhnlichen  Variation.  Man  erkennt  aber 
leicht,  daß  auf  diesem  Wege  keine  allzugroßen 
Veränderungen  erfolgt  zu  sein  scheinen.  Seit  der 
Eiszeit  hat  sich  in  der  Gestalt  der  Arten  kaum 
etwas  verändert,  ja  selbst  der  Betrag  der  Ände- 
rungen seit  der  Miozänzeit  ist  nicht  groß  genug, 
um  die  Ausprägung  ganzer  Pflanzenfamilien 
während  eines  den  üblichen  Schätzungen  ent- 
sprechenden Zeitraums  zu  ermöglichen.  Noch 
viel  weniger  läßt  sich  durch  die  Migrationstheorie 
die  große  Mannigfaltigkeit  einzelner  Gruppen  von 
Pflanzen  und  Tieren  innerhalb  eng  umgrenzter 
Räume  verständlich  machen.  Um  nur  ganz  be- 
sonders ausgezeichnete  Beispiele  zu  erwähnen,  sei 
an  die  Landschnecken  der  Hawaischen  Inseln  und 
an  die  zahlreichen,  ungewöhnlich  artenreichen 
Pflanzengattungen  einzelner  Teile  Südafrikas  und 
Westaustraliens  erinnert.  Man  sieht  in  derartigen 
Fällen  allerdings  Schöpfungszentren,  aber  die  von 
diesen  ausgehenden  Ausstrahlungen  sind  bei  der 
geographischen  Isolierung  der  Herde  sehr  spärlich 
geblieben  oder  fehlen  gänzlich.  Untersucht  man 
nun  andere,  weniger  abgeschlossene  Schöpfungs- 
zentren, so  findet  man  allerdings  in  manchen 
Fällen  zahlreiche  Ausstrahlungen,  man  findet  auch 
in  diesen  Ausstrahlungen  Arten,  die  allen  Anforde- 
rungen an  geographisch  und  systematisch  gut  um- 
grenzte „Spezies"  entsprechen,  aber  diese  Arten 
oder  nahe  verwandten  Formen  häufen  sich  in  dem 


Zentrum  so  sehr,  daß  an  eine  Isolierung,  welche 
die  freie  Kreuzung  hindern  würde,  nicht  gedacht 
werden  kann. 

Freie  Kreuzung.  Die  Fülle  derartiger 
Tatsachen,  von  denen  hier  nur  beispielsweise 
wenige  einzelne  Fälle  erwähnt  werden  konnten, 
ist  so  groß,  daß  eine  Erklärung  derselben  durch 
die  Migrationstheorie  völlig  aussichtslos  ist.  Es 
muß,  wie  man  sich  längst  klar  gemacht  hat,  not- 
wendig eine  Unrichtigkeit  in  dem  Gedankengange 
stecken,  der  zu  der  Migrationstheorie  geführt  hat. 
Es  liegt  nahe,  zu  glauben,  daß  der  Fehler  in  der 
Vorstellung  von  der  Allgemeinheit  der  freien 
Kreuzung  liegt. 

Bei  den  höheren  Gewächsen  ist  es  leicht,  zu 
erkennen,  daß  örtliche  Trennungen,  wie  sie 
überall  vorkommen,  genügen,  um  Kreuzungen 
zwischen  gleichartigen  Pflanzen  verschiedener 
Standorte  außerordentlich  zu  erschweren.  Weder 
der  Wind  noch  die  Insekten  werden  den  Blüten- 
staub der  Bergpflanzen  häufig  zu  einem  100  oder 
selbst  nur  20  km  entfernten  anderen  Berge  hin- 
überführen ;  manche  Samen  mögen  leichter  auf 
derartige  Entfernungen  transportiert  werden,  aber 
im  allgemeinen  muß  die  Zuwanderung  neuer  An- 
kömmlinge derselben  Art  an  einen  einigermaßen 
isolierten  Standort  einer  bestimmten  Pflanze  ein 
verhältnismäßig  recht  seltenes  Ereignis  sein.  Die 
Charakterpflanzen  solcher  Standorte,  die  sich  nur 
zerstreut  finden,  wie  es  höhere  Berge,  Sümpfe, 
Salzstellen,  Kalkhügel,  Sanddünen  usw.  sind, 
werden,  wenn  sie  irgendwo  zu  Abänderungen 
neigen,  darin  durch  an  anderen  Stellen  wohnende 
Artgenossen  kaum  gestört  werden.  Ihre  Isolierung 
ist  tatsächlich  fast  ebenso  vollständig,  wie  die  der 
durch  weite  Entfernungen  und  breite  Meere  ge- 
trennten verwandten  Arten,  deren  Verhalten  be- 
reits vorstehend  erörtert  worden  ist. 

Bei  den  Pflanzen  ist  weder  die  Individualität 
noch  die  Trennung  der  Geschlechter  so  ausge- 
prägt wie  bei  den  Tieren.  Gerade  die  voll- 
kommensten Pflanzen  sind  in  überwiegender  Zahl 
zweigeschlechtig.  Ihre  Fortpflanzungsverhältnisse 
sind  außerordentlich  mannigfaltig.  Vegetative, 
also  völlig  ungeschlechtliche  Vermehrung  ist 
bei  vielen  Gewächsen  in  großem  Maßstabe  mög- 
lich. Die  Wasserpest  [Elodcä)  hat  sich  seit  50 
oder  60  Jahren  in  Europa  außerordentlich  ausge- 
breitet und  ist  stellenweise  zur  Plage  geworden, 
ohne  je  einen  Samen  gereift  zu  haben.  Noch 
weit  länger  ist  der  Kalmus  [Acorus)  in  Europa 
eingebürgert,  bringt  hier  aber  niemals  F"rüchte. 
Arten  von  Hcmcrocallis  und  einige  Zwiebel- 
gewächse verhalten  sich  ähnlich;  manche  Arten 
von  Allium  und  Liliuni,  Dentaria  bulbifera  usw. 
bringen  selten  Früchte,  vermehren  sich  aber  durch 
besondere  Organe  (Brutzwiebeln).  Bei  den  Moosen 
ist  die  häufige  oder  ausschließliche  Vermehrung 
durch  Brutkörner  etwas  ganz  Gewöhnliches.  —  In 
einer  anderen  Reihe  von  Fällen  entwickeln  sich 
Samen  aus  den  weiblichen  Knospen  ohne  jede 
Befruchtung,    also    parthenogenetisch    {AI- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  6 


cliimilla,  Antennaria,  Taraxacnm  usw.).  Endlich 
sind  kleistogamische  Blüten,  in  denen  die 
Befruchtung  ausschließlich  durch  Blütenstaub  der 
in  der  nämlichen  Hülle  eingeschlossenen  männ- 
lichen Organe  erfolgt,  gar  nicht  selten.  In  allen 
diesen  F'ällen  ist  Kreuzung  verschiedener  Stöcke 
vollständig  unmöglich,  während  eine  sehr  wirk- 
same Vermehrung  und  Ausbreitung  stattfinden 
kann.  Die  für  die  Artenbildung  als  erforderlich 
erachtete  Isolierung  ist  somit  in  diesen  Fällen 
vorhanden,  aber  es  fehlt  eine  andere  Vorbedin- 
gung, nämlich  die  Variabilität.  Die  auf  vegeta- 
tivem Wege  oder  durch  engste  Inzucht  erzeugte 
Nachkommenschaft  ist  außerordentlich  gleichförmig. 
Individuelle  Eigentümlichkeiten  können  bei  den 
Abkömmlingen  eines  einzigen  Exemplars  für 
völlig  konstante  Rassenmerkmale  gehalten  werden. 

Aus  diesen  Erfahrungen  und  Überlegungen 
muß  man  den  Schluß  ziehen,  daß  die  freie  Kreu- 
zung eine  Vorbedingung  der  Variabilität  und 
damit  der  Artenbildung  ist.  Es  ist  daher  eine 
durchaus  einseitige  Betrachtungsweise,  wenn  man 
nur  von  dem  Gesichtspunkte  ausgeht,  daß  die 
freie  Kreuzung  die  Weiterentwicklung  der  Varie- 
täten zu  selbständigen  Arten  hindere. 

Für  die  biologische  Würdigung  der  partheno- 
genetischen  und  der  damit  biologisch  ziemlich 
gleichwertigen  kleistogamischen  Fortpflanzung 
werden  die  Erfahrungen  als  maßgebend  gelten 
können,  welche  man  bei  gewissen  Tieren  (Blatt- 
läusen, Rädertieren)  gemacht  hat.  Unter  den 
günstigsten  äußeren  Verhältnissen  erscheint  die 
geschlechtliche  Zeugung  als  entbehrlich;  die  Ver- 
mehrung erfolgt  in  einfachster  Weise  nur  aus  den 
weiblichen  Keimen.  Sowie  aber  die  Lebensbe- 
dingungen mißlicher  werden,  tritt  die  geschlecht- 
liche ZeuCTung  wieder  in  ihre  Rechte  ein ;  es 
werden  dann  mittels  derselben  widerstandsfähigere 
Individuen  oder  Dauereier  erzeugt.  Ganz  ähnlich 
verhalten  sich  viele  niedere  Pflanzen  (Algen,  Pilze). 
Es  ist  wahrscheinlich,  daß  die  parthenogenetisch 
und  kleistogamisch  fortgepflanzten  höheren  Ge- 
wächse unter  bestimmten  Bedingungen  wieder 
zur  geschlechtlichen  Kreuzbefruchtung  übergehen; 
sind  sie  nicht  dazu  imstande,  so  werden  sie  ge- 
legentlich ungünstigen  Verhältnissen  (Witterung, 
Wettbewerb,  Parasiten)  erliegen. 

Wenn  man  die  Gewächse,  welche  sich  regel- 
mäßig ohne  Kreuzung  fortpflanzen,  in  eine 
besondere  biologische  Abteilung  stellt,  so  kann 
man  eine  zweite  aus  denjenigen  Arten  bilden,  bei 
welchen  sowohl  Kreuzung  als  Selbst- 
bestäubung möglich  ist,  eine  dritte  aus  den 
ausschließlich  aufKreuzung  der  Individuen 
(Stöcke)  angewiesenen  Formenkreisen.  Die  zweite 
Abteilung  ist  durch  sehr  zaiilreiche  Arten  ver- 
treten, von  denen  jede  Pflanze  bei  Isolierung  ohne 
Nachhilfe  oder  doch  bei  Bestäubung  mit  eigenem 
Pollen  reichlich  Samen  bringt.  Zugleich  sind  ihre 
Blüten  entweder  für  Bestäubung  durch  Wind  oder 
durch  Tiere,  namentlich  Insekten,  eingerichtet. 
Manche  Arten  erhalten  selten,  andere  sehr  häufig 


Insektenbesuche;  bei  manchen  ist  Fremdbestäubung, 
bei  anderen  Selbstbestäubung  der  häufigere  Fall. 
Diese  Verhältnisse  sind  während  der  letzten  Jahr- 
zehnte ziemlich  allgemein  bekannt  geworden.  Es 
wird  nicht  erforderlich  sein,  an  dieser  Stelle  näher 
darauf  einzugehen,  weil  es  sich  hier  nur  darum 
handelt,  zu  untersuchen,  ob  nahe  verwandte 
Formen  nebeneinander  wachsen  können,  ohne 
durch  die.  freie  Kreuzung  gemischt  zu  werden. 
Es  zeigt  sich  nun  eine  überraschende  Mannigfaltig- 
keit der  Möglichkeiten.  In  manchen  Fällen  hat 
sich  ein  Arttypus  unter  dem  Einflüsse  standört- 
licher Verhältnisse  in  verschiedene  Rassen  ge- 
sondert. Bekannt  sind  in  den  .'Mpen  die  Formen- 
kreise, welche  in  einer  kristallinisches  Gestein  und 
einer  Kalkfels  bewohnenden  Varietät,  Rasse  oder 
verwandten  Art  vorkommen.  Diese  Parallelformen 
sind  auch  auf  anderem  Boden  samenbeständig, 
aber  sie  sind  hier  weniger  widerstandsfähig;  es 
sind  keine  großen  Entfernungen  erforderlich,  um 
sie  rein  zu  erhalten,  wenn  auch  gelegentlich  beim 
Zusammentreffen  Kreuzungen  vorkommen.  In 
entsprechender  Weise  wirken  auch  sonstige  ver- 
änderte Lebensbedingungen.  So  z.  B.  wird  Juncns  ' 
covipressus,  der  oft  an  Flußufern  wächst,  an  den 
Seeküsten  und  an  salzreichen  Stellen  sofort  durch 
J.  Gerardi  ersetzt;  nach  Übergangsfoimen  sucht 
man  meistens  vergeblich.  Es  gibt  in  Mitteleuropa 
drei  verbreitete  nahe  verwandte  Arten  von 
Aniit'ria\  eine  derselben,  die  A.  elongata,  wächst 
im  ebenen  und  hügeligen  Binnenlande,  eine  andere 
{A.  alpiner)  auf  Hochgebirgswiesen,  die  dritte  {A. 
viarithna)  am  Seestrande.  Außerdem  kommen 
noch  einige  mehr  lokalisierte  Formen  vor.  An 
trockenen  sandigen  Stellen  am  Weserufer  z.  B. 
wächst  A.  elongata  häufig;  im  Unterlaufe  des 
Flusses  fehlen  solche  sandige  Stellen  und  damit 
auch  die  Armerien,  bis  sie  plötzlich  unter  der 
Einwirkung  des  Salzwassers  in  großer  Masse  in 
den  Wiesen  wiedererscheinen,  aber  in  einer  etwas 
abgeänderten  Gestalt.  Es  ist  nicht  etwa  die  A. 
maritima,  welche  hier  auftritt,  sondern  eine  Mittel- 
rasse, die  an  der  deutschen  südlichen  Nordseeküste 
eine  große  Verbreitung  hat,  während  weder  A. 
elongata  noch  A.  maritima  daselbst  vorkommen. 
An  anderen  Stellen,  z.  B.  schon  an  der  nahen 
Eibmündung,  finden  sich  die  genannten  beiden 
Hauptarten  nebeneinander.  —  Ein  ferneres  Bei- 
spiel, wie  zwei  nahe  verwandte  Formen  einander 
vertreten,  ist  folgendes.  Von  Synipliyttint  officinale 
wächst  an  der  mittleren  Weser  eine  blaßgelb 
blühende,  an  dem  Nebenflusse  Aller  eine  dunkel- 
violette Form.  Von  der  Vereinigung  der  beiden 
Flüsse  an  abwärts  findet  sich  regelmäßig  nur  die 
violette  Form,  aber  mit  Einmischung  einzelner 
mehr  oder  minder  rosa  blühender  Exemplare,  die 
wohl  als  Kreuzungen  zu  deuten  sind  und  weiter 
stromabwärts  seltener  werden.  In  ähnlicher  Weise 
pflegen  die  blaßgelbe  Scabiosa  ocJiroleuca  und  die 
hellblaue  Sc.  columbaria  einander  auszuschließen; 
auch  das  gelblich  weiße  Phyteuma  spicatum  und 
das  schwarzviolette  Ph.  niirrum  bewohnen  im  all- 


N.  F.  Vin    Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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gemeinen  getrennte  Standorte,  doch  entstehen  da, 
wo  beide  Rassen  zusammcntreft'en,  stets  zahlreiche 
Kreuzungsformen.  Caf'sc/lir  nihclla  ist  eine  süd- 
europäische, sehr  beständige  Pflanze,  die  sich 
indes  von  der  viel  weiter  verbreiteten,  formen- 
reichen C.  Bursa  pasloris  nur  durcii  geringfügige 
Merkmale  untersciieidet.  Beide  F'ormen  wachsen 
häufig  nebeneinander,  ohne  daß  Übergänge  vor- 
kommen, doch  treten  zuweilen  anscheinende 
Kreuzungen  auf,  die  merkwürdigerweise  so  gut 
wie  vollkommen  unfruchtbar  zu  sein  pflegen. 
Auch  andere  nahe  verwandte  Arten  wachsen 
häufig  gemischt,  ohne  sich  gegenseitig  zu  beein- 
flussen, wenn  auch  hie  und  da  Mischlinge  vor- 
kommen. Solche  trotz  ihrer  Aiinliciikeit  gut  ge- 
trennte, nahe  verwandle  Arten  oder  Rassen 
sind  z.  B.  Festitca  elatior  und  F.  arundinacca, 
Scirpus  lacuster  und  ^i:.  Tabernaciitontani,  Luzula 
campestris  und  L.  midtiflora,  Viola  silvatica  und 
V.  Rivhiiaita,  Alcctorolopliiis  major  und  A.  minor. 
Der  Ähnlichkeit  wegen  mag  hier  noch  ein  Fall 
erwähnt  werden,  der  einen  zweihäusigen  Formen- 
kreis betrifft ,  also  eigentlich  an  anderer  Stelle 
besprochen  werden  müßte.  Mclandryum  rubrum 
und  M.  album  sind  zwei  nahe  verwandte  Arten, 
von  denen  jede  ihrem  besonderen  Standorte,  dem 
Walde  und  dem  oflenen  Felde,  vorzüglich  ange- 
paßt ist.  Die  beiden  Arten  trefi'en  oft  zusammen 
und  werden  dann  stets  gekreuzt;  die  Mischlinge 
sind  fast  vollkommen  fruchtbar,  aber  sie  sind  beim 
Wettbewerb  mit  den  Stammarten  an  jedem 
Standorte  im  Nachteil.  Die  beiden  echten  Arten 
werden  somit  durch  derartige  Kreuzungen  so  gut 
wie  gar  nicht  beeinflußt ;  sie  fließen  selbst  an  einzelnen 
Stellen  kaum  irgendwo  zusammen.  Sind  einmal 
ähnliche  Arten  gut  an  verschiedene  Lebens- 
bedingungen angepaßt,  so  führen  selbst  häufige 
Kreuzungen  zu  keiner  Beeinflussung  der  Stamm- 
arten. 

Die  angeführten  Beispiele  zeigen,  daß  gar 
keine  großen  Entfernungen  nötig  sind,  um  zwei 
nahe  verwandte  Arten  und  Rassen  in  genügender 
Weise  getrennt  zu  halten,  so  daß  sie  einander 
trotz  gelegentlicher  Kreuzungen  kaum  beeinflussen. 
In  einigen  Fällen  (z.  B.  Alectoroloplius,  Festuca) 
vermögen  wir  noch  keinen  Grund  einzusehen, 
weshalb  keine  Vermischung  eintritt;  wir  können 
bis  jetzt  nur  die  Tatsache  verzeichnen.  Auch 
gibt  es  Fälle,  in  denen  das  wirkliche  Verhältnis 
zweier  Formenkreise  zueinander  zweifelhaft  ist, 
z.  B.  Ranunculus  Flannnula  und  A'.  reptans,  Carex 
flava  und   C.    OcJeri. 

Ein  besonderer  Fall  ist  es,  wenn  durch  den 
Menschen  zusammengebrachte,  verwandte  Arten 
zusammentreffen.  In  einigen  Phallen  fehlen  an  den 
neuen  Standorten  die  Kreuzungsvermittler;  man 
kann  daher  die  verschiedenen  Arten  und  Rassen 
aus  den  Formenkreisen  der  Datura  Straiumonium 
und  des  Pisum  sativum  nebeneinander  kultivieren, 
ohne  daß  irgendwelche  Kreuzungen  eintreten, 
obgleich  man  mit  Leichtigkeit  Mischlinge  durch 
künstliche  Bestäubung  erzeugen  kann.     In  anderen 


Fällen  findet  dagegen  eine  so  wirksame  Mischung 
statt,  daß  die  ursprünglichen  Formen  in  der  Nach- 
kommenschaft vollständig  verschwinden.  Die  in 
Amerika  standörtlich  getrennten,  eng  verwandten 
Arten  oder  Rassen  aus  dem  F"ormenkreisc  von 
Bcrberis  Aquifolium  sind  in  europäischen  Gärten, 
in  denen  sie  kultiviert  wurden,  zu  einer  formen- 
reichen Sammelart  verschmolzen.  In  diesem 
Falle  haben  die  Gärtner  nur  wenig  zu  den 
Kreuzungen  beigetragen,  dagegen  sind  durch  ihre 
Bemühungen  viele  Arten  von  Ziergewächsen  so 
gemischt  worden,  daß  die  echten  Stammformen 
kaum  wieder  zu  finden  sind.  Ein  großer  Teil 
unserer  Nutzpflanzen  ist  im  Laufe  langer  Kultur 
aus  unabsichtlichen  Kreuzungen  hervorgegangen. 
Man  darf  diese  Beispiele,  in  denen  die  freie 
Kreuzung  ihre  mächtige  Wirkung  ausgeübt  hat, 
nicht  außer  acht  lassen,  wenn  man  sich  mit  den 
zahlreichen  Fällen  beschäftigt,  in  denen  sie  offenbar 
völlig  bedeutungslos  ist. 

Es  wird  nun  notwendig  sein,  diejenigen  Fälle 
zu  erörtern,  in  denen  es  sich  nicht  um  die  Ver- 
gesellschaftung zweier  oder  weniger  nahe  ver- 
wandter Rassen,  sondern  um  ganze  Rasse n- 
oder  Artensch  wärme  handelt,  die  gleichsam 
in  einem  Schöpfungszentrum  vereinigt  sind.  Der 
französische  Botaniker  Alexis  Joidan  hat  nach- 
drücklich darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die 
meisten  sog.  Spezies  der  Floristen  keineswegs  aus 
gleichwertigen  und  wirklich  gleichartigen  Individuen, 
sondern  aus  mehr  oder  minder  zahlreichen 
engeren  Formenkreisen,  die  er  „especes  affines" 
nannte,  zusammengesetzt  sind.  Wir  würden  diese 
samenbeständigen  Formen,  die  große  Analogie 
mit  vielen  sog.  „Varietäten"  unserer  Kulturge- 
wächse zeigen,  heute  als  Rassen  oder  Kleinarten 
bezeichnen.  Jordan,  der  in  kirchlichen  Vor- 
urteilen befangen  war,  hat  sich  zwar  als  sorg- 
fältiger Beobachter  erwiesen,  aber  es  lag  ihm  jedes 
Nachdenken  über  naturwissenschaftliche  Tatsachen 
völlig  fern.  Er  gab  keine  Deutung  seiner  Er- 
fahrungen, aber  andere  Botaniker,  welche  die 
Richtigkeit  seiner  Beobachtungen  anerkannten, 
haben  wohl  allgemein  seine  meisten  especes  affines 
für  unmittelbar  entstandene  erbliche  Varietäten 
gehalten;  wenn  sie  gut  ausgeprägt  wären,  würde 
man  sie  heute  wohl  „Mutationen"  nennen.  Es 
fehlt  indessen  bis  jetzt  die  Beweisführung  für  diese 
Auffassung  der  Bildungsweise  der  Kleinarten ;  es 
fragt  sich  auch,  ob  und  inwieweit  Rassenkreuzungen 
an    der  pLntstehung    der  Kleinarten    beteiligt  sind. 

Beispielsweise  unterschied  Jordan  in  der 
früher  als  formenreiche  Art  betrachteten  ein- 
jährigen Draba  verna  etwa  200  especes  affines, 
die  sich  nebeneinander  im  Garten  kultivieren 
ließen  und  sich  nach  Jordan 's  Behauptung  als 
streng  samenbeständig  erwiesen.  Wie  diese  Tat- 
sache kontrolliert  werden  konnte,  ist  freilich 
schwer  zu  verstehen;  möglich  wäre  der  sichere 
Nachweis  nur  durch  Aussaat  an  entfernter  Stelle. 
Kreuzungen  beobachtete  Jordan  nicht.  In  ent- 
sprechender Weise  prüfte  oder  beurteilte  er  andere 


86 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  6 


Sammelarten.  L.  Reichenbach  hat  später  die 
Gattung  Scleravtlius  in  ähnlicher  Weise  behandelt, 
wie  es  Jordan  mit  Draba  venia  gemacht  hat. 
Gandoger  und  andere  haben  Jordan 's  Werk 
fortgesetzt,  aber  es  ist  ihnen  nicht  gelungen,  das 
Auffassungsvermögen  anderer  Botaniker  so  zu 
schärfen,  daß  dieselben  viele  der  especes  affines 
wiedererkennen.  Blickt  man  indessen  in  die 
neueren  floristischen  Spezialarbeiten ,  z.  B.  in 
Ascherson  und  Graebner's  Synopsis  der 
mitteleuropäischen  Flora,  so  erkennt  man  bald, 
daß  von  einem  einheitlichen  Anbegriff  keine  Rede 
mehr  sein  kann,  daß  vielmehr  die  Hauptarten 
meistens  aus  Unterarten,  Rassen,  Leitarten,  Ab- 
arten usw.  zusammengesetzt  sind.  Es  steht  jeden- 
falls fest,  daß  in  vielen  Fällen  zahlreiche  ausgeprägte 
Kleinarten  oder  especes  affines  gesellig  vorkommen 
und  sich  unter  diesen  Umständen  beständig  zeigen, 
anscheinend  ohne  einen  merklichen  Einfluß  der 
freien  Kreuzungsmöglichkeit.  Allerdings  gibt  es 
auch  Fälle,  in  denen  sich  das  Schwanken  des  Arttypus 
leichter  durch  die  Annahme  vorhandener  Rassen, 
die  stets  wieder  gekreuzt  werden,  verstehen  läßt. 
Nun  gibt  es  aber  auch  Artenschwärme, 
deren  Glieder  durch  wesentlichere  Unterschiede, 
als  die  der  especes  affines  zu  sein  pfiegen,  ge- 
trennt sind.  In  Mitteleuropa  trifft  man  sehr  häufig 
kleine  Waldungen  oder  Gebüsche  an,  in  denen 
Dutzende  von  Arten  aus  den  Gattungen  Rabiis, 
Rosa  oder  Hieraciiim  nebeneinander  wachsen.  In 
einer  Entfernung  von  wenigen  Kilometern  kann 
man  einen  anderen  Wald  untersuchen,  der  einige 
übereinstimmende,  aber  außerdem  auch  mehr  oder 
weniger  zahlreiche  andere  Arten  enthält.  Um 
sich  die  Entstehung  von  ,, Schöpfungsherden"  an 
einem  Beispiel  in  kleinstem  Maßstabe  klar  zu 
machen,  sei  hier  an  Le  vi  er 's  Schilderung  der 
italienischen  Tulpenfundorte  erinnert.  In  Getreide- 
feldern Mittelitaliens  haben  sich  an  zerstreuten 
Stellen  Tulpen  eingebürgert,  die  anscheinend  ver- 
änderte Abkömmlinge  orientalischer  wilder  Arten 
sind.  Sie  sind  an  jedem  Standorte  sehr  gleich- 
förmig, erhalten  sich  durch  Zwiebelvermehrung, 
bringen  aber  sehr  selten  P'rüchie.  Von  Zeit  zu 
Zeit  erscheinen  nun  neue  Tulpenarten,  aber  fast 
immer  an  den  Stellen,  an  denen  schon  von  jeher 
das  Vorkommen  von  Tulpen  bekannt  war.  Bei 
der  Augenfälligkeit  der  Blumen  und  bei  dem 
Interesse,  das  sie  bei  Botanikern  und  Liebhabern 
erregen,  ist  es  unmöglich,  anzunehmen,  daß  die 
neuen  Arten  früher  übersehen  sind.  Sie  sind 
offenbar  wirklich  neu  entstanden.  Der  Schöpfungs- 
herd liegt  ohne  Zweifel  in  einer  der  seit  langer 
Zeit  eingebürgerten  und  bekannten  Tulpen,  die 
mit  eigenem  Blütenstäube  völlig  unfruchtbar  sind. 
Wird  nun  einmal  durch  irgendeinen  Zufall  Pollen 
einer  Gartentnlpe  auf  eine  Feldtulpennarbe  ge- 
führt, so  werden  Samen  erzeugt,  die  ausgestreut 
werden  und  Mischlinge  entstehen  lassen,  welche 
sich  ohne  Samen  durch  Zwiebeln  vermehren. 
Solche  Mischlinge  sind  die  in  dem  Schöpfungs- 
herde gebildeten  neuen  Arten. 


Die  zahlreichen  gesellig  wachsenden  Arten 
von  Rtlbus,  Rosa  und  Hieraciiim  haben  nun  eine 
gemeinsame  Eigentümlichkeit:  in  ihrem  Blüten- 
stäube findet  man  mehr  oder  minder  zahlreiche 
mißgebildete  oder  verkümmerte  Körner.  Der- 
artigen ,, mischkörnigen"  Blütenstaub  trifft  man  fast 
regelmäßig  bei  Bastarden  an.  —  Bei  Riibiis  liegen 
nun  die  Verhältnisse  folgendermaßen.  Es  gibt  in 
Mitteleuropa  unter  den  schwarzfrüchtigen  Brom- 
beeren drei  weit  verbreitete,  allerdings  variable 
Arten,  die  einen  gleichkörnigen  Blütenstaub  be- 
sitzen. Wo  sie  zusammentreffen,  bilden  sie  sehr 
häufig  lebenskräftige,  wuchernde  aber  wenig 
fruchtbare  Bastarde.  Zwei  der  Arten,  R.  caesius 
und  R.  toiiicntosits,  liefern  auch  häufig  Kreuzungen 
mit  den  übrigen  Ritbiis-¥ormex\\  die  dritte  Art 
(R.  iilmifolius  oder  R.  rusticaniis)  tut  es  ebenfalls, 
aber  seltener.  Unter  den  zahlreichen  misch- 
körnigen Riibiis-Voxvc\tx\  sind  manche  gut  abge- 
grenzte und  recht  beständige  Arten  vorhanden, 
die  auch  eine  ansehnliche  Verbreitung  besitzen 
(z.  B.  R.  stiberectiis,  siilcatiis,  Qiiesticrii,  Sprcngelii, 
rii'iis,  scaber  Bellardii  usw.).  Solche  Arten 
wachsen  gewöhnlich  zu  mehreren  oder  vielen  ge- 
sellig; Bastarde  zwischen  ihnen  sind  selten.  Aller- 
dings gibt  es  einzelne  Arten,  z.  B.  R.  vestilns  und 
R.  bifroiis,  die  in  ähnlicher  Weise  wie  R.  caesius 
und  R.  tomentosus,  leicht  Verbindungen  mit  an- 
deren Arten  eingehen.  Auch  wenn  man  die 
Schwierigkeit  der  Erkennung  von  Mischlingen 
zwischen  ähnlichen  Arten  sorgfältig  berücksichtigt, 
kann  man  sich  nicht  der  Wahrnehmung  entziehen, 
daß  die  nahe  verwandten  Riibus-Krxtn  sich  selten 
fruchtbar  kreuzen.  Es  ist  vollkommen  unrichtig, 
wenn  man  allgemeingültige  Behauptungen  über 
Kreuzungsmöglichkeiten  aufstellen  will.  Etwas 
veränderte  Umstände  bedingen  manchmal  ein 
vollständig  verschiedenes  Verhalten.  Wo  z.  B.  in 
Norddeutschland  Potentilla  procumbcns  mit  P. 
Tornientilla  zusammentrifft,  entstehen  zahlreiche 
Mischlinge,  die  meistens  viel  häufiger  sind  als  die 
P.  prociinibens  selbst,  welche  von  ihnen  an  vielen 
Stellen  ganz  verdrängt  worden  ist.  In  England 
dagegen  kommen  zwar  Kreuzungen  der  beiden 
Potentillcn  vor,  aber  man  muß  danach  suchen, 
da  die  echte  P.  procunibens  unverhältnismäßig  viel 
häufiger  ist  als  die  Mischlinge. 

Die  Entstehung  beständiger  gekreuzter  Rassen 
in  den  Gärten,  sowie  mancherlei  einzelne  Tat- 
sachen bestätigen  die  Ansicht,  daß  die  Rubi  mit 
mischkörnigem  Blütenstaub  aus  Kreuzungen  her- 
vorgegangen sind,  die  z.  T.  schon  vor  der  Eiszeit 
erfolgt  sein  mögen.  Zu  weiteren  Kreuzungen 
sind  viele  der  Mischrassen  wenig  geneigt.  —  Mehr 
oder  minder  analoge  Verhältnisse  wie  bei  Ridnis 
finden  sich  bei  Rosa  und  Hieraciiim,  sowie  bei 
manchen  Potcntillen,  Centaurcen  und  zahlreichen 
anderen  Pflanzen. 

Die  in  die  dritte  Abteilung  gestellten  Pflanzen, 
bei  welchen  die  Bestäubung  durch  Pollen  eines 
anderen  Stockes  für  die  Fruchtbildung  notwendig, 
Selbstbestäubung     also    ausgeschlossen 


N.  F.  Vin.  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


87 


ist,  bieten  viele  außerordentlich  interessante  Ver- 
schiedenheiten, aus  denen  sich  mancherlei  Finger- 
zeige für  die  Entstehungsgeschichte  der  Arten 
entnehmen  lassen.  Die  gesellig  wachsenden  ver- 
wandten Rassen  scheinen  indessen  nicht  zahlreich 
zu  sein.  Die  durch  Kreuzung  zweier  einander 
nahestehenden  Arten  entstandenen  Stöcke  be- 
dürfen zur  Samenbildung  Fremdbestäubung,  haben 
aber  sehr  geringe  .Aussicht  von  einer  ihnen  selbst 
ähnlichen  Pflanze  gleichen  Ursprungs  bestäubt  zu 
werden  oder  dieselbe  ihrerseits  zu  befruchten.  Jede 
Kreuzung  hat  also  fast  immer  weitere  Kreuzungen 
ungleicher  Stöcke  zur  Folge;  die  Entwicklung 
neuer  Rassen  aus  den  Kreuzungen  ist  im  allge- 
meinen erst  dann  möglich,  wenn  zwei  Formen- 
kreise nahezu  vollständig  verschmolzen  sind  und 
darauf  Isolierungen  eintreten,  die  an  jedem  Orte 
das  Gedeihen  der  den  dortigen  Verhältnissen  am 
besten  angepaßten  Formen  des  veränderlichen 
Sammeltypus  begünstigen. 

Unter  den  zweihäusigen  Gewächsen  ist  allein 
die  Gattung  Salix  in  Europa  durch  zahlreiche, 
zum  Teil  vergesellschaftet  vorkommende  Arten 
vertreten.  Bei  Salix  sind  Artenkreuzungen  sehr 
häufig,  scheinen  aber  auf  die  Stammarten  kaum 
einen  abändernden  Einfluß  auszuüben.  Beachtens- 
wert für  die  in  diesen  Betrachtungen  erörterten 
Verhältnisse  sind  namentlich  zwei  Reihen  von! 
Salix- h.x\.en.  Eine  derselben  besteht  aus  den  ein-J 
ander  nahe  verwandten  Arten  der  Caprea-Grup^e:] 
{Salix  caprea, grandifolia,  silcsiaca,  aurita,  cinerea)]-^ 
von  denen  oft  mehrere  standörtlich  gemischt  vor-,- 
kommen.  Trotz  ihrer  Ähnlichkeit,  ihres  örtlichen 
Zusammenwohnens  und  der  Trennung  der  Ge- 
schlechter findet  man  Kreuzungen  zwischen  ihnen 
nicht  häufig.  Jede  Art  bewahrt  ihren  Charakter 
und  es  ist  keine  Isolierung  notwendig,  um  jeder 
Art  ihre  Selbständigkeit  zu  erhalten.  Die  zweite 
Reihe  wird  aus  völlig  verschiedenen  Arten  ge- 
bildet, die  nur  in  ihrer  großen  Veränderlichkeit 
übereinstimmen.  Die  ausgeprägtesten  Glieder 
ihrer  Formenkreise  sind  untereinander  so  ungleich, 
daß  man  an  ihrer  spezifischen  Verschiedenheit 
niemals  zweifeln  würde,  wenn  nicht  alle  Mittel- 
formen vorkämen,  ohne  irgendwelche  Zeichen  von 
Hybridität  aufzuweisen.  Zu  diesen  veränderlichen 
Arten  gehören  Salix  repens,  S.  triandra  {ainyg- 
dalind),  S.  nigricans.  Ihre  Formenkreise  sehen  so 
aus,  als  ob  in  ihnen  je  zwei  oder  mehrere  ver- 
wandte Arten  oder  Rassen  durch  fortgesetzte 
Kreuzungen  verschmolzen  seien.  Man  kann  sie 
mit  manchen  gekreuzten  Kulturpflanzen  ver- 
gleichen. 

Es  scheint  mir,  als  ob  die  geographische  Ver- 
breitung der  zweihäusigen  und  der  mit  eigenem 
Blütenstaub  unfruchtbaren  Gewächse  viel  mehr 
Ähnlichkeit  mit  den  bei  den  Tieren  beobachteten 
Verhältnissen    hat.      Trennung    der    Geschlechter 


erfordert  bei  Pflanzen  wie  bei  Tieren  wirksame 
Mittel  zur  Verhütung  von  Mischungen,  wenn  man 
selbständige  reine  Rassen  züchten  oder  entstehen 
lassen  will. 

Schlußbetrachtungen.  Aus  den  ange- 
führten Tatsachen  läßt  sich  keine  allgemeine  Regel 
darüber  ableiten,  ob  verwandte  Arten  und  Rassen 
getrennt  oder  gesellig  vorzukommen  pflegen.  Man 
denke  einerseits  an  die  Parallelformen  des  Kalks 
und  des  kristallinischen  Gesteins,  andererseits  an 
die  Artenschwärme  der  Rubi  und  der  especes 
affines.  —  Eine  ganz  allgemeine  Fragestellung 
nach  dem  örtlichen  (geographischen)  Verhalten 
der  verwandten  Formen  dürfte  ziemlich  unfrucht- 
bar sein.  Über  die  Folgen  der  Isolierung  und 
über  ihre  Wichtigkeit  für  die  Entstehung  neuer 
Arten  macht  man  sich  ebenso  häufig  unrichtige 
Vorstellungen,  wie  über  die  Allgemeinheit  der 
Wirkungen  freier  Kreuzung.  —  Geschlechtliche 
Vermischung  und  Kreuzung  verschiedener  Stöcke 
sind  notwendig  für  die  Erhaltung  der  Biegsam- 
keit, der  Veränderlichkeit,  der  Anpassungsfähig- 
keit und  Widerstandskraft.  Sollen  sich  aus  Ab- 
änderungen neue  Arten  entwickeln,  so  ist  aller- 
dings eine  Beschränkung  der  freien  Kreuzung,  ein 
gewisser  Grad  von  Inzucht,  notwendig.  Die  Ab- 
sonderung der  beginnenden  Arien  kann  eine 
I  räumliche  oder  zeitliche  (Blütezeit)  sein;  bei  der 
räumlichen  Trennung  braucht  man  aber  nicht 
'  notwendig  an  weite  Abstände  zu  denken ;  vielmehr 
'  genügt  eine  Anpassung  an  verschiedene  stand- 
örtliche Verhältnisse  (Chemismus,  Wasser-  oder 
Lichtbedürfnis)  vollkommen.  Es  wird  ferner 
häufig  beobachtet,  daß  verwandte  Arten  und 
Rassen  geringe  Neigung  zeigen,  Kreuzungen  mit- 
einander einzugehen,  ohne  daß  sich  jedesmal  ein 
äußerer  Grund  für  dies  Verhalten  vermuten  läßt. 
Es  kommen  sowohl  allmähliche  (Pedigree- 
Züchtungen)  wie  plötzliche  (Mutationenj  Abände- 
rungen vor. 

Auf  die  Unterscheidung,  ob  Variation,  ob 
Mutation,  vermag  ich  keinen  erheblichen  Wert 
zu  legen.  Wir  müssen  uns  darüber  klar  werden, 
daß  unsere  ganze  Merkmalsystematik  nur  ein 
vorläufiger  Notbehelf  ist,  durch  den  wir  uns  einen 
allgemeinen  Überblick  über  die  Pflanzengestalten 
verschaffen  wollen.  Der  wirkliche  Gegenstand 
unserer  Untersuchungen  ist  die  lebende  Pflanze 
mit  ihrer  verwickelten  chemisch-physikalischen 
Tätigkeit,  durch  welche  die  spezifischen 
Albumosen  gebildet  und  der  spezifische  Auf- 
bau der  Organe  sowie  die  äußere  Gestalt  be- 
stimmt werden.  Nicht  in  den  einzelnen  Merk- 
malen, nicht  in  den  Formschwankungen  der  Laub- 
und Blütenblätter  oder  in  der  Behaarung  und 
Färbung,  sondern  in  den  inneren  Stoff- 
wechselvorgängen liegen  die  wirklichen  Ur- 
sachen der  spezifischen  Verschiedenheiten. 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Kleinere  Mitteilungen. 

Die  neuesten  Forschungen  über  die  fossilen 
Saurier  bildeten  den  Gegenstand  einer  Vorlesung, 
die  der  Direktor  des  Berliner  zoolo^jischen  Mu- 
seums, Prof.  Dr.  Brauer,  für  den  Oberlehrer- Ferien- 
kursus am  3.  Oktober  1908  hielt  und  aus  deren 
interessantem  Inhalt  hier  einiges  berichtet  werden 
soll. 

Die  Hauptentwicklung  der  Saurier  fällt  in  das 
Mesozoikum,  jene  etwa  vier  bis  fünf  Millionen 
Jahre  zurückliegende  Epoche  der  Erdgeschichte, 
da  Europa  infolge  einer  starken  Meerestransgression 
in  ein  System  von  Inseln  aufgelöst  war  und  die 
eruptive  Tätigkeit  so  gut  wie  völlig  pausierte,  so 
daß  die  Ablagerung  der  Schichten  sehr  gleich- 
mäßig und  ungestört  stattfand,  ein  Umstand,  der 
den  Reichtum  der  mesozoischen  Ablagerungen 
an  gut  erhaltenen  fossilen  Resten  bedingte. 


Größe  bis  hinauf  zu  jenen  riesenhaften  Formen, 
von  denen  nachher  gesprochen  werden  soll. 

Wir  unterscheiden  unter  den  mesozoischen 
Reptilien  vier  Gruppen,  die  Ichthyopterygii, 
Sauropterygii,  Patagiosaurier  (Flugsaurier)  und  die 
Dinosaurier. 

Die  besten  Fundstätten  der  Ichthyosaurier 
und  Plesiosauren  sind  Lyme  Regis  in  England 
und  Holzmaden  bei  Stuttgart.  Die  betreffenden 
Schichten  liegen  in  Holzmaden  nahe  der  Erdober- 
fläche (vgl.  Fig.  1)  und  sind  nur  wenige  Zenti- 
meter dick.  Eine  ausgebrochene  Platte  zeigt  zu- 
nächst nur  dem  kundigen  Auge,  ob  sie  einen 
Tierrest  einschließt  und  daher  eine  Präparation 
lohnt.  Da  das  Gestein  sehr  brüchig  ist,  muß  mit 
größter  Vorsicht  bei  der  Bloßlegung  der  fossilen 
Reste  gearbeitet  werden,  so  daß  jede  Präparation 
für  mehrere  Monate  Arbeit  gibt  und  oftmals  eine 
künstliche    Zusammensetzung    aus    vielen    Bruch- 


Fig.   I.     Ein  Posidonienschieferbruch  (Lias  «)  in  Holzmaden. 


Neben  den  massenhaft  die  damaligen  Meere 
bevölkernden  Ammoniten  war  die  Fauna  jener 
Zeit  in  erster  Linie  durch  die  zahlreichen  Arten 
der  Reptilien  gekennzeichnet. 

Die  Reptilien  des  Mesozoikums  sind  bereits 
ebenso  wie  die  heut  lebenden  Ordnungen  in  zwei 
Gruppen  geteilt,  bei  deren  einer  das  Quadratbein 
beweglich  eingelenkt  ist,  während  es  bei  der 
anderen  fest  mit  den  Schädelknochen  verbunden 
ist.  Die  gemeinsame  Wurzel  dieser  beiden  Gruppen 
ist  demnach  in  früherer  Zeit  zu  suchen ,  doch  ist 
darüber  wegen  der  weniger  guten  Erhaltung  der 
älteren  fossilen  Reste  nichts  näheres  bekannt. 
Im  Mesozoikum  beherrschen  die  Reptilien  das 
Land,  das  Meer  und  sogar  auch  die  Luft  und 
zeigen    sich    uns    in    Arten    der    verschiedensten 


stücken  erfordert. ')  In  Holzmaden  werden  all- 
jährlich über  hundert  Tiere  gefunden  und  unter 
der  umsichtigen  Leitung  von  Herrn  B.  Hauff 
kunstgemäß  präpariert.  Der  Freundlichkeit  dieses 
Herrn  verdanken  wir  die  Vorlagen  zu  den  Ab- 
bildungen I — 6.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
war  in  dem  Jura  Meer  hier  in  Holzmaden  eine 
Meeresbucht,  in  welcher  die  Fischsaurier  in  großen 
Scharen  lebten  und  nach  ihrem  Absterben  durch 
eine  schnelle  Schlammeinbettung  vor  gänzlicher 
Zerstörung  geschützt  wurden. 

Beim  Plesiosaurus  (Fig.  3)  sind  die  Körper- 
regionen   scharf  abgegrenzt,    das    Tier    zeigt    also 


')  Vgl.  den  in  Fig.  2  abgebildeten  Fund ,    bei  dem  eben 
erst  mit  der  Präparation  begonnen  worden. 


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noch  seine  Abstammung  von  Landtieren.  Auch 
ist  noch  nicht  der  Schwanz  das  Hauptbewegungs- 
organ, sondern  die  Extremitäten.  Der  lange,  aus 
41  Wirbeln  bestehende  Hals  gab  dem  Tiere  die 
Möglichkeit,  große  Flächen  abzufischen. 

Der  Ichthyosaurus  (Fig.  4)  zeigt  eine 
große  .Ähnlichkeit  mit  den  Zahnwalen  der  Gegen- 
wart. Der  Körper  ist  nicht  mehr  in  seine  Haupt- 
regionen abgegliedert,  das  Gebiß  besteht  aus  lauter 
gleichen,  spitzen  Zähnen,  der  Schwanz  ist  das 
Hauptbewegungsorgan ;  die  hinteren  Extremitäten 
sind  zwar  noch  vorhanden,  aber  kleiner  als  die 
vorderen,  die  eine  typische  F"losse  darstellen.  Auch 
Rücken-  und  Schwanzflosse  sind  nach  neueren 
Pfunden  vorhanden  gewesen,  letztere  allerdings 
wie  bei  den  Fischen  vertikal  stehend,  nicht  hori- 
zontal wie  bei  Walen.  Das  Ende  der  Wirbelsäule 
biegt  nicht  wie  bei  Knorpelfischen  nach  der  dor- 
salen Seite  in  die  Schwanzflosse  ab,  sondern  nach 
der  ventralen  Seite.  Zuerst  hielt  man  diese  plötz- 
liche Abbiegung  nach  abwärts  für  eine  zufällige 
Verdrückung.  Da  aber  sämtliche  F"unde  die 
gleiche  Erscheinung  zeigen,  muß  die  ventrale  Ab- 
knickung  der  Wirbelsäule  bereits  allgemein  im 
Leben  vorhanden  gewesen  sein.  —  Trotz  aller 
Ähnlichkeiten  können  die  Wale  nicht  vom  Ichthyo- 
saurus abstammen,  wie  man  eine  Zeitlang  wohl 
angenommen  hat.  Das  Studium  der  Wale  ergibt 
mit  voller  Sicherheit,  daß  sie  von  Landsäuge- 
tieren abstammen  müssen.  Dies  zeigt  nament- 
lich der  Walembryo.  Ebenso  sind  die  Ichthyo- 
sauren  nicht  etwa  direkt  von  Fischen ,  sondern 
von  Landreptilien  abzuleiten.  Die  Ähnlichkeiten 
zwischen  Fischen,  Ichthyosaurus  und  Walen  sind 
also  lediglich  als  Konvergenzerscheinungen  auf- 
zufassen, die  durch  Anpassung  an  das  flüssige 
Element  zu  erklären  sind. 

Bei  14  Exemplaren  hat  man  im  Innern  der 
Ichthyosauren  junge  Tiere  gefunden,  und  zwar  i 
bis  1 1  in  einem  Exemplar.  Auch  unsere  Abbil- 
dung Figur  5  läßt  ein  solches  Junges  erkennen. 
Es  ist  lange  darüber  gestritten  worden,  ob  es  sich 
hier  um  Embryonen  oder  von  den  Alten  aufge- 
fressene Junge  handelt.  Fraas  hält  die  jungen 
Tiere  für  Embryonen,  zumal  sie  keine  Spuren  der 
Verdauung  aufweisen  und  eines  eine  für  Embryonen 
charakteristische  Krümmung  zeigt.  Branca  ist 
gegenteiliger  Ansicht,  da  die  Lage  der  jungen 
Tierchen  eine  sehr  verschiedene  ist.  Viele  liegen 
im  Halse  und  von  den  36  aufgefundenen  Jungen 
zeigen  nur  6  die  normale  Geburtslage  (Kopf  nach 
hinten),  alle  übrigen  haben  Steißgeburtlage,  die 
nirgends  im  Tierreich  normal  ist.  Auch  die  un- 
gleiche Anzahl  der  in  einem  Tier  gefundenen 
Jungen  muß  Bedenken  gegen  die  Embryonen- 
theorie erregen.  Vielleicht  sind  beide  Ansichten 
für  je  einen  Teil  der  Funde  zutreffend.  Die 
Ichthyosauren  müßten  dann  also  lebendig  gebärend 
gewesen  sein. 

Einen  auffallenden  Gegensatz  zu  den  Fisch- 
sauriern, die  durch  ihre  Flossen  und  nackte  Haut 
eine    weitgehende    Anpassung    an    den  Aufenthalt 


im  Meere    zeigen,  [bilden    die   namentlich    in  den 
Schiefern  von  BoU  bei  Göppingen  vorkommenden 


92 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vin.  Nr.  6 


Teleosaurier,  die  mit  dicl<en,  viereclcigen  Knochen- 
schildern bedeckt  waren  und  durch  ihre  längeren 
Gliedmaßen  wohl  befähigt  waren,  sich  auch  auf 
dem  Lande  zu  bewegen.  Als  ein  Beispiel  dieser 
Gruppe  führen  wir  unseren  Lesern  in  F'igur  6  ein 
Prachtexemplar  des  MyStriosaurus  BoUensis  vor 
Augen. 

Die  Flugsaurier  sind  in  hohem  Maße  an 
die  Bewegung  durch  die  Luft  angepaßt,  was  man 
bei  heutigen  Reptilien  nur  in  geringem  Maße 
von  einer  einzigen  Art,  Draco  volans,  sagen  kann.  Da 
wir  unter  den  fossilen  Reptilien  etwa  6o  Arten  finden, 
die  das  P'lugvermögen  besaßen,  und  zwar  darunter 


dagegen  reduziert ,  die  Flughaut  trägt  Federn. 
Bei  den  Flugsauriern  finden  wir  eine  nackte  Flug- 
haut ,  Ober-  und  Unterarm  sind  kurz,  dagegen 
der  letzte  Handfinger  sehr  stark  verlängert.  Un- 
möglich können  daher  die  Vögel  von  diesen 
Formen  abstammen,  obgleich  sie  wohl  von  Rep- 
tilien abstammen  mögen.  Als  Ubergangsformen 
können  Archaeopteryx  und  Vögel  der  Kreidezeit 
mit  bezahnten  Kiefern  (Ichthyornis)  bezeichnet 
werden.  Bei  Archaeopteryx  finden  wir  Federn, 
eine  geschlossene  Schädelkapsel,  vogelartige  Hinter- 
extremitäten, aber  Zähne,  drei  freie,  mit  Krallen 
versehene  Finger,  einen  langen  Schwanz  und  nicht 


Fig.   7.     Diplodocus  Carnegiei,  aufgestellt  im-  Lichthof  des  Berliner  Museums  für  Naturkunde. 
(Mit  Genehmigung  der  Redaktion  der  illustrierten  Zeitung  ,,Der  Tag".) 


solche  von  der  Größe  eines  Sperlings  bis  zu  sol- 
chen, deren  Spannweite  7';'.,  m  beträgt  (Pteranodon), 
so  ist  anzunehmen,  daß  sie  sehr  zahlreich  gewesen 
sind. 

Der  wichtigste  Fundort  für  Flugsaurier  ist 
Solnhofen  in  Bayern,  wo  ja  auch  die  beiden  bis 
jetzt  bekannten  Exemplare  des  berühmten  Archaeo- 
pteryx gefunden  wurden.  Schon  die  Flugsaurier 
zeigen  pneumatische  Knochen  und  andere  Ähn- 
lichkeiten mit  Vögeln ,  sie  sind  aber  nach  dem 
Sacrum  und  vor  allem  nach  dem  Bau  der  Flug- 
organe echte  Reptilien.  Bei  den  Vögeln  ist  der 
Ober-    und  Unterarm   stark  verlängert,    die    Hand 


sehr  stark  ausgebildetes  Becken.  Das  Tier  war 
zu  neun  Zehnteln  ein  Vogel,  aber  zu  einem  Zehntel 
noch  Reptil.  Von  welchen  Reptilien  die  Vögel 
aber  abzuleiten  sind,  ist  noch  nicht  ermittelt. 
Fossile  Funde,  die  den  Übergang  von  Fallschirm- 
reptilien,  die  einen  hohen  Punkt  durch  Klettern 
erreichten,  vermitteln,  fehlen.  Daß  aber  die  Vögel 
von  diesen  und  nicht  von  Flugsauriern  abstammen, 
wird  z.  B.  durch  den  Besitz  des  Daumens  bei 
heutigen  Vögeln  wahrscheinlich  gemacht,  der  mit- 
unter sogar  noch  eine  Kralle  hat  und  vom 
jungen  Opisthocomus  noch  zum  Klettern  benutzt 
wird. 


N.  F.  Vin.  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


93 


Unser  besonderes  Interesse  beanspruchen  nun 
nocli  die  Dinosaurier,  jene  g^ewaitigen  Land- 
tiere, deren  Spuren  sich  hauptsäclilich  in  Belgien 
und  in  den  Rocky  Mountains  von  Nordamerika 
gefunden  haben.  In  Deutschland  ist  von  dieser 
Tiergruppe  leider  nichts  zu  finden.  In  neue- 
ster Zeit  sind  allerdings  auch  auf  deutschem 
Gebiet,  nämlich  bei  Lindi  in  Ostafrika,  Dino- 
saurierreste von  Fraas  entdeckt  worden.  Der 
Boden  ist  an  der  betreftenden  Stelle  mit  zer- 
fallenen Knochen  von  Sauriern  bedeckt,  in  der 
Erde  aber  findet  man  wohlerhaltene  Skelette,  und 
zwar  in  losem  Sande,  so  daß  die  Ausgrabung 
ohne  sehr  erhebliche  Kosten  möglich  sein  wird. 
Zunächst  ist  das  Terrain  von  der  Regierung  ge- 
sperrt worden,  aber  die  Ankunft  der  wertvollen 
Funde  im  Vaterland  wird  noch  eine  Weile  auf 
sich  warten  lassen.')  Wir  müssen  uns  daher  vor- 
läufig mit  den  Nachrichten  über  die  amerikanischen 
Funde  '),  beziehentlich  mit  dem  von  Carnegie  in 
großherziger  Weise  dem  deutschen  Kaiser  ge- 
schenkten Abguß  eines  Diplodocus,  der  sich 
im  Berliner  zoologischen  IVIuseum  befindet  (vgl. 
Figur  7),  begnügen.  Die  auf  Kosten  des  Milliardärs 
Carnegie  ausgeführten  Ausgrabungen  dieser  Tiere 
wurden  190 1  begonnen  und  haben  bis  jetzt  vier 
Skelette  zutage  gefördert ,  die  bis  auf  das  noch 
fehlende  Schlüsselbein  alle  Knochen  lieferten,  so 
daß  eben  die  Rekonstruktion  eines  vollständigen 
Skeletts  möglich  war,  das  im  Original  in  Pitts- 
burgh  verblieben  ist.  Manche  der  Tiere  müssen 
die  für  Landbewohner  enorme  Länge  von  40  m 
gehabt  haben.  Allein  der  Oberschenkel  ist  1^2™ 
lang.  Außerordentlich  lang  sind  auch  Hals  und 
Schwanz,  ersterer  aus  15  sehr  großen,  letzterer 
aus  'J'^  am  Ende  sehr  klein  werdenden  Wirbeln 
zusammengesetzt.  Der  Schädel  ist  im  Vergleich 
zum  übrigen  Körper  merkwürdig  klein,  nämlich 
nur  ^/j  m  lang.  Der  Atlas  ist  nur  '/j  cm  breit, 
aber  nach  dem  Rücken  zu  werden  die  Wirbel 
immer  größer.  Der  lange,  dünne  Schwanz  hat 
wahrscheinlich  als  Waffe  gedient.  Der  Name 
Diplodocus  (mit  doppelten  Spangen)  kommt  da- 
her, daß  die  unteren  Fortsätze  der  Schwanzwirbel 
doppelt,  schlittenartig  ausgebildet  sind. 

Diplodocus  hatte  nur  Schneidezähne,  keine 
Backenzähne  und  war  jedenfalls  ein  in  Sümpfen 
oder  seichten  Gewässern  lebendes  Tier.  Auf  dem 
trockenen  Lande  würde  es  den  Kampf  mit  kräf- 
tiger bezahnten  Dinosauriern  nicht  bestanden 
haben.  Die  Schädelhöhle  ist  nur  6  cm  lang. 
Die  geistige  Tätigkeit  dürfte  eine  minimale  ge- 
wesen sein.  Im  Gegensatz  zum  minimalen  Gehirn 
steht  die  enorme  Anschwellung  im  sakralen  Teil 
des  Rückenmarks.  Man  hat  sie  auch  als  Sakral- 
gehirn bezeichnet.  Die  Enge  der  Beckenöfi'nung 
deutet    darauf  hin,    daß    das  Tier   ziemlich    kleine 


Eier,  ähnlich  wie  die  heutigen  Riesenschildkröten, 
gelegt  haben  mag.  Das  Wachstum  muß  ein  sehr 
langsames  gewesen  sein ,  so  daß  dem  ausge- 
wachsenen Tier  wohl  ein  Alter  von  200  Jahren 
zuzuschreiben  sein  wird.  Veränderte  Lebens- 
bedingungen, die  am  Ende  der  Kreidezeit  ein- 
traten, dürften  das  Aussterben  der  Dinosaurier 
bewirkt  haben.  Kbr. 


Onosma  der  Mainzer  Sandflora  Adventiv- 
pflanze? —  Beim  Lesen  des  interessanten  Ar- 
tikels von  Ernst  H.  L.  Krause  über  den  Namen 
Veronica  in  Nr.  31  vorigen  Jahrganges  fiel  es  mir 
auf,  daß  unter  den  alten  Kräuterbüchern,  die 
Verf  auf  diesen  Namen  hin  durchgesehen  hat,  das 
von  Lonitzer  fehlt.  Um  zu  sehen,  ob  dies  über 
die  Angelegenheit  nichts  enthalte,  nahm  ich  es 
(Ausgabe  von  1557)  zur  Hand.  Was  ich  suchte, 
fand  ich  nun  allerdings  nicht,  aber  vergeblich  war 
mein  Suchen  doch  nicht;  denn  ungewollt  machte 
ich  dabei  eine  mir  erfreuliche  Entdeckung,  die 
auch  der  Erwähnung  an  dieser  Stelle  wert  sein 
dürfte. 

Ernst  H.  L.  Krause  hat  im  Jahre  1904  in 
Nr.  24  der  Naturw.  Wochenschrift  Stellung  ge- 
nommen gegen  die  von  Jännicke  aufgestellte 
Theorie,  nach  der  die  Flora  des  Mainzer  Sand- 
gebietes als  Relikt  aus  der  Steppenzeit  anzusehen 
ist.  In  Nr.  45  dieser  Zeitschrift  habe  ich  meine 
Bedenken  gegen  seine  Ausführungen  dargelegt 
und  einzelne  seiner  Annahmen  widerlegt.  So 
konnte  ich  z.  B.  seine  Behauptung,  daß  Onosma 
arenarium,  diese  typische  Steppenpflanze,  eine 
Adventivpflanze  sei,  die  erst  nach  18  14  dort 
aufgefunden  worden  sei,  als  irrtümlich  nachweisen, 
indem  ich  aus  der  Literatur  zeigte,  daß  sie  bereits 
1794  in  Menge  dagewesen  ist.  Weiter  zurück 
konnte  ich  damals  ihr  hiesiges  Vorkommen  nicht 
verfolgen,  und  doch  hatte  ich  den  Beweis  ihres 
Indigenates,  den  ich  erst  jetzt  gefunden  habe,  in 
allernächster  Nähe  bei  mir  stehen,  nämlich  in 
Lonitzer's  ,,New  zugericht  Kreuterbuch". 

Warum  kam  mir  damals  nicht  der  Gedanke, 
in  diesem  Buche  nachzusuchen?  Lonitzer  macht, 
wenn  er  den  Standort  einer  Pflanze  überhaupt 
erwähnt,  immer  nur  ganz  allgemeine  Angaben. 
Z.  B.  von  der  Boberelle  (Physalis  alkekengi): 
,,Wechßt  gern  inn  Weingärten  und  andern  Gärten 
ann  zeunen".  Oder  von  der  Küchenschelle  (Pulsa- 
tilla  vulgaris):  „Wechßt  an  sandechten  und  berg- 
echten orten  und  inn  Waiden  in  den  Dornhecken" 
usw.,  er  gibt  aber  nicht,  wie  das  H.  Bock  oft  tut, 
bestimmte  Gegenden  oder  gar  genau  den  Ort  an, 
wo  er  seine  Pflanzen  gefunden  oder  ihr  Vorhan- 
densein erfahren  hat.*)     Ich  konnte  mir  also  von 


')  Kraas  fand  u.  a.  Rückenwirbel,  die  die  des  Diplodocus 
Carnegiei  um  ein  Drittel  übertreffen  und  die  er  daher  einer 
neuen  Spezies  zuschreibt,  der  er  den  Namen  Gigantosaurus 
augustus  africanus  gibt. 

'■')  In  den  Veröffentlichungen  des  Carnegie-Museums. 


■)  Nur  bei  drei  Pflanzen  habe  ich  das  gefunden,  bei 
Lunaria  und  Asphodelus,  die  nach  Exemplaren  aus  dem 
Garten  ,,von  dem  Ehrsamen  Joanne  Nezeno,  Apotecker  zu 
Franckfort'*  gezeichnet  worden  sind,  und  bei  Platanus,  wo  er 
eine  Angabe  von  H.   Boch   wiedergibt. 


94 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  6 


einem  Suchen  in  diesem  Buche  kaum  P>folg  ver- 
sprechen. Und  dennoch  habe  ich  darin  nachge- 
sehen, habe  auch  zu  meiner  Freude  den  Namen 
Onosma  gefunden,  konnte  aber  weder  aus  der 
Abbildung,  noch  aus  dem  Texte  etwas  Sicheres 
entnehmen.  Erstere  (S.  321)  zeigt  eine  Wurzel 
mit  einem  Blätterschopf,  der  zwar  mit  dem  der 
erstjährigen  Pflanze  von  Onosma  arenarium  etwas 
Ähnlichkeit  hat,  aber  ebensogut  auchden  von  Echium 
vulgare  darstellen  könnte.  Dazu  schreibt  er: 
„.  .  .  hat  vil  rauhe,  dicke  bletter,  welche  auf  dee 
erden  ringsumb  gespreytet  ligen,  hat  kein  Stengel, 
auch  kein  blüet  oder  samen.  Die  wurtzel  ist 
lang,  dünn  unnd  rotfarbig.  Wechßt  an  rauhen 
orten."  Hieraus  konnte  ich  unmöglich  mit  nur 
einiger  Wahrscheinlichkeit  auf  unsere  Pflanze 
schließen.  Scheint  auch  die  rote  Wurzel  auf  sie 
hinzudeuten,  so  kann  man  doch  bei  einer  so  all- 
gemeinen Standortsbezeichnung  nicht  an  eine 
Pflanze  denken,  die  bei  uns  nur  in  einem  so  be- 
schränkten Gebiet  vorkommt. 

Bei  der  vorhin  erwähnten  Gelegenheit  fallen 
nun  heut  meine  Blicke  auf  eine  Abbildung,  die 
mich  sofort  an  Onosma  arenarium  erinnert.  Zu 
meiner  Überraschung  finde  ich  auch  in  dem 
dazu  gehörigen  Texte  eine  Ausnahme  von  der 
Regel,  nämlich  die  ganz  bestimmte  Angabe  eines 
Fundortes,  und  zwar  ist  dieser  die  Sandgegend 
zwischen  Mainz  und  Mombach,  also  das 
umstrittene  Steppenüberbleibsel !  Lonitzer  führt 
diese  Pflanze  unter  den  Ochsenzungen  auf,  unter 
denen  er  mehrere  Geschlechter  unterscheidet: 
,,die  gemeyne  zame  und  wilde  Ochsenzung,  die 
Welsch  Ochsenzung,  die  Wald  Ochsenzung,  die 
Hundszung  und  der  Borrich."  Außerdem  behan- 
delt er  aber  noch  die  in  der  Übersicht  fehlende 
„Rot  Ochsenzung",  die  diesen  Namen  „von  dem 
rotfarben  saft'c  der  wurtzeln"  führt.  Von  dieser 
Gruppe  zählt  er  ,,nach  Dioscorides"  drei  Ge- 
schlechter auf,  bildet  sie  auch  ab,  aber  nur  eins 
beschreibt  er  genau,  offenbar,  weil  er  nur  dies  eine 
genau  kennt,  die  anderen  aber  wenig  oder  gar 
nicht.  Diese  sorgfältig  beschriebene  Pflanze  ist 
nun  aber  offenbar  unser  heutiges  Onosma  arenarium. 
Er  sagt  von  ihr  folgendes:  „Das  erst  (Geschlecht) 
ist,  so  da  wechßt  in  sandechten  orten  und  sehr 
gemeyn  ist  in  dem  sandechten  feld  bei  Mentz 
auff  Mumbach  zu  .  ,  .  Sie  wechßt  buschecht  mit 
vielen  nebenzincklin,  welche  mit  vielen  äschfarb 
grauen  blettern  besetzt  sind ;  die  gstalt  der  bletter 
ist  wie  an  der  gemeynen  Ochsenzung, ')  Bringt 
weisse  blumen;  unden  auf  dem  erdtreich  bei  der 
wurtzel  bringt  es  etliche  lange,  schmale,  feyßte, 
schwartzgrüne  rauhe  bletter  wie  lange,  schmale 
Zungen.  Die  wurt?el  ist  fingers  dick,  hat  ein 
rote  schelen ,  welche  die  finger  ferbet.  Und  hat 
die  natur,  daß  sie  nit  ferbet,  so  sie  in  wasser 
gesotten  wird  sonder  allein  mit  öl  oder  anderm 
feyßt,  Wie  ich  solches  selbs  bewert  habe."  ')     Die 


dazu  gehörige  Abbildung  nun  ist  in  bezugauf  Blätter, 
Stengel  und  Blütenstand  unverkennbar  Onosma 
arenarium,  wenn  auch  die  schönen,  großen  Blüten 
der  Pflanze  wenig  kenntlich  sind.  Aber  mit  der 
Blütenform  nimmt  es  der  alte  Herr  Doktor  nicht 
immer  allzu  genau.  Und  doch  sind  ein  Paar 
Merkmale  der  Natur  richtig  abgesehen.  Höchst- 
wahrscheinlich ist  die  Zeichnung  nach  einem  ge- 
trockneten Exemplare  gemacht.  Denn  einmal 
sind  zwei  rotbraungefärbte  Blüten  abgebildet;  das 
sind  vertrocknete,  wie  sie  bisweilen  im  Kelche 
stecken  bleiben.  Und  zweitens  zeigt  der  eine 
Blütenstand  drei  hervorstehende,  geknöpfte  Fäden; 
das  sind  die  nach  dem  Abfallen  der  Blumenkrone 
weit  aus  dem  Kelche  hervorragenden  Griffel, 
deren  Narben  allerdings  etwas  zu  dick  geraten 
sind.  Daß  bei  den  Abbildungen  eine  Verwechse- 
lung der  Überschriften  stattgefunden  hat  —  An- 
chusa  tertia  statt  prima  —  kann  den  nicht  be- 
irren, der  die  Pflanze  kennt.  Zum  Überfluß  habe 
ich  noch  das  letzte  Merkmal,  die  Löslichkeit  der 
Wurzelfarbe  betreffend,  untersucht  und  gefunden, 
was  Lonitzer  darüber  bemerkt.  Ein  kleines  Stück 
in  Wasser  gesotten  gab  diesem  kaum  einen  röt- 
lichen Anflug,  ein  ebensogroßes  in  Öl  färbt  es 
aber  wundervoll  dunkelrot. 

Nach  alledem  kann  es  wohl  nicht  mehr  im 
geringsten  zweifelhaft  sein,  daß  Onosma  arenarium, 
schon  vor  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  als 
,,sehr  gemein"  bei  Mainz  bekannt,  zu  den  uralten 
pflanzlichen  Bewohnern  der  Gegend  gehört  und 
als  Steppenrelikt  angesehen  werden  muß. 

L.  Geisenheyner. 


Aus  dem  ^vissenschaftlichen  Leben. 

Ein  III.  Ferienkurs  für  wissenschaftliche  Mi- 
kroskopie findet  statt  vom  8.  — 13.  März  1909  in  dem 
unter  Leitung  von  Prof,  Th,  Liebisch  stehenden  mineralog,- 
petrogr,  Institut  der  Kgl,  Universität  Berlin  N,  4  (Invaliden- 
straße 43).  Die  Apparate  und  Mikroskope  werden  von  der 
optischen  Werkstätte  von  Carl  Zeiß  (Jena)  zur  Verfügung  ge- 
stellt, .\Is  Dozenten  werden  wirken  Prof,  Dr.  H,  Ambronn, 
Dr,  A,  Köhler,  Dr,  H,  Siedentopf.  —  Die  Anmeldungen  zur 
Teilnahme  sind  zu  richten  an  den  Kustos  des  mineral-petrogr, 
Museums  Prof,  Dr,  Belowsky,  Die  Zahl  der  Teilnehmer  an 
den  Übungen  und  Demonstrationen  ist  auf  30,  an  den  Vor- 
trägen auf  etwa  60  beschränkt. 


')  Echium  vulgare. 
-)  Seite  222, 


Bücherbesprechungen. 

Archiv  für  die  Geschichte  der  Naturwissen- 
schaften und  der  Technik  (F.  C,  W.  Vogel  in 
Leipzig)  nennt  sich  ein  neues  Periodikum,  dessen 
erstes  Heft  vorliegt.  Als  Herausgeber  sind  angegeben 
die  Professoren  v.  Buchka,  Stadler  und  S  u  d  h  o  f  f 
und  der  Oberst  z.  D.  C,  Schaefer.  Die  Zeitschrift 
soll  in  zwanglosen  Heften  erscheinen,  von  denen  fünf 
einen  Band  zum  Preise  von  20  Mk,  bilden.  Die 
Zeitschrift  will  die  Kenntnis  der  Vergangenheit  auf 
den  Gebieten  der  Naturwissenschaft  und  Technik 
pflegen :  sicherlich  ein  wichtiges  Unternehmen.  In 
der  Anzeige  wird  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  daß 


N.  F.  VIII.  Nr.  6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


95 


die  Erfassung  des  Werdens  allein  ein  volles  Verständ- 
nis des  (Gewordenen  verbürgt.  Das  erste  Heft  bringt 
nach  einer  Einführung  von  v.  Buchica  8  Artikel  in 
fran/iösischer,  italienischer,  meist  aber  in  deutscher 
Sprache  und  unter  kleineren  Mitteilungen  noch  eine 
Notiz  aus  der  Feder  Sudhoff's,  die  größeren  Ar- 
tikel (das  ganze  Heft  umfaßt  86  Seiten)  haben  zu 
Verfassern:  Loria,  Haas,  Vailati,  Stadler, 
Wiedemann,   Erdmann,  v.  Meyer. 


Dr.  J.  E.  V.  Boas,  Prof.  der  Zoologie    an  der  Kgl. 

Landw.  Hochschule    zu   Kopenhagen,    Lehrbuch 

der    Zoologie    für    Studierende.      5.  verm. 

und    verbesserte    .Auflage.      Mit    603   Abbildungen. 

Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena,   1Q08.  —  Preis 

12  Mk. 

Die  4.  Auflage  des  bewährten  Buches  erschien 
erst  1906  und  schon  wieder  zeigen  wir  eine  Neu- 
auflage an.  Auch  an  dieser  sieht  man  die  liebevoll 
verbessernde  Hand.  Kleine  Zusätze  betreffen  das 
Mendel'sche  Gesetz,  die  Rhizostomen  und  Lucernarien 
usw.  .\uch  die  mustergültigen  Abbildungen  hat  der 
Autor  sorgsam  in  Aufsicht  gehalten  und  auch  hier 
Neues  hinzugefügt,  resp.  ältere  durch  bessere  ersetzt. 
Im  übrigen  ist  das  Buch  das  gleiche  geblieben. 


Kulturpflanzen    der  Weltwirtschaft.      Unter    Mit- 
wirkung erster  Fachleute  herausgegeben  von  Otto 
Warburg,    Berlin,    und    J.    E.    von    Someren 
Brand,  Amsterdam.     Mit  653  schwarzen  und   12 
farbigen    Abbildungen    nach    Photographien.       R. 
Voigtländer's  Verlag   in  Leipzig    (ohne  Jahreszahl: 
1908).  —  Preis  geb.    14  Mk. 
Das  prächtig  ausgestattete  Werk  ist  sehr  geeignet, 
in  die  von  ihm  gebrachten  Gegenstände  einzuführen. 
Die    einzelnen  .Abschnitte    werden   von  verschiedenen 
Autoren  behandelt,    so  derjenige  über  den  Reis  von 
Eduard    van    Tsoe    Meiren,    über    den    Weizen 
von  Pierre  Nicolas,    über    den    Mais    von  F.  W. 
Morren,    über    den    Zucker    von  den  beiden  Letzt- 
genannten, über  den   Weinstock  von  Nicolas,  über 
den  Kaftee    und   den  Tee    von  A.  J.  Resink,   über 
den  Kakao    und  den  Tabak  von   C.  S.  Kokke  und 
endlich    über    die    Baumwolle    von    War  bürg.      Die 
immer  mehr  und  mehr  um  sich  greifende  und  gegen- 
wärtig   schon    so    weit    vorgeschrittene    Arbeitsteilung 
in  der  Gewinnung    unserer   Nahrungsmittel    bringt  es 
mit  sich,  daß  der  einzelne  heutzutage  über  die  Her- 
kunft und  Entstehung  und  die  Art  der  Dinge,  die  er 
zu  seinem  Lebensunterhalt  gebraucht,  wenig,  schlecht 
oder  gar  nicht  unterrichtet  ist.    „Ein   14  jähriger  Junge 
—  heißt  es  in  der  Vorrede  —  wollte  einmal  wissen, 
was  Graupen  seien.    Niemand  wußte  es  ihm  zu  sagen. 
Graupen  sind  etwas,  was  man  essen  kann,    gab    man 
ihm  zur  .Antwort.    Da  machte  er  sich  daran,  Graupen 
zu  säen,  und  zwar  säte    er   sie  in  einen  Treibkasten. 
Die  Körner  verfaulten,  denn  Graupen  sind  geschältes 
Korn,  das  durch  die  Bearbeitung  die  Keimkraft  ver- 
loren   hat.      Da    studierte    der    Junge     in    allerhand 
Büchern    über   Pflanzenkunde    —    aber   was  Graupen 


waren,  vermochte  er  nicht  daraus  zu  erfahren."  Nun 
solche  und  viele  andere  alltägliche  und  naheliegende 
Dinge  zu  beantworten  ist  das  vorliegende  Buch  treff- 
lich geeignet  und  wird  sicherlich  bei  Alt  und  Jung 
das  größte  Interesse  finden,  da  es  auch  durch  die 
sehr  weitgehende  Illustrierung  die  Anschauung  außer- 
ordentlich unterstützt.  „Dieses  Buch  —  sagen  die 
Herausgeber  —  möchte  in  die  Dunkelheit,  die  uns 
so  viel  von  dem  Räderwerk  verbirgt,  das  unser  eigenes 
Dasein  in  Gang  hält,  einen  kleinen  Lichtschein  wer- 
fen. Es  wird  nur  ganz  wenige  Gegenstände  behan- 
deln und  von  diesen  Gegenständen  nur  einen  geringen 
Teil."  Es  sind  nur  jene  Kulturpflanzen  vorgeführt, 
die,  wie  die  obige  Aufzählung  zeigt,  auf  der  ganzen 
Erde  gebraucht  werden.  Die  Verfasser  haben  es  sehr 
gut  verstanden,  das  Allgemein-Interessante  aus  den 
Gegenständen  herauszuheben. 


G.    Linck,    Grundriß    der    Kristallographie 
für    Studierende    und    zum    Selbstunter- 
richt.     II.    umgearbeitete    Auflage.      Verlag  von 
G.  Fischer  in  Jena.    1908.    254  Seiten  mit  3  Tafeln. 
—  Preis   II   Mk. 
Die  Eigenart    des  Linck'schen  Grundrisses   beruht 
vor    allem    in    der  Art  des  Vortrages,  der  auf  leichte 
Faßlichkeit  und  Anschaulichkeit  hinzielt,  mathematische 
Herleitungen    nach  Möglichkeit    ausschaltet,    und    die 
Richtigkeit    eines   Gesetzes    lieber    durch    ein    heraus- 
gegriffenes   Beispiel,     statt    durch   einen    allgemeinen 
Beweis    dartut,    eine    Art,    die    gut    dazu   angetan    ist, 
das    Interesse    des   Anfängers    wachzurufen.     So    wird 
z.  B.  die    Möglichkeit    von    nur    32  Symmetrieklassen 
dadurch     klargemacht,     daß    etwa     eine      12-zählige 
Symmetrieachse  des  hexagonalen  Systems  auf  irrationale 
Indices  führen    würde,  und  das  Gesetz  der  rationalen 
Indices    läßt    der  Verfasser  den  Leser  gewissermaßen 
selbst  finden,  indem  er  einen  bestimmten,  gemessenen 
Kristall  zugrunde  legt. 

Die  vorliegende  zweite  Auflage  unterscheidet  sich 
von  der  im  Jahre  1896  erschienenen  ersten  weniger 
durch  die  Menge  des  hinzugekommenen  Stoffs,  als 
durch  dessen  Behandlung.  Neu  hinzugefügt  ist  am 
.Anfang  eine  sehr  erwünschte  kurze  Auseinandersetzung 
des  Wesens  der  flüssigen  Kristalle,  und  am  Ende  ist 
den  Beziehungen  zwischen  den  physikalischen  Eigen- 
schaften der  Mineralien  und  ihrer  chemischen  Zu- 
sammensetzung ein  breiterer  Raum  gewährt  als  früher. 
Die  Abbildungen  haben  eine  ganz  erhebliche  Ver- 
mehrung erfahren,  namentlich  durch  das  Hinzutreten 
der  schon  viel  besprochenen  Photographien  von  Kri- 
stallmodellen, die  bis  auf  die  der  Seiten  27  und  47 
gut  gelungen  sind,  und  sicher  die  Anschaulichkeit  er- 
höhen. Eine  Tafel  der  Interferenzfarben  bildet  eine 
willkommene  Bereicherung.  Vor  allem  hat  aber  der 
vorhandene  Text,  namentlich  im  morphologischen  Teil, 
eine  derartige  Durcharbeitung  erfahren,  daß  wohl  kein 
Kapitel  ganz  dem  früheren  gleicht,  und  es  den  hier 
verfügbaren  Raum  weit  überschreiten  würde,  auch  nur 
annähernd  die  Änderungen  aufzuzählen.  Ob  indessen 
hiermit  schon  das  gesteckte  Ziel  und  die  größtmög- 
liche   Klarheit    erreicht    ist,    mag    dahingestellt    sein. 


96 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


N.  F.  Vni.  Nr.  6 


So  ist,  um  nur  einige  Punkte  herauszugreifen,  frag- 
lich, ob  dem  Anfänger  der  Übergang  von  den  Sym- 
metrieklassen zu  den  Kristallsystemen  (Seite  13)  ganz 
klar  wird,  und  man  vermißt  hier  eine  an  etwa  zwei, 
drei  Beispielen  durchgeführte  Darlegung,  warum  nach 
dem  Gesetz,  daß  gleiche  Flächen  gleiche  Symbole  be- 
kommen sollen ,  immer  eine  Reihe  verschiedene 
Gruppen  auf  ein  und  dasselbe  Kristallsystem  führt. 
Bedauerlich  geradezu  erscheint  es,  wenn  (auf  Seite  21) 
noch  die  Begriffe  der  einzelnen  Kristallformen,  wie 
Pyramiden,  Prismen,  Domen  usw.  von  den  Kristall- 
achsen hergeleitet  werden,  mit  denen  diese,  lediglich 
aus  den  Symmetrieeigenschaften  sich  ergebenden  Ge- 
bilde nichts  zu  tun  haben.  Ob  man  sodann  z.  B. 
die  Symmetrieebenen  des  rhombischen  und  monoklinen 
Systems  als  Neben-Symmetrieebenen  bezeichnen  soll, 
denen  doch  logischerweise  Hauptsymmetrieebenen 
gegenüberstehen  müßten,  ist  auch  zweifelhaft.  Ver- 
wirrend muß  fernerhin  die  Nomenklatur  der  ver- 
schiedenen Kristallformen  des  monoklinen  und  triklinen 
Systems  wirken,  in  denen  die  überlebten  Begriffe: 
Hemi-  und  Tetartodomen,  Hemi-  und  Tetartopyrami- 
den  angewendet,  und  echte  Domen  bald  als  Prismen, 
bald  als  Hemidomen,  bald  als  Tetartopyramiden  be- 
zeichnet werden. 

Trotzdem  aber  bedeutet  die  Neuauflage  mit  ihrer 
schärferen  und  klareren  Fassung  vieler  Sätze  und  der 
Ausmerzung  von  Fehlern  (vgl.  z.  B.  Seite  7  der  I.  und 
Seite  13  der  II.  Auflage)  der  früheren  gegenüber 
einen  ganz  wesentlichen  Fortschritt. 

O.  Schneider 

O.  Lesser,  Lehr-  und  Übungsbuch  für  den 
Unterricht  in  der  Arithmetik  und  Al- 
gebra. I.  Teil.  203  Seiten  mit  15  Figuren. 
Wien,  F.  Tempsky,  1909.  —  Preis  geb.  2,80  Mk. 
Das  Buch  bildet  den  ersten  Teil  eines  von  Schwab 
und  Lesser  herausgegebenen  mathematischen  Unter- 
richtswerkes und  enthält  einen  sehr  beachtenswerten, 
vielfach  auf  neuem  Wege  vorgehenden  Lehrgang. 
Der  Funktionsbegriff  steht,  wie  es  die  Meraner  Lehr- 
pläne wünschen,  im  Mittelpunkt  des  Unterrichts  und 
die  graphische  Darstellung  von  Funktionen  wird  von 
Anfang  an  geläufig  gemacht.  Bei  der  Auflösung  der 
Gleichungen  mit  mehreren  Unbekannten,  bei  der 
Berechnung  der  Quadratwurzeln  und  der  Logarithmen 
wird  in  sehr  sinnreicher  Weise  das  graphische  Ver- 
fahren herangezogen.  Die  Herstellung  eines  logarith- 
mischen Rechenstabes  wird  gelehrt  und  so  in  höchst 
zweckmäßiger  Weise  dieses  immer  mehr  Boden  ge- 
winnende Werkzeug  von  Grund  aus  dem  Verständnis 
erschlossen.  Mit  einer  größeren  Zahl  noch  weniger 
bekannter  Kurven  wird  der  Schüler  durch  graphische 
Darstellung  einfacher  Funktionen  bekannt  gemacht. 
Das  Buch  enthält  auch  zahlreiche  historische  Hinweise. 
Bei  den  eingekleideten  Gleichungen    zeigt  Verf.  eine 


vielleicht  übertriebene  Vorliebe  für  alte  Aufgaben, 
namentlich  solche  des  Inders  Bhäskara  und  aus  der 
griechischen  Anthologie.  —  Die  Fortsetzungen  dieses 
originellen  Unterrichtswerkes,  die  im  Laufe  des  Jahres 
1909  erscheinen  sollen,  werden  die  Fachkreise  mit 
freudiger  Spannung  erwarten.  Kbr. 


Literatur. 

Abderhalden,  Prof.  F.mil:  Lehrbuch  der  physiologischen 
Chemie  in  32  Vorlesungen.  2.,  vollständig  umgearb.  Aufl. 
(VH,  984  S.  m.  19  Fig.)  Lex.  8».  Wien  '09,  Urban  & 
Schwarzenbcrg.   —  24  IMk.,  geb.   26,50  Mk. 

Boas,  Prof.  Dr.  J.  E.  V.:  Lehrbuch  der  Zoologie  f.  Studie- 
rende. 5.  verm.  u.  verb.  Aufl.  (X,  66S  S.  m.  603  Abbild.) 
Lex.   8".     Jena   '08,    ü.   Fischer.  —    12   Mk.,   geb.    14  Mk. 

Diesing,  Stabsarzt  a.  D.  Dr.:  Das  Licht  als  biologischer 
Faktor.  (Eine  Physiologie  und  Pathologie  des  F'arbstoff- 
wechsels.)  (113  S.)  8".  Freiburg  i.  B.  '09,  Speyer  & 
Kaerner.   —   3  Mk. 

Gänner,  Prof.  Dir.  Dr.  Aug  :  Leitfaden  der  Hygiene.  Für 
Studierende,  Arzte,  Architekten,  Ingenieure  u.  Verwaltungs- 
beamte. 5.  verm.  u.  verb.  Aufl.  (XV,  634  S.  m.  190  Ab- 
bildgn.)  Lex.  8".  Berlin  '09,  S.  Karger.  —  7,60  Mk., 
geb.  8,60  Mk. 

Graebner,  Kust.  Dr.  Paul :  Die  Pflanzenwelt  Deutschlands. 
Lehrbuch  der  Formationsbiologie.  Eine  Darstellung  der 
Lebensgeschichte  der  wildwachs.  Pflanzenvereine  und  der 
Kulturflächen.  Mit  zoolog.  Beiträgen  v.  Oberlehrer  F.  G. 
Meyer.  (XI,  374  S.  m.  129  Abbildgn.)  Lex.  8°.  Leipzig 
'09,   Quelle  &   Meyer.    —    7  Mk.,  geb.  in  Leinw.   7,80  Mk. 

Henle,  fr.  Priv.-Doz.  Dr.  Frz.  Wilh.:  Anleitung  für  das  orga- 
nisch präparative  Praktikum.  Mit  e.  Vorrede  v.  Prof.  Dr. 
J.  Thiele.  Mit  zahlreichen  Skizzen.  iXVI,  176  S.)  gr.  8». 
Leipzig  '09,  Akadem.  \'erlagsgesellschaft.  —  4,60  Mk.,  geb. 
in   Leinw.    5,20  Mk. 

Henrich,  Prof.  Dr.  Ferd. :  Neuere  theoretische  Anschauungen 
auf  dem  Gebiete  der  organischen  Chemie.  (XIV,  294  S. 
m.  7  Abbildgn.)  8".  Braunschweig  '08,  F.  Vieweg  &  Sohn. 
—   7   Mk.,  geb.  8  Mk. 

Kerl's  Bruno  :  Probierbuch.  Kurzgefaßte  Anleitung  z.  Unter- 
suchung V.  Erzen  u.  Hüttenproduklen.  Bearb.  v.  Bergakad.- 
Privatdoz.  Dr.  Carl  Krug.  3.  Aufl.  (VIII,  197  S.  m.  71 
Abbildgn.)  gr.  8°.  Leipzig  '08,  A.  Felix.  —  7  Mk.,  geb. 
8    Mk. 

Mansfeld ,  Dr.  Alfr. :  Urwald-Dokumente.  Vier  fahre  unter 
den  Croßflußnegern  Kameruns,  Mit  32  Lichtdr.-Taf. ,  165 
Abbildungen  im  Text,  2  Karten  und  Tab.  (XVI,  310  S.) 
Lex.   8".      Berlin  '08,    D.  Keimer.   —  Geb.  in  Leinw.    12  Mk. 

Pax,  Prof.  r)ir.  Dr.  F.:  Grundzüge  der  Ptlanzenverbreilung  in 
den  Karpathen.  II.  Bd.  Mit  29  Texifig.  u.  I  Karte.  (VIII, 
332  S.)  Leipzig  'oS,  W.  Engelmann.  —  Subskr.-Pr.  17  Mk., 
geb.  in  Leinw.  18,50  Mk.,  Einzelpr.  25  Mk.,  geb.  in  Leinw. 
26,50  Mk. 

Potonie,  Landesgeol.  Prof.  Dr.  H. :  Die  rezenten  Kaustobio- 
lithe  u.  ihre  Lagerstätten.  I.  Bd.:  Die  Sapropclite.  Eine 
Erläuterg.  zu  der  v.  den  deutschen  geolog.  Landesanstalten 
angewendeten  Terminologie  u.  Klassifikation.  2.,  sehr  stark 
erweit.  Aufl.  v.  desselben  Verf.  ., Klassifikation  u.  Termino- 
logie der  rezenten  brennbaren  Biolithe  u.  ihrer  Lagerstätten" 
(Berlin  1906).  (XV,  251  S.  m.  Abbildgn.)  Berlin  (NW  40, 
Platz  vor  dem  Neuen  Tore  3)  'oS,  Vertriebsstelle  der  kgl. 
geolog.  Laodesanstalt.  —  8  Mk. 

Reye,  Prof.  Dr.  Thdr. :  Die  Geometrie  der  Lage.  Vorträge. 
I.  .-\bllg.  5.,  verb.  u.  verm.  Aufl.  (VIU,  255  S.  m.  98  Ab- 
bildgn.) gr.  8°.  Leipzig  '09,  A.  Kröner.  —  8  Mk. ,  geb. 
in  Halbfrz.    lo  Mk. 


Inhalt:  W.  O.  Pocke:  Über  örtlich  getrenntes  oder  geselliges  Vorkommen  verwandter  Pflanzenformen.  -  Kleinere  Mit- 
teilungen: Prof.  Dr.  Brauer:  Die  neuesten  Forschungen  über  die  fossilen  Saurier.  —  L.  Geisenheyner;  Onosma 
der  Mainzer  Sandflora  Adventivpflanze?  —  Aus  dem  wissenschaftlichen  Leben.  —  Bücherbesprechungen:  Archiv 
für  die  Geschichte  der  Naturwissenschaften  und  der  Technik.  —  Dr.  J.  li.  V.  Boas:  Lehrbuch  der  Zoologie  für  Stu- 
dierende. —  Kulturpflanzen  der  Weltwirtschaft  —  G.  Linck:  Grundriß  der  Kristallographie  für  Studierende  und  zum 
Selbstunterricht.  —  O.  Lesser:  Lehr-  und  Übungsbuch  für  den  Unterricht  in  der  Arithmetik  und  Algebra.  —  Lite- 
ratur: Liste. 

Verantwortlicher  Redakteur:    Prof.   Dr.  H.   Potonie,    Groß-Lichterfelde-West  b.   Berlin.      Verlag  von   Gustav   Fischer  in  Jena. 
Druck  von  Lippert  &  Co.  (G.  Pätz'sche  Buchdr.),  Naumburg  a.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  folge  VIII.  Band; 
der  ganren  Kcihe  XXIV.   Band. 


Sonntag,  den  14.  Februar  1909. 


Nummer  7. 


fNachdruck  verboten.] 

Charles  Darwin  wurde  vor  genau  100  Jahren, 
am  12.  Februar  1809,  in  Shrewsbury  in  England 
geboren.  Die  naturwissenschaftliche  Welt  benutzt 
diese  Gelegenheit,  sich  auf  den  Mann  zu 
besinnen,  dessen  wissenschaftliche  Werke  eine 
neue  Epoche  im  Bereiche  der  Biontologie  ein- 
geleitet haben.  Die  Xaturw.  Wochenschr.  hat  be- 
reits am  10  jährigen  Todestag,  das  war  der 
19.  April  1892,  die  sympathische  Persönlichkeit 
Darwins  den  Lesern  vorgeführt;  aber  es  wird 
das  Bedürfnis  empfunden  werden,  auch  bei 
der  diesmaligen  Feier  etwas  Näheres  zu  hören. 
So  wollen  wir  denn  im  folgenden  noch  einmal 
auf  den  Lebenslauf  des  heute  am  meisten  ge- 
nannten Biontologen  eingehen  und  die  nächste 
Nummer  wird  eine  der  mannigfaltigen  Seiten  des 
großen  Naturforschers  näher  behandeln  durch 
einen  Aufsatz  aus  der  Feder  von  Herrn  Prof. 
Detmer-Jena:    .Charles  Darwin  als  Botaniker." 

Charles  Darwin's  Haupttat  aber  ist  die  Be- 
gründung der  Deszendenzlehre. 

Hatte  man  einmal  erkannt,  daß  die  Organismen 
in  ihren  ,, Zellen"  die  gleiche  Grundlage  im  Auf- 
bau besitzen,  so  mußte  das  bei  der  eingehenden 
und  allgemeinen  Beschäftigung  der  Naturforscher 
mit  der  Zellenlehre  die  beste  Vorbereitung  sein, 
nunmehr  mit  mehr  Verständnis  als  früher  eine 
durch  ihr  Alter  ehrwürdige  Theorie  aufzunehmen, 
welche  weitergehend  als  die  Zellenlehre  den  ge- 
meinsamen Zusammenhang  aller  Organismen 
überhaupt  aufzuzeigen  trachtete:  die  xAbstam- 
mungslehre.  Schon  im  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts hat  diese  Lehre,  welche  zur  Verbindung 
von  einer  Fülle  durch  die  Lebewelt  gebotener 
Tatsachen  die  Herkunft  aller,  auch  der  jetzt  ver- 
schiedensten Lebewesen  von  gemeinsamen  \'or- 
fahren  behauptete,  durch  Jean  Bapiiste  de  Lamarck 
eine  treffliche  naturwissenschaftliche  Grundlegung 
erfahren;  aber  erst  seit  Charles  Darwin  1859  die 
Lehre  nochmals  neu  und  eingehender  begründete, 
fand  sie  die  meisten  Naturforscher  genügend  vor- 
bereitet. Diese  Lehre  ist  heute  einer  der  wichtigsten 
Ausgangspunkte  der  biontologischen  Forschungen: 
erklärt  sich  doch  durch  die  Annahme  der  gemein- 
samen .Abstammung  aller  Lebewesen  durch  ,,Bluts"- 
Verwandtschaft  eine  Unzahl  von  Einzeltatsachen, 
die  vorher  zusammenhangslos  hingenommen  werden 
mußten.  Durch  die  gemachte  Annahme  ist  der 
Vorteil  einer  bedeutenden  Vereinfachung  in  un- 
serem Denken  gegeben.  Besonders  sind  es  Tat- 
sachen der  Morphologie,  die  mit  einem  Schlage 
in  hellstes  Licht  gerückt  wurden.  Es  ist  nämlich 
bemerkenswert,  daß  nicht  nur  die  Zellen,  sondern 


Charles  Darwin 
zu  seinem  hundertsten  Geburtstage. 

\'on   H.   Potonie. 


auch  die  Teile  höherer  Ordnung  bei  den  Lebewesen, 
z.  B.  die  Blätter  der  Pflanzen  untereinander,  trotz  ihrer 
Mannigfaltigkeit,  ferner  z.  B.  die  Fortbewegungswerk- 
zeuge der  Tiere,  wie  die  Flossen,  Flügel  und  Beine, 
untereinander  in  ihrem  Bau- Typus  gewisse  auffällige 
Übereinstimmungen  zeigen,  deren  Betrachtung  seit 
Goethe  (1817)  die  „morphologische"  heißt.  Alle 
die  morphologischen  Tatsachen  nun,  die  sich  ge- 
waltig gehäuft  hatten,  waren  durch  die  Annahme 
der  gemeinsamen  Abstammung  der  Lebewesen 
verstanden,  erklärt.  Man  glaube  nun  aber  nicht 
etwa,  daß  eine  neue,  vereinfachende  Theorie  wie 
die  Abstammungslehre  nun  auch  sofort  überall 
alte  Ansichten,  die  mit  der  neuen,  besseren  An- 
sicht im  Widerspruch  stehen,  auszurotten  ver- 
möchte; vielmehr  sind  die  Nachwirkungen  ein- 
gewurzelten älteren  Denkens  auch  nach  seinem 
Ersatz  durch  Besseres  lange,  oft  noch  sehr  lange 
zu  verspüren.  Die  Ausrottung  einer  Denkrichtung, 
sofern  sie  eine  gewohnheitsmäßige  ist,  ist  auch 
dann  schwierig,  wenn  die  Einsicht  vorhanden  ist, 
daß  sie  sich  in  falscher  Bahn  befindet  und  eine 
bessere  gefunden  ist. 

Um  eine  Erklärung  der  Entstehung  der  ver- 
schiedenen Tier-  und  Pflanzenarten  anzubahnen, 
nahm  Lamarck  eine  direkte  Anpassung  an  neue 
Umgebungsverhältnisse  an:  ein  Wiederkäuer,  etwa 
aus  der  Verwandtschaft  der  Kamele,  der  genötigt 
wird,  vorwiegend  in  hohen  Baumkronen  seine 
Nahrung  zu  suchen,  wird  nach  ihm  allmählich, 
d.  h.  im  Verlaufe  der  Generationen  zur  Giraffe 
werden;  nach  Darwin  jedoch  ist  es  die  ,, natürliche 
Zuchtwahl"  (die  „Selektion")  durch  den  Kampf 
ums  Dasein,  welche  aus  einer  vorhandenen,  nach 
allen  möglichen  Richtungen  hin  abändernden 
(variierenden)  Art,  die  zufällig  den  äußeren  Um- 
ständen am  besten  angepaßten  Individuen  aus- 
wählt und  durch  Vererbung  der  nützlichen  Eigen- 
schaften zur  Entstehung  einer  neuen  Art  Ver- 
anlassung gibt.  Es  ist  zweifellos,  daß  die  Zucht- 
wahl eine  große  Rolle  spielt,  aber  die  Biontologen 
haben  sich  am  Ende  des  19.  Jahrhunderts,  nach- 
dem die  Selektionstheorie,  das  ist  der  eigentliche 
Darwinismus,  zunächst  die  vi'eiteste  Anerkennung 
gefunden  hatte,  doch  mehr  der  Lamarck'schen 
Ansicht  von  der  direkten  Anpassung  als  dem 
wesentlich  Ausschlaggebenden  für  die  Entstehung 
neuer  Arten  zugewendet.  Nach  der  verbreitetsten 
jetzigen  Anschauung  sind  es  also  die  Einwirkungen 
der  .Außenwelt  in  Verbindung  mit  dem  durch  die 
Lebewesen  Gegebenen  —  wie  man  zu  sagen 
pflegt,  in  Verbindung  mit  den  inneren  Verhält- 
nissen — ,    welche    zusammenwirkend   neue  Arten 


98 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr. 


hervorbringen;  die  Zuchtwahl  beseitigt  nur  das 
in  der  augenblicklichen  Umgebung  nicht  Lebens- 
fähige und  schafit  Platz  für  die  anpassungsfähigen 
Lebewesen:  nur  diejenigen  unter  iiincn,  die  auf 
neue  Reize  der  Umgebung  erlialtungsgemäß  ant- 
worten, bleiben  auch  erhalten,  die  anderen  gehen 
zugrunde. 

Die  Anfeindungen,  welche  die  Abstammungs- 
lehre erfahren  hat,  ergeben  sich  aus  der  Größe 
ihier  Abweichung  von  dem  Denken  der  Allge- 
meinheit. Der  Alltagsmensch  nimmt  gern  die 
praktischen  Resultate  der  Naturwissenschaft  in 
Empfang  und  benutzt  sie;  die  Frage,  ob  sein 
Denken  über  die  Welt  mit  demjenigen  der  Natur- 
forschung übereinstimmt,  das  diese  Resultate  ge- 
zeitigt hat,  kümmert  ihn  wenig,  weil  er  zu  dieser 
Frage  nicht  geführt  wird,  die  nur  auftauchen 
könnte,  wenn  er  Störungen  erleidet,  wenn  ihm 
die  Widersprüche  des  .Alltagslebens  mit  dem 
naturwissenschaftlichen  Denken  entgegentreten  und 
bewußt  würden.  Bei  dem  Naturforscher  aber  ist 
dies  der  Fall:  er  hat  in  dieser  Hinsicht  unter  den 
,, Vitaldifferenzen",  die  sich  aus  seiner  Tätigkeit 
ergeben,  zu  leiden,  und  er  sucht  sie  durch  Be- 
seitigung der  Widersprüche  zu  lösen;  hierbei  muß 
freilich  Vieles  aus  dem  \'olksdcnken  als  unhaltbar 
fallen.  Wer  aber  mit  unlösbaren  Fesseln  an  dem 
Überkommenen  festhaftet,  der  kann  nicht  Natur- 
forscher sein :  er  bliebe  denn  ein  ausschließlicher 
Kärrner  in  der  Wissenschaft,  wobei  eine  Gefahr, 
die  Widersprüche  zu  sehen,  nicht  groß  ist.  Wer 
die  teilweise  Unvereinbarkeit  zwischen  dem  wissen- 
schaftlichen und  dem  Alltagsdenken  aber  dennoch 
sieht  und  doch  nicht  von  dem  durch  Erziehung 
und  freundliche  Erinnerung  im  Denken  Gewor- 
denen loskommt,  der  sucht  sich  durch  ohn- 
mächtigen Kampf  Zeit  seines  Lebens  gegen  die 
Naturwissenschaft  abzumühen  oder  aber  —  er 
gibt  freimütig  zu,  daß  er  nicht  wissen  will,  son- 
dern daß  er  es  vorzieht,  wo  Gefühle  und  Wunsche 
in  Frage  kommen,  bei  dem  Liebgewordenen  zu 
bleiben,  —  —  auch  wenn  die  Logik  entgegen- 
steht. Grundsätzlich  ist  dieses  Verhalten  freilich 
durchaus  nicht  verschieden  von  dem  des  Natur- 
forschers: jeder  pflegt  sich  diejenige  Lösung  zu 
suchen ,  bei  welcher  der  Bestand  seines  Ichs  am 
wenigsten  gefährdet  ist. 

Es  gellt  aus  dem  X'orangehenden  hervor,  daß 
die  Bedeutung  der  Deszendenztheorie  für  die  For- 
schung darin  liegt,  ein  .•\riadnefaden  in  dem  Laby- 
rinth der  erdrückenden  P'ülle  von  Einzeltatsachen 
zu  sein,  die  das  organische  Reich  bietet.  Es  ist 
aber  merkwürdig  genug,  daß  die  Frage,  warum 
uns  gerade  die  Kenntnisnahme  der  Entwick- 
lung, der  Entstehung  der  Organismen 
von  besonderer  Wichtigkeit  erscheint,  kaum  auf- 
geworfen und  zu  beantworten  gesucht  wird.  Die 
hohe  Wichtigkeit  einer  Erforschung  der  Entwick- 
lung mit  der  Annahme,  daß  dabei  im  allge- 
meinen ein  Fortschreiten  von  einfacheren(„niederen") 
zu  komplizierteren  („höheren")  Verhältnissen  statt- 
finde, wird  einfach  als  Prinzip  angenommen.     Um 


den  Wert  eines  Prinzipes  zu  erkennen,  zu 
erfahren,  was  denn  bei  Befolgung  desselben 
höchstenfalls  für  unsere  Erkenntnis  zu  erwarten 
sei,  ist  aber  die  Beantwortung  der  gestellten  Frage 
nicht  zu  umgehen,  und  daß  es  sich  dabei  gewiß 
nicht  um  etwas  Nebensächliches  handelt,  braucht 
in  unserer  in  Entwicklungsgedanken  geradezu 
schwelgenden  und  zum  Teil  fast  darin  untergehen- 
den Biontologie  nicht  besonders  hervorgehoben  zu 
werden. 

Wenn  ein  Kind  ein  mechanisches,  ihm  so,  wie 
es  ihm  entgegentritt,  unverständliches  Spielzeug 
zerstört,  wenn  ein  Neger  die  ihm  unbegreiflich 
erscheinende  Uhr  in  ihre  Bestandteile  zerlegt, 
wenn  der  Forscher  anatomische  Untersuchungen 
anstellt,  so  handelt  es  sich  durchgehends  um  den- 
selben Trieb,  nämlich  den,  sich  das  ihm  vorläufig 
noch  Unerklärliche  dadurch  zu  klären,  daß  der 
Untersucher  die  einzelnen  Bestandteile  kennen 
lernt  in  der  Hoffnung,  daß  diese  für  ihn  einfachere, 
bereits  bekannte  sein  werden  und  ihm  so  als 
Brücke  dienen  können,  das  Zusammengesetzte  zu 
verstehen,  namentlich  wenn  er  dieses  nun  aus  den 
Einzelheiten  werden,  entstehen  sieht.  Jedes 
Werkzeug  des  Menschen,  Alles  was  er  schafft,  entsteht 
in  der  Zeit,  wird  entwickelt,  und  wer  sich  das 
Fertige  verständlich  machen  will,  fühlt  sich  hin- 
reichend befriedigt,  wenn  er  Kenntnis  von  dem 
Werden  desselben  hat.  Das  Streben  nach  dieser 
Kenntnis  entspringt  also  rein  und  ausschließlich 
aus  dem  Bedürfnis,  sich  etwas  F'ertiges,  Unver- 
standenes verständlicher  zu  machen:  es  abzuleiten 
oder  bedingt  zu  seilen  aus  Einfacherem,  dessen 
weitere  Erklärung  daher  weniger  schwierig  er- 
scheint, bis  man  dann  zu  „Elementen"  gelangt, 
deren  weitere  ,, Erklärung"  von  den  meisten  nicht 
mehr  als  Bedürfnis  empfunden  wird.  Hierin  sind 
freilich  die  verschiedenen  Menschen  ganz  ver- 
schieden veranlagt,  indem  der  eine  schon  sehr 
frühe,  zuweilen  von  vornherein  Halt  macht,  der 
andere  später  und  schließlich  eine  kleinere  Ge- 
meinde auch  die  „einfachsten  Elemente"  ebenso 
,, unerklärlich"  findet  wie  die  kompliziertesten  Ge- 
bilde. Aber  da  doch  die  ,, rohen",  von  der  Natur 
ohne  weiteres  gebotenen  Materialien  den  meisten 
Menschen  als  diejenigen,  an  die  sie  gewöhnt 
sind,  auch  hinreichend  ,, erklärt"  sind,  so  ist  es  erst 
das  aus  diesem  Rohmaterial  Hergestellte ,  was 
ihnen  Fragen  nach  seiner  Entstehung  abnötigt. 

Das  rein  Menschliche  ist  es  demnach,  das  Ent- 
wicklungs-,  Entstehungsfragen  gebiert,  und  wer 
über  den  engeren  Kreis  hinaustretend  nun  die 
Natur  notgedrungen  von  dem  einzig  möglichen 
Standpunkte  aus,  d.  h.  mit  menschlichem  Maß- 
stabe gemessen,  ansieht,  der  muß  auch  da,  sobald 
ihm  das  Bewußtsein  des  auch  in  der  Natur  vor- 
handenen Komplizierteren  neben  Einfacherem  auf- 
geht, nach  einer  ,, Erklärung"  dieses  Komplizierteren 
verlangen.  Insbesondere  sind  es  die  Organismen, 
die  notwendig  dem  Versuch  sie  entv^'icklungs- 
geschichtlich  zu  „verstehen"  unterliegen  müssen, 
sei  es  in  ihrer  individuellen  Entwicklung,  sei  es  — 


N.  F.  Vin.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


99 


da  ihre  Gesamtheit  eine  Reihe  von  „Niederem" 
zu  „Höherem"  bildet  —  in  der  theoretischen  An- 
nahme, daß  diese  Reilie  über  die  Entstehung  der 
komplizierteren  Organismen  aus  ursprünglich  ein- 
facheren Auskunft  gibt. 

Der  Sinn  der  starken  Bevorzugung 
cntwicklungsgeschichtlicherForschun- 
gen  bedeutet  demnach  nur  und  allein 
eines  von  den  Mitteln,  Komplizierteres 
aus  Einfacherem  bereits  „Verstande- 
nem" herzuleiten.  Mehr  dahinter  zu 
suchen  wäre  Mystizismus,  aber  keine 
Naturforschung  mehr. 


Bereits  im  Alter  von  acht  Jahren  verlor 
Charles  Darwin  seine  Mutter,  deren  er  sich  über- 
haupt nur  noch  ganz  dunkel  erinnerte;  so  mußte 
denn  sein  Vater,  der  ein  sehr  beschäftigter  Arzt 
war,  die  Erziehung  allein  überneinnen.  In  der 
Sammelschule,  die  Charles  seit  dem  Frühjahr  1817 
besuchte,  machte  er  geringe  Fortschritte,  er  lernte 
weit  langsamer  als  seine  jüngere  Schwester 
Catharine  und  gehörte  nicht  zu  den  Musterschülern. 
Aber  schon  jetzt  zeigte  Darwin  einen  ausge- 
sprochenen Sinn  für  Naturgeschichte  und  eine 
sehr  lebhafte  Neigung  -zum  Sammeln.  Er  ver- 
suchte die  Namen  der  Pflanzen  aufzufinden  und 
sammelte  alle  möglichen  Sachen,  Muscheln,  Siegel, 
Briefmarken,  Münzen  und  Mineralien:  eine  Leiden- 
schaft, die  sich  bei  Knaben  ja  oftmals  findet  und 
daher  nichts  Auffälliges  hat.  Auch  in  anderen 
Beziehungen  unterschied  sich  Darwin  nicht  wesent- 
lich von  seinen  Mitschülern.  ,,Ich  will  bekennen 
—  sagt  er  selbst  — ,  daß  ich  als  kleiner  Junge 
sehr  geneigt  war,  unwahre  Geschichten  zu  er- 
finden, und  zwar  geschah  dies  immer  zu  dem 
Zwecke,  Aufregung  hervorzurufen." 

Im  Jahre  1S18  kam  Darwin  auf  die  große 
Schule  von  Dr.  Butler  in  Shrewsbury  und  blieb 
dort  bis  zu  seinem  16.  Lebensjahre.  Er  sagt: 
„Nichts  hätte  für  die  Entwicklung  meines  Geistes 
schlimmer  sein  können,  als  Dr.  Butlers  Schule, 
da  sie  ausschließlich  klassisch  war  und  nichts 
anderes  gelehrt  wurde,  ausgenommen  ein  wenig 
alte  Geographie  und  Geschichte."  Und  in  einem 
Briefe  Darwins  lesen  wir:  ,, Niemand  kann  die 
alte  stereotype,  einfältige,  klassische  Erziehung 
aufrichtiger  verachten,  als  ich  es  tue."  Da  Darwin 
für  Sprachen  keine  Begabung  hatte,  so  hielten  ihn 
die  Leiirer  und  sein  Vater  für  ziemlich  beschränkt, 
und  dieser  tadelte  den  Sohn  denn  auch  einmal 
mit  den  Worten:  „Du  wirst  Dir  selbst  und  der 
ganzen  Familie  zur  Schande." 

Er  beschäftigte  sich  aber  weiter  mit  natur- 
wissenschaftlichen Dingen,  wenn  auch  meist  nur 
sehr  oberflächlich.  So  sammelte  er  zwar  mit 
großem  Eifer  Mineralien,  aber  kümmerte  sich 
dabei  nur  um  solche  mit  neuen  Namen  und  ver- 
suchte kaum,  sie  zu  klassifizieren.  Durch  seinen 
älteren  Bruder  wurde  er  zu  einer  Beschäftigung 
mit  der  Chemie  angeregt  und  der  Direktor  der 
Schule,  Dr.  Butler,    wies  ihn  dafür,    daß    er  seine 


Zeit  mit  derartigen  „nutzlosen"  Sachen  verschwende, 
öffentlich  zurecht. 

,,Da  ich  —  sagt  Ch.  Darwin  —  auf  der  Schule 
nichts  Rechtes  zu  Wege  brachte,  nahm  mich 
mein  Vater  sehr  weise  in  einem  im  ganzen 
früheren  .^Iter  als  gewöhnlich  zurück  und  schickte 
mich  (Oktober  1825)  zu  meinem  Bruder  auf  die 
Universität  Edinburg."  Hier  sollte  Charles  Medizin 
studieren,  was  ihm  aber  nicht  behagte.  Übrigens 
wußte  er,  daß  er  einst  genügend  Vermögen  haben 
würde,  um  davon  zu  leben,  und  so  beschäftigte 
er  sich  mehr  und  mehr  mit  rein  naturwissen- 
schaftlichen Dingen.  Der  Verkehr  mit  bedeuten- 
den Gelehrten  hat  ihn  besonders  angeregt.  Die 
meisten  der  von  ihm  gehörten  Vorlesungen  nennt 
er  langweilig. 

Der  Vater  Darwins,  der  wohl  sah,  daß  er 
keinen  Arzt  aus  ihm  machen  würde,  schlug  ihm 
nunmehr  vor,  sich  dem  geistlichen  Stande  zu 
widmen.  Darwin  bat  sich,  von  vornherein  keines- 
wegs abgeneigt,  den  Vorschlag  unbeachtet  zu 
lassen,  Bedenkzeit  aus  und  beschäftigte  sich  mit 
theologischen  Büchern.  Er  bezog  die  Universität 
Cambridge,  füllte  aber  hier  als  leidenschaftlicher 
Jäger,  der  er  damals  war,  die  Zeit  meist  mit 
Jagen,  auch  mit  Reiten  und  sonstigen  Zerstreu- 
ungen, wie  Gelagen,  aus.  Mit  knapper  Not  machte 
er  aber  doch  ein  Examen,  welches  ihm  den  Titel 
eines  Magister  artium  eintrug. 

Von  naturwissenschaftlichen  Studien  sind  es 
namentlich  Botanik  unter  Henslow's  und  Geologie 
unter  Sedgwick's  Leitung,  und  namentlich 
Entomologie,  welche  ihn  nun  beschäftigten. 

Die  beiden  genannten  Gelehrten  erkannten  in 
Darwin  den  scharfsinnigen  Kopf  und  haben  be- 
stimmend auf  seine  Lebensbahn  eingewirkt. 

Die  Erkenntnis  der  vollen  Befriedigung,  welche 
eine  Beschäftigung  mit  den  Naturwissenschaften 
gewährt,  war  Darwin  jetzt  aufgegangen;  auch 
sein  Streben  war  nunmehr,  einen  wenn  auch  noch 
so  bescheidenen  Baustein  zu  liefern  zu  dem  er- 
habenen Gebäude  der  Naturwissenschaft. 

Nach  seiner  Rückkehr  nach  Shrewsbury  wurde 
Darwin  von  Henslow  ein  Vorschlag  gemacht,  der 
Darwin's  Wünschen  nicht  besser  entsprechen 
konnte.  Die  englische  Regierung  rüstete  nämlich 
ein  Kriegsschiff,  den  „Beagle",  aus,  das  die  Küsten 
von  Patagonien,  Feuerland,  Chili,  Peru  und  einigen 
Inseln  des  Stillen  Meeres  aufnehmen  und  chrono- 
metrische Beobachtungen  zur  Bestimmung  der 
Länge  verschiedener  Punkte  der  Erde  machen 
sollte.  Ein  freiwilliger  Naturforscher  sollte  mit- 
gehen   und  Henslow    empfahl    Darwin.      Henslow 

schreibt  an  Darwin :  Ich  habe  ausgesprochen, 

daß  ich  Sie  für  die  bestqualifizierte  Person  unter 
denen,  die  ich  kenne,  halte  .  .  .  Ich  spreche  dies 
aus,  nicht  in  der  Voraussetzung,  daß  Sie  ein 
fertiger  Naturforscher,  sondern  reichlich  dazu 
qualifiziert  sind,  zu  sammeln,  zu  beobachten  und 
alles,  was  einer  Aufzeichnung  auf  dem  Gebiete 
der  Naturgeschichte  wert  ist,  zu  notieren."  .  .  . 
,, Tragen  Sie  sich  nicht  mit  irgendwelchen  Zweifeln 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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oder  Befürchtungen  über  Ihre  Untüchtigkeit,  denn 
ich  versichere  Ihnen,  ich  meine,  Sie  sind  gerade 
der  Mann,  welchen  sie  suchen.  .  .  ." 

Der  Vater  Darwins  machte  aber  ernstliche 
Einwendungen  gegen  die  Mitreise  seines  Sohnes: 
,,Wenn  Du  irgendeinen  Mann  von  gesundem 
Menschenverstände  finden  kannst  —  sagte  er  ihm 
—  der  Dir  den  Rat  gibt,  zu  gehen,  so  will  ich 
meine  Zustimmung  geben." 

Darwins  Onkel,  Josua  Wedgwood,  gelang  es, 
die  Bedenken  des  Vaters  zu  beschwichtigen,  und 
im  Dezember  1831  schiffte  sich  Darwin  auf  dem 
von  dem  erst  24  jährigen  F'itzRoy  kommandierten 
„Beagle"  ein,  um  erst  Ende  1836  zurückzukehren. 

Die  Reise  nennt  Darwin  das  bedeutungsvollste 
Ereignis  seines  Lebens,  das  seine  ganze  Laufbahn 
bestimmt  habe.  ,,lch  habe  stets  gefühlt  —  sagt 
er  • —  daß  ich  der  Reise  die  erste  wirkliche  Zucht 
oder  Erziehung  meines  Geistes  verdanke."  Daß 
Darwin  seine  Unfähigkeit  zu  zeichnen  sehr  be- 
dauerte, ist  nur  zu  begreiflich. 

Schon  die  Reisebriefe  Darwins  machten  ge- 
rechtes Aufsehen  bei  den  Gelehrten  und  der  be- 
rühmte Geologe  Sedgwick  äußerte  dem  Vater 
Darwins  gegenüber,  daß  der  Sohn  einst  ein  her- 
vorragender Gelehrter  werden  würde. 

Die  Reisebeschreibung  Darwin's,  ,, Reise  eines 
Naturforschers  um  die  Welt",  muß  ein  heutiger 
Naturforscher  gelesen  haben  und  wird  auch  jeden, 
der  sich  für  Naturwissenschaften  interessiert,  ohne 
Gelehrter  zu  sein,  hohe  Befriedigung  gewähren. 

Nach  seiner  Rückkehr  erschien  Darwin  wesent- 
lich verändert.  Seine  Gesundiieit  hatte  stark  ge- 
litten, vielleicht  infolge  der  Seekrankheit,  an  der 
er  auf  dem  Wasser  fast  beständig  litt;  seine 
Kränklichkeit  kann  aber  auch  eine  Form  der 
Gicht  gewesen  sein,  die  in  der  Familie  schon  seit 
dem  Jahre  1600  erwähnt  wird.  Es  verging  kein 
Tag  mehr,  ohne  daß  er  mehrere  Stunden  unpäß- 
lich gewesen  wäre.  Häufig  war  er  tage-,  ja  auch 
wochenlang  ganz  arbeitsunfähig  und  er  besuchte 
wiederholt  eine  Kaltwasserheilanstalt.  Sein  Schlaf 
dauerte  selten  länger  als  einige  Stunden. 

Durch  die  Reise  war  aber  Darwin  ein  Forscher 
ersten  Ranges  geworden. 

Die  2'/4  Jahre  nach  der  Rückkehr  von  der 
Reise  waren  die  täligsten,  die  Darwin  je  verlebt 
hat.  In  Cambridge,  wo  sich  seine  Sammlungen 
unter  Henslow's  Obhut  befanden,  arbeitete  er 
3  Monate;  2  Jahre  blieb  er  in  London.  Er  stellte 
seine  Reisebeschreibung  fertig,  hielt  mehrere  Vor- 
träge in  der  geologischen  Gesellschaft  usw.  Im 
Juli  1837  begann  er  sein  erstes  Notizenbuch  für 
Tatsachen  in  bezug  auf  den  Ursprung  der  Arten, 
worüber  er  lange  nachgedacht  hatte;  er  hörte 
während  der  nächsten  20  Jahre  nicht  auf,  daran 
zu  arbeiten. 

Am  29.  Januar  1839  heiratete  er  in  London 
seine  Niciite  Emma  Wedgwood.  Der  gesellschaft- 
liche Verkehr  nahm  ihn  aber  derartig  in  Anspruch, 
daß  er  sich,  um  nachhaltiger  seinen  Forschungen 
leben  zu  können,    im  Jahre    1842    nach   Down  in 


Kent  zurückzog,  wo  er  sich  ein  Landhaus  kaufte, 
das  er  später  nur  noch  selten  verließ. 

Das  tägliche  Leben  in  Down  gestaltete  sich  in 
der  späteren  Zeit  in  der  folgenden  Weise. 

Darwin  stand  früh  auf  und  machte  vor  dem 
Frühstück  einen  Spaziergang.  Nachdem  er  allein 
gefrühstückt  hatte,  begab  er  sich  gegen  8  Uhr  an 
die  Arbeit  und  blieb  dabei  bis  9^'.,  Uhr;  in  diesen 
I '/.,  Stunden  war  er  zum  Arbeiten  am  besten 
aufgelegt.  Um  ^l^io  Uhr  ging  er  ins  Wohn- 
zimmer, ließ  sich  bis  Vo  1 1  Uhr  Familienbriefe 
oder  einen  Roman  vorlesen  und  ging  darauf  in 
sein  Zimmer,  wo  er  wieder  bis  12  oder  i2'/.2  Uhr 
arbeitete.  Hiermit  war  sein  Tagewerk  eigentlich 
vollbracht.  Zunächst  ging  er  dann  spazieren, 
mochte  das  Wetter  gut  oder  schlecht  sein.  Er 
wandelte  gewöhnlich  erst  durch  die  Gewächs- 
häuser, sah  sich  die  keimenden  Samen  und  die 
Versuchspflanzen  an,  ohne  jedoch  genauere  Be- 
obachtungen anzustellen,  und  ging  dann  ins  F"reie. 
Wenn  er  allein  war,  blieb  er  oft  stehen  und  sah 
sich  die  Vögel  und  Tiere  an.  Bei  einer  solchen 
Gelegenheit  liefen  ihm  einmal  junge  Eichhörnchen 
die  Beine  und  den  Rücken  hinauf,  während  die 
Mutter  ihre  Jungen  mit  Angstgeschrei  vom  Baume 
aus  zurückrief. 

Nach  dem  MittagsSpaziergange  kam  das  zweite 
Frühstück.  Darwin  war  äußerst  mäßig  im  Essen 
und  Trinken ;  er  aß  gern  Süßigkeiten,  obgleich 
sie  ihm  schlecht  bekamen.  Nach  dem  zweiten 
Frühstück  legte  er  sich  aufs  Sofa  und  las  die 
Zeitung.  Außer  dieser  las  er  selbst  nichts  Unter- 
haltendes. Alles  übrige:  Romane,  Reisebe- 
schreibungen usw.  ließ  er  sich  vorlesen.  Mit  Politik 
beschäftigte  er  sich  nicht,  verfolgte  sie  aber.  Nun- 
mehr ging  er  an  die  Beantwortung  der  Briefe, 
von  denen  kein  einziger  unberücksichtigt  blieb. 
In  Geld-  und  Geschäftssachen  war  Darwin  sehr 
sorgfältig.  Wenn  die  Briefe  erledigt  waren,  legte 
er  sich  in  seinem  Schlafzimmer  aufs  Sofa,  ließ 
sich  aus  einem  unterhaltenden  Werke  vorlesen 
und  rauchte  eine  Zigarette.  Beim  Arbeiten 
schnupfte  er  gern,  um  sich  aber  nicht  zu  sehr 
daran  zu  gewöhnen,  stand  der  Topf  mit  Schnupf- 
tabak im  Hausgange. 

Punkt  4  Uhr  mit  außerordentlicher  Regel- 
mäßigkeit kam  er  die  Treppe  herunter,  um  sich 
zum  Spaziergange  anzukleiden.  Von  '/,,5  bis 
\'26  Uhr  arbeitete  er  wohl  noch,  dann  kam  er  aber 
ins  Wohnzimmer  und  nahm  an  der  Unterhaltung 
teil,  bis  er  um  6  Uhr  sich  aufs  Sofa  legte,  um 
sich  aus  einem  Roman  vorlesen  zu  lassen.  Gegen 
V28  Uhr  aß  er  zu  Abend.  Nach  dem  Essen  blieb 
er  nie  im  Wohnzimmer,  sondern  verkehrte  mit 
den  Damen.  Mit  seiner  Frau  spielte  er  dann 
Tricktrack,  und  war  ärgerlich,  wenn  er  kein 
Glück  hatte.  Nachher  las  er  im  Wohnzimmer 
oder,  wenn  zuviel  gesprochen  wurde,  in  seinem 
Studierzimmer  etwas  Wissenschaftliches,  so  lange, 
bis  er  sich  müde  fühlte;  dann  hatte  er  gern,  wenn 
ihm  seine  Frau  etwas  auf  dem  Klavier  vorspielte. 


N.  F.  VIII.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


lOI 


Um  lo  Uhr  ging  er  hinauf  und  gegen  '/., ii  Uiir 
zu  Belt. 

Darwin  hat  viel  geschrieben.  Kine  große 
Anzahl  Aufsätze  finden  sich  in  Zeitschriften, 
größere  Arbeiten  erschienen  in  Buchform;  seine 
Hauptwerke  sind  alle  ins  Deutsche  übersetzt 
worden  und  bilden  in  der  bekanntesten  Ausgabe 
i6  stattliche  Bände.  Sein  epochemachendes  Buch 
„Die  Entstehung  der  Arten",  das  am  24.  November 
1859  erschien,  war  im  Geiste  Darwins  bereits 
1844  fertig.  Er  schrieb  seine  Gedanken  nieder 
und  übergab  seiner  Frau  die  schriftlich  aufge- 
zeichneten genauen  Bestimmungen  darüber,  was 
in  dem  Falle,  daß  er  vor  Vollendung  seines 
Werkes  stürbe,  geschehen  solle.  Das  Werk  schwoll 
immer  mehr  an  und  wäre  in  der  jetzigen,  so 
günstigen  Fassung  überhaupt  nicht  erschienen, 
wenn  nicht  1S58  ein  bemerkenswerter  Zwischen- 
fall eingetreten  wäre. 

Der  Naturforscher  Wallace,  welcher  sich  da- 
mals im  malayischen  Archipel  aufhielt,  schickte 
nämlich  an  Darwin  eine  Abhandlung  ,,Über  das 
Bestreben  der  Abarten,  immer  mehr  von  der 
Stammart  abzuweichen".  Diese  Abhandlung  ent- 
hielt fast  die  ganze  Darwin'sche  Lehre;  nur 
fehlten  die  Begründungen  und  die  Anwendungen. 
Zunächst  war  Darwin  ratlos,  was  er  nun  tun 
sollte.  Auf  den  Rat  von  Lyell  entschloß  er  sich 
nun  endlich,  einen  Überblick  über  die  bisherigen 
Ergebnisse  seiner  Forschung  zu  geben,  den  er 
zugleich  mit  der  Abhandlung  von  Wallace  der 
Linnean  Society  vorlegte.  Darwin  verzichtete 
nunmehr  darauf,  seine  Lehre  mit  allen  Beobach- 
tungen, Versuchen  und  Belegen  zu  veröft'entlichen, 
die  er  gesammelt  hatte,  und  entschloß  sicli  zur 
Abfassung  eines  alles  Wesentliche  enthaltenden 
Auszuges.  Diese  Arbeit  ist  „Die  Entstehung  der 
Arten":  „The  origin  of  species." 

Am  Schluß  seiner  Autobiographie  versucht 
Darwin    die   geistigen  Eigenschaften    und  die  Be- 


dingungen, von  welchen  sein  Erfolg  abgehangen 
habe,  zu  zergliedern,  obwohl  er  sich  —  wie  er 
sagt  —  sehr  wohl  bewußt  sei,  daß  dies  niemand 
ganz  korrekt  tun  könne. 

Er  sagt  unter  anderem: 

„Ich  besitze  keine  große  Schnelligkeit  der  Auf- 
fassung oder  des  Witzes  .  .  .  Meine  F"ähigkeit, 
einem  langen  und  rein  abstrakten  Gedankengange 
zu  folgen,  ist  sehr  beschränkt  .  .  .  Mein  Gedächtnis 
ist  ausgedehnt,  aber  nebelig."  Den  Kritikern,  die 
von  Darwin  gesagt  haben,  daß  er  zwar  ein  guter 
Beobachter  sei,  aber  nicht  die  Fähigkeit  besitze, 
Schlüsse  zu  ziehen,  erwidert  er:  „Ich  glaube  nicht, 
daß  dies  richtig  sein  kann,  denn  die  „Entstehung 
der  Arten"  ist  von  Anfang  bis  zum  Ende  nur  eine 
lange  Beweisführung."  „Ich  habe  ein  ordentliches 
Teil  Erfindungsgabe  —  sagt  er  ferner  —  und 
gesunden  Sinnes  oder  Urteils,  so  viel  ein  Jeder 
erfolgreiche  Sachwalter  oder  Arzt  besitzen  muß, 
aber,  wie  ich  glaube,  in  keinem  höheren  Maße. 
Was  die  günstigere  Seite  der  Wage  betrifft,  so 
glaube  ich,  daß  ich  der  gewöhnlichen  Art  Men- 
schen darin  überlegen  bin,  daß  ich  Dinge,  welche 
der  Aufmerksamkeit  leicht  entgehen,  bemerke  und 
dieselben  sorgfältig  beobachte.  Mein  Fleiß  im 
Beobachten  und  im  Sammeln  von  Tatsachen  ist 
so  groß  gewesen,  wie  er  nur  hat  sein  können. 
Was  aber  von  weit  größerer  Bedeutung  ist:  meine 
Liebe  zur  Naturwissenschaft  ist  beständig  und 
heiß  gewesen." 

Am  19.  April  1882  ist  Charles  Darwin  ge- 
storben. 

Die  wenigen  seiner  wirklich  wissenschaftlichen 
Gegner  aus  dem  Kreise  seiner  Zeitgenossen,  die  es 
noch  gab,  sind  längst  ins  Grab  gesunken,  und  unter 
der  neuen  Generation  der  Naturforscher  ist  ein 
Gegner  der  Deszendenztheorie  kaum  noch  möglich. 
Die  Kenntnis  der  Prinzipien  dieser  Theorie  gehört 
heute  zu  dem  elementaren  Wissen  jedes  Natur- 
forschers. 


Sammelreferate  und  Übersichten 

über  die  Fortschritte  in  den  einzelnen  Disziplinen. 


„Neues  aus  der  Pharmazie".  „Die  Spal- 
tung des  Amygdalins  unter  dem  Ein- 
fluß von  Emulsin."  Von  L.  Rosenthaler. 
Mitteilung  aus  dem  pharmazeutischen  Institut  der 
Universität  Straßburg  i.  E.  Arch.  f.  Pharm.  Bd. 
246  (1908),  365  -366. 

K.  Feist  (Arch.  d.  Pharm.  Bd.  246,  S.  206. 
Vgl.  auch  das  Referat  in  Naturw.  Wochenschr. 
N.  F.  VIL  Bd.  Nr.  27  „Neues  aus  der  Pharmazie") 
kommt  zu  dem  Resultat,  daß  bei  der  Spaltung 
des  Amygdalins  durch  Emulsin  primär  Benz- 
aldehydcyanhydrin  entsteht,  weil  er  letzteres  dabei 
in  optisch  aktivem  Zustande  isolieren  kormte. 
Nach  Verf.  hat  Feist  aber  einen  Umstand 
nicht  berücksichtigt,  nämlich  den,  daß  aus  primär 
abgespaltenem    Benzaldehyd    und  Blausäure  unter 


dem  Einfluß  des  Emulsins  sekundär  ein  optisch 
aktives  Benzaldehydcyanhydrin  entstehen  konnte. 
Verf  erhielt  durch  Einwirkung  von  Emulsin  auf 
Benzaldehyd  und  Blausäure  d-Benzaldehydcyan- 
hydrin  und  durch  dessen  Verseifung  IMandcIsäure. 
Verf  hält  den  Beweis  für  erbracht,  daß  Benzal- 
dehyd und  Blausäure  unter  dem  Einfluß  des 
Emulsins  zu  optisch  aktivem  Benzaldehydcyan- 
hydrin zusammentreten.  .Angesichts  der  Bedeu- 
tung, die  derartigen  ,, asymmetrischen  Synthesen" 
zukommt,  will  Verf  die  Reaktion  Emulsin  Blau- 
säure-Benzaldehyd in  quantitativer  Hinsicht  unter- 
suchen; außerdem  will  Verf.  noch  weitere  Ver- 
suche darüber  anstellen,  in  welcher  Weise  Emulsin 
und  andere  Enzyme  zu  Synthesen  optisch  aktiver 
Körper     dienen     können.      Demgegenüber    kann 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  7 


K.  Feist  (Arch.  d.  Pharm.  Bd.  246,  S.  509—510) 
in  der  Beobachtung  von  L.  Rosen  thaler  nur 
eine  Bestätigung  seiner  Annahme  (K.  Feist, 
Arch.  d.  Pharm.  Bd.  246,  S.  206)  erblicken.  Feist 
sagt:  „Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  im 
Amygdalin  das  asymmetrische  Kohlenstoffatom, 
das  zur  Bildung  von  d- Benzaldehydcyanhydrin 
führte,  präformiert  vorhanden  ist,  denn  sonst 
würde  keine  optisch  aktive  Mandelsäure  entstehen 
können,  wenn  man  Amygdalin  mit  Salzsäure  er- 
hitzt." Das  optisch  aktive  Zwischenprodukt  hat 
Feist  isoliert,  allerdings  war  es  nicht  ausschließlich 
entstanden,  bzw.  es  war  bereits  zum  Teil  ver- 
ändert unter  Bildung  der  razemischen  Form  und 
unter  Spaltung  in  Benzaldehyd  und  Cyanwasser- 
stoff. Rosenthaler  fand,  daß  Emulsin  sogar 
die  Bildung  von  d-Benzaldehydcyanhydrin  aus 
Benzaldehyd  und  Cyanwasserstoff  veranlaßt,  des- 
halb glaubt  Feist  nicht  annehmen  zu  können, 
daß  es  vorher  dessen  vollständige  Spaltung  her- 
beiführt. Nach  Feist  spielt  das  Emulsin  hier 
die  Rolle  eines  Katalysators,  der  einerseits  einen 
Zerfall,  andererseits  eine  Bildung  bis  zum  Gleich- 
gewicht hervorruft ; 

d-Benzaldehydcyanhydrin  -f-  Emulsin  ~^ 
Benzaldehyd  -\-  Cyanwasserstoff-]-  Emulsin. 
Wer  sich  für  die  von  L.  Rosenthaler  zuerst 
beobachtete  asymmetrische  Beeinflussung  von 
Syntliesen  durch  Enzyme  interessiert,  versäume 
nicht,  die  schöne  Arbeit  von  L.  Rosenthaler 
,,Durch  Enzyme  bewirkte  asymmetri- 
sche Synthesen"  in  der  ,, Biochemische  Zeit- 
schrift"   1908,  Bd.   14,  238 — 253  zu  lesen. 

„Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  im 
Safran  vorkommenden  Stoffe."  Von  Dr. 
B.  Pfyl  in  Berlin  und  Dr.  W.  Scheitz  in 
Meerane.  Zeilschr.  f.  Unt.  d.  Nahrg.  u.  Gen.  1908, 
I61  337  —  346-  ^'1  neuerer  Zeit  scheint  es  vielfach 
üblich  geworden  zu  sein,  daß  man  die  wertvollen 
Safrannarben  aus  dem  Rohsafran  sorgfältig  aus- 
liest und  zu  hohen  Preisen  verkauft,  während  man 
die  wertlosen  hellgelben  Griffel,  unverändert  oder 
aufgefärbt,  mit  geringen  Mengen  von  Narben  ge- 
mischt (insbesondere  im  gepulverten  Zustande)  in 
den  Handel  bringt.  Schon  Hilger  suchte  diese 
Art  der  Fälschung  zu  bekämpfen.  Verff.  stellten 
erneute  Versuche  an,  um  zu  einem  brauchbaren 
Verfahren  zur  Wertbcstinimung  des  mit  Griffeln 
verfälschten  Safrans  zu  gelangen.  Hierzu  gehört 
eine  gründliche  Kenntnis  der  im  Safran  vorkom- 
menden Stoffe.  Verff.  haben  sich  deshalb  damit 
beschäftigt,  besonders  typische,  d.  h.  dem  Safran 
eigentümliche  Stoffe  näher  zu  charakterisieren 
und  zu  isolieren;  am  Schlüsse  ihrer  interessanten 
Arbeit  fassen  sie  die  Ergebnisse  zusammen : 
I.  Das  Verfahren  von  Quadrat  [Gmelin, 
Handbuch  d.  organ.  Chemie  1866,  4,  1409;  Journ. 
f.  prakt.  Chemie  1866,  56,  68;  Jahresber.  1851, 
532]  und  Weiß  [Journ.  f.  prakt.  Chemie  1867, 
101,  65;  Jahresber.  1867,  733]  führt  zu  keinem 
reinen  Crocin ,  weil  dabei  die  Abtrennung  der 
von    den    Verff.    nachgewiesenen    Glykoside    vom 


Safranfarbstoff  nicht  erzielt  wird.  Der  von  K  a  y  s  e  r 
mit  Tierkohle  abgetrennte  Farbstoff  [Ben  d.  d. 
ehem.  Ges.  1884,  17,  2228]  wird  durch  Einwir- 
kung von  Alkohol  verändert.  Es  ist  nicht  ge- 
lungen, das  Crocin  zu  kristallisieren.  2.  Ebenso- 
wenig konnte  das  Crocetin  als  solches  rein  oder 
kristallinisch  erhalten  werden;  hingegen  gelang 
es,  davon  kristallisierte  Salze  darzustellen.  3.  Bei 
der  Spaltung  des  Crocins  tritt  Glykose  auf,  welche 
als  Glykose  - /i  -  Naphtylhydrazon  nachgewiesen 
wurde.  4.  Der  von  Schüler  [Inaugural-Disser- 
tation,  München  1899]  beschriebene,  aus  dem 
Petrolätherextrakt  erhaltene  Kohlenwasserstoff  war 
nicht  rein.  Nach  völliger  Reinigung  schmilzt 
dieser  bei  63"  und  scheint  datm  identisch  zu  sein 
mit  einigen  anderen  Kohlenwasserstoffen,  die  in 
ebenfalls  rotgelben  Pflanzenfarbstoffen  gefunden 
wurden  [Wirth,  Dissertation  Erlangen  1891; 
Born  er,  Dissertation  Erlangen  1891 ;  Eh  ring, 
Dissertation  München  1896].  Das  von  Kays  er 
[Ben  d.  d.  ehem.  Ges.  1884,  17,  2228]  beschrie- 
bene Pikrocrocin  konnte  nicht  kristallinisch  er- 
halten werden.  Nach  der  vonKayser  angegebe- 
nen Vorschrift  wurde  einmal  eine  weiße  Substanz 
vom  Schmelzpunkt  67"  erhalten,  die  nicht  redu- 
zierte. 6.  Die  eingehende  Untersuchung  des 
Pelroläther-  und  Cliloroformextraktes  führte  zur 
Auffindung  von  drei  kristallisierten  Substanzen. 
Die  in  Chloroform  übergehende  Substanz  hat 
Ähnlichkeiten  mit  dem  Kays  er 'sehen  Pikro- 
crocin, indem  als  Spaltungsprodukte  ätherisches 
Öl  mit  Safrangeruch  und  Zucker  auftreten.  Dieser 
Zucker  aber  ist  linksdrehend,  gibt  kein  Glykose-/i- 
Naphtylhydrazon,  wohl  aber  das  der  Glykose  oder 
Fruktose  entsprechende  Osazon  und  die  Fruktose- 
reaktion.  7.  In  dem  absolut  alkoholischen  Extrakt 
(nach  erschöpfender  Behandlung  mit  Petroläther 
und  Chloroform)  wurde  ein  freier  Zucker  nach- 
gewiesen ,  der  ebenfalls  kein  Glykose-/i-Naphtyl- 
hydrazon,  wohl  aber  das  der  Glykose  oder  Fruk- 
tose entsprechende  Osazon  und  die  Fruktose- 
reaküon  gibt.  Neben  diesem  freien  Zucker  konnte 
ferner  ein  Glykosid  festgestellt  werden,  das  bei 
der  Spaltung  ätherisches  Safranöl  und  einen  Zucker 
von  den  eben  erwähnten  Eigenschaften  liefert. 
Da  die  Lösung  der  Gemenge  von  freiem  Zucker 
und  Glykosid  vor  und  nach  der  Hydrolyse  links 
dreht,  so  handelt  es  sich  zweifellos  in  beiden 
Fällen  um  Fruktose. 

,,Über  ein  Verfahren  zur  Wertbestim- 
mung des  Safrans."  Von  Dr.  B.  Pfyl  in 
Berlin  und  Dr.  W.  Scheitz  in  Meerane.  Zeitschn 
f.  Unters,  d.  Nahrgs.  u.  Gen.  1908,  16,  347—352. 
Hierzu  eignen  sich  nach  Verff.  besonders  die 
Zuckerarten,  welche  sie  im  Chloroformextrakte 
feststeilen  konnten  (vgl.  vorstehendes  Referat). 
Da  die  Zucker  des  Handels  nicht  in  Chloroform 
übejgehen,  so  können  sie  daher  niemals  als  Ersatz 
dieser  Substanzen  gebraucht  werden.  Da  Verff. 
qualitativ  festgestellt  hatten,  daß  weder  die  Griffel 
noch  die  üblichen  Verfälschungsmittel  (Lign.  San- 
tali,    Rhiz.    Curcumae,    Lignum    Campechianum, 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Flores  Rhoeados,  Flores  Paeoniae,  Honig,  Calen- 
dula officinalis  und  Carthamus  tinctorius)  einen 
Stoft"  eiuhallen,  der  in  Chloroform  löslich  ist  und 
nach  der  Einwirkung  \-on  Säuren  Fehlin  g'schc 
Lösung  reduziert,  so  haben  Vcrft'.  die  dem  Zucker 
des  Chloroformextraktes  entsprechende  Menge 
des  reduzierten  Kupfers  als  Maßstab  zur  Bestim- 
mung des  Reinsafrans  herangezogen:  Der  scharf 
getrocknete,  fein  zerriebene  Safran  (5,0  g)  wird 
mit  Petroläther  im  Soxhlet  entfettet.  Nach  Ver- 
dunsten des  Petroläthers  wird  2  Stunden  lang  im 
.Soxhlet  mit  Chloroform  extrahiert.  Der  nach 
dem  Abdestillieren  des  Lösungsmittels  verbleibende 
Rückstand  wird  mit  heißem  Aceton  aufgenommen, 
die  Lösung  in  ein  Becherglas  gespült,  mit  25  ccm 
Wasser  versetzt  und  das  Aceton  über  kleiner 
Flamme  auf  dem  Drahtnetz  weggekocht.  Nach 
Zusatz  von  5  ccm  Normal -Salzsäure  wird  die 
l'^lüssigkeit  unter  Ersatz  des  verdampfenden  Wassers 
etwa  I  5  Minuten  im  Kochen  erhalten.  Das  Gly- 
kosid wird  gespalten.  Nach  dem  Erkalten  wird 
filtriert  und  nachgewaschen,  das  Filtrat  mit  Normal- 
Alkalilauge  neutralisiert  und  zu  einer  AUihn'schen 
Zuckerbestimmung  benutzt.  Das  Kupfer  wird  als 
solches  gewogen  und  ergibt  die  Kupferzahl.  Zur 
Berechnung  des  in  einem  Falsifikate  enthaltenen 
reinen  Safrans  benutzt  man  eine  von  Verff.  auf- 
gestellte Interpolationstabelle,  die  Rücksicht  auf 
die  Tatsache  nimmt,  daß  die  Abscheidung  des 
Kupferoxyduls  aus  Fehlin g'scher  Lösung  nicht 
proportional  der  vorhandenen  Zuckermenge  vor 
sich  geht. 

,,Überdie  Alkaloide  der  chinesischen 
C  ory  dal  iskn  ol  1  en."  Von  Dr.  K.  Makoshi 
aus  Osaka  (Japan).  Mitteilung  aus  dem  pharma- 
zeutischchemischem  Institut  der  Universität  Mar- 
burg. (Arch.  d.  Pharm.  Bd.  246,  381 — 400.)  Nach 
Yokusai,  einem  bekannten  japanischen  P'loristen, 
stammen  die  chinesischen  Corydalisknollen  von 
Corj'dalis  bulbosa  var.  rotundifolia  ab, 
wogegen  dieselben  nach  Shimoyama  von  C  o  r  y- 
dalis  ambigua  herrühren.  Nach  B  red  e  m  a  n  n 
stammen  die  chinesischen  Corydalisknollen  von 
Corydalis  ambigua,  die  japanischen  Corydalis- 
knollen von  Corydalis  Vernyi  ab.  Verf 
isolierte  aus  chinesischen  Corydalisknollen:  Cory- 
dalin  vom  Schmelzpunkt  134 — 135",  Corybul- 
bin  vom  Fp.  237 — 239",  Protopin  vom  Fp. 
202 — 207".  Ferner  isolierte  Verf.  noch  zwei  Al- 
kaloide, die  er  mit  Alkaloid  I  und  II  bezeichnet. 
Nach  seinem  Gesamtverhaiten  trägt  das  Alkaloid  I, 
ebenso  wie  das  Berberin,  den  Charakter  einer 
.•\mmoniumbase.  Die  analytischen  Daten,  welche 
bei  der  Analyse  des  Chlorids  und  Golddoppel- 
salzes dieser  Base  gefunden  wurden,  stimmen  mit 
denen  überein,  welche  das  Berberinchlorid  bzw. 
dessen  Golddoppelsalz  verlangt.  Auch  läßt  sich 
das  Chlorid  des  Alkaloids  I  durch  Reduktion  in 
eine  farblose  Base  verwandeln ,  die  jedoch  nicht 
mit  dem  Hydroberberin  identisch  ist.  Das  Alka- 
loid II  war  eine  bei  197 — 199"  schmelzende  Base, 
welche  in  kompakten,  grauweißen  Nadeln  kristalli- 


sierte. Die  geringe  Menge,  in  welcher  dieses 
Alkaloid  vorlag,  gestattete  eine  weitere  Unter- 
suchung nicht. 

,,Uber  das  Protopin  der  japanischen 
Corydalisknollen:  Corydalis  Vernyi." 
Von  Dr.  K.  Makoshi  aus  Osaka  (Japan).  Mit- 
teilg.  aus  d.  pharm. -ehem.  Inst.  d.  Univers.  Mar- 
burg. Arch.  d.  Pharm.  Bd.  246,  S.  401 — 402.  Verf. 
untersuchte  zwei  von  Professor  Uyeno  in  Tokio 
erhaltene  Rohalkaloide,  welche  aus  den  japanischen 
Corydalisknollen  nacli  dem  X'erfahren  von  E. 
Schmidt  isoliert  waren.  Die  als  Alkaloid  A  be- 
zeichnete Base  war  aus  dem  alkalisch  gemachten 
P'.xtrakt  durch  Ausschütteln  mit  Äther  gewonnen, 
die  als  Alkaloid  B  bezeichnete  Base  dagegen  aus 
dem  mit  Äther  behandelten  Extrakt  durch  Aus- 
schütteln mit  Chloroform  isoliert.  Durch  Um- 
kristallisieren gelang  es  Verf  das  Alkaloid  A  in 
die  typischen  Formen  des  Protopins  von  Fp.  207" 
überzuführen.  Auch  in  den  Reaktionen  stimmten 
diese  Kristalle  mit  Protopin  vollkommen  überein; 
ferner  wurde  es  noch  durch  das  Hydrochlorid 
und  das  Platindoppelsalz  identifiziert.  Das  Alka- 
loid B  bildete  eine  gelbe,  kristallinische  Masse, 
welche  in  ihrem  Verhalten  und  in  ihrem  Äußeren 
große  Ähnlichkeit  mit  Dehydrocorydalin  bzw. 
Berberinchlorid  zeigte.  Wegen  der  geringen  Menge 
konnte  das  Alkaloid  nicht  näher  identifiziert 
werden. 

„Zur  Kenntnis  des  Pim  pinellins."  Von 
J.  Herzog  und  V.  Ha  neu.  Arbeiten  aus  dem 
Pharmazeutischen  Institut  der  Universität  Berlin. 
.Arch.  d.  Pharm.  Bd.  246  (1908)  S.  402 — 414. 
Über  das  Pimpinellin,  einen  in  der  Wurzel  von 
Pimpinella  Saxifraga  L.  enthaltenen  kristalli- 
sierten Stoff,  lagen  bisher  zwei  kurze  Mitteilungen 
von  Buch  heim  (Arch.  d.  Pathologie  1872,  S.  37) 
und  von  G.  Heut  (Arch.  d.  Pharm.,  Bd.  236 
(1898)  S.  162)  vor.  Zur  Darstellung  des  Pimpi- 
nellins  extrahierten  Herzog  und  Häncu  die  Biber- 
nellwurzel  mit  Benzol  und  versetzten  die  Lösung 
zur  Abscheidung  des  Pimpinellins  mit  Petroläther. 
Das  Auskochen  von  Vegetabilien  mit  Benzol  emp- 
fehlen Verff.  sehr,  da  das  Benzol  die  in  Wasser 
löslichen  Extraktivstoffe  fast  vollständig  zurück- 
läßt, während  es  die  meisten  auch  in  Alkohol 
löslichen  Stoffe  reichlich  löst;  ferner  siedet  es  sehr 
gleichmäßig  in  mit  überhitzten  Wasserdämpfen 
betriebenen  Apparaten  und  bedeutet  schließlich 
auch  durch  seinen  geringen  Preis  einen  Vorteil 
gegenüber  dem  Alkohol.  Die  Ergebnisse  ihrer 
Arbeit  fassen  Verff.  in  folgendem  zusammen : 

I.  Die  Wurzel  von  Pimpinella  Saxifraga  L.  liefert 
in  einer  Menge  von  etwa  0,5  "  „  einen  kristalli- 
sierten Rohstoff,  dessen  hauptsächlichster,  wenn 
nicht  einziger  Bestandteil  das  Pimpinellin  ist.  Ein 
zweiter  einheitlicher  Stoff  konnte  von  Verff.  (im 
Gegensatz  zu  Heut)  aus  dem  Rohprodukt  nicht 
isoliert  werden. 

II.  Das  reine  Pimpinellin  stellt  lange,  glänzende, 
weiße  Nadeln  vom  P'p.  119"  dar;  es  besitzt  nach 
Analyse    und    Molekulargewichtsbestimmung    die 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift 


N.  F.  Vni.  Nr.  7 


Formel  CjgH,,^^  und  zersetzt  sich  bereits  durch 
die  Einwirkung  des  lichtes  unter  Gelbfärbung. 

III.  Das  Pimpinellin  ist  mit  größter  Wahr- 
scheinlichkeit als  ein  Lakton  anzusehen;  es  ent- 
hält zwei  Methoxylgruppen  in  dem  oben  ange- 
nommenen Molekül.  (Demnach  würde  die  Formel 
des  Pimpinellins  weiter  aufgelöst  werden  können 
in  Ci„H,0.C0.0-(0CH3).,.) 

IV.  Durch  Oxydation  entsteht  aus  dem  Pim- 
pinellin eine  Säure,  die  bei  212  bis  220"  schmilzt, 
eine  dreibasische  Säure  zu  sein  scheint  und  ge- 
wisse Ähnlichkeit  mit  der  Phtalsäure  zeigt.  — 
Dieses  Oxydationsprodukt  des  Pimpinellins  CgHgO., 
(C00H)3  bildet  mit  Pyridin  ein  schön  kristalli- 
sierendes Salz,  das  mit  Diphenylharnstoffchlorid 
unter  Bildung  eines  diphenylierten  Säureamids 
zusammentritt;  Cf-HgO.,  ■  [CONlC^HJ.j],,. 

V.  Die  Zusammensetzung  der  Pimpinellinformel 
und  die  Überführung  des  Pimpinellins  in  eine  der 
Phtalsäure  in  mancher  Beziehung  ähnliche  Säure 
führt  zur  Vermutung,  daß  das  Pimpinellin  ein 
Naphtalinderivat  ist,  das  durch  Oxydation  in  eine 
substituierte  Phtalsäure  umgewandelt  wird. 

„Über  die  Inhaltstoffe  der  Rhizoma 
Imperatoriae."  Von  J.  Herzog.  Arbeiten 
aus  dem  Pharmazeutischen  Institut  der  Universität 
Berlin.  Arch.  d.  Pharm.  Bd.  246  (1908),  S.  414 
bis  417.  Wie  bei  der  Biberneil wurzel  (vgl.  vor- 
stehendes Referat)  erfolgte  die  Erschöpfung  der 
Droge  durch  siedendes  Benzol,  die  Abscheidung 
durch  Petroläther.  Verf.  erhielt  in  einer  Ausbeute 
von  etwa  i  "Jq  rein  weiße  Kristalle  vom  Schmp. 
140  —  141",  die  als  Oxypeucedanin  angesehen  wer- 
den müssen;  in  kleineren  Mengen  isolierte  Verf. 
aus  der  Petrolätherlösung  Ostruthin.  Vielleicht 
läßt  sich  ein  chemischer  Zusammenhang  zwischen 
den  beiden  Stoffen  nachweisen.  Verf.  hofft  hier- 
über in  einiger  Zeit  berichten  zu  können. 

„Über  das  Verhalten  des  Chinins  im 
Organismus."  Von  Dr.  Paul  Grosser.  (Aus 
der  II.  inneren  Abteilung  des  städtischen  Kranken- 
hauses am  Urban  in  Berlin.)  Biochem.  Zeitschr. 
Bd.  VIII.  (1908)  S.  98 — 117.  Zur  quantitativen 
Bestimmung  des  Chinins  wandte  Verf.  Phosphor- 
wolframsäure als  Fällungsmittel  an.  „Ein  Teil, 
meist  50  ccm,  des  bei  großen  Mengen  auf  ein 
kleines  Volumen  eingedampften  Harnes  wurde 
mit  Salzsäure  angesäuert  und  mit  konzentrierter 
Phosphorwolframsäurelösuiig  so  lange  versetzt,  bis 
bei  weiterem  Zusatz  keine  Trübung  mehr  eintrat. 
Daneben  wurde  mit  der  gleichen  Menge  eine 
Kontrollprobe  gemacht.  Nach  24 -stündigem 
Stehen  wurde  abfiltriert;  es  war  unbedingt  nötig, 
den  Niederschlag  so  lange  absetzen  zu  lassen,  da 
sonst  die  Flüssigkeit  häufig  trübe  durchging.  Der 
Filterrückstand  wurde  sodann  quantitativ  in  eine 
Abdampfschale  gespritzt,  in  dieser  zu  dem  weiß- 
lichen Brei  auf  dem  Wasserbade  Barythydrat  in 
Substanz  gefügt,  bis  die  Reaktion  stark  alkalisch 
wurde."  Es  wurde  zur  Entfärbung  Tierkohle  zu- 
gesetzt und  zur  Trockne  verdampft.  Der  Rück- 
stand wurde  im  Soxhlet   12  Stunden  mit  Chloro- 


form extrahiert.    Die  nach  Abdampfen  des  Chloro- 
forms   verbleibende    braune    Schmiere    wurde    in 
Äther    gelöst,    vom    Unlöslichen    abfiltriert,    der 
Äther    verdunstet,    der    bräunliche  Rückstand  bei 
115"   getrocknet    und    gewogen.      Der  Rückstand 
gab  die  bekannten  Identitätsreaktionen.     Zur  Iso- 
lation des  Chinins  aus  dem  Harn  war  die  Methode 
gut    anwendbar;    aus    eiweißhaltigen  Flüssigkeiten 
und    aus    Organen    konnte   das    Chinin    auf    diese 
Weise  nicht  wiedergewonnen  werden.    Die  Eiweiß- 
rückstände konnten  trotz  tagelangen  Auswaschens 
nicht  chininfrei  erhalten  werden.    Auch  die  quan- 
titative Chininbestimmung  aus  der  Leber  bereitete 
zuerst     große     Schwierigkeiten ;     Verf.     gelangte 
schließlich  zu  folgender  Methode:  Die  zerkleinerte 
und  bei  80"  getrocknete  Leber  wurde  mit  Seesand 
verrieben,  mit  etwa  100,0  ccm  25  "/o  iger  Schwefel- 
säure vermengt  und  im  Schüttelapparat  3  Stunden 
kräftig    geschüttelt,    sodann    getrocknet    und    der 
Rückstand  im  Soxhlet  mit  Chloroform  extrahiert, 
bis  das  ablaufende  Chloroform   klar  war.     Das  in 
Chloroform  unlösliche  schwefelsaure  Chinin  blieb, 
von    einem    Teil    der    Farbstoffe    befreit,    in    der 
Filterpatrone  zurück.      „Das    so    gereinigte  Pulver 
wurde  nunmehr  bis  zur  stark  alkalischen  Reaktion 
mit  Natronlauge  versetzt  und  wiederum  im  Schüttel- 
apparat   3  Stunden    kräftig    geschüttelt;   der  Brei 
nunmehr  unter  Zusatz  von  Tierkohle  zur  Trockne 
eingedampft,  bei  80"  völlig  getrocknet,  das  Pulver 
wiederum  im  Soxhlet    mit  Chloroform  extrahiert. 
.  .  .  Das  Chloroform  wurde  verdunstet,  der  braune 
Rückstand  getrocknet  und  in  verdünnter  Schwefel- 
säure gelöst.    Durch  ein  kleines  Filter  wurde  vom 
ungelösten    Rückstande    abfiltriert    und    so    lange 
mit  verdünnter  Schwefelsäure  gewaschen,  bis  daß 
das  Filtrat  chininfrei    war.     Der    nach  Abdunsten 
des  Äthers  zurückgebliebene  leicht  gelbliche  Rück- 
stand   wurde    getrocknet     und    gewogen."      Der 
Rückstand    gab    die    bekannten    Chininreaktionen. 
„Über    diabetische    Lävulosorie    und 
den    qualitativen    Nachweis    der    Lävu- 
lose    im    Harn."      Von  L.  Borchardt.      (Aus 
dem  Institut  für  med.  Chemie  und  exper.  Pharma- 
kologie zu  Königsberg.     Direktor  Gehr.  Jaffe.) 
Zeitschr.    f.    physiolog.    Chemie,    Bd.    55    (1908), 
241 — 259.      Verf.  verwirft  die  Seli wanof f'sche 
Probe  für  Urin  (Kochen  mit  gleichen  Teilen  Salz- 
säure und  einigen  Körnchen  Resorzin  :  Rotfärbung 
bei  Anwesenheit  von  Lävulose),  denn  außer  Lävu- 
lose    gibt    eine    Reihe    anderer    Körper,    die    im 
Urin  vorkommen,    eine  ähnliche  Rotfärbung,  teils 
beim    Kochen    mit    Salzsäure    allein,    teils    beim 
Kochen      mit      Resorzin      und     Salzsäure.       Die 
S  el  iwa  n  off '  sehe    Probe     ist    in    verschiedener 
Weise    modifiziert    worden;    Verf    führt    die    be- 
treffenden Modifikationen  an.      Die  Methode    von 
Rosin  (Zeitschr.  f  physiol.  Chemie,  Bd.  38,  1903, 
S.  555),    in    der    von    ihm    verbesserten   folgenden 
Form,    hält  Verf.  für  den  Nachweis  der  Lävulose 
im    Urin    für    geeignet:    „Einige    Kubikzentimeter 
Harn    werden   im   Reagenzglas    mit    der   gleichen 
Menge    25  prozentiger  (offizineller)  Salzsäure    und 


N.  F.  VIII.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrilt. 


105 


einigen  Körnchen  Resorzin  einmal  kurz  aufgekocht; 
tritt    Rotfärbung    ein,    so    külilt    man    unter    der 
Wasserleitung,  gießt  die  Flüssigkeit  in  eine  Schale 
oder  ein  Becherglas,  macht  mit  Soda  in  Substanz 
alkalisch,    gießt    in    das    Reagenzglas    zurück    und 
schüttelt    mit    Kssigäthcr    aus.       Bei    Anwesenheit 
von  Lävulose  färbt  sich  der  Essigäther  gelb."    Die 
Probe  ist  nur  dann  beweisend,  wenn  nicht  gleich- 
zeitig Nitrite    und  Indikan    in    deutlich    nachweis- 
barer Menge  vorhanden    sind.      Das    gleichzeitige 
Vorhandensein    beider   Stoffe    gibt    nämlich    auch 
eine  positive  Reaktion,  während  weder  Nitrit  noch 
Indikan  allein  die  Probe  geben.     In  einem  solchen 
Falle    entfernt  Verf    vorher   die    salpetrige  Säure, 
indem    er   den  mit  Essigsäure  angesäuerten  Harn 
I  Minute  kocht.     Ist  der  Indikangehalt  sehr  groß, 
so    geht    mitunter   in    den    Essigäther    ein    blauer 
Farbstoft'  über,  der  eventuell  den  gelben  für  Lävu- 
lose charakteristischen  verdecken  kann.     In  diesem 
Falle    muß    das    Indikan    vorher    entfernt    werden 
indem  man  gleiche  Teile  Urin  und  Obermeyer- 
sches    Reagens    mit    Chloroform    mehrmals    aus- 
schüttelt.     Da    das    Oberm  eye  r' sehe    Reagens 
aber  rauchende  Salzsäure  enthält,  muß  man  nach 
Abgießen     des    Chloroforms     erst     mit     ^1^     des 
Volumens  Wasser    verdünnen,   wodurch  die  Kon- 
zentration   der  Flüssigkeit   an  HCl  auf  12 — 13  "/„ 
herabgesetzt  wird,  dann  gibt  man  einige  Körnchen 
Resorzin    zu,    kocht   auf  und    verfährt  weiter  wie 
oben.      Der   Urin    von    Patienten,    die     Santonin 
oder  Rhabarber  genommen  haben,  gibt  eine  ähn- 
liche   Reaktion;    diese  Verwechslung    wird    leicht 
zu  vermeiden   sein,    wenn  man  diese  Fehlerquelle 
kennt.       Aus    Urinen,    die    Uroroscin    enthalten, 
muß  dieses  vorher  entfernt  werden,  da  der  P'arb- 
Stoff,    der    beim    Ansäuern    mancher    Urine     mit 
Salzsäure    schon    in   der   Kälte    entsteht,    bei    An- 
stellung der  angegebenen  Reaktion  mit  rotvioletter 
Farbe  in  den  Essigäther  übergeht  und  den  Nach- 
weis   der  Lävulose   dadurch    vereitelt.      Die    Ent- 
fernung   dieses   Farbstoffes    gelingt    leicht,    wenn 
man    gleiche  Teile  Urin    und    25  prozentige  Salz- 
säure 2  —  3  mal    mit  Amylalkohol  auschüttelt,    im 
Scheidetrichter   trennt,   dann    mit  Resorzin    kocht 
und  weiter  wie  oben  verfährt.     Da  aber  der  Ver- 
wendung des  käuflichen  Amylalkohols,    wie  Verf 
gezeigt  hat,  erhebliche  Bedenken    entgegenstehen, 
so  ist    ein    danach  auftretendes    positives  Resultat 
nicht  als  absolut  bewei'^end  anzusehen.     Nach  den 
weiteren    Untersuchungen    des  Verf.,    auf  die    ich 
hier  nur  verweisen  kann,    liegt   für   die   Annahme 
einer  Ausscheidung    von  Lävulose   im  Diabetiker- 
urin kein  Grund  vor. 

„Über  den  Wert  der  zur  Bestimmung 
des  Harnzuckers  verwendbaren  Metho- 
den." Von  Casimir  Funk.  (Aus  dem  ehem. 
Laborator.  der  inneren  Abteilung  des  Stadt. 
Krankenhauses  in  Wiesbaden.)  Zeitschr.  f  physiol. 
Chemie,  Bd.  56,  S.  507-511.  Auf  Grund  seiner 
Untersuchungen  kommt  Verf  zu  dem  Resultate, 
daß  die  Bertrand'sche  Zuckertitrationsmethode 
wegen  ihrer  Genauigkeit  und  scharfen  Umschlags 


für  Zuckerbestimmungen  empfohlen  werden  kann, 
auch  für  die  Bestimmung  des  Harnzuckers.  Die 
Bertrand'sche  Methode  (Bull,  de  la  Soc.  chim. 
de  F"rance,  Bd.  XXXV,  S.  1285,  1906)  skizziert 
Verf  kurz  wie  folgt:  Bertrand  läßt  die  zu 
untersuchende  zuckerhaltige  Flüssigkeit  mit  einer 
Fe  hl  in  g 'sehen  Lösung  von  bestimmtem  Gehalt 
3  Minuten  lang  kochen.  Der  CugO-Niederschlag 
wird  auf  einem  Asbestfilter  abfiltriert  und  mit 
heißem  Wasser  nachgewaschen.  Der  imErlen- 
mey  er -Kolben  zurückgebliebene  Cu.^O  Nieder- 
schlag wie  auch  der  auf  dem  Asbestfilter  zurück- 
gebliebene werden  in  einer  Lösung  von  Fe.,(S04)3 
in  H.jSO^  gelöst,  wobei  sich  die  beiden  Verbin- 
dungen nach  folgender  Formel  umsetzen : 
Cu.,0  +  Fe.,(SOJ,  +  HjSO,  =  2  CuSO^  + 
HoÖ  +  2FeS04. 
Das  entstandene  Ferrosalz  wird  mit  einer  auf 
Ammoniumoxalat  eingestellten  KMnOj-Lösung 
titriert.     Der  Umschlag  ist  äußerst  scharf. 

„Über    eine    neue    Gallensäurenreak- 
tion  und  über  denNachweis  derGalletl^ 
säuren  im  Harn."     Von  Adolf  Jolles.     (Aus 
dem  chemisch-mikroskopischen  Laboratorium  von 
Dr.  M.  und  Dr.  Ad.  Jolles  in  Wien.)     Zeitschr. 
f    physiol.    Chemie,    Bd.    57    (1908),    S.    30 — 34. 
Verf    versetzt    50  ccm    Harn    mit    15  ccm    einer 
3  prozentigen  Caseinlösung,  mischt  gut  durch  und 
setzt  hierauf  tropfenweise  von  einer  10  prozentigen 
Schwefelsäure   unter  fortlaufendem   Umrühren  so- 
lange hinzu,    bis   das  Casein  vollständig  ausgefällt 
ist.      Es    darf  nicht  mehr  Schwefelsäure  zugesetzt 
werden,  als  zur  Ausfällung  des  Caseins  nötig   ist. 
Sodann  wird    filtriert  und  der  auf  dem  Filter  be- 
findliche Niederschlag  in  ein  Becherglas  gebracht, 
worauf    10    ccm    absoluter    Alkohol    hinzugesetzt 
wird;  nun  läßt  man  etwa   1  Stunde  unter  wieder- 
holtem Digerieren    bei    gewöhnlicher  Temperatur 
stehen.      Jetzt    wird    filtriert    und    etwa  4 — 5   ccm 
des  Filtrates    werden    in    einem    Reagenzglas    mit 
I    Tropfen    einer    5  prozentigen    Rhamnoselösung 
und    4 — 5   ccm    konzentrierter   Salzsäure    versetzt, 
zum  Kochen   erhitzt    und    etwa   i — 2  Minuten    in 
schwachem  Kochen  erhalten.     Nach  dem  Erkalten 
der  Probe  fügt  man  zu  dem  Inhalte  des  Reagenz- 
glases   ca.  2  ccm  Äther    hinzu    und  schüttelt  um. 
Bei  Anwesenheit  von  Gallensäuren  ist  eine  charak- 
teristische grüne  Fluorescenz  schön  wahrzunehmen. 
„Über      den      Nachweis      organischer 
Basen  im  Harn."     Von  R.  Engel  and.      (Aus 
dem  physiologischen  Institut  der  Universität  Mar- 
burg.)    Zeitschr.  f  physiol.  Chemie,  Bd.  57  (1908), 
S.  49 — 64.      Loh  mann  und  Kutscher,  Kut- 
scher und  Achelis   haben    in  einer  Reihe  von 
Arbeiten    gezeigt,    daß    im  Harn    eine  Anzahl  or- 
ganischer Basen  stecken,  die  bisher  der  Beobach- 
tung   entgangen    waren.      Verf    hat    diese    Unter- 
suchungen mit  Methoden  fortgesetzt,  die  von  den 
genannten    Forschern    nicht    angewandt    wurden, 
und    zwar    fällte    er   i.  mit  kaltgesättigter  Queck- 
silberchlorid-  und  Natriumacetatlösung   den  nicht 


io6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  7 


eingeengten  Harn,  2.  fällte  er  den  Harn  mit  den- 
selben Lösungen  nach  vorheriger  Konzentration 
und  Reinigung  mit  Tannin,  3.  fällte  er  den  Harn 
unmittelbar  mit  heiß  gesättigter  Quecksilberchlorid- 
und  Natriumacetatlösung.  Verf  hat  nachgewiesen, 
daß  sowohl  Methyl-  als  auch  Dimethylguanidin 
präformiert  im  Harn  vorhanden  sind.  Ferner 
konnte  er  Histidin  nachweisen,  welches  er  nach 
den  Angaben  von  Steudel  in  das  Pikrolonat 
überführte,  welches  bei  220"  schmolz.  [Die 
Knorr'sche  Pikrolonsäure,  das  Dinitrophenyl- 
methylpyrazolon,  wurde  von  L.  K  n  o  r  r  (Ber.  d. 
CfiH.-NO.^ 


N 


N 


C-O 

I 
■C-NO.,H 


CH3 
d.  ehem.  Ges.  30,  I,  917)  als  ausgezeichnetes 
Fällungsmittel  empfohlen,  sie  ist  in  der  letzten 
Zeit  zur  erfolgreichen  Charakterisierung  organischer 
Basen  angewandt  worden,  besonders  solcher,  die 
sonst  kaum  kristallinische  Salze  liefern.  D.  Ref] 
„Über  VVacholdermus."  Von  H.  Matt h es 
und  F.  Streitberge  r.  (Mitteilg.  aus  d.  Inst, 
f.  Pharm,  u.  Nahrungsmittelchemie  der  Universität 
Jena.)  Pharmaz.  Zeitg.  1908,  Nr.  54.  Verff.  teilen 
zunächst  die  Analysen  dreier  Wacholderextrakte 
mit.  Probe  i  war  von  einer  Behörde  bei  einer 
in  Thüringen  umherziehenden  Händlerin  entnom- 
men worden.  Die  Untersuchung  gab  folgende 
Werte: 

Spez.  Gew.  der  Lösung  (i  -|-2)  bei  15''     1,0941 
Daraus  Extrakt  nach  Windisch       67,20    % 
Wasser  32,80     „ 

Polarisation  der   loproz.  Lösung  im 

200  mm-Rohr  nach  der  Inversion  -|-I3,5'* 
Der  Polarisation  nach  lag  also  ein  mit  Stärke- 
sirup versetztes  Präparat  vor.  Eine  zweite  Probe 
Wacholderextrakt,  die  den  Anforderungen  des 
D.  A.-B.  IV  entsprechen  sollte,  war  den  Verff. 
von  einer  Fabrik  von  Koniferenpräparaten  in 
Thüringen  zur  Verfügung  gestellt  worden.  Das 
betr.  Extrakt  stellte  einen  dunkelbraunen,  dicken 
Sirup  dar,  besaß  süßen,  aber  zugleich  herben  Ge- 
schmack, und  zeigte  den  charakteristischen  Geruch 
des  Wacholderöls.  Es  entsprach  in  bezug  auf 
Löslichkeit  den  Anforderungen  des  D.  A.-B.  IV: 
mit  gleichen  Teilen  Wasser  vermischt,  blieb  eine 
starke  Trübung  bestehen.  Die  Asche  enthielt 
geringe  Mengen  Kupfer,  das  Extrakt  war  nämlich 
in  einem  kupfernen  Kessel  eingedampft  worden. 
Auf  Veranlassung  der  Verff.  hat  der  betr.  Fabri- 
kant den  zur  Fabrikation  dienenden  Apparat  im 
Innern  mit  einem  gegen  Säuren  indifferenten  Über- 
zug versehen  lassen. 

Die     weitere    Untersuchung     ergab     folgende 
Werte: 


Spez.  Gew.  d.  Lösg.  i  -|-  2  bei  15"  1,1082 

Daraus  Extrakt  nach  Windisch  76,76  "/g 

Trockensubstanz  gewichtsanalytisch  73,47  */o 

Wasser  26,53% 

Gesamtsäure  in  ccm  Normalsäure  13,00 
Polarisation  der   lOproz.  Lösung  im 
200  mm-Rohr 

a)  vor  der  Inversion  — 0,41" 

b)  nach  der  Inversion  — 0,25" 
Zucker  als  Invertzucker  berechnet: 

a)  vor  der  Inversion  41,36% 

b)  nach  der  Inversion  42,24  % 
Daraus  Rohrzucker  berechnet  0,84  % 

Eine  dritte  Probe  stammte  aus  einer  Drogen- 
handlung Leipzigs.  Nach  Angabe  des  Fabrikanten 
sollte  das  Extrakt  „rein  und  unverfälscht"  sein; 
es  schmeckte  süß,  wenig  gewürzhaft  und  besaß 
durchaus  nicht  den  kräftigen  Geruch  des  Wacholder- 
beeröles. Die  Asche  war  frei  von  durch  H.3S  in 
salzsaurer  Lösung  fällbaren  Metallen.  Mit  gleichen 
Teilen  Wasser  gemischt  resultierte  eine  klare  Lö- 
sung, während  das  D.  A.B.  IV  eine  stark  trübe 
Lösung  verlangt.  Matt  lies  und  Streitberger 
konnten  durch  Versuche  im  großen  nachweisen, 
daß  diese  klare  Löslichkeit  nicht  daher  rührt,  wie 
in  der  ,,Real-Enzyklopädie  der  gesamten  Phar- 
mazie" Bd.  IX,  S.  526  (1890)  angegeben  ist,  daß 
das  ätherische  Öl  abdestilliert  ist  [ —  dies  ist  bei 
allen  Wacholderbeersäften  zum  größten  Teil  durch 
das  Eindampfen  verflüchtigt.  Die  trübe  Löslich- 
keit rührt  von  natürlichen  harzigen  Bestandteilen 
der  Beeren  her  — | ,  sondern  daß  die  klare  Lös- 
lichkeit durch  zugesetzten  Invertzucker  bewirkt 
wird.  Durch  Zugabe  von  Invertzucker  konnten 
Verff.  auch  trüblösliche  Wacholderextrakte  zur 
klaren  Lösung  bringen.  ,,Es  ist  also  in  der 
klaren  Löslichkeit  von  Wacholder- 
extrakt ein  wichtiger  Hinweis  gegeben, 
daß  zur  Vermehrung  der  Masse  ein  Zu- 
satz von  Invertzucker  oder  ähnlichen 
Stoffen  stattgefunden  hat."  [Ref  fiel  es 
auf,  daß  auch  in  dem  soeben  erschienenen  XI.  Band 
der  neuesten  Auflage  der  gen.  „Real-Enzyklopädie 
der  ges.  Pharmazie"  die  oben  erwähnte  alte,  falsche 
Angabe  stehen  geblieben  ist.  Eine  sehr  wohl- 
wollende, ausführliche  Besprechung  der  Arbeit  von 
Matthes  und  Streitberger  brachte  s.  Z.  die 
,, Süddeutsche  Apotheker-Zeitung".] 

Verff.  kommen  zu  folgenden  Schlußfolgerungen: 
„Ein  als  Wacholderextrakt  bezeichnetes  Präparat 
muß  den  Anforderungen  des  D.  A.-B.  IV  ent- 
sprechen. Unter  Wacholder mus  verstehen  wir 
ein  dem  Wacholder  ex  trakt  in  bezug  auf  Dar- 
stelUmg  und  Beschaffenheit  gleichwertiges  Produkt, 
denn  Wacholdermus  stellt  das  eingedickte  Dekokt 
von  Wacholderbeeren  dar.  Wacholder  saft  braucht 
in  bezug  auf  Löslichkeit  nicht  den  Anforderungen 
des  D.  A.B.  IV  zu  entsprechen.  Das  Arzneibuch  IV 
kennt  auch  nur  die  Bezeichnung:  Succus  Juniperi 
inspissatus  =  Wacholdermus."  Gegen  den  indu- 
striellen Brauch,    im    Handel    als  Wacholdersaft 


N.  F.  VIII.  Nr. 


Naturwisenschaftliche  Wochenschrift. 


107 


ein  stets  mehr  oder  weniger  versüßtes  Wacholder- 
extrakt  zu  verkaufen,  haben  Veiff.  nichts  ein- 
zuwenden. Zum  Versüßen  dient  meistens  Stärke- 
sirup oder  Zucker,  auch  Rübensaft.  „Eine  Dekla- 
ration solcher  Zusätze  halten  wir  für  unbedingt 
erforderlich,  da  sonst  Irrtümern  und  Preisunter- 
bietungen Tür  und  Tor  geöffnet  sind.  Für  den 
Apotheker  wird  es  von  Wichtigkeit  sein,  bei  Be- 
stellungen stets  sich  der  richtigen  Bezeichnung 
Succus  Juniperi  inspissatus  (Wacholdermus)  zu 
bedienen,  da  er  sonst  bei  Reklamationen  nach 
dem  jetzt  üblichen  Handelsbrauch  leicht 
Schwierigkeiten  haben  kann.  Bestellt  er  aber 
Wacholder saft  Ph.  G.  IV,  so  müßte  der  Grossist 
oder  Fabrikant  auch  vorschriftsmäßige  Ware  liefern, 
da  sich  diese  Bezeichnung  in  Anlage  VII  des 
Arzneibuches  S.  483  als  synonym  findet." 

„Über  künstliches  kristallisiertes 
Karlsbader  Salz"  haben  H.  Matthes  und 
H.  Serge  r  berichtet  („Apoth.-Zeitg."  1908,  Nr.  27, 
Nr.  41  u.  Nr.  70),  ferner  H.  Matthes  in  der 
„Balneologischen  Zeitung"  1908,  Nr.  11.  G.  Fre- 
richs  untersuchte  Sal  Carolin,  fact.  Ph.  G.  IV 
(Apoth.-Zeitg.  1908,  135—136).  Diese  Arbeiten 
haben  in  pharmazeutischen  Kreisen  so  allgemeines 
Interesse  erregt,  daß  ich  sie  als  bekannt  hier  nur 
erwähnen  brauche;  sie  gipfeln  in  der  sehr  berech- 
tigten Forderung,  daß  sowohl  das  Sal.  Carol.  fact. 
crist.,  als  auch  das  Sal.  Carol.  fact.  Ph.  G.  IV  in 
den  Apotheken  selbst  dargestellt  werden.  Die 
Selbstdarstellung  der  galenischen  Präparate  wird 
jetzt  wieder  mehr  angestrebt.  In  letzter  Zeit 
fordeite  sie  auch  Dr.  Richter- Groitzsch  i.  S. 
(Pharm.  Zeitg.  1908,  Nr.  98  und  1909,  Nr.  4),  es 
kann  ihm  nur  zugestimmt  werden;  leider  will 
Richter  die  eingehende  chemische  Untersuchung 
der  Chemikalien,  Drogen  usw.,  wie  sie  das  D. 
.■\.-B.  IV  verlangt,  fast  ganz  eingeschränkt  wissen  ; 
diesem  Wunsche  Rieh  ter's  wird  hoffentlich  von 
maßgebender  Stelje  nicht  entsprochen   werden. 

H.  Thoms,  „Über  französisches  Peter- 
silienöl  und  einen  darin  entdeckten 
neuen  Phenoläther,  ein  i-Allyl-2.  3.  4.  5- 
Tetramethoxy-benzol.  Aus  dem  Pharmaz. 
Institut  der  Universität  Berlin.  Ber.  d.  deutsch. 
ehem.  Ges.  41,  2753  —  2761  (1908).  Schon  im 
Jahre  1903  (Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  36,  3451  [1903] 
und  Arbeiten  aus  dem  Pharmaz.  Instit.  d.  Univers. 
Berlin,  1,  23)  berichtete  Verf  über  ein  französi- 
sches Petersilienöl ,  in  welchem  er  neben  großen 
Mengen  von  Myris ticin,  nur  kleine  Mengen 
Apiol  nachweisen  konnte,  während  deutsches 
Petersilienöl  große  Mengen  des  letztgenannten 
Phenoläthers  enthält.  Da  die  französischen  Peter- 
silienfrüchte, aus  denen  das  Ol  gewonnen  wurde, 
nur  geringfügige  anatomische  Unterschiede  von 
den  deutschen  Petersilienfrüchten  zeigten,  so  führte 
Thoms  obigen  Unterschied  auf  verschiedene 
Kulturbedingungen  oder  klimatische  Einflüsse  zu- 
rück und  führte  Kulturversuche  in  dem  Garten 
des  Berliner  pharmazeutischen  Instituts  aus.  Verf. 
bemerkt    im    voraus,     daß    er    sich    von    einer 


Kulturperiode  nicht  sehr  viel  versprochen  habe. 
Für  diese  Annahme  spricht  auch  der  Ausfall  der 
Versuche.  Es  haben  sich  zwar  Verschiedenheilen 
gezeigt  in  der  Zusammensetzung  der  ätherischen  Öle, 
die  von  auf  deutschem  und  auf  französischem  Bo- 
den aus  gleicher  französischer  Saat  erzielten  Samen 
gewonnen  wurden,  jedoch  sind  diese  Unterschiede 
nur  unwesentlicher  Art.  Im  Verlaufe  dieser  Unter- 
suchungen hat  Verf.  in  den  Hauptfraktionen  des 
französischen  Petersilienöles  sowie  des  aus  in 
Dahlem  kultivierter  französischer  Saat  erhaltenen 
Öles  neben  kleinen  Mengen  Apiol  und  Myristicin 
auch  einen  bisher  unbekannten  Phenoläther,  ein 
i-Allyl-2.  3.  4.  5-Tetramethoxy-benzol: 

CH.2 .  CH :  CHj 


OCH3 
CHaOl        J0CH3 
OCH3 
vom  Schmp.  25"  entdeckt. 

,, Weitere  Untersuchungen  über  die 
Glycyrrhizinsäure."  Von  A.  Tschirch 
und  S.  Gauch  mann.  (Arbeiten  aus  dem  phar- 
maz. Inst.  d.  Univers.  Bern.)  Arch.  d.  Pharm. 
1908,  246,  545  —  558.  Die  ersten,  welche  das 
Glycyrrhizin  rein  darstellten  und  die  Substanz 
genau  untersuchten,  waren  Tschirch  und 
Cederberg  (Arch.  d.  Pharm.  Bd.  245,  97  (1907). 
Dort  auch  die  ältere  Literatur).  Ihnen  gelang  es, 
farblose  Kristalle  der  Glycyrrhizinsäure  und  ihrer 
Salze  zu  erhalten  und  auch  den  chemischen  Cha- 
rakter des  Glycyrrhizins  zu  ermitteln.  Als  Spal- 
tungsprodukte erhielten  sie  Glycyrrhetinsäure  und 
vermutlich  Glukuronsäure.  A.  Tschirch  und 
S.  Gauch  mann  kommen  auf  Grund  der  Reak- 
tionen der  vermutlichen  Glukuronsäure  zu  dem 
Schluß,  daß  der  zweite  Spaltung  der  Glycyrrhizin- 
säure tatsächlich  Glukuronsäure  ist.  Die  Glukuron- 
säure kommt  also  nicht  nur  im  tierischen  Organis- 
mus vor,  wie  man  es  bis  jetzt  glaubte,  sondern 
sie  findet  sich  auch  in  Pflanzen,  und  zwar  ist  sie 
hier,  wie  im  Tierkörper,  mit  hydroxylhaltigen 
Substanzen  zu  glykosidartigen ,  aber  nicht  echt 
glykosidischen  Verbindungen  gepaart.  Die  Unter- 
suchungen über  die  Glycyrrhetinsäure  sind  noch 
nicht  abgeschlossen.  Interessant  ist  auch  die  Angabe 
der  Verfasser,  daß  im  Gouvernement  Astrachan, 
welches  die  Hauptmenge  des  russischen  Süßholzes 
liefert,  zwei  von  Engländern  gegründete  Fabriken 
bestehen,  welche  den  Succus  Liquiritiae  in  großen 
Mengen  darstellen  und  diesen  nach  London  ex- 
portieren, wo  er  besonders  bei  der  Fabri- 
kation des  Porterbieres  X'^erwendung 
find  et. 

,,Über  das  Vorkommen  von  Glycyr- 
rhizinsäure in  anderen  Pflanzen."  Von 
A.  Tschirch  und  S.  Gauchmann.  Arch.  d. 
Pharm.  1908,  246,  558—565.  Verff.  kommen  zu 
dem  Schluß,  daß  der  aus  Periandra  dulcis  Mart. 
erhaltene  Süßstoff  und  der  aus  der  Monesia-Rinde 


lOS 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  7 


(Pradosia  lactescens  Radlk.)   erhaltene    mit  Gly- 
cyrrhizinsäure  identisch  sind. 

E.  Rupp  und  R.  Loose,  „Über  einen 
alkalihochemp  find  liehen,  zur  Titration 
mit  Hundertstelnormallösungen  geeig- 
neten Indikator."  Marburg,  Pharm. -ehem. 
Institut.  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  41,  3905  (igo8). 
Verfif.  verwenden  einen  Indikator,  den  sie  anläß- 
lich einer  Arbeit  über  den  planmäßigen  syntheti- 
schen Aufbau  von  Indikatoren  erhalten  haben. 
Seiner  Konstitution  nach  repräsentiert  er  eine 
Azokombination  aus  o-Amidobenzoesäure 
und  D  i  m  e  t  hy  1  anil  i  n  und  ist  dementsprechend 
zu  formulieren  als 


.•N:N. 


COOH 
p-Dimethylamino-azobenzol-o-carbon- 
säure 

Über  die  zur  Ammoniaktitration  üblichen  Indika- 
toren erhebt  sich  der  neue  Indikator  insofern,  als 
n  ,  ,         ,     n 


er    nicht    allein    auf 


10 


sondern    auch   auf 


Lösung  mit  Schärfe  anspricht.  Ebenso  übertrifft 
er  das  Hämotoxylin.  Auch  das  Jodeosin  glauben 
VerfF.  durch  ihn  ersetzen  zu  können ,  zumal  er 
außer  Schärfe  den  nicht  zu  unterschätzenden  Vor- 
teil bietet,  die  Äther- Wasser-Schicht  nicht  zu  be- 
dürfen. Auch  ist  er  zur  Titration  der  Chinabasen 
tauglich ,  wo  Jodeosin  bekanntlich  versagt.  Vor 
allen  Dingen  erfordert  er  keine  farblosen  Titrations- 
lösungen. Der  Umschlag  vollzieht  sich  von 
schwacligelblich  in  alkalischer  und  neutraler  Lö- 
sung zu  violettrot  in  saurer  Lösung,  ähnelt  also 
dem  Umschlag  von  Methylorange,  jedoch  kommt 
die  eigentümlich  gelbrote  Übergangsfarbe  des 
letzteren  gänzlich  in  Wegfall;  wegen  dieser  Ähn- 
lichkeit nennen  VerfF.  ihren  neuen  Indikator 
Methylrot.  Man  benutzt  die  0,2  proz.  alkoho- 
lische Lösung  des  kristallisierten  Präparates. 

Die  Klärung  der  Pyrenol-Frage  ist  das  Ver- 
dienst von  Prof.  Thoms,  Dr.  Zernick  und  Prof. 
Frerichs.  Als  Tragikomödie  wirkte  der  Ver- 
such, das  Verhalten  des  Pyrenols  als  einen  Beweis 
für  die  Richtigkeit  der  van  t'Hoff'schen  Theorie 
der  festen   Lösungen  hinzustellen. 

Dr.  Otto  Rammstedt,  Dresden. 


100 


Kleinere  Mitteilungen. 

Die  phylogenetische  Entstehung  des  Kopfes 
der  Wirbeltiere  hat  Prof  H.  E.  Z  i  e  g  1  e  r  aufs  Neue 
einer  Untersuchung  unterworfen.  (Jenaische  Zeitschr. 
f.  Naturwissensch.  1908,  43.  Bd.  Auch  separatim  bei 
G.  Fischer,  Jena.)  Bekanntlich  hat  dieses  Problem 
die  Naturforscher  seit  mehr  als  100  Jahren  be- 
schäftigt. Ich  nenne  nur  die  Namen  Goethe 
und  Oken,  Huxley  und  Gegenbaur,  um 
an  die  früheren  Auffassungen  zu  erinnern.  Diese 
älteren  Autoren  gingen  in  erster  Linie  von  dem 
Kopfskelett  aus.  Erst  durch  Balfour  und  van 
Wijhe  (1883)  wurden  auch  die  embryologischen 
Tatsachen  in  Betracht  gezogen  und  die  Aufmerk- 
samkeit auf  die  Ursegmente  gelenkt,  in  denen 
sich  die  Gliederung  des  Kopfes  zuerst  ausspricht. 
Verschiedene  Beobachter  haben  sich  neuerdings 
wieder  mit  Erfolg  an  der  Lösung  des  Problems 
beteiligt,  so  Froriep,  Dohrn,  Braus,  Kolt- 
zoff  u.  a.  Fast  stets  bauten  die  F"orscher  ihre 
Folgerungen  auf  Beobachtungen  an  einem  Organ- 
system auf.  Das  Ergebnis  dieser  einseitigen  Be- 
handlung ist  ein  Auseinandergehen  der  Meinungen, 
wie  sie  kaum  ein  anderes  Gebiet  aufzuweisen  hat. 

Die  erste  Frage  bei  unserem  Problem  lautet 
jetzt:  „Wie  viele  Ursegmente  (Somiie)  sind  in  die 
Bildung  des  Kopfes  eingegangen  ?"  Man  hat  näm- 
lich erkannt,  daß  die  Ursegmente  die  phylogene- 
tisch ältesten  Teile  sind ,  was  aus  den  Verhält- 
nissen beim  Amphioxus  deutlich  hervorgeht,  da 
hier  weder  Gehirn  noch  Schädel  differenziert  sind. 
Bei    diesem    einfachsten    aller   Wirbeltiere    gehen 


die  Ursegmente  bis  zum  vorderen  Körperende. 
Jedoch  zeigt  sich  die  Gliederung  des  Kopfes  nicht 
allein  in  den  Ursegmenten  sondern  auch  in  der 
Anordnung  der  Kopfnerven  und  in  der  Lage  der 
Kiemenspaltcn. 

Ziegler  geht  von  Selachierembryonen  in  den 
Stadien  H  — K  (nach  Balfour)  aus.  In  diesen 
Entwicklungsphasen  ist  eine  deutliche  Zuordnung 
der  Kopfnerven  zu  den  Ursegmenten  zu  erkennen; 
außerdem  besitzen  die  Nerven  ektodermale  Ver- 
bindungen an  den  zugehörigen  Kiemenspalten. 
Die  Segmente,  welche  Ziegler  für  die  ursprüng- 
lichen hält,  sind  die  Prämandibular-,  die  Mandi- 
bular- und  die  Hyoidhöhle,  ein  Glossopharyngeus- 
und  drei  Vagussegmente.  Zu  ihnen  gehören  die 
primären  Kopfganglien  und  Nerven ,  nämlich 
Ciliar-,  Trigeminus-  und  P'acialis- AcusticusGang- 
lion,  der -Glossopharyngeus  und  der  Vagus.  Letz- 
terer ist  durch  Verschmelzung  von  drei  Wurzeln 
entstanden ,  entspricht  also  einer  gleichen  Zahl 
von  Segmenten.  Außerdem  sind  noch  vier  Somite 
in  den  Bereich  des  Kopfes  einbezogen  worden, 
die  ursprünglich  zu  Spinalnerven  gehörten.  Im 
ganzen  stellt  sich  die  Zahl  der  Segmente  somit 
auf  12.  Die  Kiemenspalten  liegen  intersegmental, 
was  aus  den  Rekonstruktionen  deutlich  ersicht- 
lich ist. 

Ziegler  stellt  sich  die  phylogenetische  Ent- 
stehung des  Wirbeltierkopfes  nun  folgendermaßen 
vor,  wobei  er  besonders  die  palingenetischen 
Elemente  in  der  Entwicklung  des  .Amphioxus  be- 
rücksichtigt. Die  Gastrula  ernährte  sich  ursprüng- 
lich durch  den  Blastoporus;  zu  ihm  wimperte  die 


N.  F.  VIII.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


109 


Medullarplatte  die  Nahrung.  Als  sich  das  Me- 
dullarrohr  gebildet  hatte,  strömte  das  Wasser  mit 
den  Nahrungsbestandteilen  durch  den  vorderen 
Neuroporus  ein  und  kam  dann  durch  das  Medullar- 
rohr,  das  mit  einem  Sinnesepithel  zur  Prüfung 
des  durchströmenden  Wassers  ausgekleidet  war, 
in  den  Darm.  Diesen  Weg  zeigt  uns  die  sche- 
matische Figur  I.  Ein  eigentlicher  Mund  und  ein 
After    existieren  noch  nicht,    wohl  aber  eine  An- 


Fig.    I. 
AraphioNUS-Larve  im  Stadium  der  Neurula  (Gastrula   mit  Me- 
dullarrolir),    nach    Hatschek    scliemalisiert    (aus    Ziegler). 


zahl  Muskelsegmente,  welche  die  Bewegung  er- 
möglichten. Einen  ganz  ähnlichen  Entwicklungs- 
zusland durchläuft  die  Amphioxuslarve ,  bei  der 
ja  noch  viele  ursprüngliche  Charaktere  erhalten 
sind  (siehe  Figur  2).  In  diesem  primitiven  Zu- 
stande mußte  das  Wasser  den  Körper  wieder  auf 
demselben  Wege  verlassen,  den  es  genommen 
hatte.  Diese  unpraktische  Einrichtung  führte  not- 
wendigerweise zur  Bildung  des  Afters,  durch  wel- 
chen ein  Abfluß  für  das  Wasser  geschaffen  wurde. 
Eine  höhere  Stufe  wurde  erreicht,  als  Mund 
und  Kiemenspalten  durchbrachen.  Der  Mund  ist 
ein  unpaares,  medianes  Gebilde,  das  nicht  durch 
Verschmelzung  zweier  Kiemenspalten  entstanden 
ist,  wie  einige  Forscher  annahmen.  Die  Kiemen- 
spalten entstanden  an  den  Stellen  des  geringsten 
Widerstandes,  also  zwischen  den  Segmenten.  Die 
Kiemenspalten  beider  Seiten  mußten  sich  also 
entsprechen ;  auch  beim  Amphioxus  sind  die  zu- 
erst entstehenden  Kiemenspalten  metamer  ange- 
ordnet. Als  sich  der  Mund  gebildet  hatte,  obli- 
terierte der  Canalis  neurentericus  (die  Verbindung 


"P    "f       US 


Fig.  2. 
Embryo  von  Amphio.vus  mit  9  Ursegmenten.  (Nach  Hat- 
schek aus  Korscheit  und  Hei  der),  dv  vorderes  Ento- 
dermdivertikel  (linkes  Entodermsäckchen  Hatschek's),  ec 
Ektodetm,  en  Entoderm,  m  vorderer  Fortsatz  des  sog.  I.  Ur- 
segments  (us'),  raf  ungegliederter  Teil  des  Mesoderms ,  mp 
Hatschek's  Mesodermpolzellen,  mz  Muskelbildungszellen, 
np    vorderer  Neuroporus.. 


des  Medullarrohres  mit  dem  Darmrohr) ;  das  Me- 
dullarrohr,  welches  bisher  nebenbei  eine  Sinnes- 
funktion gehabt  hatte,  um  das  durchströmende 
Wasser  zu  prüfen,  wurde  nun  zum  Zentralorgan 
des  Nervensystems. 

Wichtig  für  unser  Problem  ist  es  also,  daß 
ursprünglich  der  ganze  Kopf  eine  Gliederung  be- 
saß.    Z  i  e  g  1  e  r  entwirft  ein  Schema  des  Ursprung- 


?c 


K. 


Fig.  3.    Schema  des  ursprünglichen  Baues  des  Wirbeltierkopfes 

(nach   Ziegler).      C.   Ciliarganglion.      O.   Ohrbläschen. 

P.  Prämandibularhöhle.      M.   Mandibularsegment.      H.  Hyoid- 

segment.      l.R.   Erstes    aufsteigendes  Ursegmcnt.     K.  Kicmen- 

spaltcn.     Fe.   Pericardialhöhle ,    die    mit    den  Ursegmenten    in 

Kommunikation  steht. 

liehen  Zustandes,  das  ich  in  Figur  3  verkleinert 
wiedergegeben  habe.  Es  zeigt  uns  vor  allem  die 
Zuordnung  der  Kopfnerven  zu  den  Ursegmenten 
sowie  die  intersegmentale  Lage  der  Kiemenspalten. 

P.  Brohmer,  Jena. 


Über  die  Farbe  des  Schwefels  und  das 
Farbproblem  des  Ultramarins.  —  Der  Schwefel 
ist  ein  in  mancher  Beziehung  merkwürdiger  Grund- 
stoff; besonders  eine  Eigenschaft  verdient  mehr 
als    bisher    hervorgehoben    zu    werden ;    sein   Ver- 

E 

hältnis    zur  Temperatur    und  zum  Quotienten  -^, 

wo  E  die  Lichtemission  und  A  die  Licht- 
absorption  bedeutet. 

Die  Farbe  des  Schwefels  ist  um  so  blasser,  je 
tiefer  die  Temperatur  ist.  Schönbein  hat  schon 
beobachtet,  daß  der  Schwefel  bei  — 50"  fast 
farblos  ist;  bei  der  Temperatur  der  flüssigen 
Luft  erscheint  er  weiß;  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur gelb,  wird  er  erhitzt  bis  ca.  340°  braun 
bis  braunschwarz.  Mit  steigender  Temperatur 
wächst  also  seine  Absorptionsfähigkeit  für  das 
Licht,  während  sie  mit  sinkender  Temperatur  ab- 
nimmt. 

Außerdem  hat  der  Schwefel  aber  die  Fähig- 
keit, mit  anderen  Substanzen  auf  höhere  Tempe- 
ratur gebracht,  die  verschiedensten  Färbungen 
anzunehmen.  Zunächst  mögen  einige  ältere  Be- 
obachtungen folgen :  E.  Mitscherlich  ^)  beobachtete, 


Pogg-   Ann.  99,   145.    1S56. 


HO 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  7 


daß  Schwefel  mit  ^3000  Teilen  Tal  g  längere  Zeit 
erhitzt,  eine  rote  Masse  ergab.  Nach  G.  Magnus  ') 
verfärben  den  Schwefel  bei  ca.  300"  Stearin- 
säure, Paraffin,  Wachs,  Walrat,  Ozokerit,  Kolo- 
phonium, Mastix,  Guttapercha,  Bernstein,  Zucker, 
Stärkemehl,  Baumwolle,  nach  Dietzenbacher  und 
Moutier '')  Kampher  bei  230 ",  Naphthalin  und 
Terpentinöl  bei  noch  hölierer  Temperatur,  bei 
Zusatz  von  ';4iio  ~ ','«1111  Substanz,  Ruß  von  der 
Zucker-  oder  Holzkohle,  bei  Zusatz  von  Vi 000 
Substanz  bei  270",  Jod  auf  Zusatz  von  '/^u,,  Teilen 
bei  180''.  Bemerkenswert  ist  hierbei,  daß  der 
Schwefel  nunmehr  in  Schwefelkohlenstoff  unlös- 
lich geworden  ist,  wie  er  auch  unlöslich  wird, 
wenn  er  schnell  z.  B.  in  kaltem  Wasser  abge- 
schreckt wird.  Ahnlich  verhält  sich  der  Schwefel, 
nachdem  er  mit  Soda,  Glaubersalz,  hydrat-  und 
wasserhaltigem  Ton  und  Kohle  die  verschiedenen 
Ultramarine  gebildet  hat. 

Nach  einer  weiteren,  älteren  Beobachtung 'M 
wird  beim  Schmelzen  von  Rhodankalium  im 
Porzellantiegel  dieser  blau  gefärbt.  Goethe*) 
bemerkte  auf  seiner  italienischen  Reise  die  Bildung 
von  blauen  Massen  in  sizilianischen  Kalköfen, 
in  denen  jedenfalls  tonhaltiger  Marmor  und 
außerdem  Schwefel  gebrannt  worden  war. 

Nach  Weber '')  besitzt  eine  Auflösung  von 
Schwefel  in  Schwefelsäureanhydrid  eine  blaue 
Farbe.  Bei  Vermischen  von  Ferrichlorid- 
und  Seh  wefel  Wassers  t  offlöSLingen  tritt  eine 
voriibergehende  Blaufärbung  ein;  nach  einiger 
Zeit  scheidet  sich  weißer  Schwefel  im  feinverteilten 
Zustande  ab. 

Diese  Blaufärbung  wird  durch  die  gebildete 
Salzsäure  bzw.  Wasserstoffionen  wieder 
zerstört;  ebenso  wie  Ultramarin  durch 
Säuren  entfärbt  wird. 

Beim  Zusammenbringen  von  Hisenchlorid-  mit 
Schwefelleberlösung  bildet  sich  ein  anfäng- 
lich gelbgrüner,  dann  dunkelblau  werdender 
Niederschlag,  der  diese  Farbe  ca.  eine  Stunde 
beibehält,  bis  Schwefel  ausgeschieden  wird.") 

Alkohole  und  Acetone  werden  durch  Poly- 
sulfide  blau  gefärbt. 

Tonerde  wird  beim  Glühen  in  Schwefel- 
wasserstoff gelblich,  dann  bläulich  schwarz, 
beim  längeren  Erhitzen  wird  sie  wieder  weiß. 

Hierher  gehören  auch  einige  neuere  Beobach- 
tungen, die  teilweise  die  alten  bestätigen.")  Auf 
Zusatz  von  AI  kal  i  p  o  ly  SU  1  f  i  d  e  n  zu  siedendem 
Alkohol  oder  Aceton  tritt  die  blaue  P'arbe 
auf,  dieser  Vorgang  wird  die  CanavesGil-Reaktion 
genannt.  E.  Paternö  und  A.  Mazzuchelli  sind  der 
Ansicht,  daß  die  blaue  Farbe  durch  unvollständige 

')  Pogg.  Ann.  99,   145.   iSsO. 

")  1.  c. 

3)  Ann.   Chem.   Pharm.    lOS,    19.    1858. 

*)  Italienische   Reise    1787. 

'')  Journ.   prakt.   Chem.  6,    178.    1835. 

^)   Gmeiin-Kraut ,    Hantlbuch    der    anorganischen   Chemie. 

^)  E.  Paternö  und  A.  Mazzuchelli,  Gazz.  chim.  38,  129. 
1908,  Über  die  blaue  Farbe  des  Schwefels  und  einiger  Ver- 
bindungen desselben. 


Dissoziation  des  Alkalipolysulfides  vermutlich  er- 
zeugt wird,  aber  nicht  von  freien  Schwefel  her- 
rührt; da  überhaupt  die  Kenntnisse  über  die  blaue 
Varietät  des  Schwefels  sehr  unsicher  wären. 

Dagegen  erwiesen  sich  die  Absorptions- 
spektren der  Polysulfidlösungen,  des  geschmol- 
zenen blauen  Kali umsulfo Cyanids  und  der 
blauen  Lösung  von  Schwefel  in  Schwefel- 
säureanhydrid  sehr  ähnlich  untereinander. 

Auch  wird  noch  die  Beobachtung  mitgeteilt, 
daß  Schwefeldampf,  in  einem  Quarzgefäß  er- 
hitzt, bei  etwa  1400"  blaßblau  erscheint,  was 
durch  die  Luminiscenz  des  Dampfes  erzeugt  wird. 

F.  Knapp ')  erhielt  ferner  durch  Mischungen 
von  Borax,  Natriu  m  seh  wefe  lieber,  Borsäure 
eine  blaue  Masse.  H.  Puchner -)  glühte  die 
Rückstände  von  wässrigen  Auszügen  aus  Kalk- 
humus, Gips,  Tonerde,  Silikaten,  Kochsalz  und 
erhielt  blau,  grün  und  rot  gefärbte  Produkte.  Ver- 
mutlich ist  der  im  Gips  enthaltene  Schwefel  die 
Ursache  dieser  Farbbildungen  gewesen.  Plscher  ") 
beobachtete  blaue  Ahiminiumverbindungen,  die 
aus  Aluminiumoxyd,  Siliziumoxyd,  Schwefel- 
säure bestanden. 

Endlich  nimmt  der  Schwefel  mit  Soda,  Glauber- 
salz, Kohle,  Ton,  je  nach  der  Höhe  der  Tempe- 
ratur, fast  alle  Töne  der  F'arbenskala  an,  vom  hellen 
Rot  bis  zum  tiefen  Violett;  die  Ultramarine. 
Man  muß  diese  Phänomene  im  Zusammen- 
hang betrachten ,  wenn  man  die  Ursachen  der 
P'arbbildung  der  Ultramarine  erforschen  will. 

Schon  aus  der  Tatsache,  daß  der  Schwefel 
mit  den  verschiedensten  Stoffen  und  auch  mit  ein 
und  denselben  Substanzen  variable  Färbungen 
liefert,  geht  hervor,  daß  schwerlich  diese  Ursache 
in  der  Entstehung  einer  stets  einfarbigen, 
stöchiometrischen,  bestimmten  Verbin- 
dung gesucht  werden  muß.  Hätte  man  diese 
Erkenntnis  früher  gehabt,  so  wäre  manche  Unter- 
suchung, die  dieses  bezweckte,  unterblieben.  Von 
diesem  Gesichtspunkt  aus  verliert  das  P^arbproblem 
viel  von  dem  Geheimnisvollen,  das  es  bisher  umgab. 

Nehmen  wir  zunächst  an,  daß ,  wie 
sich  Jod  in  Äther  mit  roter,  in  Schwefel- 
kohlenstoff mit  violetter  Farbe  auflöst, 
so  der  schmelzende  Schwefel  und  Dampf 
die  Fähigkeit  besitzt,  sich  in  den  er- 
wähnten Substanzen  mit  verschiedener 
Farbe  aufzulösen  oder  adsorbiert  zu 
werden. 

Dieses  Analogon  läßt  sich  noch  weiter  ver- 
folgen; man  kann  Jod  in  großer  Menge  in  Äther 
oder  Schwefelkohlenstoff  auflösen,  und  umgekehrt 
wenig  Jod  in  einer  großen  Menge  dieser  Lösungs- 
mittel;  eine  Färb  Verschiebung  ist  die  Folge. 
Ebenso  kann  man  eine  große  Menge  Schwefel  in 
wenig  Jod,  Talg  usw.  auflösen,  oder  wenig  Schwefel 
in  einer   großen   Menge   Ton,    Soda,    Glaubersalz, 


')  Diegl.  polytechn.  Journ.  233,  479.    1S79. 
■-)  Zt.   f.   angew.   Chem.   9,    196.    1896. 
')  Zt.  f.  anorg.  Chem.  43,  944.   1905. 


N.  F.  Vin.  Nr.  7 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


1 1 1 


Kohle.  Auch  hier  wird  eine  Farbände- 
rung dadurch  hervorgerufen. 

Die  Löslichkeit,  bzw.  die  Fähigkeit  adsorbiert 
zu  werden,  des  Jods  sowie  des  Scliwefels  wird 
erhöht,  wenn  sich  beide  in  möglichst  gefeintem 
Zustand  befinden. 

Endlich  werfen  einige  meiner  Versuche  auf 
das  Farbproblem  einiges  Licht;  da  sich  die  Talke  ')^j 
in  bezug  auf  Abspaltung  kolloidaler  Stoffe 
durch  Hydrolyse  und  damit  verbundene  plasti- 
sche Eigenschaften  ähnlich  wie  die  Tone  ver- 
halten, auch  ihrer  Konstitution  nach  diesen  ähn- 
lich zusammengesetzt  sind,  nur  daß  an  Stelle  des 
Aluminiums  Magnesium  substituiert  ist,  so  war 
die  Vermutung  nahe  gerückt,  daß  auch  Talk,  mit 
Soda  und  Schwefel  erhitzt,  eine  gefärbte  Substanz 
liefern  könnte. 

Dieses  ist  in  der  Tat  der  Fall.  Erhitzt  man 
Talk,  Soda,  Schwefel  zu  gleichen  Teilen  etwa  bis 
zur  Sinterung,  so  erhält  man  eine  grün  gefärbte 
Substanz,  die  sich  ähnlich  wie  Ultramarin  verhält; 
gegen  Alkalien  ist  sie  beständig,  durch  verdünnte 
Säuren  wird  sie  unter  Bildung  von  H^,S  entfärbt; 
und  hierbei  läßt  sich,  im  Gegensatz  zum  Ultra- 
marin, der  farbtragende  Stoff  von  den  Bestand- 
teilen trennen ;  er  ist  mit  gelbgrüner  F"arbe  in 
Wasser  löslich,  beim  Eindampfen  wird  er  rot- 
braun, oxydiert  an  der  Luft  zu  Sulfat; 
offenbar  ist  es  ein  Polysulf id  des  Natriums. 

Auf  das  Farbproblem  des  Ultramarins  zurück- 
schließend, kann  man  vermuten,  daß  auch  der 
Farbbildung  des  Ultramarins  ein  Doppel  poly- 
sulfid  des  Natriums  und  Aluminiums  zu- 
grunde liegt,  das  sich  mit  den  siliziumhaltigen 
Bestandteilen  der  Grundmasse  im  Zustande  der 
verdünnten,  festen  Lösung  oder  einer  Adsorptions- 
verbindung befindet.^)  Dr.  Rohland. 


')  conf.  P.  Rohland,  über  die  Talke.  Sprechsaal,  Zt.  für 
die  keramischen,  Glas-  und  verwandte  Industrien.    39,  19.  1906. 

-)  P.  Rohland  über  das  Farbproblcm  des  Ultramarins. 
Phys.-chem.  Centralblatt  5,   513.   190S. 

')  conf.  R.  Abegg,  Handbuch  der  anorganischen  Chemie. 
Bd.   III,  Abt.   1.     P.  Rohland,  Ultramarin. 


Bücherbesprechungen. 

Max  Kleinschmidt,    Obedehrer    an    der    Realschule 
zu    Rostock  i.  !M. ,    Grammatik    und    Wissen- 
schaft.    Eine    psychiatrische    Studie.      Hannover, 
Dr.  Ma.x  Jänecke,   1908.    —   Preis   1,50  Mk. 
Der  Inhalt    des  Heftes    ist    für    jeden,    der    über 
Verknöchertes,  Unhaltbares    hinaus  möchte,    geradezu 
herzerquickend.      Verfasser    deckt    —    und    zwar    so 
schonungslos,    wie  es  sich  für  einen  wahrhaft  wissen- 
schafdichen  Sinn  geziemt  —  die  großen  Mängel  des 
bisherigen    grammatikalischen    Denkens    auf.      Wenn 
nun  auch  die  Psychiatrie  (siehe    den  Untertitel)    dort 
gelegentlich  von  krankhaften  Geisteszuständen  spricht, 
wo  es  sich  um  das  Verlassen   des  Bodens  der  Logik 
handelt,    so    wird    man    zweckmäßig    logische  Fehler, 
die    in    der    Wissenschaft   vorkommen ,    nicht    gut  als 


krankhafte  bezeichnen  können ,  da  es  sich  um  eine 
ganz  allgemein  verbreitete  Anlage  handelt,  die  durch 
die  menschliche  Natur  gegeben  ist.  Der  Referent 
hat  das  seinerzeit  einmal  etwas  näher  darzulegen 
versucht  in  seinem  Artikel  „über  die  Entstehung  der 
Denkformen"  in  der  Naturwissenschaftlichen  Wochen- 
schrift vom  12.  .^pril  1891.  Ich  zitiere  daraus  nur 
den  einen  Satz :  „Werden  die  Denkweisen  im  allge- 
meinen dann  notwendig  übereinstimmen,  wenn  Hand- 
lungen aus  ihnen  folgen,  die  das  Leben  hindern  oder 
gefährden ,  so  werden  sie  andererseits  oft  dann  bei 
den  verschiedenen  Individuen  keine  Übereinstimmung 
zeigen,  wenn  der  Kampf  ums  Dasein  keine  Veran- 
lassung hatte,  klärend  zu  wirken,  weil  diese  Denk- 
weisen nicht  zu  lebengefährdenden  Handlungen  führen." 
Anders  ausgedrückt,  weü  „der  Irrtum  ...  in  praktisch 
gleichgültigen  Dingen  unschädlich"  (E.  Dühring)  ist. 
Kleinschmidt  schließt  mit  den  Worten :  „Meine  Ar- 
beit unterscheidet  sich  dadurch  von  sehr  vielen  ähn- 
lichen, daß  sie  einen  Beweis  für  ihre  Behauptungen 
erbringt,  wie  er  strenger  selbst  in  der  Geometrie 
nicht  denkbar  ist,  so  daß  jede  Möglichkeit  eines 
Einwandes  ausgeschlossen  ist.  Da  aus  sachlichen 
Gründen  niemand  mehr  für  die  Beibehaltung  des 
grammatischen  LTnterrichts  eintreten  kann,  so  können 
es  nur  persönliche  sein,  die  ihn  dazu  bestimmen. 
Vielleicht  ist  er  an  der  Erhaltung  der  bestehenden 
Verhältnisse  finanziell  interessiert;  vielleicht  bringt  er 
es  nicht  über  sich  zuzugeben,  daß  er  sich  jahrelang 
in  einem  —  sehr  verzeihlichen  —  Irrtum  befunden 
hat.  —  Ich  bin  gespannt  darauf,  ob  jemand  den 
Mut  haben  wird  oftentlich  zu  fordern ,  daß  eine  als 
schädlich  erwiesene,  in  ihren  Folgen  gar  nicht  über- 
sehbare Einwirkung  auf  unsere  Schuljugend  fortge- 
setzt werde  —  nur  weil  er  so  oder  so  seine  Rech- 
nung dabei  findet.  —  Eins  halte  ich  jedoch  für  aus- 
geschlossen —  daß  die  Behörden  die  Fortsetzung 
dieses  Unterrichts  gestatten  werden.  Der  bloße  Zweifel, 
daß  die  maßgebenden  Stellen  auch  nur  einen  Augen- 
blick zwischen  sachlichen  und  persönlichen  Erwägungen 
schwanken  könnten,  würde  eine  schwere  Beleidigung 
für  sie  bedeuten.  Und  daher,  obwohl  das  Prophezeien 
von  allen  Arten  geistiger  Betätigung  diejenige  ist, 
der  ich  am  wenigsten  Sympathie  entgegenbringe, 
möchte  ich  jetzt  doch  eine  Prophezeiung  wagen : 
binnen  Jahresfrist  wird  an  deutschen  Schulen  kein 
Unterricht  im  pathologischen  Denken  mehr  erteilt 
werden." 

Verfasser  verspricht  an  Beispielen  zu  zeigen ,  wie 
nach  einer  wirklich  wissenschaftlichen  Methode  die 
Erlernung  fremder  Sprachen  zu  gestalten  sei:  er  will 
u.  a.  eine  wissenschaftliche  Grammatik  der  englischen 
Sprache  herausgeben.  Man  darf  gespannt  sein ,  wie 
er  seine  Aufgabe  lösen  wird.  Sicherlich  muß  man 
dem  Verfasser  dankbar  sein,  daß  er  fest  in  das 
Wespennest  gegriffen  hat.  Trotzdem  wird  er  sicher 
gestochen  werden !  P. 


Prof.  Dr.  Bernh.  Hoffmann,  Kunst  und  Vogel- 
gesang. 230  Seifen.  Leipzig,  Quelle  &  Meyer, 
1908.  —  Preis  3,80  Mk.,  geb.   4,20  Mk. 


112 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  Vm.  Nr.  7 


Das  vorliegende  Buch  ist  unseres  Wissens  die 
erste  Monographie  des  Vogelgesangs,  die  diesen  vom 
musilcaUschen  Standpunkte  aus  würdigt.  Jeder  musi- 
kalische Naturfreund  wird  den  Versuchen  des  Verf, 
die  Hauptthemen  des  Gesanges  unserer  einheimischen 
Vögel  in  Notenschrift  zu  fixieren,  mit  Interesse  folgen, 
wenn  auch  die  Schwierigkeit  dieses  Unterfangens  nur 
eine  unvollkommene  Wiedergabe  der  Naturiaute  ermög- 
licht, fühlen  sich  doch  die  befiederten  Sänger  weder  an 
unsere  Tonskala,  noch  an  die  in  unserer  Musik  üb- 
lichen Rhythmen  gebunden.  So  leicht  sich  auch 
z.  B.  der  Ruf  des  Kuckuck  oder  Pirol  in  der  Noten- 
schrift wiedergeben  läßt,  so  schwer  ist  dies  bei  vielen 
anderen  Vogelmelodien.  Wir  glauben  z.  B.  kaum, 
daß  in  den  auf  Seite  182  gegebenen  Tonfolgen 
irgendein  Uneingeweihter  das  Gackern  der  Henne 
und  das  Kickeriki  des  Hahnes  wiedererkennen  würde. 
—  Das  Buch  gliedert  sich  in  zwei  Hauptteile :  „Die 
Kunst  im  Vogelgesang"  und  „Der  Vogelgesang  in  der 
Kunst".  Der  erste  Teil  setzt  beim  Leser  eine  ge- 
naue Bekanntschaft  mit  der  Vogehvelt  und  ihren 
Stimmen  voraus,  eine  Bekanntschaft,  wie  sie  etwa 
durch  Voigt's  Exkursionsbuch  zum  Studium  der 
Vogelstimmen ,  besser  aber  durch  persönliche  Beleh- 
rung seitens  eines  guten  Vogelkenners  gewonnen 
werden  kann.  Allgemeineres  Interesse  wird  der 
zweite  Teil  wachrufen,  in  welchem  die  Nachahmung 
der  Vogelstimmen  vom  Volkslied  (Kuckuck,  Kuckuck 
rufts  aus  dem  Wald)  und  der  Kindersymphonie  an 
bis  zur  Beethoven'schen  Szene  am  Bach  und  Wagner's 
Waldvöglein  an  der  Hand  einfacher  Notenskizzen 
verfolgt  wird.  Wir  zweifeln  nicht,  daß  das  Studium 
dieser  hübschen  Zusammenstellung  Musikkenner  dazu 
anregen  wird,  auch  noch  weitere,  dem  Verf  vielleicht 
unbekannt  gebliebene  Verwendungen  von  Vogelmotiven 
in  der  Musik  ausfindig  zu  machen.  Für  den  Refe- 
renten war  besonders  überraschend ,  daß  die  ersten 
Takte  der  Szene  am  Bach  dem  Gesänge  des  Roth- 
kehlchens  entlehnt  sind,  ohne  daß  Beethoven  dies  wohl 
selbst  gewußt ,  und  daß  zum  Abschiedsmotiv  des 
Lohengrin  „Nun  sei  bedankt,  mein  lieber  Schwan" 
die  Zippe  (Singdrossel)  Modell  gesungen  haben  soll. 
Ein  kleiner  naturwissenschaftlicher  Irrtum  möge  hier 
übrigens  nicht  unerwähnt  bleiben.  Seite  186  wird 
nämlich  gesagt,  daß  die  Nachtigall  nur  in  später 
Nacht  oder  am  frühesten  Morgen  singe  und  deshalb 
„von  den  wenigsten  Menschen  wirklich  einmal  ver- 
nommen wird".  Wenn  dem  so  wäre ,  würde  gerade 
dieser  Vogel  wohl  nicht  so  populär  und  als  Sänger- 
könig anerkannt  sein.  Die  Nachtigall  schlägt  eben 
auch  in  den  Vormittagsstunden  und  gegen  Abend 
und  war  z.  B.  vor  einigen  Jahren  in  Gr.-Lichterfelde 
so  häufig,  daß  man  ihretwegen  im  Mai  nicht  bei 
offenen  Fenstern  schlafen  konnte.  Kbr. 


A.  V.   -Ihering,    Die    Wasserkraftmaschinen 
und  die  Ausnutzung  der  Wasserkräfte.      120  Seiten 


mit  73  Abb.  Nr.  228  der  Sammlung  „Aus  Natur 
und  Geisteswelt".  Leipzig,  B.  G.  Teubner,  1908. 
—  Preis  geb.  1,25  Wk. 
Die  Ausnutzung  der  natürlichen  Wasserkräfte  ist 
bekanntlich  seit  einiger  Zeit  in  einem  außerordent- 
lichen Aufschwünge  begrift'en.  Es  muß  daher  für 
jeden  Gebildeten  von  hohem  Interesse  sein,  aus  der 
Feder  eines  namhaften  Fachmanns  Genaueres  zu 
erfahren  über  die  verschiedenen  Formen  der  Wasser- 
räder und  namentlich  der  Turbinen ,  sowie  über  die 
großartigen  Anlagen ,  welche  zum  Teil  mit  Hilfe 
imposanter  Stauwerke  die  Wasserkraft  in  geregelter 
Weise  dem  Menschen  nutzbar  machen.  Das  reich 
illustrierte  Heft  wird  diesem  Zwecke  trefflich  dienen 
können  und  gewährt  dem  Wißbegierigeren  auch  Ein- 
blick in  die  theoretischen  Fragen,  welche  den  Hydrau- 
liker beschäftigen.  Kbr. 


Literatur. 

Beiträge  aus  der  Geschichte  der  Chemie.  Dem  Gedächtnis 
V.  Georg  W.  A.  Kahlbaum,  weil.  o.  ö.  Professor  der  phy- 
sikal.  Chemie  an  der  Universität  Basel,  geb.  1S53  in  Berlin, 
gest.  1905  in  Basel,  gewidmet  v.  R.  Abegg,  W.  1.  Baragiola, 
A.  Bauer  u.  a.  Hrsg.  v.  Paul  Diergart.  Mit  einem  Porträt 
Georg  W.  A.  Kahlbaums,  zahlreichen  Abbildgn.  u.  e.  färb. 
Doppeltaf.     (XV,  652  S.)     gr.  8».     Wien  '09,  F.  Deulicke. 

—  24  Mk. 

Czuber,  Prof.  Eman.  f  Einführung  in  die  höhere  Mathematik. 
(X,  3S2  S.  m.   114  Fig.)   gr.  8".    Leipzig '09,  B.  G.  Teubner. 

—  Geb.  in  Leinw.   12  Mk. 

Deegener,  Dr.  P. :  Die  Metamorphose  der  Insekten.  (IV, 
56  S.)     gr.  8".     Leipzig  '09,  B.  G.  Teubner.  —  2  Mk. 

Formänek,  Prof.  Insp.  Jaroslav :  Untersuchung  und  Nachweis 
organischer  Farbstoffe  auf  spektroskopischem  Wege.  Unter 
Mitwirkg.  V.  Prof.  Dr.  Eug.  Grandmougin.  2.,  vollständig 
umgearb.  u.  verm.  Aufl.  I.  Tl.  (VIII,  258  S.  m  19  Fig. 
u.  2  Taf.)     gr.  8».     Berlin  '08,  J.  SpringeV.   —    12  Mk. 

Pasch,  Mor. :  Grundlagen  der  Analysis.  Ausgearbeitet  unter 
Mitwirkg.  V.  Clem.  Thaer.  (V,  140  S.)  gr.  8°.  Leipzig 
'09,  B.  G.  Teubner.  —  3,60  Mk.,  geb.  4  Mk. 

Ricbthofen's,  Ferd.  v  ,  Vorlesungen  üb.  .allgemeine  Siedlungs- 
u.  Verkehrsgeographie.  Bearb.  u.  hrsg.  v.  Priv.-Doz.  Dr. 
Otto  Schlüter.  (16,  352  S.  m.  4  Lichtdr.-Tafeln.)  gr.  8". 
Berlin   '08,   D.  Reimer.   —  Geb.  in  Leinw.    10  Mk. 

Schulz,  Paul  F.  F.:  Unsere  Zierpflanzen.  Eine  zwanglose 
Auswahl  biolog.  Betrachtgn.  v.  Garten-  und  Zimmerpflanzen, 
sowie  Parkgeholzen.  .Mit  5  färb.  Taf.  nach  C)rig. -Aquarellen 
V.  Kunstmaler  Wollif-Maage,  7  Taf.  in  photograph.  Kunstdr. 
nach  Orig. -.Aufnahmen  v.  Geo.  E.  F.  Schulz,  68  photograph. 
Textbildern  gleichfalls  nach  Orig. -Aufnahmen  v.  Geo.  E 
F.  Schulz,  sowie  zahlreichen  Textbildern  in  Federzeichnungs- 
manier zumeist  nach  Orig. -Skizzen  des  Verf.  (VllI,  216  S.) 
gr.  8".  Leipzig  '09,  Quelle  &  Meyer.  —  4,40  Mk.,  geb.  in 
Leinw.   4,80  Mk. 

Stewart,  Dr.  A.  W. ;  Stereochemie.  Deutsche  Bearbeitg.  v. 
Priv.-Doz.    Dr.    Karl    Löffler.      (XVI,    479  S.    m.  87   Fig.) 


gr. 


Berlin   '08,  J.  Springer. 


12  Mk.,  geb.  in  Halb- 


Idr.    14,^0  Mk. 

Treadwell,  Prof.  Dr.  F.  P. ;  Kurzes  Lehrbuch  der  analytischen 
Chemie  in  2  Bdn.  I.  Bd.  Qualitative  Analyse.  Mit  23 
Abbildgn.  u,  3  Spektrallaf.  6.,  verm.  u.  verb.  Aufl.  (XIII, 
4S3  S.)     8».     Wien  '08,  F.  Deuticke.  —  9  Mk. 

Volhard,  Jak.:  Justus  v.  Liebig.  2  Bde.  (XII,  456  u.  VIII, 
438  S.  m.  Fksms.  u.  2  Bildnissen.)  gr.  8°.  Leipzig  '09, 
J.  A.  Barth.   —  22  Mk.,  geb.  in  Leinw.  24  Mk. 


Inhalt:  11.  Potonie:  Charles  Darwin  zu  seinem  hundertsten  Geburtstage.  —  Sammelreferate  und  Übersichten:  Dr. 
1,1  tto  Rammstedt:  Neues  aus  der  Pharmazie.  —  Kleinere  Mitteilungen:  Prof.  H.  E.  Ziegler:  Die  phylo- 
genetische Entstehung  des  Kopfes  der  Wirbeltiere.  —  Dr.  Rohland:  Über  die  Farbe  des  Schwefels  und  das  Farb- 
problem des  Ultramarins.  —  Bücherbesprechungen:  Max  Kleinschmidl:  Grammatik  und  Wissenschaft.  —  Prof. 
Dr.  Beruh.  Hoffmann:   Kunst  und   Vogelgesang.  —  A.  v.   Ihering:   Die  Wasserkraftmaschineu.  —  Literatur:  Liste. 

Verantwortlicher  Redakteur:    Prof.  Dr.  H.  Potonie,    Grofi-Lichterfelde-West  b.  Berlin.      Verlag  von  Gustav  Falscher  in  Jena. 

Druck  von  Lippert  &  Co.  (G.  Pätz'sche   Buchdr.),  Naumburg  a.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Kulge  Vlll.  Haiul  ; 
der  ganzen  Keihe  XXIV.  Hanil, 


Sonntag,  den  2i.  Februar  1909. 


Nummer  8. 


Charles  Darwin  als  Botaniker. 

Vortrag,  gehalten  am   14.  Februar   1900  zu  Hamburg  bei    der  Feier    des    hundertsten  Geburtstages  Darwin? 

[Nachdruck  verboten.]  Von   Dr.   W.   Detmer,   Prof.   an   der  Universität  Jena. 


Hochansehnliche  Festversammlung ! 

Der  wissenschaftlichen  Botanik  gereicht  es  zu 
besonderem  Vorteil ,  daß  in  ihrem  Bereiche  die 
Disziplinen  der  Morphologie,  Anatomie,  Physio- 
logie, Ökologie  und  Systematik  im  Laufe  der 
letzten  Jahrzehnte  eine  weit  engere  Verknüpfung 
gefunden  haben,  als  es  in  der  Zoologie  der  Fall 
ist.  Eine  der  wesentlichsten  Ursachen  dieser 
glücklichen  und  für  die  Entwicklung  der  Botanik 
so  überaus  wertvollen  Verkettung  muß  auf  das 
Wirken  unseres  großen  Meisters  Charles  Dar- 
win zurückgeführt  werden. 

Charles  Darwin,  neben  Newton,  Lavoi- 
sier,  Liebig  und  Helmholtz  einer  der  größ- 
ten Naturforscher  aller  Zeiten,  hat  nicht  nur  durch 
seine  bewunderungswürdigen  theoretischen  Unter- 
suchungen die  Welt  erschüttert  und  unserem 
Denken  auf  naturwissenschaftlichem,  sozialem, 
metaphysischem  und  religionsphilosophischem  Ge- 
biet ganz  neue  Bahnen  gewiesen,  sondern  es  ist 
ihm  auch  vergönnt  gewesen,  was  freilich  in  weiteren 
Kreisen  weniger  bekannt  zu  sein  scheint,  manche 
Einzelwissenschaften  durch  scharfsinnig  angestellte 
Beobachtungen  und  Experimente  gewaltig  zu 
fördern. 

Darwin  war  ein  Botaniker  ersten  Ranges. 
Als  Spezialforscher  betätigte  er  sich  ganz  beson- 
ders auf  botanischem  Gebiet  und  hat  die  Resultate 
seiner  Studien  nicht  in  kleinen  Abhandlungen, 
sondern  in  einer  Reihe  stattlicher  Werke  nieder- 
gelegt. Durchdrungen  von  dem  Geiste  wahrer 
Naturforschung,  der  sich  der  ungeheuren  Bedeu- 
tung der  induktiven  Methode  stets  bewußt  bleibt, 
ist  D  a  r  w  i  n  dennoch  weit  entfernt  gewesen  von 
jedem  unfruchtbaren  reinen  Empirismus  und 
von  sterilem  Agnostizismus.  Sein  Geist  war  immer 
auf  umfassendere,  allgemeinere  Gesichtspunkte 
gerichtet;  er  war  der  Mann  dazu,  mit  genialem 
Blick  die  Fülle  des  von  ihm  ermittelten  Tatsachen- 
materials zu  beherrschen  und  für  die  Wissenschaft 
fruchtbringend  zu  verwerten. 

Es  kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  die 
sämtlichen  botanischen  Arbeiten  Darwins  zu 
erwähnen ;  wir  müssen  uns  auf  die  allerwichtigsten 
derselben  beschränken :  i.  Insektenfressende  Pflan- 
zen; 2.  Die  Wirkung  der  Kreuz-  und  Selbstbe- 
fruchtung im  Pflanzenreich;  3.  Das  Bewegungs- 
vermögen der  Pflanzen. 

Der  größte  Teil  des  zuerst  genannten  Werkes 
(251  Seiten)  ist  dem  Studium  der  wunderbaren 
Drosera  rotundifolia  (Sonnentau)  gewidmet.     An- 


dere Insektivoren  erfahren  eine  viel  knappere 
Behandlung.  Vor  allen  Dingen  legt  Darwin 
viel  Gewicht  darauf,  die  übereinstimmenden  Züge 
im  Verhalten  der  verschiedenen  hier  in  Betracht 
kommenden  Organismen  zu  betonen,  ohne  dabei 
freilich  die  tatsächlich  bestehenden  Differenzen 
zu  übersehen.  Bei  Drosera  wird  das  feinste  Detail 
in  meisterhafter  Weise  studiert,  die  theoretisch 
überaus  wichtige  Tatsache  einer  räumlichen  Tren- 
nung zwischen  perzipierender  und  motorisch 
tätiger  Zone  an  den  Tentakeln  der  Blätter  fest- 
gestellt, die  Bewegung  der  Tentakelstiele  genau 
verfolgt,  die  Sekretion  von  Säure  sowie  Enzymen 
seitens  der  Tentakeldrüsen  untersucht,  die  Eiweiß- 
verdauung durch  die  Sekrete  und  anderes  ermittelt. 
Der  außerordentliche  prinzipielle  Wert  der  allbe- 
kannten Studien  Darwin's  über  die  insektenfressen- 
den Pflanzen  besteht,  wie  man  wohl  sagen  darf, 
darin ,  daß  durch  dieselben  in  einer  so  exakten 
und  zugleich  umfassenden  Weise  wie  niemals  zu- 
vor auf  dem  Gebiete  der  Pflanzenphysiologie  der 
Nachweis  dafür  erbracht  worden  ist,  wie  unter 
Umständen  eine  für  den  Organismus  sehr  wichtige 
Leistungsfähigkeit  eines  kleinen  Organs  (hier  Ge- 
winnung stickstoffhaltiger  Substanz  für  die  Pflanze) 
nur  durch  das  ungemein  komplizierte  Zusammen- 
wirken mannigfaltigster  Prozesse  in  demselben 
erzielt  werden  kann. 

Gehen  wir  zur  Besprechung  der  zweiten  der 
erwähnten  Schriften  Darwins  über,  so  seien 
zunächst  folgende  Vorbemerkungen  gestattet.    Im 

17.  Jahrhundert  entdeckte  Camerarius  die 
Sexualität  der  Pflanzen.     In  den  60  er  Jahren  des 

18.  Jahrhunderts  wies  Koelreuter  die  Möglich- 
keit der  Erzeugung  von  Pflanzenbastarden  wissen- 
schaftlich genau  nach  und  sprach  zugleich  die 
Ansicht  aus,  daß  es  sich  bei  der  Sexualität  um 
die  Verwischung  zweier  verschiedener  Substanzen 
handle.  Konrad  Sprengel  konstatierte  dann 
weiter  die  sehr  allgemeine  Verbreitung  der  Kreu- 
zung im  Pflanzenreich  (auch  bei  Gewächsen  mit 
Zwitterblüten)  und  erkannte  die  Bedeutung  der 
Insekten  als  Überträger  des  Pollens  sowie  die 
Anpassungen  im  Bau  der  Blüten  an  die  pollen- 
übertragenden Tiere.  (Näheres  findet  man  in 
sehr  anziehender  Form  dargestellt  in  der  Geschichte 
der  Botanik  von  Sachs.) 

Darwin  hat  die  ungemeine  Wichtigkeit  der 
Arbeiten  Sprengeis  voll  und  ganz  gewürdigt. 
Er  hat  unsere  Kenntnisse  über  die  Beziehungen 
zwischen  Blumen  und  Insekten ,  besonders  in 
seinem  Werke  über  Orchideenbefruchtung,  selbst 


114 


Naturwissenschaftliche  Wocnenschrift. 


N. 


VIU.  Nr.  8 


sehr  gefördert,  aber  der  Kernpunkt  seiner 
Leistung  auf  dem  uns  hier  interessierenden  Gebiet 
ist  im  folgenden  zu  suchen. 

Wenngleich  man  wußte,  daß  in  der  weit  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  Kreuzung  bei  den 
Pflanzen  erfolgt  und  die  Selbstbefruchtung  aus- 
geschlossen oder  beschränkt  wird,  so  waren  doch 
Sinn  und  Bedeutung  dieser  merkwürdigen  Er- 
scheinungen nicht  bekannt;  Darwin  blieb  es 
vorbehalten,  hier  Entdeckungen  von  großer  Trag- 
weite zu  machen.  Die  mühsamen  und  jahrelang 
mit  unendlicher  Geduld  durchgeführten  Studien 
ergaben  für  zahlreiche  Arten  von  Blütenpflanzen, 
daß  solche  Individuen,  welche  einer  Kreuzung 
mit  einem  neuen  Stamm  ihr  Dasein  verdanken, 
sich  durch  weit  bedeutendere  Höhe,  Fruchtbarkeit 
und  erheblicheres  Gewicht  anderen  Individuen 
gegenüber  auszeichneten,  die  durch  Selbstbefruch- 
tung oder  durch  Kreuzung  der  Pflanzen  des  näm- 
lichen alten  Stammes  entstanden  waren.  Selbst- 
befruchtung, namentlich  mehrere  Generationen 
hintereinander  vollzogene,  wirkt  in  der  Regel 
(freilich  nicht  in  allen  Fällen)  nachteilig,  Kreuzung 
fördernd  auf  die  Organismen  ein.  Für  die  ge- 
deihliche Entwicklung  der  Organismenwelt  ist 
eine  gewisse  Qualitätsdifferenz  der  kopulieren- 
den Sexualzellen  von  außerordentlicher  Wichtig- 
keit. Besitzen  die  Geschlechtszellen  fast  genau 
die  gleichen  konstitutionellen  Eigenschaften  (männ- 
liche und  weibliche  Zellen  einer  Blüte),  so  resul- 
tieren infolge  der  Befruchtung  minderwertige  In- 
dividuen. Es  leuchtet  auch  nach  dem  Gesagten 
ohne  weiteres  ein,  wie  wichtig  die  Resultate  der 
Arbeiten  Darwins  für  die  Beurteilung  der 
Frage  nach  dem  biologischen  Wert  der  Sexualität 
überhaupt  im  Verhältnis  zu  demjenigen  der  unge- 
schlechtlichen Fortpflanzung  und  vegetativen  Ver- 
mehrung sind. 

Es  erübrigt  hier  noch,  zur  Charakteristik  der 
biologischen  Wichtigkeit  der  Kreuzung  wenigstens 
einige  Beispiele  aus  Darwins  Werken  anzu- 
führen : 

Petunia  violacea  wurde  während  5  Generationen 
durch  Selbstbefruchtung  vermehrt.  Zudem  sind 
Exemplare  der  vierten  Generation  dieser  Pflanzen 
mit  solchen  eines  ganz  neuen  Stammes  der  Spezies 
gekreuzt  worden.  Die  entwickelten  Kreuzungs- 
produkte verhielten  sich  in  bezug  auf  Höhe  zu  den 
durch  Selbstbefruchtung  entstandenen  Individuen 
wie  100  zu  66.  Dem  Gewicht  nach  verhielten 
sich  die  ersteren  zu  den  letzteren  wie  100  zu  22. 
Jene  produzierten  auch  ungefähr  doppelt  so  viel 
Früchte  als  diese. 

Viele  Primeln,  z.  B.  P.  officinalis,  zeichnen  sich 
durch  Heterostylie  in  der  Form  des  Dimorphismus 
aus.  Die  einzelnen  Individuen  gleichen  einander 
hier  insofern  nicht,  als  manche  (a)  Blüten  mit 
hochstehenden  Narben,  also  langen  Griffeln  und 
tiefstehenden  Antheren ,  andere  (b)  aber  Blüten 
mit  tiefstehenden  Narben  (kurzen  Griffeln)  sowie 
hochstehenden  Antheren  produzieren.  Darwin 
(Verschiedene  Blütenformen  bei  Pflanzen  der  näm- 


lichen Art)  zeigte,  daß  die  Pollenkörner  jener 
ersteren  Form  bedeutend  kleiner  als  diejenigen 
der  letzteren  sind.  Findet  nun  Selbstbefruchtung 
(illegitime  Verbindung)  bei  a  oder  auch  bei  b 
statt,  so  ist  der  Erfolg,  gemessen  an  der  Zahl  der 
produzierten  Kapseln  und  dem  Gewicht  der  Samen, 
bei  weitem  nicht  so  günstig  wie  bei  legitimer 
Verbindung,  d.  h.  bei  eingetretener  Kreuzung 
zwischen  a  und  b  oder  b  und  a. 

Indirekt  wird  der  biologische  Wert  der  Kreu- 
zung auch  dadurch  erwiesen,  daß  bei  zahlreichen 
Blüten,  z.  B.  solchen  mancher  Orchideen,  Selbst- 
befruchtung unter  natürlichen  Umständen  über- 
haupt unmöglich  ist,  während  die  bewunderungs- 
würdigsten Flinrichtungen  zur  Sicherung  der 
Kreuzung  realisiert  sind.  Vom  Standpunkte  der 
Selektionstheorie  aus  betrachtet,  müssen  solche 
Organisationsverhältnisse  und  physiologische  P"unk- 
tionen  der  Blütenteile  von  vornherein  als  Ökologis- 
men angesehen  werden,  eine  Anschauung,  deren 
Richtigkeit  Darwins  Studien  durchaus  bestätigen. 

In  dem  Werke  über  das  Bewegungsvermögen 
der  Pflanzen,  zu  welchem  auch  sein  Buch  ,, Be- 
wegungen und  Lebensweise  der  kletternden  Pflan- 
zen" in  nahen  Beziehungen  steht,  behandelt  Dar- 
win zuerst  die  Erscheinungen  der  Zirkumnutation. 
Er  hat  durch  sehr  genaue  Beobachtungen  den 
Nachweis  geliefert,  daß  die  Spitzen  vieler  wach- 
sender Pflanzenteile  keine  geradlinigen  Bahnen 
einschlagen,  sondern  im  allgemeinen  bald  nach 
dieser,  bald  nach  jener  Richtung  hin  von  der 
Geraden  abweichen.  Dies  Phänomen  kommt 
durch  Ungleichmäßigkeiten  im  Längenwachstum 
verschiedener  Längslinien  der  Organe  zustande. 
Weiter  studierte  der  britische  Naturforscher  dann 
zahlreiche  andere  Bewegungserscheinungen  der 
Gewächse,  namentlich  auch  die  heliotropischen 
sowie  geotropischen  Nutationen. 

Es  ist  bekannt,  daß  viele  Pflanzenorgane, 
wenn  sie  einseitig  beleuchtet  werden,  ein  positiv 
heliotropisches  Verhalten  erkennen  lassen.  Der- 
artig reagieren  z.  B.  auch  die  oberirdischen  Teile 
der  Paniceenkeimlinge.  Das  Merkwürdige  ist  nun 
aber  in  diesem  speziellen  Falle,  wie  Darwin 
nachwies,  daß  die  heliotropische  Krümmung  nur 
dann  eintritt,  wenn  das  an  der  Spitze  des  Keim- 
lings sitzende  Scheidenblatt  einseitig  beleuchtet 
wird.  Dies  Blatt  ist  allein  zur  Perzeption  des 
Lichtreizes  befähigt.  Das  Protoplasma  seiner 
Zellen  wird  erregt,  und  nun  erfolgt  Reiztrans- 
mission bis  in  die  Gewebe  des  unter  dem  Scheiden- 
blatt liegenden  Epicotyls.  Dieses  führt,  wenn  die 
Paniceenkeimlinge  ein  gewisses  Entwicklungs- 
stadium erreicht  haben,  die  heliotropische  Nutation 
allein  aus,  vermag  aber  keineswegs  den  Lichtreiz 
selbst  zu  perzipieren.  Bei  den  Paniceenkeimlingen 
(andere  Keimlinge  zeigen  nicht  das  analoge  Ver- 
halten) ist  ganz  sicher  Sonderung  einer  den  Licht- 
reiz perzipierenden  und  einer  allein  motorisch 
tätigen  Region  gegeben.  Letztere  reagiert  nur 
auf  zugeleitete  Erregung.  Wenn  daher  das  Scheiden- 
blatt durch  aufgesetzte  leichte  Kappen  verdunkelt 


M.  F.  Vin.  Xr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


115 


wird,  so  krümmt  sich  das  Epicotyl,  auch  bei  ein- 
seitiger Beleuchtung  desselben,  gar  nicht  helio- 
tropisch. 

Nach  Darwin  spielt  ebenso  bei  den  geotro- 
pischen  Notationen  der  Wurzeln  die  Spitze  dieser 
Organe  die  Rolle  eines  Perzeptionsapparates,  so 
daß  die  hinter  der  Spitze  liegende  motorische 
Zone  ihre  Aktion  nur  unter  dem  Einfluß  zuge- 
leiteten Reizes  geltend  macht.  Freilich  ist  diese 
Auffassung  höchstwahrscheinlich  für  viele  Fälle 
richtig,  aber  doch  noch  nicht  ganz  streng  als 
zutreffend  erwiesen. 

Die  außerordentliche  Bedeutung  des  Buches 
Darwins  über  das  Bewegungsvermögen  der 
Pflanzen  ist,  ganz  abgesehen  davon,  daß  es  uns 
mit  vielen  neuen  Tatsachen  bekannt  gemacht  hat, 
in  erster  Linie  in  der  Inangriffnahme  seither  kaum 
beachteter  Probleme  zu  erblicken.  Im  Anschluß 
an  Darwins  Werk  hat  sich  denn  auch  in  der 
Tat  eine  große  Literatur  entwickelt,  die  haupt- 
sächlich die  Fragen  nach  der  Natur  der  die  Reize 
perzipierenden  Organe  (Sinnesorgane  der  Ge- 
wächse), den  Prozessen  bei  der  Erregung  des 
Protoplasmas  und  nach  der  Reiztransmission  be- 
handelt. Darwin  ist  als  Begründer  der  modernen 
Sinnesphysiologie  der  Pflanzen  anzusehen. 


Im  vorstehenden  wurde  Darwin  als  Spezial- 
forscher gewürdigt.  Seine  größten  Leistungen 
fanden  aber  noch  keine  Berücksichtigung,  nämlich 
diejenigen,  durch  welche  er  das  gesamte  Geistes- 
leben der  Menschheit  so  gewaltig  beeinflußte  und 
zugleich  zahlreichen  Gebieten  praktischer  Be- 
tätigung ganz  neue  Bahnen  wies.  Wir  haben  hier 
natürlich  die  tiefe  Begründung  der  Deszendenz- 
lehre durch  den  großen  Briten  sowie  dessen 
Selektionstheorie  im  Auge. 

Linne  und  viele  seiner  Nachfolger  vertraten 
die  Ansicht  von  der  Konstanz  der  Spezies  im 
Pflanzen-  und  Tierreich.  Sie  nahmen  an,  daß 
dieselben,  jede  für  sich,  durch  einen  Schöpfungs- 
akt entstanden  wären,  sich  dann  ihrer  Art  gemäß 
vermehrt  und  unverändert  (abgesehen  von  Varie- 
tätenbildung) erhalten  hätten.  Bei  mehr  philo- 
sophischer Behandlung  naturwissenschaftlicher 
Probleme,  wie  eine  solche  z.  B.  von  Herder  in 
seinem  schönen  Werk  „Ideen  zur  Philosophie  der 
Geschichte  der  Menschheit"  durchgeführt  wurde, 
kamen  noch  andere  Vorstellungen  zur  Ausprägung. 
Allen  Organismen,  den  Pflanzen,  Tieren  und 
Menschen,  liegt  ein  Urtypus  zugrunde.  Die  ein- 
zelnen Arten  sind  nicht  neben-,  sondern  nach- 
einander entstanden,  zuerst  einfache  Formen,  dann 
immer  komplizierter  gebaute.  Die  gesamte  Stufen- 
folge in  der  Organismenwelt  wird  als  Ausdruck 
der  Wirksamkeit  einer  Idee  (Weltseele)  betrachtet, 
welche,  indem  sie  den  Lebewesen  eine  immer 
mehr  den  äußeren  Verhältnissen  angepaßte  Aus- 
gestaltung verlieh,  eine  fortschreitende  Entwick- 
lung derselben  vermittelte.  Ahnlich  wie  H  erde r 
hat  auch  Goethe  in  seinen  jüngeren  Jahren  ge- 
dacht.    Wir  haben  es  hier  nicht  mit  einer  wi  rk - 


liehen,  sondern  nur  mit  einer  scheinbaren 
Deszendenz  zu  tun.  Die  einzelnen  Arten  weiden 
nicht  als  Blutsverwandte  aufgefaßt,  sind  niclit 
auseinander  hervorgegangen,  sondern  nur  nach- 
einander entstanden.  Die  echte  Deszendenzlehre 
klar  und  deutlich  zum  Ausdruck  gebracht  zu 
haben,  ist  das  große  Verdienst  anderer  Männer 
gewesen,  namentlich  Lamarcks  und  auch 
Goethes,  der  sie,  besonders  in  seinen  späteren 
Lebensjahren,  freudig,  ja  begeistert  vertrat.  Und 
nun  Charles  Darwin! 

Ihm  gebührt  das  unermeßlich  große  Verdienst, 
der  Lehre  von  einer  realen  Deszendenz  aller 
Organismen  (also  auch  des  Menschen)  und  über- 
haupt dem  Entwicklungsgedanken  zu  voller, 
machtvoller  Wirkung  verholfen  zu  haben.  Unter 
Berücksichtigung  zahlloser  Tatsachen  aus  den 
Gebieten  der  vergleichenden  Anatomie  und 
Morphologie,  der  Embryologie  sowie  Paläontologie 
führt  er  den  Nachweis,  daß  die  Lehre  von  der 
Konstanz  der  Arten  ein  Dogma  darstellt,  und 
allein  die  Anschauung  von  der  Veränderlichkeit 
der  Spezies  sowie  der  allmählich  vollzogenen 
stammesgeschichtlichen  (phylogenetischen)  Ent- 
wicklung der  Organismenwelt  wissenschaftlich  be- 
gründet werden  kann. 

Von  gewisser  Seite  wird  immer  wieder  be- 
tont, um  Darwins  Verdienste  herabzusetzen,  er 
habe  die  Deszendenzlehre  ja  schon  vorgefunden. 
Das  letztere  ist  unzweifelhaft  richtig.  Aber  es 
kommt  auch  in  der  Wissenschaft  nicht  allein  dar- 
auf an,  eine  Idee  auszusprechen,  sondern  man 
muß  es  ebenso  verstehen,  dieselbe  zur  Geltung 
zu  bringen,  d.  h.  den  Gedanken  energisch  unter 
Heranziehung  eines  die  Geister  bezwingenden 
Tatsachenmaterials  zu  vertreten. 

Die  ungeheure  Wirkung  des  Buches  Dar- 
wins über  die  Entstehung  der  Arten  ist  denn 
auch  nicht  ausgeblieben. 

Der  Morphologie  und  Systematik  sind  durch 
Darwin  ganz  neue  Bahnen  gewiesen  worden. 
Man  erkannte  auf  einmal  klar  und  deutlich,  daß 
das  natürliche  System  ein  „Bild"  der  stammes- 
geschichtlichen (phylogenetischen)  Entwicklung 
der  Organismenwelt  zu  geben  habe.  Aber  damit 
war  der  Forschung  zunächst  nur  ein  Ziel  vorge- 
schrieben. Indem  man  sich  bestrebte,  dasselbe 
zu  erreichen,  stellten  sich  aus  zahlreichen  in  der 
Natur  der  Sache  liegenden  Gründen  den  wissen- 
schaftlichen Bemühungen  gerade  auf  botanischem 
Gebiete  sehr  bedeutende  Schwierigkeiten  entgegen. 
Manche  Einsicht  ist  freilich  bereits  in  bezug  auf 
die  Kryptogamen  gewonnen  worden.  Auch 
konnten  viele  Beziehungen  zwischen  höheren 
Kryptogamen  und  Gymnospermen  sowie  zwischen 
diesen  letzteren  und  den  Angiospermen  fest- 
gestellt werden;  indessen  läßt  das  System  noch 
gar  vieles  zu  wünschen  übrig.  Ganz  besonders 
gilt  dies  auch  mit  Rücksicht  auf  die  höheren 
Pflanzen.  Wo  zweigen  z.  B.  die  Monocotylen  von 
den  Dicotylen  ab?  Ist  die  Entwicklung  der 
Sympetalen  eine  mono-  oder  polyphyletische  ge- 


ii6 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIIF.  Nr.  8 


wesen  ?  Diese  und  viele  andere  Fragen  bedürfen 
dringend  der  Erledigung.  Vor  der  Hand  haben 
wir  noch  kein  System,  welches  den  groß 
artigen  Prinzipien  der  Deszendenzlehre  gerecht 
werden  könnte.  Nur  die  ganz  allgemeinen  Grund- 
linien zu  einem  solchen  sind  vorgezeichnet,  und 
es  bleibt  einer  fernen  Zukunft  vorbehalten,  den 
begonnenen  Bau  im  Sinne  Darwins,  der  uns 
den  allein  gangbaren  Weg  gewiesen  hat,  zu 
vollenden. 

Nun  taucht  aber  sofort  das  unendlich  schwierige 
Problem  auf,  welche  Ursachen  die  Deszendenz 
überhaupt  ermöglichten.  Lamarck  suchte  die 
von  ganz  einfachen  Formen  ausgehende,  bis  zu 
den  höchsten  Gestaltungen  fortschreitende  Evolu- 
tion in  der  Organismenwelt  durch  die  Annahme 
eines  den  Lebewesen  immanenten  Vervollkomm- 
nungstriebes und  dadurch  zu  begreifen,  daß  er 
den  Pflanzen  und  Tieren  das  Vermögen  zuschrieb, 
unter  dem  Einflute  veränderter  äußerer  Umstände 
sofort  zweckmäßig  zu  reagieren.  Diese  Einflüsse 
sowie  auch  Gebrauch  der  Organe  rufen  nach 
Lamarck  im  Organismus  das  teleologische 
Prinzip  des  Bedürfnisses  hervor,  welches,  einmal 
wirksam,  ohne  weiteres  direkte  und  auch  funk- 
tionelle Anpassungen  vermittelt.  Und  dazu  gesellt 
sich  bei  Lamarck  noch  die  Lehre  von  der  Erb- 
lichkeit erworbener  Eigenschaften. 

Eine  den  Lebewesen  eigentümliche,  bestimmt 
gerichtete  Evolutionstendenz  wird  auch  heute  noch 
von  manchen  Forschern,  namentlich  den  Neo- 
vitalisten,  postuliert,  um  die  Deszendenz  verständ- 
lich zu  machen. 

Darwin  hingegen  steht  offenbar  auf  mecha- 
nistischem Boden.  Die  Deszendenz  muß  kausal- 
mechanisch erklärt  werden  können.  Das  ist  ohne 
Zweifel,  wenn  man  alle  Bemühungen  des  großen 
britischen  Naturforschers  überblickt,  die  Hypothese, 
von  welcher  derselbe  ausgeht,  und  die  ihn  zur 
Aufstellung  seiner  Selektionstheorie  führte. 

Anknüpfend  an  die  Erfahrungen ,  die  an 
domestizierten  Pflanzen  und  Tieren  gewonnen 
worden  sind,  welche  Darwin  übrigens  in  einem 
besonderen  Buch  sehr  eingehend  behandelt  hat,  zeigt 
er,  daß  die  Organismen  auch  im  Naturzustande 
ganz  allgemein  zumeist  richtungslose  Ab- 
änderungen erleiden,  die  man,  ohne  näherauf 
deren  Charakter  einzugehen,  ganz  gut  als  Varia- 
tionen und  Mutationen  unterscheiden  kann. 
Die  Ursachen,  welche  diese  übrigens  schwierig 
scharf  gegeneinander  abzugrenzenden  Abände- 
rungsformen bedingen,  sind  äußerst  mannigfaltiger 
Art,  und  es  steht  hier  der  eben  erst  begonnenen 
experimentellen  Forschung  ein  weites  Feld  der 
fruchtbarsten  Betätigung  offen. 

Durch  das  konservative  Prinzip  der  Ver- 
erbung können  die  Abänderungen  von  einer 
Generation  auf  andere  übertragen  werden,  aber 
neue  Modifikationen  bei  den  Individuen  dieser 
letzteren  sind  selbstverständlich  nicht  ausge- 
schlossen und  machen  sich  tatsächlich  auch 
geltend.     So  befindet  sich  die  Lebewelt  also  nicht 


im  starren,  unveränderlichen  Zustande,  sondern 
vielmehr  in  einem  freilich  nur  dem  genauen  Be- 
obachter erkennbaren,  ununterbrochenen  Wechsel 
und  Muß.  Die  Abänderungen  sind  das  Primäre 
für  die  Deszendenz;  sie  bieten  allen  weiteren  ein- 
greifenden Faktoren  das  zu  bearbeitende  Material 
dar.  Und  solche  Faktoren  sind  nicht  minder 
wichtig  für  die  Phylogenie  wie  die  Abänderungen 
selbst,  denn  kämen  nur  diese  in  Verbindung  mit 
der  Vererbung  zur  Geltung,  so  müßte  die  Or- 
ganismenwelt geradezu  ein  Chaos  von  Formen 
darstellen,  während  uns  doch  die  Erfahrung  lehrt, 
daß  dies  keineswegs  der  Fall  ist. 

Wir  wissen,  daß  in  den  Lebewesen  eine  un- 
geheure Reproduktionskraft  ruht.  Zahllose  Keime 
entstehen;  überaus  viele  Individuen  jeder  Art 
werden  geboren.  Aber  relativ  nur  sehr  wenige 
Individuen  gelangen  zur  vollen  Entwicklung  und 
vermögen  sich  fortzupflanzen.  Der  Grund  für 
diese  Tatsache  liegt  in  dem  erbitterten  Kampf 
ums  Dasein,  den  die  Organismen  mit  ihren 
nächsten  Verwandten,  ganz  anderen  Lebewesen 
und  unter  der  Herrschaft  der  durch  die  anor- 
ganische Natur  gegebenen  Bedingungen  führen 
müssen.  In  diesem  Kampfe  können  nur  die  sich 
infolge  ihres  besonderen  Charakters  bewährenden 
Individuen  erhalten  bleiben;  weitaus  die  meisten 
gehen  zugrunde  und  sind  dadurch  vom  ferneren 
Wettbewerb  ausgeschlossen.  Damit  ist,  zunächst 
ganz  im  allgemeinen,  der  Sinn  bezeichnet,  den  es 
hat,  wenn  man  mit  Darwin  von  Selektion 
oder  Auslese  spricht. 

Vielfach  wurde  freilich  gegen  Darwin  die  An- 
sicht vertreten,  daß  kleine  Abänderungen,  welche  die 
Organismen  erfahren,  nicht  zur  Entstehung  scharf 
ausgeprägter  Differenzierungen  der  Arten  führen 
könnten,  weil  sie  keinen  Selektionswert  hätten. 
Wer  aber  die  Pflanzen  und  Tiere  nicht  nur  im  Museum 
und  Laboratorium,  sondern  an  der  Quelle,  d.  h. 
in  der  freien  Natur,  studiert,  wird  sich  einer  solchen 
Auffassung  gegenüber  gewiß  ablehnend  verhalten. 
Man  hat  auch  zu  bedenken,  was  gar  nicht  ge- 
nügend gewürdigt  wird,  daß,  wenn  es  sich  um 
einen  Wettbewerb  bei  eintretender  Veränderung 
der  Lebensbedingungen  handelt,  diese  letzteren 
zumeist  ganz  allmählich  im  Laufe  langer  Zeit- 
perioden modifiziert  werden,  und  die  zunächst 
relativ  geringfügige,  aber  doch  schon  wertvolle 
Variationsbreite  der  Organismen  daher  nach  vielen 
Generationen  ein  bedeutendes  Ausmaß  gewinnen 
kann.  Ist  nämlich  einmal  eine  bestimmte,  für  die 
Art  vorteilhafte  Abänderung  zustande  gekommen, 
so  wird  häufig  mindestens  die  Tendenz  zur  \'er- 
folgung  des  eingeschlagenen  Weges  erblich  auf 
die  Nachkommen  übertragen,  und  damit  eine 
Akkumulationsbedingung  gegeben,  die  von  höchster 
Wichtigkeit  für  die  Differenzierung  der  Spezies 
oder  Varietäten  werden  muß.  Das  Chaos  der 
Formen,  von  dem  oben  die  Rede  war,  ver- 
schwindet. Diejenigen  Individuen,  welche  in  ihrem 
Bau  und  ihren  Lebensäußerungen  keinen  er- 
haltungsgemäßen   Charakter    tragen,    gehen 


N.  !■.  Vlll.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


117 


zuj^runde.  Die  Selektion  weist  der  Entwicklung 
der  Organismen  gewisse  Bahnen  an,  die  natürlich, 
wenn  neue  Umstände  wirksam  werden,  auch 
wieder  durch  neue  Evolutionsrichtungen  ersetzt 
werden  können. 

Es  ist  nun  eine  sehr  wichtige  Tatsache,  daß 
die  im  Kampf  ums  Dasein  zustande  kommende 
Selektion,  welche  neben  dem  auf  Variation  und 
Mutation  beruhenden  Abänderungsvermögen  der 
Organismen  und  neben  der  Vererbung  eine  so 
überaus  große  Rolle  bei  der  Artbildung  sowie 
Phylogenie  spielt,  zur  Erhaltung  solcher  Individuen 
führt,  die  den  gegebenen  Lebensverhältnissen  zu- 
meist in  geradezu  bewunderungswürdiger  Weise 
angepaßt  erscheinen,  d.  h.  genau  diejenigen 
Eigentümlichkeiten  in  ihrem  Hau  und  Lebens- 
betätigungen aufweisen,  die  es  ihnen  ermöglichen, 
sich  zu  voller  Blüte  auszugestalten  und  zahlreiche 
Nachkommen  zu  erzeugen.  Das  Zustandekommen 
und  nicht  minder  auch  das  Bestehenbleiben  dieser 
Anpassungen  oder,  wie  man  auch  sagen  kann, 
erhaltungsgemäßen  Organisationen,  ist  vom 
Standpunkte  der  Naturwissenschaft  aus,  welche 
immer  die  kausal-mechanische  Betrachtungsweise 
festzuhalten  hat,  allein  selektionstheoretisch  zu 
begreifen.  Andererseits  ist  es  aber  auch  durchaus 
zulässig,  wie  nur  ganz  kurz  angedeutet  werden 
möge,  jene  Anpassungen  als  Zweckmäßig- 
keitseinrichtungen zu  charakterisieren,  in- 
dem man  die  Erscheinungen  von  metaphysischer 
Perspektive  aus  beleuchtet,  und  danach  das  un- 
geheure Getriebe  des  kausal-mechanischen  Ge- 
schehens in  der  Natur  als  Mittel  zur  Realisie- 
rung gewisser  Weltziele  ansieht. 

Doch  lassen  wir  solche  Gedanken ,  die 
Darwin  fernlagen,  hier  beiseite.  Es  genügt  für 
uns,  zu  konstatieren,  daß  er  der  Wissenschaft 
durch  Aufstellung  seiner  Selektionstheorie  einen 
unermeßlich  großen  Dienst  geleistet  hat.  Es  ist 
bewunderungswürdig,  mit  welcher  tiefen  biolo- 
gischen Einsicht  er  die  schwierigsten  Probleme 
durchdrang  und  wie  vielseitig  er  dieselben 
behandelte,  während  selbst  hervorragende  Forscher 
unter  seinen  Nachfolgern  von  dem  Fehler  ein- 
seitiger Betrachtungsweise  nicht  frei  gesprochen 
werden  können. 

Gewiß  sind  zahlreiche  Fragen,  die  sich  auf  die 
Entstehung  der  Arten  beziehen,  wie  auch 
Darwin  selbst  immer  wieder  betont,  noch  keines- 
wegs gelöst.  Es  sind  die  Umstände  auf  experi- 
mentellem Wege  zu  prüfen ,  die  Abänderungen 
der  Arten  bedingen.  Man  hat  die  Bedeutung  der 
Mutationen ,  der  Korrelationen  und  direkten  .-Xn- 
passungen  näher  zu  studieren.  Das  Problem  von 
der  Erblichkeit  erworbener  Eigenschaften  ist  neu 
zu  bearbeiten.  Es  ist  ferner  z.  ß.  zu  untersuchen, 
welchen  Wert  solche  Abänderungen,  die  weder 
schädlich  noch  nützlich  für  den  Organismus  sind, 
und  deshalb  auch  keiner  Selektion  unterworfen 
sein  können,  für  die  Artbildung  besitzen. 

Von  mancher  Seite  werden  die  tatsäch- 
lich   bestehenden    Schwierigkeiten,     welche     uns 


augenblicklich  noch  ein  volles  Verständnis  be- 
züglich des  Zustandekommens  der  Deszendenz 
unmöglich  machen,  in  eine  ganz  übertriebene 
Beleuchtung  versetzt.  Es  wird  auch  der  prinzi- 
pielle Standpunkt  vertreten,  daß  jene  Schwierig- 
keiten überhaupt  nicht  durch  rein  naturwissen- 
schaftliche, d.  h.  allein  auf  das  kausal-mechanische 
Geschehen  gerichtete  Forschung,  überwunden 
werden  könnten.  Dazu  gesellen  sicli  oft  mancherlei 
Mißverständnisse,  Vorurteile  aller  .Art  und  unzu- 
lässige Bestrebungen,  die  Probleme  verschiedener 
Wissenschaften  (Naturwissenschaft  und  Meta- 
physik) von  vornherein  ineinander  fließen  zu 
lassen,  während  es  doch  durchaus  erforderlich  ist, 
die  in  Betracht  kommenden  P^ragen  zunächst  ge- 
sondert zu  behandeln,  um  die  gewonnenen  Re- 
sultate dann  freilich  schließlich  von  einem  allge- 
meineren Standpunkte  aus  miteinander  zu  ver- 
knüpfen. Man  vergißt,  daß  wir  auf  naturwissen- 
schaftlichem Gebiet  doch  eigentlich  am  Anfang 
der  Erkenntnis  stehen,  daß  höchstens  Teilwahr- 
heiten gegeben  sind,  die  volle  Einsicht  aber  erst 
eine  ferne  Zukunft  bringen  kann.  Andererseits 
unterschätzt  man  den  tiefen  Wahrheitsgehalt 
des  Darwinschen  Selektionsprinzips  für  das 
Problem  der  Artbildung  gar  sehr,  der  sich 
doch  gerade  durch  neuere  Forschungen  so  stark 
bewährt  hat.  Denn  durch  diese  konnte  gezeigt 
werden,  daß  viele  selbst  unscheinbare  Eigentüm- 
lichkeiten der  Organismen,  von  deren  Selektions- 
wert man  früher  keine  Ahnung-  hatte,  denselben 
im  höchsten  Maße  besitzen. 

Solche  Fortschritte  sind  aber  nur  möglich  ge- 
worden durch  die  Ausgestaltung  der  Ökologie  zu 
einem  besonderen  Gebiete  der  Wissenschaft.  Diese 
Ökologie  oder  Biologie  im  engeren  Sinne,  die 
heute  von  hervorragenden  Botanikern  mit  Vor- 
liebe getrieben  wird,  hat  die  Aufgabe,  uns  mit 
den  Anpassungen  der  Organismen  in  ihrem  Bau 
und  LebensäuiSerungen  an  die  Umgebung  (andere 
Lebewesen  und  unbelebte  Natur  im  weitesten 
Umfange)  vertraut  zu  machen.  Wertvolle  Resul- 
tate sind  hier  freilich  nicht  leicht  zu  erzielen,  denn 
es  gehört  die  Gabe  einer  feinsinnigen  Naturbe- 
trachtung und  viel  experimentelle  Geschicklichkeit 
dazu,  das  wunderbare  Wechselspiel  der  Lebens- 
beziehungen zu  entwirren. 

Ganz  ohne  jeden  Zweifel  ist  es  kein  Zufall, 
daß  die  Ökologie  erst  zu  immer  wachsender 
Blüte  gelangte,  nachdem  Darwin  mit  seinem 
Selektionsprinzip  hervorgetreten  war.  Er  hat  uns 
auch  hier  die  Augen  geöffnet,  eine  Fülle  nach- 
haltigster Anregung  geboten  und  selbst  durch  jene 
botanischen  Meisterwerke,  die  im  ersten  Teil  dieses 
Vortrages  Erwähnung  fanden,  gewaltig  zur  Förde- 
rung des  jungen  Wissensgebietes  beigetragen. 
Darwin  ist  als  Begründer  der  modernen  Öko- 
logie anzusehen! 

Und  diese  Disziplin  hat  nicht  allein  für  die 
reine  Wissenschaft,  sondern  auch  für  die  Schule 
höchste  Bedeutung  gewonnen.  Früher  herrschte 
in  dieser  letzteren    der   sog.  systematische  Unter- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


rieht  fast  ausschHeßlich.  Die  Pflanzen  wurden 
beschrieben  und  vielleicht  auch  noch  bestimmt. 
Wer  wollte  es  wagen,  die  Wichtigkeit  der  Syste- 
matik für  die  Schule  zu  leugnen !  Durch  sie  wer- 
den ja  nützliche  Kenntnisse  verbreitet;  sie  kann 
den  Sinn  für  ästhetischen  Naturgenuß  lebhaft 
fördern;  das  genaue  Beschreiben  der  Pflanzen  ist 
höchst  wichtig  für  Entwicklung  des  Beobachtungs- 
vermögens, und  das  Bestimmen  hat  sicher  in  for- 
maler Hinsicht  Wert.  Zudem  können,  wie  es  für 
jede  Schule  zu  fordern  ist,  die  Grundprinzipien 
der  Deszendenzlehre  durch  den  Unterricht  in  der 
Systematik  klargelegt  werden.  Aber  die  Allein- 
herrschaft darf  die  Systematik  im  Lehrgang  nicht 
haben.  Seine  gewaltige  geistesbildende 
Kraft  kann  der  botanische  Schulunterricht  erst 
durch  sachgemäße  und  in  den  verschiedenen 
Schulgattungen  recht  mannigfaltig  zu  gestaltende 
Verknüpfung  der  Systematik  mit  der  Anatomie, 
Physiologie  und  Ökologie  gewinnen.  Das  ist  eine 
Forderung,  von  der  man  ebensowenig  wie  von 
jener  anderen  abgehen  darf  und  kann,  nach  wel- 
cher der  biologische  Unterricht  in  allen  Schulen 
bis  zur  Oberklasse  fortzuführen  ist.  Als  höchst 
erfreulich  muß  man  es  daher  bezeichnen,  daß  die 
Bedeutung  der  Ökologie  für  die  Schule  heute  sehr 


allgemein  hohe  Würdigung  seitens  der  Lehrer- 
schaft und  ganz  besonders  auch  seitens  der  Volks- 
schullehrer gefunden  hat,  in  deren  Kreisen  über- 
haupt ein  gar  nicht  genug  zu  schätzendes  wissen- 
schaftliches Streben,  eine  leidenschaftliche  Sehn- 
sucht nach  tieferer  Erkenntnis  und  ein  bewunde- 
rungswürdiger Idealismus  angetroffen  wird. 

So  flutet  der  Strom  wissenschaftlicher  Einsicht, 
den  Darwin  uns  erschlossen,  durch  alle  Welt, 
und  die  Strahlen,  welche  von  seinem  Geiste  aus- 
gingen, werden  auch  fernerhin  überall  mächtige 
Wirkungen  verspüren  lassen. 

Darwin  war  gleich  groß  als  Spezialforscher 
wie  als  Denker.  Und  dazu  steht  er  überaus  hoch 
als  Charakter  da,  wie  jeder  leicht  aus  seiner 
„Reise  eines  Naturforschers  um  die  Welt",  seiner 
Autobiographie  und  seinen  Briefen  entnehmen 
kann.  Bescheidenheit,  Lauterkeit  der  Gesinnung 
sowie  Strenge  der  moralischen  Anschauungen,  die 
an  diejenige  Kants  erinnert,  sind  dem  unver- 
gleichlichen britischen  Naturforscher  namentlich 
nachzurühmen. 

Wir  neigen  uns  in  bewundernder  Verehrung 
und  tiefster  Dankbarkeit  vor  dem  gewaltigen 
Genius  Charles  Darwin. 


Kleinere  Mitteilungen. 

Die  Beschuppung  der  Reptilien  hat  Hans 
Otto  zum  Gegenstande  einer  erneuten  Unter- 
suchung gemacht  (Jenaische  Ztschr.  f  Naturwiss. 
44.  Bd.  1908).  Die  Kalkeinlagerungen  in  der 
Reptilienhaut  wurden  zuerst  von 
Pallas  (1801)  bemerkt.  Von 
späteren  Forschern  haben  nur 
Heusinger  (1822),  Dumeril 
und  Bibron  (1837),  Natale 
(1852),  Blanchard  (1861)  und 
de  Filippi  (1863)  Bezug  auf  die 
Hautossifikationen  der  Reptilien 
genommen.  Eine  sonderbare 
Theorie  stellte  Blanchard  über 
den  Zweck  dieser  Gebilde  auf,  in- 
dem er  angab,  daß  sie  eine  wichtige 
Rolle  bei  der  Atmung  spielen. 
Diese  Ansicht  suchte  er  durch 
die  Anwesenheit  ,,des  espaces 
a^riferes"  zu  begründen.  L  e  y  d  i  g 
gab  dann  (1868 — 1876)  die  ersten 
wichtigen  Arbeiten  über  die  Haut- 
knochen der  Reptilien.  Er  war 
auch  der  erste,  der  den  Knochen- 
schuppen der  Reptilien  eine 
systematische  Bedeutung  zuge- 
sprochen hat.  Er  verwarf  mit 
Entschiedenheit  die  oben  erwähnte 
Theorie  Blanch  ard 's,  indem  er  zeigte,  daß  die 
„tubes  aeriferes"  nicht  hohl,  sondern  mit  dichtem 
Bindegewebe  angefüllt  sind.   Cartier  hat  (1873J 


die  Gruppe  der  Geckotiden  untersucht  und  auch 
bei  ihnen  Hautknochen  gefunden.  An  diese  For- 
scher reihen  sich  dann  eine  Anzahl  späterer,  die 
sich  besonders  mit  der  P>age  der  Entstehung  der 
Knochenschuppen  beschäftigten. 

Otto    hat   sich    hauptsächlich    mit  den  Brevi- 


Fig.  1 

kns    Kn 


Schuppe  aus  der  Körpermitte  von  Anguis  fragilis. 
ochenschuppe.     hns    Hornschuppe.      mk    Markkanäle, 
g  Grenze  der  Cutis.     (Nach  Otto.) 

linguiern  und  Ascalaboten  befaßt.  Bei  meiireren 
Vertretern  der  erstgenannten  Familie,  nämlich  bei 
Anguis,    Pseudopus    und    Zonurus,    besteht    die. 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


119 


Knochenschuppe  nur  aus  einer  einzigen,  mächtigen 
Knochentafcl ,  die  an  allen  Körperstelien  immer 
einer  sie  iiberdcckendeii  Hornschuppe  entspricht. 
Bei  den  anderen  Brevilinguierarten  (Scincus,  Gon- 
gylus,  Seps,  L)-i;osoma,  Mabuia  und  Acontias) 
finden  wir  dagegen ,  daß  Knochenplättchen  von 
verschiedener,  für  jede  Spezies  charakteristischer 
Gestalt  zu  einem  Knochenkomplex  zusammen- 
gclagert  sind.  Eine  solche  zusammengesetzte 
Knochenschuppe  entspricht  auch  bei  diesen  Arten 
stets  der  sie  überdeckenden  Hornschuppe. 

Als  Beispiel  für  die  erste  Gruppe,  also  für 
Bre  vil  i  n  gu  i  er  mit  einfacher  Knochenschuppe, 
diene  unsere  Blindschleiche  (Anguis  fragilis).  Fig.  i 
stellt  Knochen-  und  Hornschuppe  dieses  Reptils 
dar.  Das  Präparat  war  einem  erwachsenen  Exem- 
plar aus  der  Mitte  des  Rückens  entnommen. 


der  typischen  Form,  wie  wir  sie  am  Rücken  fin- 
den, weichen  die  Schuppen  anderer  Körpergegen- 
den bedeutend  ab. 

Wir  übergehen  die  mannigfaltigen  Variationen, 
der  die  Schuppen  der  verwandten  Formen  unter- 
liegen und  kommen  nun  zu  der  Familie  der  As- 
caloboten.  Bei  den  ihm  zur  Verfügung  stehen- 
den Vertretern  dieser  Gruppe  fand  Otto  nur  bei 
dem  Mauergecko  (Tarentola  mauritanica  L.)  Cutis- 
verknöcherungen.  Merkwürdigerweise  bestand 
hier  jedoch  keine  Beziehung  zwischen  Hörn-  und 
Knochengebilden ;  nur  am  regenerierten  Schwanz 
ließen  sich  ursprüngliche  Verhältnisse  feststellen. 
Seine  Befunde,  die  auch  durch  histologische 
Untersuchung  an  Schnitten  vervollständigt  wur- 
den, verwertet  Otto  für  die  Systematik  und 
Phylogenie  der  genannten  Formen.  Er  hält  die 
einheitliche  Knochenschuppe 
für  die  ursprünglichste  Form, 
aus  der  die  Schuppen  der 
Scincoiden  durch  sekundäre 
Spaltung  der  einfachen 
Knochenschuppe  entstanden 
sind.  Er  unterscheidet  bei 
den  Brevilinguiern  die  beiden 
Familien  der  Scincoiden  und 
Zonuriden  (Zonurus  und 
Pseudopus),  zwischen  denen 
Anguis  steht.  Der  Verf. 
hält  es  für  sehr  wohl  mög- 
lich, daß  die  Knochen- 
schuppe, wie  sie  uns  bei 
Anguis  und  den  Zonuriden 
entgegentritt,  ein  altes  Erb- 
stück von  den  Amphibien 
ist. 

Dr.  P.  Brohmer,  Jena. 


Fig.  2.      Die    typische    Scincus-Schuppe. 
übrigen  Bezeichnungen  wie  in  Fig.   I 


tsp    Teilspa 
(Nach  Otto 


Von  der  zweiten  Gruppe,  bei  der  die  Knochen- 
schuppen aus  einem  Mosaik  von  Knochenplatten 
bestehen,  wählen  wir  den  Apothekerskink  (Scin- 
cus officinalis).    der   im    nördlichen  und  östlichen 


Ökologie     der     pflanz- 
lichen    Saprobien.        Von 
K  o  1  k  w  i  t  z  und  M  a  r  s  s  o  n. 
(Berichte  der  deutschen  bota- 
nisciien  Gesellschaft.    Jahrg. 
1908,    Bd.  26  a,  Heft  7.) 
Immer  mehr  bricht  sich  die  Kenntnis  der  Be- 
deutung,   welche  Fauna    und  Flora   für    die  Beur- 
teilung eines  Wassers  haben,    Bahn.      Früher   zog 
man    zur  Wasseranalyse    vorwiegend   den    chemi- 


Afrika  vorkommt  und  eine  Größe  von  23  —  25  cm  sehen  und  bakteriologischen  Befund  heran.  Als 
erreicht.  Die  typische  Scincusschuppe  ist  in  es  sich  jedoch  immer  mehr  herausstellte,  daß 
Fig.  2  abgebildet.   Wir  erkennen,  daß  die  Knochen-      diese  Methoden    gerade    dort   leicht  versagen,  wo 


schuppe  aus  zwei  verschiedenen  Plattenformen 
zusammengesetzt  ist,  nämlich  immer  aus  zwei 
Eckplatten  und  aus  mehreren  Längsplatten,  von 
denen  eine  wechselnde  Zahl  vorhanden  ist.  Auf 
den  Längsplatten  bemerken  wir  eine  Anzahl  von 
Markkanälen  (Ha ve rs' sehe  Kanäle I,  wäiirend  die 
lieiden  Eckplatten  in  allen  Körperschuppen  keine 


hochmolekulare,  organische  Verbindungen  im 
Wasser  gelöst  vorhanden  sind,  so  entschloß  man 
sich,  die  Abhängigkeit  dieser  im  Wasser  gelösten 
Stoffe  von  Tier-  und  Pflanzenwelt  zu  studieren. 
Gerade  sie  sind  es  nämlich,  welche  als  wichtige 
Nährstoffe  für  Tiere  wie  Pflanzen  in  Betracht 
kommen.    —    Besonders  dort,  wo  organische,   zer- 


solchen  besitzen.      Die   Hornschuppe  bedeckt  nur      setzliche  Bestandteile  ins  Wasser  gelangen,  siedeln 
das  freistehende  Ende  der  Knochenschuppe.    Von      sich    Lebensgemeinschaften    von    Organismen    an, 


120 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


welche  zu  Quantität  wie  Qualität  dieser  Stoffe 
in  direkter  Abhängigkeit  sich  befinden.  Es 
handelt  sich  hier  vorwiegend  um  mikrosko- 
pische Wasserbewohner.  Ist  die  Lebensweise, 
sind  die  Ernährungsbedingungen,  unter  denen 
solche  Organismen  leben,  bekannt,  so  wird  es 
möglich,  aus  ihrem  Auftreten  als  solchem  be- 
stimmte Rückschlüsse  auf  den  Reinheits-  resp. 
Yerunreinigungsgrad  eines  Wassers  zu  ziehen. 

Kolkwitz  und  Marsson  haben  eine  Liste  von 
ca.  300  pflanzlichen  Organismen  zusammengestellt 
(eine  Zusammenstellung  der  tierischen  soll  folgen), 
welche  sich  für  eine  derartige  Beurteilung  von 
Gewässern  als  geeignet  erwiesen  haben. 

Bei  starker  Verschmutzung  eines  Wassers  in 
einer  Zone,  in  welcher  das  Wasser  sauerstoffarm, 
kohlensäurereich,  einen  hohen  Gehalt  an  stickstoff- 
haltigen Nährstoft'en  aufweist,  sind  es  zunächst 
Schizomyceten  und  Schizophyceen, 
welche  auftreten.  Bakterien  und  Pilze  sind  be- 
kanntlich imstande,  aus  fäulnisfähigen,  organischen 
Verbindungen  ihre  Leibessubstanz  aufzubauen. 
Dabei  werden  diese  mineralisiert,  d.  h.  in  Ammoniak, 
Schwefelwasserstoff,  Kohlensäure  und  Wasser 
übergeführt.  Der  Boden  dieser  Zone  besteht  aus 
Faulstoffen  und  Schwefeleisen. 

Haben    die  als  Entfäuler  dienenden  Pilze  dem 
Wasser    durch     ihre    Tätigkeit    organische    Sub- 
stanzen   entzogen,    und    ist     die    Mineralisierung 
weiter  fortgeschritten,  so  treten  neben  Schizomy- 
ceten   und    Schizophyceen    große    Mengen 
fressender  Tiere    und  durchlüftender  Pflanzen  auf. 
Von  letzteren    ist  besonders  die  reiche  Flora  von 
Kieselalgen    für    diese    Zone    charakteristisch, 
welche    in    der    zitierten   Arbeit    näher   aufgeführt 
sind.       Ferner    P  hy  tof  lagellat  e  n     und     eine 
Reihe    verschiedener    Algenarten    wie    z.    B.    be- 
stimmte     Conjugaten,     Confervalen      und 
Florideen.      Ich    möchte    hier    besonders    be- 
tonen, daß  man  aus  dem  Auftreten  einer  einzelnen 
Art    niemals    einen    sicheren  Rückschluß    auf  den 
Reinheitsgrad  eines  Wassers  ziehen  kann,  sondern, 
daß  für  die  Diagnose  besonders  der  V  e  r  g  e  s  e  1 1  - 
Schaft ung    nicht  nur  der  Pflanzen    miteinander, 
sondern    besonders    derjenigen    von    Pflanze    und 
Tier  eine   ausschlaggebende  Bedeutung  zukommt. 
Alle  Organismengruppen  reagieren  erstaunlich 
schnell    auf    Änderungen     des     sie     umgebenden 
Mediums.      Sie    vermehren   sich  schnell  oder  ver- 
mindern   ihre    Individuenzahl;    wie    auch  ihr  Auf- 
treten überhaupt  oder   ihr  Verschwinden  vom  je- 
weihgen  Zustand    des    sie    umgebenden    Mediums 
abhängt.   —    Es   kann  mitunter  vorkommen,  daß 
durch    die  Strömung    einzelne  Individuen    fortge- 
schwemmt werden  und  diese  dann  vorübergehend 
unter  solchen  Umständen  und  in  einer  Vergesell- 
schaftung leben,  welche  nicht  ganz  ihren  natürlichen 
Zuständen    entspricht;    doch    sind    solch    einzelne 
Vorkommnisse  wohl  nur  imstande,    die  Diagnose 
etwas  zu  erschweren.     Dem  Kenner  wird  es  auch 
in  solchen  Fällen  möglich  sein,  aus  der  charak- 


teristischen P"auna  und  Flora  den  Verunreini- 
gungsgrad zu  erkennen. 

In  der  oben  geschilderten  Zone,  in  welcher 
die  Mineralisation  schon  erheblich  fortgeschritten 
ist,  hat  auch  der  Schlamm  des  Bodens  ein  er- 
heblich anderes  Ansehen  gewonnen,  als  der  der 
Abwasserzone.  Eine  Reihe  tierischer  Organismen 
ist  hier  lebhaft  an  der  biologischen  Reinigung 
beteiligt :  schlammbewohnende  Kleinkrebschcn, 
Insektenlarven,  verschiedene  Würmer,  unter  ihnen 
der  wohlbekannte  Tubifex  durchackern  den 
Schlamm;  verschiedene  Schnecken  und  unsere  all- 
bekannte Wasserassel  leben  hier  als  Schlickfresser. 
Durch  die  gemeinsame  Tätigkeit  dieser  Organis- 
men wird  der  Sauerstoff  des  Wassers  energisch 
mit  dem  schwarzen  Schwefeleisen  der  Abwasser- 
schlammzone in  Berührung  gebracht.  Dadurch 
oxydiert  sich  dieses  zu  Eisenoxydhydrat  und  all- 
mählich entsteht  so  ein  normaler  Schlamm. 

Im  Wasser  findet  sich  bei  der  fortschreitenden 
Reinigung  organischer  Stickstoff  nur  noch  in 
Spuren.  Die  Sauerstoffzehrung  ist  gering,  der 
Permanganatverbrauch  niedrig.  Auch  in  dieser 
Zone  finden  sich  reichhaltige  biologische  Lebens- 
gemeinschaften. Neben  Protozoen  und  Räder- 
tieren  finden  sich  auch  in  dieser  Zone  wieder 
bestimmte  S  c  h  i  z  o  m  y  c  e  t  e  n  und  S  c  h  i  z  o  p  h  y  - 
ceen;  aber  natürlich  andere  Arten  als  in  den 
vorher  erwähnten  Zonen.  Daneben  finden  sich 
auch  hier  wieder  verschiedene  Kieselalgen, 
und  zwar  sowohl  planktonische  als  auch  schlamm- 
bewohnende; ferner  Phyto flagellaten,  Con- 
jugaten, Confervalen  usw.;  auch  höhere 
Pflanzen,  Monocotyledonen  sowie  Dicotyle- 
donen  sind  in  dieser  Zone  anzutreffen. 

Ebenso  wie  die  Landflora  ist  auch  die  Wasser- 
flora vom  Wechsel  der  Jahreszeiten  abhängig.  So 
erreichen  gewisse  Abwasserpilze  im  Winter  den 
Höhepunkt  ihrer  Vegetationsperiode.  Gewisse 
blaugrüne  Algen  pflegen  sich  im  Sommer  am 
üppigsten  zu  entwickeln.  Bei  den  Kieselalgen 
fällt  das  Maximum  ihrer  Vegetationsperiode  in 
F"rühling  und  Herbst,  während  im  Sommer  die 
Kurve  ihrer  Lebensintensität  tällt.  Es  sind  dies 
Tatsachen,  welche  bei  jeder  biologischen  Wasser- 
beurteilung zu  berücksichtigen  sind. 

Wie  aus  vorstehendem  hervorgeht,  sind  Bak- 
terien und  Protozoen  bis  stufenweise  hinauf  zu 
den  übrigen  Vertretern  von  Fauna  und  Flora  für 
die  Beurteilung  eines  Wassers  gleich  wichtig.  Die 
im  Titel  angeführte  Arbeit  von  Marsson  und 
Kolkwitz  ist  deshalb  von  Wichtigkeit  für  unsere 
Kenntnis  der  biologischen  Wasserbeurteilung,  weil 
in  ihr  zum  ersten  Male  eine  größere  Anzahl  un- 
serer bekanntesten,  weitverbreitetsten  pflanzlichen 
Süßwasserbewohner,  mit  einer  ganz  präzisen  bio- 
logischen Diagnose  versehen  sind.  Hierdurch  ist 
die  Möglichkeit  geboten,  dieselben  jederzeit  in  der 
Praxis  für  die  biologische  Wasserbeurteilung  zu 
verwenden.  M.  Zuelzer. 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


121 


Über  das  Verhalten  von  suspendierten 
Stoffen  im  Kristalloid-  und  Kolloidzustand.  — 
F"rühere  Forsclier, '~')  die  beobachtet  hatten,  daß 
f  e  i  n  verteilte  Stoffe  im  suspendierten  Zustande 
auf  Zusatz  von  Elektrolyten  und  auch  Nichtleitern 
sich  rasch  sedimentieren,  haben  nicht  erkannt, 
daß  nur  solche  Stoffe  darauf  reagieren,  die  kollo- 
ider Natur  überhaupt  sind,  oder  in  Berührung 
mit  Wasser  Stoffe  im  Kolloidzustand  zu  bilden 
vermögen. 

Im  folgenden  sollen  einige  Versuche  beschrie- 
ben werden,  die  dieses  dokumentieren. 

Die  Natur  kristalloider  und  kolloider 
Stoffe  wird  nämlich  sehr  gut  durch  ihr  Verhalten 
als  Suspensionen  in  Wasser  +ind  auf  Zusatz 
von  Elektrolyten  charakterisiert. 

Folgender  Unterschied  ist  zu  beobachten;  Sus- 
pensionen kristalloider  Stoffe,  wie  von  Kalzium- 
karbonat, Kalzium sulfat,  Eariumsulfat 
usw.  halten  sich  schwebend  nur  kurze  Zeit,  allen- 
falls eine  Stunde,  während  solche  von  kolloid  ver- 
anlagten Stoßen,  wie  von  kieselsaurem  Alu- 
minium, kieselsaurem  Magnesium,  Ultra- 
marin, Zement  stundenlang,  ja  Tage  diese 
l'^ähigkeit  besitzen. 

Zweitens  wird  die  Sedi  me  n  tat  ion  kristal- 
loider Stoffe  durch  Zusatz  von  Elektrolyten  nicht 
beschleunigt,  während  dies  bei  den  Kolloiden  der 
Fall  ist. 

Suspensionen  von  Ultramarin  werden  durch 
folgende  Zusätze  sedimentiert:  NaOH,  NH4(OH), 
NaCl,  NH^Cl,  CaCI.,,  Na._,SOj ,  CaSO, ,  CuSO,, 
(NH^lCOj,  Na.jCOg,  NaNO^;  sehr  wenig  wirksam 
ist  dagegen  Na.jHPO^,  ohne  jede  Wirkung  Borax. 

Eine  Ultramarinsuspension  erhält  sich 
ca.  lo  Stunden  schwebend;  durch  Zusatz  von 
NH4(0H)  ist  sie  in  6  Minuten,  durch  NaNO^  in 
lo',  durch  NaCl  in  25',  durch  (NHJXO.,  in  90' 
sedimentiert. 

Tonsuspensionen''')  werden  rasch  durch 
Zusätze  sedimentiert,  die  OH'-ionen  enthalten; 
NaOH,  KOH,  Na.,C03,  Na.^SiOg. 

Suspensionen  von  Talk  werden  durch  Zusatz 
von  (NH|).,CO;(,  CaCI,,,  CaSO^  sedimentiert;  wir- 
kungslos ist  z.  B.  K.,Cr.,Oj. 

Zementsuspensionen  werden  durch  Zu- 
satz von  NaOH,  CaCI.,,  Na.,HPOi,  (NH4).,C03, 
AICI3,  FeCl.j  sedimentiert;  NaCl,  Na.XO,,,  CaSO^, 
Borax  verhalten  sich  indifferent.  Eine  sehr  starke 
Wirkung  üben  AICI3  und  FeCl.,  aus;  Zement- 
suspensionen, die  sich  6 — 7  Stunden  schwebend 
halten,  werden  in  2 — 3  Minuten  sedimentiert. 

Auf  Suspensionen  von  Kalifeldspat  wirkt 
sedimentationsbeschleunigend  besonders  CaCI.,. 

Die  Stoffe  nun,  die  im  Gegensatz  zu  den 
Kristalloiden,    Gips,    Kalkspat,    dieses    Ver- 


halten im  suspendierten  Zustand  gegen  Wasser 
und  Elektrolytzusatz  zeigen,  sind  kolloid  ver- 
anlagt; sie  bilden  in  Berührung  mit  Wasser 
Stoffe  im  Kolloidzustand ,  Kieselsäure-Tonerde- 
Eisenoxydhydrat;  je  mehr  Kolloidstoffe  eine  Sub- 
stanz dabei  zu  bilden  vermag,  umso  deutlicher 
tritt  das  Phänomen  der  langandauernden  Schwe- 
bung auf. 

Dieses  Verhalten  kann  geradezu  als  Reagens 
daraufhin  betrachtet  werden,  ob  ein  solcher,  ge- 
feinter Stoff  in  Berührung  mit  Wasser  kristalloid 
oder  kolloid  veranlagt  ist. 

Die  Ursachen  dieser  Vorgänge  sind  die  fol- 
genden: die  schwebenden  Teilchen  sind  von  einer 
kolloidalen  Hülle  der  erwähnten  Hydrate 
umgeben;  bestimmte  Elektrolyte  haben  nun  die 
F"ähigkeit,  diese  kolloidale  Hülle,  die  als  Ursache 
des  andauernden  Schwebens  anzusehen  ist,  zu 
zerstören,  worauf  die  Sedimentierung  erfolgen 
muß. 

Auf  die  Frage,  wie  die  Wirkung  der  Elektro- 
lyte zustande  kommt,  scheint  folgende  Antwort 
die  richtige  zu  sein;  es  handelt  sich  schließlich 
um  die  Ausfällung  von  Kolloidstoffen; 
diese  kommt  wahrscheinlich  auch  hier  dadurch 
zustande,  daß  die  Kolloidteilchen,  welche  die 
kolloidale  Hülle  bilden,  die  mit  der  entgegen- 
gesetzten elektrischen  Ladung  behafteten  Ionen 
der  Elektrolyte  an  sich  ziehen ')  und  Stoffkom- 
plexe bilden;  dadurch  erfolgt  die  Zerstörung  der 
kolloidalen  Hülle  und  die  Sedimentierung. 

Beachtenswert  ist  noch,  daß  diejenigen  Elek- 
trolyte, die  am  stärksten  die  Sedimentation  be- 
schleunigen, wie  Eisenchlorid,  Aluminium- 
chlorid die  wasseranziehende  Fähigkeit  be- 
sitzen. 

Indem  diese  Stofte  das  Wasser,  welches  den 
kolloid  veranlagten  Stoffen  erst  die  kolloidale 
Hülle  ermöglicht,  an  sich  zieht,  wird  diese  zer- 
stört,   so    daß    die  Sedimentierung    erfolgen  muß. 

Möglicherweise  liegen  beide  Ursachen,  die 
elektrostatische  Anziehung  zwischen  Kolloidteil- 
chen und  den  Ionen  der  Elektrolyte  und  die  Ent- 
ziehung des  Kolloidalwassers,  der  Sedimentations- 
beschleunigung zugrunde. 

Als  kolloid  veranlagte  Stoße  sind  Ultra- 
marin, Ton,  Zement,  Talk,  Feldspate  und  ähn- 
liche Mineralien  anzusehen.  Dr.  Rohland. 


')  Th.  Scheerer,  Pogg.  Ann.  S2,  419.   1851. 
*)  Fr.  Schulze,  ibidem   129,  366.   1866. 
')  Ch.  Schlösing,  (^ompt.  read.  70,   1345.    1870  usw. 
*)  G.  Quinke,  .\nn.   d.  Physik.     7,  94.   1902  u.  folg. 
^)  conf.  H.  .Seger,  Tonindustrie-Ztg.   1.5,  813.  (189 II. 
P.  Rohland,  Zt.  anorg.  Chcm.  41,   325.  (1904). 


')  conf.  Zt.  phys.  Chem.  45,  307.  (1903).    51,   129.  (1905). 


Vereinswesen. 

Deutsche  Gesellschaft  für  volkstümliche 
Naturkunde  (E.V.).  —  Nach  den  Sommerferien 
nahm  die  Gesellschaft  am  Dienstag,  den  13.  Ok- 
tober, abends  8  Uhr  ihre  .'\rbeit  mit  einer  Sitzung 
im  Hörsaal  des  Kgl.  Instituts  für  Meereskunde 
wieder  auf.  Seitens  des  Vorstandes  begrüßte  zu- 
nächst der  Schriftführer  in  Vertretung  des  an 
dem    Abend    behinderten  Herrn  Vorsitzenden  die 


122 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


zahlreich  erschienenen  Mitglieder  und  erteilte  dar- 
auf das  Wort  Herrn  Kustos  Base  hin  vom  Geo- 
graphischen Institut  der  Kgl.  Universität  zu  seinem 
angekündigten  Vortrage  über  das  Thema:  „Die 
Wellen  des  Meeres". 

Da  das  Meer  72  "  (,  der  Erdkugel  bedeckt  und 
eine  absolute  Ruhe  der  Meeresoberfläche  wohl 
nur  ganz  lokal  und  vorübergehend  vorhanden  ist, 
so  ist  von  allen  Oberflächenformen  unseres  Erd- 
balles die  der  Meereswellen  sicher  die  verbreitetste, 
und  doch  ist  über  die  Form  und  Entstehung 
dieser  Naturerscheinung  unser  Wissen  noch  sehr 
unvollkommen.  Um  zu  einem  gründlichen  Ver- 
ständnis dieser  Vorgänge  zu  gelangen,  müssen  wir 
uns  zunächst  die  Gesetze  ins  Gedächtnis  zurück- 
rufen, die  für  Wasserwellen  überhaupt  gelten.  Das 
stabile  Gleichgewicht  einer  homogenen  Wasser- 
masse hört  auf,  sobald  an  irgendeiner  Stelle  ihrer 
Oberfläche  die  horizontale  Lage  des  Wasserspiegels 
gestört  wird.  Von  dieser  Stelle  breiten  sich 
Wellen  aus,  die,  im  allgemeinen  mit  gleichförmiger 
Geschwindigkeit  auf  der  Wasseroberfläche  sich 
fortbewegend  und  aus  abwechselnden  Bergen  und 
Tälern  bestehend,  von  dem  Störungszentrum  aus 
in  kreisförmiger  Form  nach  außen  hin  fortschreiten, 
wobei  sie  an  Höhe  allmählich  abnehmen.  Die 
Wellenbewegung  ist  also  eine  im  Räume  fort- 
schreitende, während  die  Wasserteilchen  selbst  an 
Ort  und  Stelle  bleiben  und  nur  eine  oszillierende 
Bewegung  ausführen,  die  bei  ganz  regelmäßigen 
Wellenformen  eine  Kreisbahn  ist,  welche  in  der 
gleichen  Zeit  durchlaufen  wird,  in  der  die  Welle 
um  eine  Wellenlänge  vorgerückt  ist.  Will  man 
die  Formen  und  Bewegungen  der  Wellen  ein- 
gehender studieren ,  so  ist  in  erster  Linie  eine 
genaue  Messung  der  Wellendimensionen  nach 
Höhe.  Länge  und  Geschwindigkeit  erforderlich. 
Am  günstigsten  werden  solche  Messungen  mög- 
lichst fern  vom  Lande  an  Stellen  von  größerer 
Meerestiefe  vorgenommen;  allerdings  bieten  die 
Schwankungen  des  Schiffes  dabei  ein  recht  stören- 
des Hindernis.  Am  einfachsten  ist  noch  die 
Wellengeschwindigkeit  festzustellen.  Man  braucht 
nur,  während  das  Schiff  mit  der  Kiellinie  in  der 
Fortpflanzungsrichtung  der  Wellen  still  liegt,  die 
Anzahl  von  Sekunden  zu  zählen,  welche  vergehen, 
bis  ein  Wellenberg  von  einem  Ende  des  Schiffes 
zum  anderen  gelangt,  und  diese  in  die  Länge 
des  Schiffes  in  Metern  zu  dividieren.  In  ähnlicher 
Weise  läßt  sich  die  Wellenlänge  ermitteln. 
Größere  Schwierigkeiten  hat  bisher  die  Messung 
der  Wellenhöhen,  zumal  bei  höheren  Wellen  ge- 
macht. Sowohl  die  geometrische  Messung,  die 
darauf  beruht,  daß  man  am  Mast  des  Schiffes  so 
hoch  hinaufsteigt,  daß  das  Auge  den  nächsten 
Wellenberg  gerade  bis  zum  Horizont  emporsteigen 
sieht,  während  das  Schiff  selbst  im  Wellental  sich 
befindet,  und  dann  die  Höhe  des  Auges  über  dem 
Wasserspiegel  feststellt,  wie  auch  die  barometri- 
sche mit  Hilfe  feinster  Aneroidbarometer,  die  noch 
Luftdruckdifferenzen  von  Vioo  r""i.  entsprechend 
einem    Höhenunterschied    von    etwa    11    cm,    zu 


schätzen  gestatten,  liefern  nicht  immer  zuverlässige 
Resultate.  Erst  in  neuester  Zeit  ist  es  gelungen, 
eine  Methode  anzuwenden,  die  nicht  nur  dieHöhe, 
sondern  auch  die  Länge  der  Wellen  und  ihre 
sonstigen  Formen  gleichzeitig  in  exakter  Weise 
zu  messen  ermöglicht,  die  photogrammetrische, 
die  auch  bei  Messungen  auf  dem  Lande  schon 
seit  Jahren  erfolgreich  verwendet  worden  ist  und 
die  im  wesentlichen  darin  besteht,  daß  man  an 
zwei  in  einer  bestimmten  Entfernung  voneinander 
gelegenen  Punkten  mit  besonders  eingerichteten 
Apparaten  photographische  Aufnahmen  nach  der- 
selben Richtung  hin  macht.  Durch  genaue  Aus- 
messungen der  photographischen  Platten  kann 
man  dann  nachträglich  die  Lage  aller  auf  beiden 
Bildern  sichtbaren  Punkte  im  Räume  genau  fest- 
stellen. Im  Jahre  1904  hat  die  kaiserliche  Marine 
in  der  Kieler  Bucht  zum  ersten  Male  derartige 
Aufnahmen  von  IJ/leereswellen  machen  lassen,  auf 
Grund  deren  mit  Hilfe  des  sog.  Stereokompara- 
tors  Herr  Dr.  Kohlschütter  die  erste  überhaupt 
existierende,  genaue  kartographische  Darstellung 
der  Meereswellen  geliefert  hat.  Durch  diese  ge- 
naueren Messungen  ist  die  alte  übertriebene  Vor- 
stellung von  turmhohen  Wellen  gründlich  beseitigt 
worden.  Wellen  von  mehr  als  12  m  Höhe  dürften 
darnach  zu  den  größten  Seltenheiten  gehören. 
Die  Überschätzung  der  Wellenhöhen  beruht  ein- 
fach darauf,  daß  man  das  Deck  des  Schiffes  als 
eine  horizontale  Ebene  anzusehen  pflegt,  auch 
wenn  das  Schiff  unter  dem  Einfluß  der  in  der 
Kiellinie  verlaufenden  Wellen  „stampft"  oder  unter 
dem  Einfluß  der  seitwärts  kommenden  Wellen 
„rollt". 

Viel  weniger  als  über  ihre  Höhen  wissen  wir 
nun  über  die  Formen  der  Wellen,  die  den  Messun- 
gen überaus  große  Schwierigkeiten  entgegenstellen. 
Die  Angabe  der  meisten  Lehrbücher,  wonach  die 
Oberfläche  der  Meereswellen  durch  eine  Kurve, 
die  man  als  Trochoide  bezeichnet,  begrenzt  wird, 
findet  durch  die  genaueren  photogrammetrischen 
Aufnahmen  keine  Bestätigung.  Diese  mangelnde 
Übereinstimmung  zwischen  Theorie  und  Wirklich- 
keit findet  ihre  Erklärung  in  den  zahlreichen 
Interferenzerscheinungen,  die  in  der  Natur  auf- 
treten und  die  die  Meeresfläche  oft  in  ein  wildes 
Chaos  verwandeln,  das  die  Kunst  der  Schiffsführung 
auf  die  schwersten  Proben  stellt. 

Daß  der  Wind  die  Ursache  der  Meereswellen 
ist.  ist  allgemein  bekannt;  nur  über  das  Wie 
gingen  bis  vor  wenigen  Jahren  noch  die  Ansichten 
auseinander.  Die  wirkliche  Ursache  jener  Natur- 
erscheinung fand  erst  ihre  wissenschaftliche  Be- 
gründung durch  Helmholtz,  der  in  den  Jahren 
1888  bis  1890  nachwies,  daß  überall  an  der  Grenz- 
fläche zweier  beweglicher  Stoffe,  die  sich  mit  ver- 
schiedener Geschwindigkeit  übereinander  hin  be- 
wegen, eine  Wogenbildung  eintreten  müsse.  Die 
beiden  Stoffe,  um  die  es  sich  in  unserem  Falle 
handelt,  sind  das  ruhende  Wasser  und  die  be- 
wegte Luft.  Ein  stationäres  Wogensystem  kann 
aber  nur  dann  entstehen  und  Bestand  haben,  wenn 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


123 


der  Wind  eine  geraume  Zeit  hindurch  in  genau 
der  gleichen  Stärke  und  aus  derselben  Richtung 
weht,  was  aber  fast  nie  der  Fall  ist.  Jede  plötz- 
liche Zunahme  der  Windgeschwindigkeit  und  jede 
Änderung  der  Windrichtung  werden  neue  Wogen- 
systeme erzeugen,  so  daß  vielfache  Interferenzen 
entstehen  müssen,  die  gelegentlich  imstande  sind, 
das  ursprüngliche  zu  verwischen.  Leider  fehlt  es 
noch  sehr  an  guten  photographischen  Aufnahmen 
von  Wellen;  hier  wäre  für  Amateurphotographen 
ein  dankbares  Feld  gegeben  zur  praktischen  Mitarbeit 
an  den  Aufgaben  der  Wissenschaft.  Zumal  kine- 
matographische  Aufnahmen  wären  sehr  erwünscht. 
Die  Formen  der  Wellen  sind  so  mannigfaltig,  daß  es 
unmöglich  ist ,  auch  nur  die  Haupttypen  zu  be- 
schreiben. Die  Formveränderung  der  VVelle  steigert 
sich  bis  zur  völligen  Lösung  des  Zusammenhanges 
der  Wassermasse,  wenn  die  Welle  auf  ein  festes 
Hindernis  stößt;  sie  zerstäubt  alsdann  in  Gischt. 
Wenn  der  obere  Teil  der  Wellenkämme  auch 
auf  hoher  See  Schaumkronen  trägt,  so  rührt  dies 
daher,  daß  die  Wellen  noch  nicht  die  dem  herr- 
schenden Winde  entsprechende  Geschwindigkeit 
erreicht  haben.  Ebenso  muß  ein  Aufschäumen 
der  Wellen  eintreten ,  wenn  der  untere  Teil  in 
seiner  Bewegung  verlangsamt  wird,  wie  es  bei 
Untiefen  oder  in  der  Nähe  der  Küste  der  Fall 
ist.  Auffällig  erscheint  uns  zuerst  die  Tatsache, 
daß  an  einem  flachen  Ufer  die  Wellen  fast  stets 
von  der  See  her  ziemlich  direkt  auf  die  Küste 
zukommen,  so  daß  die  Wellenkämme  in  langen, 
zum  Strande  parallelen  Linien  auf  diesen  zueilen, 
gleichgültig,  aus  welcher  Richtung  der  Wind  weht; 
er  darf  nur  nicht  längere  Zeit  hindurch  vom 
Lande  her  wehen.  Während  bereits  in  geringer 
Entfernung  vom  Strande  draußen  auf  dem  offenen 
Meere  die  Bewegungsrichtung  der  Wellen  allein 
durch  den  Wind  bestimmt  wird,  ist  die  am  Strande 
beobachtete  Abweichung  von  dieser  Richtung 
lediglich  bedingt  durch  die  bei  der  Annäherung 
der  Wellen  an  die  Küste  stetig  zunehmende 
Verminderung  der  Geschwindigkeit  der  Wellen 
in  dem  immer  seichter  werdenden  Wasser.  Hier- 
auf beruht  auch  die  reizvolle  Erscheinung  der 
Küstenbrandung.  Eine  Verzögerung  der  unteren 
Teile  der  Meereswellen  kann  aber  auch  auf  hoher 
See  eintreten,  wenn  nämlich  unterseeische  Sand- 
bänke oder  Klippen  bis  nahe  an  die  Oberfläche 
hinaufragen,  und  ,, Brandung  voraus!"  ist  immer 
ein  Schreckensruf  für  die  Schiffsbesatzung.  Außer 
durch  ungleich  schnelle  Bewegung  der  einzelnen 
Teile  der  Welle  entsteht  ein  Aufschäumen  auch 
dann,  wenn  die  Wellenhöhe  übermäßig  groß  wird, 
wie  dies  bei  mehrfachen  Interferenzen  der  Fall 
sein  kann.  Am  häufigsten  kommen  solche  mehr- 
fachen Interferenzen  da  vor,  wo  auf  verhältnis- 
mäßig kleinem  Raum  starke  Winde  aus  verschie- 
denen Richtungen  wehen.  Dies  ist  der  Fall  im 
Zentrum  eines  Sturmfeldes. 

Eine  Folgeerscheinung  der  Windwellen  sind 
die  Dünungen.  Diese  entstehen,  wenn  der  zum 
Sturm    angewachsene    Wind    schnell    abflaut    und 


schließlich  ganz  aufhört,  während  die  nicht  in 
dem  gleichen  Tempo  sich  beruhigenden  Sturm- 
wellen über  den  Ozean  weiterwandern. 

Viel  größer  aber  als  alle  Windwellen  sind 
solche  Wellen,  die  ihre  Ursache  in  plötzlichen 
Störungen  des  Gleichgewichts  haben,  wie  sie  ein- 
treten durch  untermeerische  vulkanische  Aus- 
brüche und  in  noch  gewaltigeren  Dimensionen 
bei  Seebeben.  Von  gewaltigem  Umfang  war  die 
F'lutwelle,  die  am  27.  August  1883  durch  den 
furchtbaren  Ausbruch  des  Krakatau  hervorgerufen 
wurde.  Auch  an  der  deutschen  Ostseeküsle  treten 
mitunter  eigentümliche,  ihrer  Entstehung  nach 
noch  nicht  völlig  aufgeklärte  Stoßwellen  auf,  die 
Höhen  bis  zu  2  m  erreichen  können.  Ebensowenig 
erklärt  sind  die  am  flachen  Strande  der  West- 
küste Südfrankreichs  gelegentlich  beobachteten, 
plötzlich  heranrollenden  großen  Einzelwellen. 

Viel  bedeutsamer  als  die  Wirkungen  solcher 
gewaltigen  Einzelwellen  sind  aber  die  Wirkungen 
der  kleinen  alltäglichen  Windwellen,  deren  ge- 
ringe Einzelleistung  mehr  als  wettgemacht  wird 
durch  die  fast  unausgesetzte  rhythmische  Wieder- 
holung desselben  Vorgangs.  Unter  ihrer  Wirkung 
vollzieht  sich  die  gesteigerte  Tätigkeit  der  riff- 
bauenden Korallen  in  der  Brandungszone.  Eine 
zweite  Wirkung  der  Meereswellen  ist  der  Wasser- 
transport, zu  dem  die  oft  so  verheerenden  Sturm- 
fluten gehören  ebenso  wie  die  mächtigen  Meeres- 
strömungen, darunter  der  für  Europa  so  segens- 
reiche Golfstrom.  Eine  dritte  Wirkung  schließlich 
ist  der  gewaltige,  nimmer  rastende  Kampf  zwi- 
schen dem  festen  und  dem  flüssigen  Element, 
zwischen  Festland  und  Meer,  wie  er  sich  abspielt 
in  der  Brandungszone  der  Steilküsten. 

Lernen  wir  so  die  Wellen  des  Meeres  als  die 
gewaltigste  Macht  kennen,  die  auf  der  Erde  wirk- 
sam ist,  als  eine  Macht,  die  zerstörend  und  ver- 
nichtend wirkt,  so  muß  es  als  eine  besonders 
lockende  Aufgabe  erscheinen,  diese  gewaltigen 
Kräfte  der  Menschheit  nutzbar  zu  machen.  Leise 
Anfänge  sind  gemacht  worden,  wie  z.  B.  in  den 
Glockenbojen  oder  den  Wellenmotoren,  aber  diese 
Versuche  stecken  noch  in  den  Kinderschuhen. 
Vielleicht  daß  es  unserer  rastlos  vorwärts  streben- 
den Technik  einmal  gelingt,  die  Schwierigkeiten, 
die  sich  der  Verwirklichung  dieses  Gedankens  in 
den  Weg  stellen,  wegzuräumen. 

Im  Anschluß  an  den  Vortrag  fand  am  Sonn- 
tag, den  18.  Oktober,  vormittags  10  Uhr,  eine 
Besichtigung  des  Kgl.  Instituts  für  Meereskunde 
statt,  wobei  außer  Herrn  Kustos  Baschin  noch 
Herr  Kustos  Dr.  Dinse  die  nötigen  Erläuterungen 
gab. 

I.  A. :   Prof.  Dr.  W.  Greif,  I.  Schriftfdhrer. 
Berlin  SO   16,  Köpenickerstrafle   142. 


Aus  dem  wissenschaftlichen  Leben. 

Wir  erfahreu,  daß  die  Vorbereitungen  zu  einer  Expedi- 
tion zum  Zwecke  der  Ausbeutung  der  reichen 
D  i  n  osauri  e  r  fu  ndstätt  e  am  Berge  Tendaguru  im  Hinter- 


124 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


lande  von  Lindi  in  D  culsch  - 1' s  t  iifr  ik  a  vom  paläontolo- 
gischcD  Museum  zu  Berlin  getroffen  werden,  dem  ein  Teil  der 
erforderlichen  Mittel  von  der  Preuß.  Akademie  der  Wissen- 
scliaften  und  der  Gesellschaft  naturforschender  Freunde  zur 
\'erfügung  gestellt  werden  wird,  i'^s  wäre  sehr  zu  wünschen, 
daß  das  Unternehmen  nach  dem  Vorbilde  der  amerikanischen 
Förderer  vorwcltücher  Sammlungen  auch  bei  hiesigen  Freun- 
den dcrNaturwissenschafien  die  tatkriiftige  Unterstützung  findet, 
die  die  .Ausführung  des  aussichlsvollen  l'lancs  ermöglichen  würde. 


Am  22.  September  igoS  wurde  auf  Jder^  Naturforscher- 
Versammlung  in  Köln  eine  Deutsche  Mineralogische 
Gesellschaft  gegründet.  Sie  hat  den  Zweck,  die  Minera- 
logie und  Petrogra])hie  in  Lehre  und  Forschung  zu  fördern,  sowie 
die   persönlichen  Beziehungi-n   der  Mitglieder  zu   pflegen. 

.\ls  I.  Vorsitzender  wurde  Prof.  Bauer- Marburg,  als 
dessen  Stellvertreter  Berwerth  -  Wien  und  Brauns -Bonn,  als 
Schatzmeister  Kommerzieurat  Seligmann  -  Koblenz  und  als 
Schrillführer  Prof.  Linck-Jena,  gewühlt. 

Die  Jahresversammlung  für  IQog  wird  in  Salzburg  abge- 
halten werden  und  mit  der  geschäftlichen  Sitzung  am  i8.  Seji- 
tember  beginnen. 

Mitglied  kann  jeder  werden,  der  sich  für  die  genannten 
Wissenschaften  interessiert;  er  hat  sich  zu  diesem  Zwecke  bei 
einem  der  Vorstandsmitglieder  anzumelden;  der  Jahresbeitrag 
beträgt  5  Mk.  Es  ist  auch  beabsichtigt ,  in  größeren  *.)rten 
•  irtsgruppen  zu  bilden.  (x) 


Wetter-Monatsübersicht. 

Nachdem  das  neue  Jahr  überall  mit  strengem  F'roste  be- 
gonnen hatte,  trat  schon  an  seinem  zweiten  Morgen  an  der 
Nordseeküste  sowie  im  Gebiete  des  Niederrheins  trübes,  neb- 
liges Tauwetter  ein  und  breitete  sich  mit  mäßigen  südwest- 
lichen  Winden    bis    zum    4.    über    fast    ganz    Norddcutschland 


iem^erafur-SiGinima  cinmcr  Orts  im  3^anuarl909. 


WctltF!>l.rt.U. 


aus.  Dann  blieb  es  daselbst  während  des  größeren  Teiles 
des  Januar  beinahe  ohne  Unterbrechung  milde.  .\m  5.  oder 
6.,  ebenso  um  die  Mitte  des  Monats  gingen  an  vielen  Orten, 
wie  aus  der  beistehenden  Zeichnung  ersichtlich  ist,  die  Tem- 
peraturen^nicht  unter  2  oder  3  (_irad  herab.  In  Süddeutsch- 
iand  iingen  sie  erst  seit  dem  1 2.  Januar  zu  steigen  an,  er- 
reichten hier  aber  am  15.  in  Stuttgart  und  Karlsruhe  12"  C. 
An  der  Oder  und  weiter  östlich  klärte  sich  gleich  nach 
Milte  des  Monats  das  Wetter  auf  unil  erfolgte  wieder  eine 
rasche  Abkühlung.  In  den  übrigen  Landesteilen  wechselten 
noch  mehrmals  milde  Tage   und   kalte  Nächte    ziemlich   regel- 


mäßig miteinander  ab,  am  21.  Januar  setzten  jedoch  überall 
schärfere  östliche  Winde  ein  und  einen  Tag  später  herrschte 
in  ganz  Deutschland  F'rost,  der  in  den  meisten  Gegenden  bis 
gegen  Ende  des  Monats  an  Strenge  langsam  zunahm.  Marg- 
grabowa  braclite  es  an  mehreren  Tagen  auf  20°  C  Kälte. 
Während  wenigstens  dort  wie  in  der  ganzen  Provinz  Ost- 
preußen eine  .Schneedecke  von  ungefähr  1  Dezimeter  Höhe 
lag,  war  der  Boden  im  größten  Teile  des  Reiches  von 
Schnee  entblößt.  .Auch  in  den  westlichen  Flüssen  bildete 
sich  von  neuem  Grundeis ,  so  daß  z.  B.  die  Weserschift'ahrt 
am  22.  abermals  eingestellt  werden  mußte. 

Kurz  vor  Schluß  des  Januar  wurde  es  wiederum  viel  ge- 
linder. Seine  mittleren  Temperaturen  lagen  daher  in  Nord- 
deutschland nur  ungefähr  einen  halben,  im  Süden  aber  fast 
1  Vi  Grad  unter  ihren  normalen  Werten ,  wogegen  die  Zahl 
der  Sonnenscheinstunden  iti  den  meisten  Gegenden  etwas 
größer  als  gewöhnlich   war. 

Wie  schon  seit  Beginn  des  Herbstes,  herrschte  auch  im 
ersten  Monate  des  neuen  Jahres  in  ganz  Deutschland  ein 
empfindlicher  Mangel  an  Niederschlägen.  Während  seiner 
ersten     7    Tage    fanden    zwar    ziemlich     zalilreiche,    aber    fast 


Hicdfen^c^ra^l^ö^sn  im  Sanuar  1909 


taicoc^sitn^s:  -cSxiccaco  SicitihcaS 

mm 

20 

1.  bisT  Januar. 

'Ulli  1 J  J 1  1 " 

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8. bis17.  Januar,       H 

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IB.bis  31.  Januar. 

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MilllererWei^Fur 
Peulschland. 

Monalssummfl  im  Jan. 

M.  07.  OB.  05. 01. 


^       Berliner  Wctteftureau. 


immer  nur  geringe  Kegen-  und  Schneefälle  statt,  die  sich  am 
häufigsten  in  Schlesien  wiederholten.  Erst  am  S.  nahmen  die 
Niederschläge,  im  Westen  im  allgemeinen  Kegen,  im  Osten 
überwiegend  Schneefälle,  an  Stärke  bedeutend  zu  und  es 
folgte  eine  längere  Zeit  mit  sehr  veränderlicher,  windiger,  an 
der  Küste  vielfach  stürmischer  Witterung,  in  der  in  Nordwest- 
und  Mitteldeutschland  auch  wiederliolentlich  Gewitter  mit 
Hagel-,   Graupel-   und   Schneeschaueru  herniedergingen. 

Am  l8.  Januar  trat  im  größten  Teile  Deutschlands  trocke- 
nes Wetter  ein  und  hielt  an  vielen  Orten  bis  zu  den  letzten 
Tagen  des  Monats  fast  ununterbrochen  an.  In  der  Nacht  zum 
30.  fanden  zunächst  an  der  Nordseeküste  starke  Schneefälle 
statt,  die  sich  innerhalb  24  Stunden  bis  an  die  Grenzen 
Deutschlands  nach  Osten  und  Süden  fortpflanzten  und  endlich 
über  den  Boden  eine  zusammenhängende  Schneedecke  breiteten. 
Die  gesamte  Niederschlagshöhe  des  Monats  betrug  durch- 
schnittlich 30,2  mm,  während  die  gleichen  Stationen  im  Mittel 
der  früheren  Januarmonate  seit  Beginn  des  vorigen  Jahrzehnts 
44,9  mm  Niederschlag  geliefert  haben. 


Die  allgemeine  Anordnung  des  Luftdruckes  in  Europa 
wies  von  einem  Tage  zum  anderen  bedeutende  Schwankungen 
auf,  wobei  sich  aber  die  früheren  Verhältnisse  olt  rasch 
wiederherstellten.  Am  Anfang  wurden  die  mittleren  Breiten 
h'uropas  von  einem  lan;7gestreckten  Hochdruckgebiete  bedeckt, 
während  im  Norden  liefe,  im  Süden  flache  Depressionen 
lagen,    .\lier  schon  am  4.   drang  ein  Minimum  vom   nördlichen 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


125 


Eismeer  in  Rußland  ein  und  teilte  das  Hochdruckgebiet  in 
zwei  Hiilften,  deren  eine  durch  nachfolgende  Depressionen 
mehr  und  mehr  nach  Westen  geschoben  wurde.  Zwar  rüclde 
am  9.  Januar  das  Maximum  vom  biskayischen  Meere  wieder 
gegen  Mitteleuropa  vor,  wurde  aber  durch  immer  neue,  sehr 
tiefe  Minima,  die  ra5cli  hintereinander  bei  Island  auftraten 
und  ostwärts  weilcreillen,  bald  nach  Südwesten  zurückgedrängt. 
Am  17.  Januar  drang  das  barometrische  Maximum  eilends 
von  Sudwesteuropa  nordostwäits  vor  und  vereinigte  sich  am 
folgenden  Tage  mit  einem  zweiten,  das  ihm  von  Ostrußland 
her  entgegenkam.  Dann  verweilte  das  Hochdruckgebiet 
dauernd  in  Westrußland,  wo  am  21.  noch  ein  anderes  Baro- 
metermaximum aus  Westen  zu  ihm  stieß,  und  sandte  nach 
ganz  Mitteleuropa  trockene,  kalte  Ostwinde  hin,  die  erst  zwi- 
schen dem  29.  und  30.  Januar,  beim  Herannahen  einer  liefen 
atlantischen  Depression,  durch  feuchte  südwestliche  Winde 
verdrängt   wurden.  Dr.   E.   Leß. 


Bücherbesprechungen. 

1 )  Dr.  Konrad  Günther,  Privatdozent  an  der  Uni- 
versität Freiburg  i.  B.,  Vom  Urtier  zum  Men- 
schen. Ein  Bilderatlas  zur  Abstammung 
und  Entwicklungsgeschichte  des  Men- 
schen. 2  Bände.  Stuttgart ,  Deutsche  Verlags- 
anstalt,  190g.  —  Preis  geb.  26  Mk. 

2)  Dr.  Ludwig  Reinhardt,  Vom  Nebelfleck 
zum  Menschen.  Eine  gemeinverständ- 
liche Entwicklungsgeschichte  des  Natur- 
ganzen nach  den  neuesten  Forschungs- 
ergebnissen. Die  Geschichte  der  Erde. 
Mit  194  Abbildungen,  17  Vollbildern  und  3  geo- 
logischen Profiltafeln  nebst  einem  farbigen  Titel- 
bilde.    Ernst  Reinhardt  Verlag  in  München,    1907. 

—  Preis  8,50  Mk. 

3)  Dr.  Ludwig  Reinhardt,  \  o  m  Nebelfleck  zum 
Menschen.  Das  Leben  der  Erde.  Mit 
380  .Abbildungen  im  Te.xt,  21  Vollbildern  und 
einem  farbigen  Titelbild.    Verlag  wie  oben.    1908. 

—  Preis  8,50  Mk. 

4)  Dr.  Altert  Gockel,  Universitätsprofessor  in  Frei- 
burg (Schweiz),  Schöpfungsgeschichtliche 
Theorien.  Köln,  J.  F.  Bachern,  1908.  —  Preis 
2   Mk. 

i)  Das  Günther'sche  Werk  ist  bei  der  außer- 
ordentlich üppigen  Ausstattung  in  Folio  erstaunlich 
billig.  Es  ist  so  reich  illustriert,  daß  es  in  der  Tat 
sehr  geeignet  ist,  jeden,  der  sich  für  die  „Natürliche 
Schöpfungsgeschichte"  interessiert,  leicht  eingehender 
zu  orientieren.  Verfasser  hat  sich  betuüht  sachlich 
und  ruhig  zu  sein ,  und  er  ist  auch  allgemein-ver- 
ständlich ;  sein  Text  ist  gut  lesbar.  Er  geht  soweit 
auf  den  Bau  des  Menschen  ein,  daß  das  Werk  auch 
für  denjenigen  von  Wert  ist,  der  sich  über  seinen 
Körperbau  und  die  Funktionen  der  Organe  unter- 
richten möchte:  nur  daß  eben  alles  von  dem  einen, 
nämlich  dem  deszendenztheoretischen  Standpunkte 
aus  betrachtet  wird,  der  ja  auch  bei  dem  derzeitigen 
Stand  der  Wissenschaft  der  gegebene  ist.  Will  man 
die  Tatsachen  in  Beziehung  zueinander  setzen,  d.  h. 
nichts  anderes,  als  sie  wissenschaftlich  betrachten,  so 
ist  eben  auch  die  Deszendenztheorie  weitgehend  zu 
berücksichtigen.  Nicht  nur  der  Text ,  sondern  auch 
die  .Abbildungen  sind  zuverlässig  und  klar.    Verfasser 


disponiert  sein  Material  in  die  wie  folgt  überschrie- 
benen  Kapitel:  i.  Wesen  und  Bedeutung  der 
.Abstammungslehre  —  Quellen  für  die  .Ahnen- 
reihe des  Menschen  —  Einführung  in  die  wissen- 
schaftliche Arbeitsweise.  —  2.  Die  Zelle  und 
ihre  Entstehung  —  Lebenserscheinungen  in  der 
einfachsten  Form  —  Entstehung  des  Lebens  auf  der 
Erde.  —  3.  Vom  Einzelligen  zum  Vielzelli- 
gen —  Grundlagen  für  die  Lebensfunktionen  der 
höheren  Tiere  —  Entwicklung  der  Fortpflanzung. 
Herausbildung  und  Trennung  der  Geschlechter.  — 
4.  Der  Be  fr uchtungs  Vorgang  —  Fortpflanzung, 
Befruchtung,  Vererbung.  —  5.  Die  Hohltiere 
und  die  Entstehung  der  Organe  —  Nerven, 
Muskeln,  Knochen  in  ihren  ersten  Anfängen.  — 
6.  Die  Würmer  und  die  Ausbildung  der 
Körpergliederung,  der  Leibeshöhle  und 
der  Blutgefäße.  —  7.  DieEinheit  der  Ent- 
wicklung bei  den  Wirbeltieren  und  dem 
Menschen.  —  8.  Die  Ahnen  formen  des 
;\Ien  sehen  unter  den  kiemenatmenden 
Wirbeltieren  und  die  weitere  Ausbildung 
desDarmsystems  und  der  Haut.  —  9.  Wer- 
den und  Vergehen  tinter  den  Amphibien 
und  Reptilien.  —  10.  Die  Herausbildung 
der  Säugetiermerkmale    des  Menschen.  — 

11.  Affe  und  Mensch.  Das  Problem  der 
Menschwerdung     und     der     Urmensch.    — 

12.  Die  Ausbildung  der  wichtigsten  Organ- 
systeme bei  den  Wirbeltieren.  —  13.  Rück- 
schläge aufTierahnen.    Körper  und  Geist. 

2/3)  Das  Reinhardt'sche  Werk  erinnert  äußer- 
lich und  auch  sonst  an  das  bekannte  Werk  von 
Carus  Sterne  „Werden  und  Vergehen",  jedoch  ist 
die  illustrative  Ausstattung  bei  Reinhardt  sehr  viel 
üppiger,  und  naturgemäß  nimmt  es  auch  auf  neuere 
Dinge  Rücksicht,  die  die  vor  mehreren  Jahren  er- 
schienene letzte  Auflage  von  Carus  Sterne  noch  nicht 
bringen  konnte.  Bei  der  Beurteilung  solcher  um- 
fassenden Werke  muß  der  Ref.  stets  sehr  nachsichtig 
sein.  Es  ist  ja  für  den  einzelnen  heutzutage  gar 
nicht  mehr  möglich,  den  gesamten  Wissensstoff',  der 
in  einer  Darstellung  der  Entwicklung  des  Weltalls 
und  der  Lebewesen  in  Betracht  kommt,  irgendwie  zu 
beherrschen  oder  zu  verfolgen.  Wir  werden  doch  in 
Zukunft  für  solche  Unternehmungen  eine  Anzahl  von 
Fachleuten  verlangen  müssen,  die  sich  zu  gemein- 
samer Arbeit  zusammentun.  Die  Schwierigkeit  fest- 
gehalten, die  die  Abfassung  eines  solchen  umfassen- 
den Werkes  mit  sich  bringt,  ist  aber  die  Reinhardt- 
sehe  Arbeit  als  eine  fleißige  und  den  Umständen 
nach  brauchbare  anzuerkennen.  In  dem  oben  unter 
2)  aufgeführten  Bande  haben  wir  eine  populäre  all- 
gemeine Geologie  zu  sehen ,  wobei  Verf.  aber  auch 
auf  die  Sternenwelt,  insbesondere  und  natürlich  unser 
Sonnensystem  und  dann  wieder  enger  auf  die  Erde 
und  den  Mond  eingeht,  sowie  auf  diejenigen  astro- 
nomischen Erscheinungen ,  die  die  Erde  besonders 
angehen,  wie  die  Kometen  und  Meteore.  —  Zur  Be- 
gründung unserer  Bemerkung,  wie  schwierig  es  sei, 
die  in  Betracht  kommenden  Spezialfächer  angemessen 
zu  übersehen,  sei  nur  erwähnt,  daß  Verf   auf  S.  572 


126 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  8 


eine  Gel  an  de  form  mit  einem  Gestein  ver- 
wechselt. Er  stellt  nämlich  dort  die  „Heidemoor- 
bildungen" dem  „Torf  gegenüber,  er  sagt  u.  a. : 
„Es  sind  beide  Gebilde  sehr  nahe  miteinander  ver- 
wandt. Heidemoor  entsteht  auf  trockenem 
Lande,  Torf  dagegen  unter  Wasser  oder 
auf  feuchtem  Boden."  Die  hier  hervorgehoben 
gedruckten  Worte  hat  Verf  selbst  gesperrt  drucken 
lassen.  Auch  sonst  zeugt  das ,  was  er  über  Moore 
und  ihre  Bildung  sagt,  davon  (es  sei  hier  wieder  ein- 
mal betont,  daß  Moore  Gelände  mit  Torfboden  sind ; 
Moore  sind  Geländeformen,  Torfe  hingegen  Gesteine, 
die  zu  den  Kaustobiolithen  gehören) ,  daß  er  hier 
nicht  eingedrungen  ist.  Aber  es  muß  billig  hinzu- 
gefügt werden,  daß  auch  sonst  die  Geologien  gerade 
in  diesem  Punkte  beträchtliche  Mängel  erkennen 
lassen.  —  Der  unter  3)  erwähnte  Band  beschäftigt 
sich  mit  den  Lebewesen  in  ihren  Erscheinungen, 
ihrer  Entwicklung,  Ausbildung,  ihrer  Herkunft  und 
Abstammung. 

4")  Das  oben  unter  Nr.  4  genannte  Heft  möchte 
„den  zahlreichen  populären  Darstellungen  der 
Schöpfungsgeschichte  gegenüber,  die  fast  alle  mit 
einer  erstaunlichen  Sicherheit  noch  unbewiesene  Dinge 
als  Resultate  moderner  Naturwissenschaft  hinstellen" 
zeigen,  „wie  viel,  oder  besser  gesagt,  wie  wenig  wir 
über  die  Entstehung  unseres  Erdballes  oder  gar  des 
W'eltgebäudes  Sicheres  wissen,  und  darlegen,  daß  alle 
schöpfungsgeschichtlichen  Theorien,  angefangen  von 
der  Kant'schen  bis  zu  den  neuesten  Meteoriten- 
theorien nichts  anderes  sind,  als  mehr  oder  weniger 
wahrscheinliche  Hypothesen". 


Arnold  Lang,  0.  Prof.  der  Zoologie  und  vergleichen- 
den Anatomie    an    der  Universität    und    am  eidge- 
nössischen   Polytechnikum    in    Zürich,    Über  die 
Bastarde     von     Helix    hortensis    Müller 
und  Helix  nemoralis    L. ,    mit  Beiträgen    von 
Prof  Dr.  H.  Boßhard  in  Zürich,    Paul  Hesse 
in  Venedig  und  Elisabeth  Kleiner  in  Zürich. 
118  S.  gr.  4"  mit  4  lithographischen  Tafeln,  Jena, 
Verlag  von  Gustav  Fischer,   1908.  —  Preis  15  Mk. 
Es  liegt  uns  hier  eine  Arbeit  vor,  die  in  zweierlei 
Hinsicht  gleich  wichtig  ist.    Sie  liefert  uns  ein  sicheres, 
schwer   zu    beschaffendes    Beobachtungsmaterial,    das 
einerseits  in  bezug    auf  die  Vererbungsfrage  und  an- 
dererseits   in    bezug   auf   die  Artfrage    von    größtem 
Werte    ist.      Wer   sich    mit    allgemeinen    biologischen 
Fragen    und    mit  Deszendenztheorie    beschäftigt,    der 
wird  künftig  die  Lang'sche  Arbeit  nicht  unberück- 
sichtigt   lassen    dürfen.      Ich    möchte    hier   besonders 
auf  die  Bedeutung  der  Arbeit   in  deszendenztheoreti- 
scher Beziehung  etwas  näher  eingehen,  da  diese  Seite 
der  Arbeit    für  die  Leser  der  Natur w.  Wochenschrift 
von    ganz   besonderem  Interesse    sein  dürfte.  —  Der 
Verfasser   hat   für    seine  Untersuchung    zwei    Formen 
gewählt,  die  einander  so  nahe  stehen,  daß  man  sogar 
an  der  Artberechtigung  derselben  gezweifelt  hat.    Die 
unterscheidenden    Charaktere,    mit    denen    sich    der 
Verfasser  zunächst  eingehend  beschäftigt,  sind  in  der 
Tat    zum    größten    Teil    sehr   stark  transgressiv.     Zu 


diesen  transgressiven  Charakteren  gehören  die  Größe 
und  die  Wölbung  des  Gehäuses,  die  Form  der  Mün- 
dung, die  Zahl  der  Kieferleisten  und  die  Form  der 
inneren  Geschlechtsorgane.  Nur  die  Statistik  ergibt 
an  der  Hand  dieser  Merkmale  sichere  Unterschiede. 
Zu  den  wenig  oder  nicht  transgressiven  und  des- 
halb zur  sicheren  Erkennung  verwendbaren  Artmerk- 
malen gehören  die  Färbung  des  Mundsaums  und  die 
Form  des  sog.  Liebespfeils.  —  Die  Untersuchung 
ergab  zunächst,  daß  trotz  der  nahen  Verwandtschaft 
beider  Arten  und  trotz  der  großen  Fruchtbarkeit, 
mit  welcher  beide  in  reiner  Zucht  sich  fortpflanzen, 
in  61  Kreuzungsversuchen ,  die  einzeln  ausführlich 
mitgeteilt  worden  sind,  30  gänzlich  resultatlos  blieben. 
Nur  bei  13  Versuchen  wurden  im  ganzen  35  Ba- 
starde bis  zur  Reife  gebracht.  —  Durch  Kreuzung 
der  Bastarde  untereinander  wurde  bisher  eine  Nach- 
kommenschaft nicht  zur  Reife  gebracht.  Da  aber 
die  Fruchtbarkeit  bei  den  ersten  Kreuzungen  sehr 
verschieden  groß  ist,  hält  der  Verfasser  es  nicht  für 
ausgeschlossen ,  daß  bei  einer  glücklichen  Wahl  der 
beiden  Eltern  die  Fruchtbarkeit  sich  auf  weitere 
Generationen  erstrecken  wird.  —  Die  bisherigen  Ver- 
suche lassen  mit  aller  Klarheit  erkennen,  daß  zwi- 
schen den  beiden  Arten,  trotz  ihrer  nahen  Verwandt- 
schaft ,  eine  trennende  physiologische  Barriere  vor- 
handen ist,  mit  anderen  Worten,  daß  es  sich  um 
gute  Arten  handelt.  Es  ist  dieses  Resultat  sehr 
wichtig,  da  es  immer  noch  Forscher  gibt  (namentlich 
Protozoen-,  Schwamm-,  Korallenforscher  usw.),  die 
an  der  Tatsächlichkeit  solcher  Barrieren  zweifeln, 
weil  sie  selbst  auf  ihrem  engeren  Untersuchungsgebiet 
keine  scharfen  Grenzen  zwischen  den  Arten  fanden. 
—  Obgleich  die  beiden  zur  Untersuchung  gewählten 
Schneckenarten  oft  miteinander  vorkommen ,  dürften 
nach  des  Verfassers  Untersuchungsresultaten  Bastarde 
in  der  Natur  äußerst  selten  sein.  Er  konnte  nämlich 
nachweisen,  ,,]),  daß  das  von  einer  Copula  herrührende 
Sperma  im  Receptaculum  seminis  unserer  Hain-  und 
Gartenschnecken  jahrelang  lebenskräftig  bleiben  kann 
und  2)  daß,  wenn  eine  von  früher  her  schon  mit 
Sperma  der  eigenen  Art  ausgestattete  Schnecke  mit 
einem  Individuum  der  anderen  Art  kopuliert ,  aus- 
schließlich das  ältere  Sperma  der  eigenen  ."^rt  die 
Eier  befruchtet  und  nicht  das  jüngere  Sperma  der 
fremden  Art".  —  Nur  wenn  ein  einzelnes  Stück 
der  einen  Art  durch  Verschleppung  in  eine  Kolonie 
der  anderen  Art  hineingerät,  ist  also  die  Möglichkeit 
einer  Bastardierung  in  der  freien  Natur  gegeben.  — 
Stücke,  die  man  bisher  für  Bastarde  gehalten  hat, 
können  nach  des  Verfassers  Untersuchungsresultaten 
fast  durchweg  nicht  als  solche  in  Betracht  kommen, 
da  sie  hinsichtlich  der  Charaktere  nicht  den  künstlich 
erzeugten  Bastarden  entsprechen.  Die  Charaktere  der 
echten  Bastarde  neigen  nämlich  in  ganz  bestimmter 
Weise  entweder  denen  von  Helix  hortensis  oder 
denen  von  H.  nemoralis  zu.  Nur  einzelne  sind  genau 
oder  ziemlich  genau  intermediär.  Eine  starke  An- 
näherung an  Helix  hortensis  zeigen  die  Bastarde  in 
bezug  auf  die  Breite  und  Form  der  Mündung  und 
die  Form  der  Glandulae  mucosae,  eine  starke  An- 
näherung an  H.  nemoralis  in  bezug  auf  den  Wölbungs- 


N.  F.  Vlll.  Nr.  8 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


127 


index  des  Gehäuses,  die  Farbe  der  Mündung  und 
die  allgemeine  Form  des  Pfeiles.  Ziemlich  genau  in 
der  Mitte  zwischen  beiden  stehen  sie  in  bezug  auf 
die  Gesamtgröße  des  Gehäuses,  die  Länge  des  Pfeiles 
und  das  Profil  der  vier  longitudinalen  Kreiizleisten 
des  Pfeils.  —  Für  die  Vererbung  geben  auch  die 
Farbe  und  die  Bänderung  des  Gehäuses  vorzügliche 
Anhaltspunkte;  doch  würde  es  zu  weit  führen,  hier 
auf  alle  diese  Punkte  einzugehen.  —  Ich  hoffe  jeden- 
falls mit  diesen  kurzen  Angaben  die  hohe  Bedeutung 
der  Arbeit  hinreichend  hervorgehoben  zu  haben. 

Dahl. 


Anton  Handlirsch,  k.  u.  k.  Kustos  am  K.  K.  Natur- 
historischen Hüfmuseum  in  Wien,    Die  fossilen 
Insekten  uwd  diePhylogenie  der  rezen- 
ten  Formen.     Ein  Handbuch    für  Paläontologen 
und  Zodlogen.     Mit  51   Tafeln,    sowie   14  Figuren 
und    7    Stammbäumen.      Leipzig,    Wilhelm    Engel- 
mann,   1006 — IQoS. 
Wir  haben    die    ersten   8  Lieferungen   dieses  um- 
fangreichen Werkes  bereits  früher  lobend  besprochen. 
Heute  liegt  die  9.  Lieferung  vor  (Preis  8  Mk.),    die 
das  Werk  abschließt,  das  nunmehr   einschließlich  des 
umfangreichen  Registers  nicht  weniger  als   1430  Seiten 
in  Groß-Lexikonformat  umfaßt.    Das  Werk  geht  nach 
einer  Beschreibung    der    rezenten  Insektengruppen  in 
zeitlicher  Folge    der   geologischen   Formationen ,    also 
von    den    paläozoischen    Insekten    durch    die    meso- 
zoischen   und    tertiären    zu  den  quartären    über,    um 
sodann  eine    Zusammenfassung   der  paläontologischen 
Resultate    zu    bieten.      Ein    weiterer    Abschnitt    gibt 
eine  chronologische  Übersicht  der  wichtigsten  Systeme 
und  Stammbäume  der  rezenten  Insekten,    woran  sich 
phylogenetische   Schlußfolgerungen    und    die   Begrün- 
dung   eines    neuen  Systems    schließen.      Am    Schluß 
macht  der  Verfasser    auf   einige   für  die  Deszendenz- 
theorie wichtige  Ergebnisse  seiner  Arbeit  aufmerksam. 
Auch    die    fossilen    Insekten    zeigen  eine  schrittweise 
Entwicklung  der  heute  lebenden  Formen  aus  weniger 
spezialisierten  Vorfahren.     Besonders  betont  der  Ver- 
fasser,   daß    die    Abänderung    äußerer    Einflüsse  eine 
Abänderung  der  Organismen  bewirke. 


Maximilian  Weber,    Einführung    in  die  Kri- 
stal 1  o  p  t  i  k.   München  1 908,  Verlag  der  J.  Lindauer- 
schen  Buchhandlung.      1 7   Seiten    mit   vielen  Text- 
figuren. —  Preis  80  Pf 
Weber's    Einführung    gibt    in    kurzer,    gedrängter 
Form  den  Inhalt  des  Kollegs  wieder.     Für  den ,    der 
sich  erst  in  die   Materie    einarbeiten    will,    oder    der 
der  Vorlesung    nicht    hat    genügend    folgen    können, 
und    bestrebt    ist,    sich  eingehender    zu    unterrichten, 
für  den  ist  das  Buch  wegen  seiner  Kürze   nicht  faß- 
lich genug.     Jeder,    der  weiß,    wie  schwer   dem  An- 
fänger z.  B.  allein  die  Vorstellung  des  Hauptschnittes 
und  der  dazu  Senkrechten    beim  Kalkspat  wird,  wie- 
viel verzweifelte  Mühe  es   macht,    die  Voreilung  der 
einen    W^elle    und    das    Zustandekommen    der    Inter- 
ferenzfarben   im    anisotropen  Blättchen    zu    verstehen, 


wird  empfinden,  daß  in  dem  vorliegenden  Buch  die 
Darstellung  zu  knapp  ist,  um  dies  schwierige  Gebiet 
dem  Verständnis  zu  erschließen.  Dem  Studierenden 
aber,  der  die  Sache  im  wesentlichen  verstanden  hat, 
und  der  sie  kurz  repetieren  will,  wird  diese  Vor- 
führung der  wichtigsten  Momente  in  einigen  Leit- 
sätzen sehr  nützlich  sein.  O.  Schneider. 


Die  Weltumseglungsfahrten  des  Kapitäns  James 
Cook,    ein   Auszug    aus  seinen  Tagebüchern.     Be- 
arbeitet   und    übersetzt    von    Dr.    Edw.    Hennig. 
554  Seiten,    8  Bilder   und    i    Karte.      Gutenberg- 
Verlag,  Hamburg  1908.  —  Preis  geh.  6  Mk.,  geb. 
7  Mk. 
Der    Band    leitet    eine    Sammlung    geographischer 
Reisewerke  ein,  die  von  Dr.  Ernst  Schnitze  unter  dem 
Titel  „Bibliothek  denkwürdiger  Reisen"  herausgegeben 
wird    und   ein    Schwesterunternehmen    zu    der    schon 
seit   1906    im  Erscheinen  begriftenen,  geschichtlichen 
„Bibliothek    wertvoller    Memoiren"    darstellt.       Dem 
eigenhändigen  Bericht  eines  Teilnehmers  oder  Augen- 
zeugen   über    Land,    Leute,    Zeitverhältnisse   und  Be- 
gebenheiten   wohnt   ja  bekanntlich    eine  ganz  andere 
Ursprünglichkeit  und  Lebendigkeit  inne  als  der  bloßen 
Beschreibung  durch  den  Unbeteiligten.     Und  wer  da 
weiß,  welch  eine  Fülle  trefflichen  Beobachtungsmaterials 
in  guten  Reiseerinnerungen  liegt,    muß  dem  Heraus- 
geber   Dank    dafür    wissen ,    daß    er    solche    Schätze 
wieder  ans  Licht  zieht. 

Im  vorliegenden  Bande  führt  uns  Kant's  Liebling, 
der  große  Entdecker  der  Südsee  James  Cook  auf 
seine  drei  in  den  Jahren  1768^1779/80  ausgeführten 
Weltumseglungen,  auf  deren  letzter  er  bekanntlich  den 
Eingeborenen  der  Insel  Hawaii  zum  Opfer  fiel.  In 
voller  LTnmittelbarkeit  spielen  sich  seine  in  der  Ge- 
schichte der  Entdeckungen  einen  ersten  Platz  bean- 
spruchenden Erfolge  vor  unseren  Augen  ab.  Sein 
rastloser  Siegeszug  eroberte  in  wenig  mehr  denn 
einem  Jahrzehnt  die  Südhemisphäre  für  das  Wissen, 
legte  den  gesamten  Stillen  Ozean  in  den  Hauptzügen 
klar,  drang  kühn  gegen  den  Südpol  wie  den  Nordpol 
vor  und  greift  so  selbst  in  die  uns  noch  heut  be- 
schäftigenden Probleme  hinein.  In  dieser  großartigen 
Umrahmung  sehen  wir  nun  mit  anspruchsloser  Be- 
scheidenheit aufgezeichnet,  aber  unter  dem  frischesten 
Eindruck  des  Geschehenen  niedergeschrieben  und 
mit  dem  warmen  Herzen  des  stolzen,  edlen  Leiters 
empfunden,  die  Schicksale  der  mutig  und  begeistert 
durchgeführten  drei  Expeditionen. 

Darüber  hinaus  sind  es  aber  wissenschaftliche 
Dokumente  von  sehr  bedeutendem  Werte,  die  Cook's 
seltene  Beobachtungsgabe  und  Gewissenhaftigkeit  uns 
hier  hinterlassen  hat.  Den  Urzuständen  eines  Landes 
und  aller  seiner  Bewohner  wird  durch  die  erste  Be- 
rührung mit  der  Kultur  notwendig  eine  Jungfräulich- 
keit und  Reinheit  genommen,  die  niemand  nach  dem 
Entdecker  mehr  vorfindet.  Die  Forschung  kann  da- 
her eine  zuverlässige  Wiedergabe  seitens  der  ersten 
Besucher  kaum  entbehren  und  Cook's  .Augen  waren 
überall  und  sahen  kritisch ! 

Die  englischen  Originalausgaben    der  Tagebücher 


I2S 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  I'".  VIII.  Nr.  8 


umfassen  nicht  weniger  als  6  Foliobände  mit  insge- 
samt fast  2  000  Seiten  und  sind  schon  dieses  Um- 
fanges  wegen  dem  deutschen  Publikum  schwer  zu- 
gänglich. In  der  hier  gegebenen  Bearbeitung  ist  nun 
unter  Ausschaltung  vor  allem  der  zahlreichen  nauti- 
schen Angaben  das  Wesentliche  als  einheitlich  fort- 
laufende Darstellung  in  getreuer  Übersetzung  zusammen- 
gefaßt worden ;  was  durch  die  Kürzung  sonst  an 
Einzelheiten  geopfert  werden  mußte,  ist  dem  raschen 
Fortgang  der  Ereignisse  zugute  gekommen. 

Der  Verlag  ist  durch  die  geschmackvolle  Aus- 
stattung des  Werkes  (der  Buchschmuck  stammt  von 
Ernst  Liebermann's  Künstlerhand !)  dem  Bedürfnis 
des  heutigen  Publikums  gerecht  geworden,  das  zu 
einem  guten  Gemälde  einen  würdigen  Rahmen  liebt. 

E.  H. 


Literatur. 

Escbericb,  Prof.  Dr.  K.:  Die  Termiten  od.  weißen  Ameisen. 
Kinc  biolog.  Studie.  (XII,  19S  S.  ni.  Abbildgn.  u.  i  färb. 
Taf.)  gr.  8".  Leipzig  '09,  Dr.  \V,  Klinkhardt.  —  6  Mk., 
geb.   7   Mk. 

Kanngießer,  Dr.  Frdr. :  Die  Etymologie  der  Plianerogamen- 
nomenklatur.  Eine  Erklärg.  d.  wissensciiaftl.,  d.  deutschen, 
französ.,  engl.  u.  holländ.  Pflanzenramen.  (XII,  191  S.) 
gr.  8".  Gera  'oS,  F.  v.  Zezschwitz.  —  3,85  Mk. ,  geb.  in 
Leinw.    5   Mk. 

Kowalewski,  Prof.  Dr.  Gerli. :  Grundzüge  der  DilTerential-  u. 
Integralrechnung.  (VI,  452  S.  m.  31  Fig.)  8".  I^eipzig 
'09,  B.   G.  Teubner.  —  Geb.   in  Leinw.   12  Mk. 

Marlotb,  Dr.  Rud.:  Das  Kapland,  insonderheit  das  Reich  der 
Kaptlora,  das  Waldgebiet  und  die  Karroo,  pflanzengeogra- 
phisch dargestellt.  Mit  Einfügung  hinterlassener  Schriften 
A.  F.  \V.  Schimper's.  Mit  8  Karten,  28  Taf.  und  192  Ab- 
bildgn. im  Text.  (436  S.  m,  20  Bl.  Erklärgn.)  Jena  '08, 
i'r.   Fischer.   —  Subskr.-Pr.  81,50  Mk.,  Einzelpr.   100  Mk. 

Ostwald,  Wa.:  Schule  der  Elektrizität.  Gemeinverständliche 
Darstellg.  der  Elektrik  u.  ihrer  Anwendgn.  nacli  den  mo- 
dernen Anschaugn.  u.  Plaudereien  üb.  die  neuen  Strahlgn. 
Nach  G.  Claude,  l'Electricite  pour  tout  le  mondc  f.  Deutsch- 
land bearb.  Mit  üb.  400  Abbildgn.  u.  Taf.  (X[,  579  S.) 
Le.\.  8".  Leipzig  '09,  Dr,  \V.  Klinkhardt.  —  8  Mk".,  geb. 
10  Mk. 

Poincare,  H. :  Die  Ma.\well'sche  Theorie  u.  die  Hertz'schen 
Schwingungen.  Die  Telegraphie  ohne  Draht.  .\us  dem 
Franz,  v.  Max  Ikle.  (199  S.  m.  Fig.)  S".  Leipzig  '09, 
J.  A.  Barth.  ~   Geb.  3,20  Mk. 

Schwendener's  Vorlesungen  üb.  mechanische  Probleme  der 
Botanik,  geh.  an  der  Universität  Berlin.  Bearb.  u.  hrsg. 
V  Prof.  Dr.  Carl  Holtcrmann,  (VI,  134  S.  m.  90  Fig.  u. 
Bildnis.)    Lex.   S".    Leipzig  '09,   \V.  Engelmann.    —   3,60  Mk. 

Serret,  J.  A.:  Lehrbuch  der  Dilferential-  u.  Integralrechnung. 
Nach  Axel  Harnack's  Übersetzg.  4.  u.  5.  .\ufl.,  bearb.  v. 
Geo.  Scheffers.  I.  Bd.  Differentialrechnung.  (.XVI,  626  S. 
ni.  70  Fig.)  gr.  8".  Leipzig  '08,  B.  Cr.  Teubner.  —  Geb. 
in  Leinw.   13  Mk. 


Anregungen  und  Antworten. 

Herrn  H.  in  B.  —  Agnostizismus  bedeutet  Nicht- Wissen- 
Können.  —  Bedingungen  sind    die  ruhenden,    änderungs- 


losen, die  Wirkung  nur  ermöglichenden,  sie  nicht  selbst  her- 
beiführenden umstände.  —  l^rklären  heißt  etwas  Unbe- 
kanntes auf  Bekanntes  zurückführen,  sich  dieses  zunächst  Un- 
bekannte dadurch  vertraut,  bekannt  machen.  —  Gesetze 
fassen  das  zusammen,  was  stets  geschieht.  —  Psycho- 
physischer  Parallelismus.  Dieser  Ausdruck  will  be- 
sagen, daß  jeder,  aber  auch  jeder  geistigen  Regung  ein 
physischer  Vorgang  im  Gehirn  entspreche.  —  Regeln  fassen 
das  zusammen,  was  meist  geschieht.  —  Ursachen  sind 
die  sich  ändernden,  die  wirkenden,  die  tätigen  Umstände.  — 
Vitalreihe  I.  Ordnung  nennt  R.  .\vcnarius  einen 
Lebensvorgang,  der  völlig  im  Sinne  vorangegangener  häufiger 
Übung  abläuft,  und  er  spricht  von  einer  Vitalreihe  höhe- 
rer Ordnung,  wenn  deren  Verlauf  von  der  bisherigen 
Übung  abweicht.  P. 


Herrn  S.  in  N.  —  Eine  bakteriologische  Zeitschrift  außer 
dem  Zentralblatt  für  Bakteriologie  existiert  in  Deutschland 
nicht;  Referate  über  wichtigere  bakteriologische  Fragen  bringt 
die  Chemiker- Zeitung  sowie  die  pharmazeutischen  Zeitschriften. 
—  Arbeiten  über  Bacillus  bulgaricus  und  Yoghurt  sind  u.  a. 
im  20.  und  2t.  Band  des  Zentralbl.  f.  Bakteriol.,  IL  Abtlg., 
erschienen;  andere  sind  mir  nicht  liekannt  geworden,  doch 
weiß  ich  durch  die  Zeitung,  daß  sich  das  Pharmaz.  Institut 
der  Berliner  Universität  (Direktor  Prof.  Dr.  Thoms)  ein- 
gehend  mit  der  Frage  beschäftigt  hat. 

Hugo  Fischer. 


Herrn  J.  S.  in  Aachen.  —  Diapositive  für  Projektions- 
apparate können  Sie  u.  a.  beziehen  bei  E.  Liesegang,  Düssel- 
dorf-Bilk,  bei  Unger  &  Hoffmann,  Dresden-A.  16,  sowie  bei 
Dr.  Stödtncr,  Berlin  NW  7,  L'niversitätsstraße  3  b.  Die  Preise 
betragen  für  schwarze  Bilder  0,85  bis  1,25  Mk.,  für  kolorierte 
Bilder  2  bis  3  Mk.  —  Nach  dem  Lumiere'schen  Verfahren 
hergestellte  Projektionsbilder  in  natürlichen  Farben  gibt  es 
gleichfalls,  doch  wissen  wir  nicht,  ob  solche  von  den  ge- 
nannten Eirmen  sclion  geführt  werden. 


Herrn  P.  Seh  in  Wien.  —  Die  eingesandte  Flechte 
(Südamerika,  Smith-Kanal,  an  Bäumen,  die  auf  sehr  feuchtem 
Boden  stehen)  ist  nach  freundlicher  Bestimmung  von  Herrn 
Prof.  Dr.  G.  Lindau  eine  Sticta-.\rt  aus  der  Gruppe 
Stictina,  und  zwar  Sticta  endochrysa  Del.,  offenbar 
benannt  nach   dem  goldgelben   Inneren  des  Thallus. 

H.   Harms. 


Herrn  Prof.  Seh.  i)i  Kr.  —  Bezüglich  Rotfärbung 
des  Holzes  durch  Pilze  ist  außer  P.  Hennings  (in  Naturw. 
Wochenschr.  1903,  S.  62)  noch  folgende  Literalurstelle  von 
Interesse,  die  gerade  auch  von  Acer  negundo  handelt. 
Sorauer  (Pflanzcnkr.  2.  Auli.  II.  (1886)  269)  schreibt:  „Von 
der  Rotfäule  ist  die  Blut  faule  zu  unterscheiden,  welche 
das  Holz  in  größeren  Streifen  oder  Flächen  karminrot 
oder  blutrot  erscheinen  läßt.  Eidam  beobachtete  die 
Färbung  an  Ahorn  und  Buchenholz;  das  von  Acer  negundo 
stammende  Stück  war  massenhaft  von  farblosem  Mycel  durch- 
zogen und  zeigte  Fruchtkörper  von  einem  Polyporus." 
Nach  Sorauer  dürfte  der  Färbungsprozeß  auf  eine  durch 
das  farblose  Mycel  vcianlaßte  chemisclie  Zersetzung  der  Holz- 
faser zurückzuführen  sein ;  in  anderen  Fällen  ist  es  wahr- 
scheinlich der  Pilz  selbst,  der  die  Färbung  veranlaßt.  —  Ge- 
nauere Untersuchung  ist  nur  an  Ort  und  Stelle  möglich. 
Übrigens  könnten  wohl  auch  Bakterien  die  Rötung  des  Holzes 
veranlaßt   haben.  H.   Harms. 


Inhalt:  Dr.  W.  Detmer:  Charles  Darwin  als  Botaniker.  —  Kleinere  Mitteilungen:  Hans  Otto:  Die  Beschuppung  der 
Reptilien.  —  Kolk  witz  u.Marsson:  Ökologie  der  pflanzlichen  Saprobien.  —  Dr.  Rohland:  Über  das  Verhalten  von 
suspendierten  Stoffen  im  Kristalloid-  und  KoUoid/.ustand.  —  Vereinswesen.  —  Aus  dem  wissenschaftlichen  Leben. — 
Wetter-Monatsübersicht.  —  Bücherbesprechungen:  Sammel-Referat.  —  Arnold  Lang:  Über  die  Bastarde  von 
Helix  horlensis  Müller  und  Helix  nemoralis  L.  -  .\  n  t  o  n  Ilandlirsch:  Die  fossilen  Insekten  und  die  Phylogenie 
der  rezenten  Formen.  —  Maximilian  Weber;  Eintulnung  in  die  Kristalloptik.  —  Die  Weltumseglungsfahrten  des 
Kapitäns  James  Cook.  —  Literatur:  Liste.   —  Anregungen  und  Antworten. 

Verantwortliclier  Redakteur:    Prof.   Dr.  H.  Potonie,    Grofl-Lichterfelde-West  b.  Berlin.      Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 

Druck  von  Lippert  &  Co.  (G.  Pätz'sche  Buchdr.),  Naumburg  a.  S. 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


Neue  Folge  VIII.   BanJ; 
der  gan7en   Keihe  XXIV.  Band. 


Sonntag,  den  28.  Februar  igog. 


Nummer  i). 


Sammelreferate  und  Übersichten 
über  die  Fortschritte  in  den  einzelnen  Disziplinen. 


Neues  aus  der  Philosophie.  (Konformismus; 
Pragmatismus.      iVIythenbildung    und   Erkenntnis.) 

Freiherr  v.  d.  Pfordten  behandelt  in 
seinen  „Vorfragen  der  Naturphilosophie" 
(verlegt  von  Carl  Winters  Universitätsbuchhand- 
lung in  Heidelberg  1907)  eine  Reihe  wichtiger 
Probleme.  Die  Erörterungen  sind  von  hohem 
Interesse  und  werden  F"reunde  erkenntnistheore- 
tischer Fragen  zum  Nachdenken  veranlassen. 

Eine  bedenkliche  Erscheinung  ist  nach  der 
Ansicht  des  Verfassers  ein  Phänomenalismus, 
dem  das  Wesen  der  Dinge  unerkennbar  ist,  dem 
alle  Naturgesetze  nur  psychische  Gesetze,  näm- 
lich Gesetze  von  Vorstellungsverläufen  sind,  dem 
sich  die  Ergebnisse  der  Wissenschaft  in  ein 
System  der  ,, Beziehungen  zwischen  Einbildungen" 
zu  verflüchtigen  drohen,  ein  Phänomenalismus, 
der  in  Skeptizismus,  Relativismus  und  Psycholo- 
gismus ausartet. 

Demgegenüber  müsse  man  feststellen,  welchen 
Erkenntniswert  die  einzelnen  naturwissen- 
schaftlichen Theorien  besitzen  und  wie  der  sich 
ergebende  Erkenntnisstand  am  besten  zu  formu- 
lieren ist.  Besonders  handele  es  sich  um  die 
Frage,  ob  es  eine  erkennbare  Außenwelt 
gibt  und  wie  die  Art,  in  der  sich  ein  Erkennen 
derselben  vollzieht,  erklärbar  ist. 

Im  Gegensatze  zum  Phänomenalismus  sollte 
die  Erkenntnistheorie  gerade  auf  die  Erkenntnis 
der  Dinge  oder,  schärfer  ausgedrückt,  auf  die  Er- 
kennbarkeit des  „Dinges  an  sich"  gerichtet  sein. 

Über  das  Wesen  der  Dinge  glaubt  der  Ver- 
fasser von  der  Chemie  am  ehesten  Aufschlüsse 
zu  erhalten.  Hier  sind  es  vor  allem  die  Tatsachen 
der  Synthese,  die  uns  davon  überzeugen,  daß 
die  Atome  und  Moleküle  nicht  nur  begriffliche 
Bildungen  sind,  sondern  daß  sie  vielmehr  auf 
Faktoren  einer  unabhängig  von  den  menschlichen 
Sinnen  existierenden  Außenwelt  hinweisen. 

Von  phänomenalistischem  Standpunkte  aus 
ist,  wie  dfer  Verfasser  meint,  das  Eintreffen  eines 
auf  Grund  von  Strukturformeln  erwarteten  Er- 
gebnisses der  Synthese  entweder  jedesmal  Zufall, 
was  dem  Grundaxiom  von  der  Gesetzmäßigkeit 
des  Geschehens  zuwiderläuft,  oder  ein  richtiges 
Wunder. 

Im  Gegensatze  zum  Phänomenalismus  müsse 
demnach  eine  an  sich  bestehende  Außenwelt  an- 
genommen werden,  deren  Wesen  freilich  nicht 
ohne  Einschränkung  und  Vorbehalt  zu  erkennen 
sei.  Aber  soviel  leuchte  ein ,  daß  die  natur- 
wissenschaftlichen Begriffe  und  Gesetze  eine  be- 
stimmte   Beziehung    zu    ihr    haben,    daß    sie    ihr 


entsprechen,  daß  sie  ihr  ko  n form  sind.  Der 
Verfasser  gibt  seinem  Standpunkte  durch  die  Be- 
zeichnung „Konformismus"  einen  scharfen 
Ausdruck.  Nach  dem  Grade  von  experimenteller 
Richtigkeit,  die  die  den  Begriffen  zugrunde  liegenden 
Aufstellungen  besitzen,  sind  Konformitäten 
verschiedener    Ordnung    zu    unterscheiden. 

Außer  der  Außenwelt,  wie  wir  sie  in  ihrer 
Mannigfaltigkeit  sinnlich  unmittelbar  wahr- 
nehmen, gibt  es  also  noch  diejenige  Außenwelt, 
die  ohne  Bezug  auf  uns  und  unsere  Sinne 
existiert.  Jene,  die  eigentliche  Realität,  die 
wir  ohne  weiteres  besitzen,  bedarf  der  Wissen- 
schaft flicht;  diese  ist  zwar  Gegenstand  der 
Metaphysik,  aber  trotzdem  vermögen  wir  durch 
die  Konformitäten,  deren  Ermittlung  der  Wissen- 
schaft zukommt,  eine  sichere  und  bestimmte  Ver- 
bindung oder  Annäherung  zwischen  dem  Reiche 
der  wahrnehmbaren  Dinge  und  dem  Reiche  der 
,, Dinge  an  sich"  herzustellen. 

So  einleuchtend  auch  die  Ausführungen  des 
Verfassers  sind,  so  dürfte  sein  Konformismus 
nicht  den  Wert  einer  gesicherten  Erkennt- 
nis, sondern  nur  den  Wert  eines  Glaubens 
haben. 

Zunächst  drängt  sich  uns  die  oft  gestellte 
F"rage  auf:  Was  ist  das  Wesen  eines  mir  irgend- 
wie gegebenen  Dinges? 

Zwei  Antworten  pflegt  man  zu  erhalten. 

Die  eine  lautet:  Das  Wesen  eines  Dinges  ist 
ein  der  qualitativen  und  quantitativen  Bestimmung 
unzugängliches  X,  das  man  als  Voraussetzung  des 
„Phänomens"  zu  denken  hat. 

Die  andere  lautet :  Das  Wesen  eines  Dinges 
ist  eine  gedankliche  Bildung,  die  durch  Abstrak- 
tion aus  den  an  dem  Dinge  wahrgenommenen 
Tatsachen  gewonnen  wird  und  diejenigen  Merk- 
male ausdrückt,  die  dem  betreffenden  Objekte  als 
eigentümlich  zukommen  und  ohne  die  es  nicht 
mehr  als  ,, dasselbe  Ding"  charakterisiert  wäre. 
Die  Abstraktion  beschränkt  sich  dabei  vielfach 
auf  die  sog.  ,, primären  Qualitäten",  die  der  quan- 
titativen Bestimmung    besonders   zugänglich   sind. 

Der  Begriff  des  Wesens,  wie  er  zuletzt  be- 
stimmt worden  ist,  hat  durchaus  wissenschaftlichen 
Wert,  er  bedeutet  eine  ganz  in  der  Erfahrung 
wurzelnde  Abstraktion. 

Dagegen  ist  es  im  höchsten  Grade  bedenklich, 
von  irgendwelchen  vorgefundenen  oder  vermuteten 
Tatsachen  zu  behaupten,  sie  seien  einem  abso- 
lutenWesen  konform.  „Der  Begriff  reiner,  bloß 
intelligibeler  Gegenstände",  sagt  selbst  Kant  in 
seiner    Kritik    der    reinen    Vernunft,    „ist   gänzlich 


130 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VITT.  Nr.  9 


leer  von  allen  Grundsätzen  ihrer  Anwendung,  weil 
man  keine  Art  ersinnen  kann,  wie  sie  gegeben 
werden  sollten." 

Der  Begrifl"  „Materie"  umfaßt  offenbar  die- 
jenigen sinnlich  wahrnehmbaren  Merkmale,  die 
allen  uns  bekannten  „körperlichen  Dingen''  eigen 
sind.  Nach  V.  d  Pfordten  soll  nun  dieser  Begriff 
eine  Konformität  erster  Ordnung  sein,  d.  h.  er 
soll  mit  voller  Sicherheit  einer  ,,an  und  für  sich 
existierenden  Materie"  entsprechen.  Wo  liegt  in 
einer  derartigen  Annahme,  die  ein  in  der  Er- 
fahrung ruhendes  Begriffliches  mit  einem  prinzi- 
piell unvergleichbaren  Unbekannten  vergleicht,  der 
Erkenntniswert?  Wie  sollen  gar  die  Konformi- 
täten eine  sichere  und  bestimmte  Verbindung 
zwischen  dem  Reiche  der  Realität  und  dem  Reiche 
der  „Dinge  an  sich"  herstellen  oder  eine  Annähe- 
rung an  dieses  Reich  bedeuten?  Wenn  der  in- 
haltsleere Begriff  eines  „absoluten  Seins"  in  keiner 
Weise  bestimmte,  das  absolute  Sein  charakteri- 
sierende Vorstellungen  zu  wecken  vermag,  so 
fehlt  damit  auch  jeder  Maßstab,  mit  dem  man 
eine  Annäherung  des  Denkens  an  das  unbekannte 
Wesen  der  Dinge  zu  bestimmen  vermöchte. 

Auch  wir  huldigen  einem  Konformismus,  aber 
nur  einem  solchen,  der  die  Begriffe  den  vorgefun- 
denen Tatsachen  entsprechen  läßt.  Wenn  wir 
ebenso  wie  v.  d.  Pfordten  einen  idealistischen 
Phänomenalismus  verwerfen,  der  dadurch,  daß  er 
alles  Vorgefundene  zu  Psychischem  stempelt,  den 
ohne  den  Gegenbegriff'  des  Physischen  gebildeten 
Begriff  des  Psychischen  zu  einem  leeren  Worte 
erniedrigt,  so  erkennen  wir  doch  einem  metho- 
dologischen Phänomenalismus  Berechtigung 
zu,  einer  Richtung,  die  nur  solche  Begriffe  zuläßt, 
die  der  Erfahrung  oder  doch  einer  möglichen  Er- 
fahrung konform  sind.  Ferner  nehmen  wir  an  — 
praktisch  tun  es  selbst  die  Solipsisten,  ohne 
sich  freilich  des  Widerspruchs  zu  ihrem  theore- 
tischen Verhalten  bewußt  zu  sein  — ,  daß  die 
Dinge  unabhängig  von  unserer  Person  existieren ; 
sobald  wir  jedoch  eben  über  die  Dinge  urteilen, 
mögen  wir  sie  nun  selbst  wahrgenommen  haben 
oder  mögen  uns  die  Mitmenschen  von  ihnen  Kunde 
gebracht  haben  oder  mögen  uns  irgendwelche 
Spuren  auf  sie  hinweisen,  dann  denken  wir  sie 
unserem  phänomenalistischen  Weltbilde  einge- 
reiht; allen  Urteilen  über  prinzipiell  unerfahrbare 
„Dinge  an  sich"  schreiben  wir  hingegen  nicht  den 
geringsten  Erkenntniswert  zu. 

Nach  Freih.  v.  d.  Pfordten  soll  uns  die  Chemie 
davon  überzeugen  können,  daß  die  Atome  und 
Moleküle  Konformitäten  zweiter  Ordnung,  ihre 
räumliche  Anordnung  eine  Konformität  dritter 
Ordnung  sei. 

In  der  Tat  macht  es  das  Gesetz  der  multiplen 
Proportionen  wahrscheinlich,  daß  die  Materie 
nichts  Kontinuierliches  ist,  sondern  aus  diskreten 
elementaren  Teilen  besteht;  die  cliemische  Isomerie 
drängt  zur  Vorstellung,  daß  für  jede  Substanz 
sich  die  elementaren  Teilchen  in  fester  stereo- 
metrischer   Anordnung   gruppieren.      Der    experi- 


mentierende Forscher  ist  von  der  Existenz  der 
Atome  und  Moleküle  um  so  mehr  überzeugt,  als 
ihm  die  Theorie  vom  atomistischen  Gefüge  der 
Materie  nicht  nur  gestattet,  bekannte  Erscheinungen 
abzuleiten,  sondern  auch  neue  Tat.sachen  voraus- 
zusehen. Dabei  gewährt  die  Theorie  ein  außer- 
ordentlich anschauliches  Bild  der  Vorgänge, 
namentlich    derjenigen    der   chemischen  Synthese. 

Leisten  die  hypostasierten  Atome  und  Mole- 
küle dem  Chemiker  und  Physiker  treffliche  Dienste, 
so  bereiten  sie  dem  Erkenntnistheoretiker  uner- 
wartete Schwierigkeiten.  Diese  sämtlich  hervor- 
zuheben, würde  uns  zu  weit  führen;  wir  verweisen 
daher  auf  die  treffliche  Kritik,  die  Stallo  in 
seinen  von  Kleinpeter  übersetzten  „Begriffen 
und  Theorien  der  modernen  Physik"  ge- 
geben hat  und  die  auch  jetzt  noch  kaum  an 
Wert  eingebüßt  hat.  Ist  es  unmöglich,  sich  eine 
einwandfreie  Anschauung  von  den  Atomen  der 
älteren  Physik  und  Chemie  zu  bilden ,  die  als 
äußerst  kleine,  absolut  harte,  durch  leere  Zwischen- 
räume getrennte,  in  bestimmter  räumlicher  Ord- 
nung zu  Molekülen  sich  gruppierende,  mit  dem 
Parameter  der  Masse  behaftete  Körperchen  galten, 
so  erscheinen  uns  nicht  minder  rätselhaft  diejenigen 
der  modernen  Wissenschaft,  die  gewissermaßen 
Sonnensysteme  sind,  in  denen  um  den  von  einem 
positiven  Jon  gebildeten  Zentralkörper  zahllose 
Elektronen  kreisen. 

Sehen  wir  also  in  der  Atomistik  mehr  als  eine 
aus  den  Tatsachen  erwachsene  gedankliche  Kon- 
struktion, so  geraten  wir  in  eine  unleidliche  Lage, 
aus  der  wir  uns  nicht  zu  befreien  wissen.  Wer 
will  es  daher  einem  kritischen  Geiste  verargen, 
wenn  er  die  Lehre  von  den  Atomen  und  Mole- 
külen zwar  als  eine  höchst  fruchtbare 
Hypothese  ansieht,  vor  einer  Hypostasie- 
rung  aber  zurückschreckt?  Wie  will  man  über- 
haupt eine  Hypostasierung  logisch  rechtfertigen  ? 

Doch  wäre  es  ebenso  verwegen,  wollten  wir 
die  metaphysische  Behauptung  der  absoluten 
Kontinuität  der  Materie  aufstellen.  Auch  Stallo 
erklärt:  „Welches  die  wirkliche  Beschaffenheit 
besonderer  Körper  ist,  ist  eine  Frage,  die  in  jedem 
einzelnen  Falle  durch  Experiment  und  Beobach- 
tung zu  entscheiden  ist.  Es  gibt  ohne  Zweifel 
eine  große  Klasse  von  Körpern,  die  eine  mole- 
kulare Konstitution  besitzen."  Poincare  hat  in 
einem  seiner  zuletzt  erschienenen  Werke,  „die 
moderne  Physik"  (übertragen  von  Dr.  M. 
Brahm  und  Dr.  B.  Brahm,  verlegt  1908  bei 
Quelle  und  Meyer  in  Leipzig)  eine  Reihe  von 
Tatsachen  angefüiirt,  die  mit  Sicherheit  auf  eine 
Diskontinuität  der  Materie  hinweisen.  In  gemein- 
verständlicher Weise  zeigt  auch  G.  Mie  in  seinem 
bei  Teubner  erschienenen  Büchlein  über  „Mole- 
küle, Atome  und  Weltäther",  daß  die 
Materie  eine  körnige  Struktur  hat.  Bei  den  außer- 
ordentlichen F'ortschritten  der  modernen  Physik 
dürfen  wir  noch  bedeutsame  Aufklärungen  er- 
warten. 

Immerhin    ist    es    gut,    mit    größter    Vorsicht 


N.  F.  VIII.  Nr.  9 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


t3i 


über  die  Struktur  der  Materie  zu  urteilen.  Man 
denke  immer  daran,  daß  unser  Denken  von  Haus 
aus  zu  einer  atomistischen  Auffassung  hinneigt, 
selbst  in  der  Geometrie  und  Phoronomie,  wo  ge- 
rade die  Kontinuität  eine  besondere  Rolle  spielt. 
Schon  die  Geometer  des  Altertums  ge- 
langten zu  wichtigen  Eigenschaften  des  Kreises 
dadurch,  daß  sie  ihn  als  Polygon  mit  außerordent- 
lich vielen  und  kleinen  Seiten  auffaßten.  Diffe- 
rential- und  Integralrechnung  sind  eben- 
falls Beispiele  für  unsere  Ansicht.  Noch  inter- 
essanter ist  Krön  ecke  r 's  Versuch,  die  gesamte 
Mathematik  zu  arithmetisieren,  auf  den  Begriff 
der  ganzen  Zahl  zu  gründen.  Die  Mechanik 
sieht  aus  rein  formalen  Gründen  im  festen  Körper 
ein  System  materieller  Punkte,  die  mit  physi- 
kalischen Gebilden  nicht  das  Geringste  zu  tun 
haben.  (Siehe  darüber  TheodorKörner„Der 
Begriff  des  materiellen  Punktes  in  der 
Mechanik  des  18.  Jahrhunderts"  in  der  Biblio- 
theca  mathematica,  3.  Folge,  5.  Bandl)  Zur  Er- 
reichung von  Erkenntnissen  bedarf  es,  wie  Stallo 
sagt,  „einer  Reihe  logischer  Fiktionen,  die  bei  den 
Operationen  des  Denkens  ebenso  berechtigt  wie 
unvermeidlich  sind,  deren  Beziehungen  zu  den 
Erscheinungen,  von  denen  sie  nur  eine  teilweise 
und  nicht  selten  bloß  symbolische  Darstellung 
bilden,  nie  aus  den  Augen  gelassen  werden  dürfen." 
Wer  will  einen  unwiderlegbaren  Beweis  dafür 
bringen,  daß  das  Verfahren  des  Chemikers,  die 
Gewichtsverhältnisse,  in  denen  sich  die  Substanzen 
verbinden,  zu  Atomen  von  bestimmten  Gewichten 
und  zu  Atomgruppen  in  Beziehung  zu  bringen, 
mehr  als  eine  Fiktion  sei? 

Nun  meint  freilich  v.  d.  Pfordten,  daß  die 
chemische  Synthese  doch  einen  zwingenden  Be- 
weis für  die  Existenz  der  Atome  liefere.  Wer 
die  Tatsachen  der  Synthese  phänomenalistisch  er- 
klären wolle,  müsse  das  Eintreffen  der  Syn- 
these jedesmal  als  Zufall  auffassen,  was  dem 
Grundaxiom  von  der  Gesetzmäßigkeit  des  Ge- 
schehens zuwiderlaufe,  oder  gar  als  ein  echtes 
Wunder. 

Hierzu  ist  folgendes  zu  bemerken :  ,, Zufall  ist", 
wie  Windelband  sagt,  „in  allen  Fällen  ein 
Prinzip  unserer  Betrachtung,  nicht  ein  Prinzip  des 
Geschehens."  Das  Kriterium,  ob  ein  Ereignis  zu- 
fällig ist  oder  nicht,  hat  also  lediglich  subjek- 
tiven Wert.  Wir  verlangen  geradezu  von  der 
Natur,  daß,  wenn  sie  überhaupt  ein  Gegenstand 
unseres  Denkens  sein  soll ,  sich  die  Vorgänge 
unter  gleichen  Umständen  wiederholen,  daß  die 
Natur  also  gesetzmäßigen  Charakter  habe.  Wenn 
wir  auch  nicht  begründen  können,  weshalb  die 
Natur  unserem  Verlangen  nachkommt,  so  pflegen 
wir  doch  im  Eintreffen  erwarteter  Ereignisse 
nichts  Zufälliges  oder  Wunderbares,  sondern  im 
Gegenteil  das  Selbstverständlichste  von  der  Welt 
zu  sehen.  Nur  wenn  wir  uns  auf  den  Standpunkt 
derjenigen  Philosophen  stellen,  die  alles  das  für 
zufällig  halten,  was  sich  aus  den  formalen  Be- 
stimmungen    des    Intellekts    nicht    ableiten    läßt, 


müssen  wir  anders  urteilen;  dann  aber  gäben  wir 
dem  Begriffe  Zufall  einen  Umfang,  der  ihm  von 
Haus  aus  keineswegs  zukommt.  Auch  darin  sehen 
wir  weder  etwas  Zufälliges  oder  Wunderbares, 
daß  sich  Gruppen  von  Tatsachen  in  mathema- 
tischer Form  beschreiben  lassen.  Wenn  sich 
die  Vorgänge  der  chemischen  Synthese  nach 
einem  festen  Schema  vollziehen,  so  hat  dieses 
gleichfalls  den  Wert  einer  Gleichung.  Wenn  ein 
solches  Schema  nun  auch  durch  eine  Beziehung 
zwischen  räumlichen  Modellen  ersetzt  werden  kann, 
so  ist  damit  noch  keineswegs  gesagt,  daß  es 
nicht  auch  eine  andere  Symbolisierung  zuläßt. 
Ich  erinnere  nur  an  die  merkwürdigen  von  Max- 
well beachteten  physikalischen  Analogien. 
Eine  Nötigung  also,  das  Eintreffen  einer  erwarteten 
chemischen  Reaktion  als  Zufall  oder  Wunder  zu 
betrachten,  liegt  nicht  vor.  Freilich  soll  nicht 
verhehlt  werden,  daß,  wenn  wir  uns  in  Tatsachen 
grübelnd  vertiefen,  wir  oft  in  eine  Stimmung 
geraten,  wie  wir  sie  wunderbaren  Ereignissen 
gegenüber  haben  könnten.  Mancher,  dem  die 
Vorgänge  des  Stoßes  vertraut  und  selbstverständ- 
lich sind,  bemüht  sich  vergeblich,  die  Erschei- 
nungen der  Fernwirkung  auf  jene  zurückzuführen. 
Die  der  Fernwirkung  zugeschriebenen  Tatsachen 
werden  ihm  dann  leicht  als  etwas  abseits  Stehen- 
des, als  etwas  Rätselhaftes,  ja  als  etwas  Zufälliges 
oder  gar  Wunderbares  charakterisiert  sein.  Der 
in  der  Potentialtheorie  bewanderte  Mathematiker 
wird  anderseits  den  Vorgängen  des  Stoßes  gegen- 
über in  eine  ähnliche  Lage  geraten  können.  Ganz 
besonders  aber  werden  demj  en  i  ge  n  Zufall  und 
Wunder  entgegentreten,  der  um  jeden  Preis  die 
Tatsachen  auf  letzte  Prinzipien  zurückführen 
will,  und  zwar  wird  das  jedesmal  da  geschehen, 
wo  die  Erklärungsversuche  die  vorgefundenen 
Schranken  überspringen  und  zur  Schöpfung  von 
Kräften,  Fähigkeiten,  Entelechien  führen.  Wer 
solchen,  der  wissenschaftlichen  Forschung  nach- 
teiligen Stimmungen  entgehen  will,  dem  bleibt 
nichts  anderes  übrig  als  die  Tatsachen  im  Sinne 
von  Kirch  hoff  und  Mach  zu  beschreiben. 
„Wie  könnten  wir  auch  erklären!"  sagt  Nietz- 
sche in  seiner  „fröhlichen  Wissenschaft".  „Wir 
operieren  mit  lauter  Dingen",  die  es  nicht  gibt, 
mit  Linien,  Flächen,  Körpern,  Atomen,  teilbaren 
Zeiten,  teilbaren  Räumen  — ,  wie  soll  Erklärung 
auch  möglich  sein,  wenn  wir  alles  erst  zum  Bilde 
machen,  zu  unserem  Bilde!  Es  ist  genug,  die 
Wissenschaft  als  möglichst  getreue  Anmensch- 
lichung  der  Dinge  zu  betrachten,  wir  lernen 
immer  genauer  uns  selber  beschreiben,  indem  wir 
die  Dinge  und  ihr  Nacheinander  beschreiben." 

Wenn  wir  also  auch  noch  so  überzeugt  sein 
mögen ,  daß  die  wunderbare  Ordnung  in  der 
Chemie  „nicht  nur  ein  rein  künstliches  System," 
sondern  der  „Reflex  einer  realen  Ordnung"  sei, 
so  fehlt  uns  doch  jedes  Mittel,  unsere  Überzeugung 
zu  einer  Erkenntnis  zu  erheben. 

Wir  überspringen  die  auf  die  Theorie  des 
Konformismus  folgenden  Kapitel,    die   neben  An- 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  9 


fechtbarem  eine  Reihe  trefflicher  Gedanken  ent- 
halten, um  uns  noch  mit  dem  Abschnitte  über 
„die  Philosophie  der  Empfindung  zu  be- 
schäftigen. 

Zuvor  wendet  sich  Freih.  v.  d.  Pferd ten 
gegen  dieOstwald'sche  Energetik.  Seinen 
Ausführungen  dürfte  man  in  den  meisten  Punkten 
zustimmen  können.  Wohl  aber  müssen  sich  Be- 
denken erheben,  wenn  er  die  Philosophie  des  all- 
bekannten Physikers  und  Psychologen  Ernst 
Mach  gewissermaßen  als  Modifikation  der 
Ostwald'schen  Energetik  betrachtet. 

Es  ist  nicht  richtig,  daß  Mach  die  gegebene 
Welt  in  letzte  psychologische  Elemente  auf- 
lösen will.  Zu  einer  solchen  Auffassung  gibt 
lediglich  der  Umstand  Anlaß,  daß  er  die  zurzeit 
letzten  Elemente  des  Vorgefundenen  als  „Emp- 
findungen" bezeichnet.') 

Mach  stellt  sich  zunächst  auf  den  Standpunkt 
eines  objektiven  Beobachters  und  Berichterstatters, 
dem  es  nur  darauf  ankommt,  Tatsächliches  fest- 
zustellen und  aufzuzeichnen,  nicht  aber,  darüber 
zu  urteilen.  Er  geht  von  derjenigen  Welt- 
ansicht aus,  die  man  bei  vollem  Bewußtsein  fertig 
vor  sich  findet,  und  zu  deren  Bildung  man  ab- 
sichtlich nichts  beigetragen  hat.  Er  findet  sich 
von  mannigfaltigen,  beweglichen  Körpern  um- 
geben, von  Körpern,  die  teils  „leblos"  sind,  teils 
Pflanzen,  Tiere  und  Menschen ;  außerdem  unter- 
scheidet er  den  eigenen  Leib,  der  in  optischer, 
haptischer,  akustischer  und  anderer  Hinsicht  von 
den  Leibern  der  Mitmenschen  abweicht,  der  durch 
eigentümliche,  vielfach  sich  abstufende  Empfin- 
dungen, Gefühle,  Stimmungen,  Willensregungen 
eigenartig  bereichert  erscheint. 

Eine  weitere  Analyse,  durch  die  sich  der  Be- 
obachter freilich  vom  „naiven  Realismus"  —  im 
Sinne  v.  d.  Pfordten's  —  schon  wesentlich 
entfernt,  entdeckt  an  jenen  Inhalten  eine  Reihe 
von  Merkmalen,  z.  B.  Farben,  Töne,  Drucke, 
Wärmen,  Düfte,  Räume,  Zeiten  usw.,  die  zur- 
zeit als  ursprüngliche,  als  letzte  gelten  können, 
gewissermaßen  als  Elemente.  Diese  Elemente 
sind  zwar  durch  Abstraktion  gefunden,  da  sie 
niemals  isoliert  vorkommen,  aber  sie  treten  doch 
stets  in  mannigfachen  Komplexen  wirklich  auf; 
sie  sind  auch  durchaus  nicht  letzte  Einheiten  in 
absolutem  Sinne,  sondern  nur  Einheiten  von 
relativer,  provisorischer  Gültigkeit.  So 
wäre  es  durchaus  nicht  unmöglich,  daß  mit  einer 
weiteren  Entwicklung  unserer  Sinneswerkzeuge 
oder  gar  mit  der  Ausbildung  neuer  Sinneswerk- 
zeuge die  Zahl  derTatsächlichkeitselemente  wachse. 
Mach  bezeichnet  nun  jene  Elemente  als  „Emp- 
findungen". Auf  Seite  8  der  bedeutsamen 
Schrift  über  „Erkenntnis  und  Irrtum" 
(verlegt  bei  J.  A.  Barth,  Leipzig,  1905)  sagt  er: 
„Diese  Elemente    zeigen   sich   sowohl  von  außer- 


')  Es  darf  freilich  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  erst 
Mach's  letzte  Schrift  „Erkenntnis  und  Irrtum"  volle 
Klarheit  über  den  Empfindungsbegriff  gibt. 


halb  U"  (wo  U  die  Umgrenzung  des  Leibes  be- 
deuten soll)  „als  von  innerhalb  U  liegenden  Um- 
ständen abhängig.  Insofern  und  nur  insofern 
letzteres  der  Fall  ist,  nennen  wir  diese  Elemente 
auch  Empfindungen."  Nur  deshalb  also,  weil  die 
Elemente  im  Akte  des  Vorgefundenwerdens  Ob- 
jekte der  psychologischen  Betrach- 
tungsweise zu  sein  pflegen,  sind  sie  als 
Empfindungen  bezeichnet  worden. 

Soweit  nun  die  Elemente  in  Relation  zum 
Vorfindenden  stehen,  werden  sie  als  psychische 
bezeichnet;  sofern  sie,  unabhängig  vom  Vorfinden- 
den, unter  sich  selbst  Beziehungen  bilden,  als 
physische.  Für  Mach  kann  ein  und  dasselbe 
Element,  je  nach  der  Beziehung,  in  der  es  auf- 
tritt, bald  als  physisch,  bald  als  psychisch 
charakterisiert  sein.  Das  Physische  und  Psychische 
enthalten  also  gemeinsame  Elemente,  sie  stehen 
somit  ,, keineswegs  in  dem  gemeinhin  ange- 
nommenen" schroffen  Gegensatze.  ,,Das  wird 
noch  klarer,  wenn  sich  zeigen  läßt,  daß  Erinne- 
rungen, Vorstellungen,  Gefühle,  Willen,  Begriffe 
sich  aus  zurückgelassenen  Spuren  von  Empfin- 
dungen aufbauen,  mit  letzteren  also  keineswegs 
unvergleichbar  sind." 

Hätte  Mach  scharf  hervorgehoben,  daß  in 
der  oben  entwickelten  Weltansicht  des  ,, naiven 
Realismus"  die  Dinge  mit  ihren  Eigenschaften 
weder  als  physisch  noch  als  psychisch  charak- 
terisiert sind,  sondern  es  erst  dann  werden,  wenn 
man  analysiert  und  die  Beziehungen  des  Vor- 
gefundenen ins  Auge  faßt,  so  hätte  er  manches 
Mißverständnis  vermeidlich  machen  können ;  es 
wäre  das  um  so  wichtiger  gewesen,  als  schon  der 
nicht  sehr  glücklich  gewählte  Name  „Empfindung" 
meist  unrichtig  gedeutet  worden  ist.  Das  Vor- 
gefundene ist  also  zunächst  weder  als  physisch 
noch  als  psychisch  zu  kennzeichnen ;  es  geschieht 
erst  dann,  wenn  der  Vorfindende  einen  festen 
methodologischen  Standpunkt  einnimmt,  wenn  er 
auf  die  Verknüpfung  der  Elemente  unter  sich 
oder  auf  die  Verknüpfung  der  Elemente  mit  dem 
Ichbezeichneten  seine  Aufmerksamkeit  lenkt. 

Wenn  auch  Mach  vom  Idealismus  aus  zu 
seinen  Anschauungen  gekommen  sein  mag,  so  ist 
er  doch  nichts  weniger  als  Idealist.  Man  darf 
ihn  weder  als  Monisten  im  Sinne  Ostwald's 
noch  als  Monisten  im  Sinne  Verworn's  be- 
zeichnen. Für  ihn  ist  die  Welt  weder  ein  rein 
Physisches  noch  ein  rein  Psychisches,  weder  ein 
Materielles  oder  Energetisches  noch  ein  rein  im 
Bewußtsein  Existierendes.  Niemand  unterscheidet 
so  bestimmt  wie  er  zwischen  Physischem  und 
Psychischem.  Mach  ist  höchstens  im  methodo- 
logischen Sinne  Monist.  Derjenige  ist  im 
strengen  Sinne  Monist,  dem  die  Welt  nicht 
lediglich  ein  Summenbegriff  ist,  eine  in  infinitum 
vermehrbare  Zahl  vorgefundener  und  vorfindbarer 
Inhalte,  sondern  der  auf  die  Frage:  Was  ist  das 
All  ?  was  ist  die  Gesamtheit  des  Gegebenen .'  ein 
einziges,  das  Ganze  charakterisierendes  Merk- 
mal zu  geben  pflegt. 


N.  F.  VIII.  Nr.  9 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


133 


Ostwald  weicht  trotz  seiner  Verehrung 
Mach 's  in  erkenntnistheoretischer  Beziehung  ganz 
entschieden  von  ihm  ab.  Obwohl  Ostwald 
antimetaphysischc  Bestrebungen  hat,  so  vermag 
ersieh  doch  nicht  vom  metaphysischen  Substanz- 
begriffe  zu  befreien.  Dagegen  steht  er  durch  seinen 
ausgesprochenen  Relativismus .  besonders  auch 
durch  die  , .pragmatische"  Auffassung  vom  Denken 
(im  Sinne  des  amerikanischen  Philosophen  James) 
Mach  wieder  seiir  nahe. 

Mach  ist  weit  entfernt  davon,  die  ,, Empfin- 
dungen" zu  einem  Erkenntnisprinzip  zu 
machen.  Seine  Empfindungen  sind  die  durch  die 
Analyse  vorgefundenen  Elemente  der  Tatsächlich- 
keit. Er  will  mit  ihnen  durchaus  nichts  erklären, 
er  legt  seinen  Elementen  keine  Eigenscliaften  und 
Vermögen  ein,  um  das  Geschehen  begreifbar  zu 
machen.  Seine  Elemente  sind  nicht  Weltelemente 
im  Sinne  der  metaphysischen  Schulen,  sie  sind 
zu  jeder  Erklärung  durchaus  unbrauch- 
bar. Sie  sind  nichts  anderes  als  die  relativ 
einfachsten  Begriffe,  die  zurzeit  in  eine  Be- 
schreibung des  Tatsächlichen  eingehen  können. 
Es  heißt  daher  Mach's  Standpunkt  verkennen, 
wenn  man  von  ihm  verlangt,  er  solle  durch  seine 
,, Weltelemente"  das  Ich,  das  Gedächtnis,  die 
Assoziation  erklären. 

Man  kann  nicht  sagen,  Mach  leugne  das  „Ich", 
er  leugnet  es  nur  als  eine  Substanz,  sei  es  als 
geistige  Substanz  sei  es  als  transzendentales  oder 
erkenntnistheoretisches  Ich,  er  erkennt  das  Ich 
lediglich  als  praktische  Einheit  von  freilich 
recht  hoher  Wichtigkeit  an.  Mach  hat  es 
auch  nicht  nötig  ,,zu  erläutern,  wie  es  ein  Bündel 
von  Empfindungen  fertig  bringt,  in  einem  Gehirn 
die  Illusion  eines  denkenden  Ich  zu  erzeugen, 
und  weshalb  gerade  eine  Empfindung.=gruppe 
auf  die  seltsame  Idee  kommt,  alle  anderen  Emp- 
findungen erkennen  zu  wollen;"  denn  er  verzichtet 
ja  prinzipiell  auf  Erklärungsversuche,  er  er- 
blickt die  Aufgabe  der  Wissenschaft  einzig  darin, 
die  Welt  des  Tatsächlichen  zu  beschreiben, 
besonders  die  funktionalen  Beziehungen  zwischen 
den  Elementen  festzustellen,  mögen  die  letzteren 
nun  ein  Ich  (im  Mach'schen  Sinne)  oder  dessen 
Umgebung  zusammensetzen. 

Aucii  Mach  würde  ebensowenig  wie  Freili. 
V.  d.  Pfordten  in  dem  direkt  gegebenen  realisti- 
schen Weltbilde  Energie  oder  Empfindungen  ent- 
decken wollen;  auch  dürfte  er  schwerlich  da- 
gegen etwas  einzuwenden  haben,  daß  die  Analy- 
sierung der  Eindrücke  zunächst  den  Dingbe- 
griff vorbereite.  Nur  ist  ihm  das  Ding  etwas 
weiter  noch  zu  analysierendes,  ein  Komplex  aus 
noch  einfacheren  Elementen.  Und  gerade  diese 
Elemente  sollen  ihm  als  ABC  der  Beschreibung 
wichtiger  physikalischer  und  psychologischer  Tat- 
sachen dienen.  Da  seine  ,, Empfindungen"  nur 
einem  methodologischen  Zwecke  dienen ,  nicht 
aber  einer  Erklärung  der  Erscheinungen,  so 
haben  sie  auch  keine  Spur  von  Metaphysischem 
an  sicii. 


Freih.  V.  d.  Pfordten  wirft  unserem  Physiker 
Rückfälle  in  den  Materialismus  und  den  extremen 
Realismus  vor,  weil  er  auch  den  „Elementar- 
organismen" Gedächtnis  zuschreibe  und  die  Asso- 
ziation chemisch  zu  begreifen  hoffe.  Mach,  der 
entschiedener  Anhänger  des  psychophysi- 
schen  Parallelismus  ist,  meint  aber  nichts 
anderes,  als  daß  denjenigen  nervenphysiologischen, 
also  rein  physischen  Vorgängen,  von  denen  man 
Gedächtnis  und  Assoziation  funktional  abhängig 
zu  denken  hat,  auch  analoge  Vorgänge  im  Reiche 
der  Elementarorganismen  und  im  Reiche  des  Un- 
organisierten entsprechen  dürften,  Vorgänge,  denen 
eine  psychische  Seite  durchaus  nicht  zuzukommen 
braucht. 

Es  würde  uns  zu  weit  führen,  auch  noch  den 
zweiten  Teil  der  „Vorfragen  der  Naturphilosophie" 
zu  besprechen.  Von  den  interessierenden  Ab- 
schnitten desselben  dürften  besonders  die  über 
die  „Causae  fiendi"  und  über  das  „Problem  der 
Form"  zur  Diskussion  herausfordern. 

Im  Konformismus  haben  wir  eine  Rich- 
tung kennen  gelernt,  die  sich  dem  nie  völlig  ge- 
fundenen Letzten,  „das  der  Realität  der  Einzel- 
erscheinungen zugrunde  liegt,"  in  bestimmten  Be- 
griffen, den  Konformitäten,  stufenweise  nähern  will. 
Der  Konformismus  versucht  eine  Brücke  zu 
schlagen  zwischen  der  Welt  der  gegebenen  Tat- 
sachen und  der  jenseits  der  Erfahrung  liegenden 
„Welt  an  sich".  Er  stellt  somit  eine  Vermittlung 
zwischen  Empirismus  und  Rationalismus  dar. 

Eine  Vermittlung  zwischen  Empirismus  und 
Rationalismus  wird  auch  von  einer  anderen  neuen 
Richtung  angestrebt,  vom  Pragmatismus.  Frei- 
lich ist  hier  die  Vermittlung  von  derjenigen  des 
Konformismus  wesentlich  verschieden.  Der  stark 
positivistisclie  Pragmatismus  verwirft 
jede  Hypostasierung  und  hat  durcliaus  kein  Ver- 
langen, das  ,, Wesen  der  Dinge"  zu  ermitteln,  er 
legt  nur  auf  diejenigen  Bcgrifte  und  Tiieorien 
Gewicht,  die  in  enger  Beziehung  zum  Leben 
des  Menschen  stehen;  aber  er  möchte  auch 
nicht  auf  gewisse,  gerade  dem  Rationalismus 
eigentümliche  Werte  verzichten,  namentlich  nicht 
auf  dessen  Optimismus    und    religiöse   Stimmung. 

William  James,  Professor  an  der  ameri- 
kanischen Harvard-Universität  in  Cam- 
bridge bei  Boston,  ist  in  Deutschland  nicht 
unbekannt.  Seine  unter  dem  Titel  „der  Wille 
zum  Glauben"  bei  Frommann  in  Stuttgart 
herausgegebenen,  von  Dr.  Tli.  Loren  z  übersetzten 
popularphilosophischen  Abhandlungen  haben 
einigermaßen  Verbreitung  gefunden;  noch  größeres 
Ansehen  genießt  er  in  Gelehrtenkreisen  durch 
sein  vortreffliches,  leider  noch  nicht  übersetztes 
Werk  über  Psychologie.  Mit  einer  glücklichen, 
herzerfrischenden  Mischung  von  Ernst  und  Humor, 
aber  ohne  die  Oberflächlichkeit  eines  schönreden- 
den P^uilletonismus,  in  jener  frischen  Weise,  wie 
sie  amerikanischen  Schriften  häufig  eigen  ist,  mit 
ungewöhnlichem  Geschick,  die  Gedanken  klar 
auszudrücken,  hat  James  in  den  Jahren  1906  und 


134 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  9 


1907  an  der  Harvard  -  Universität  vor  einer 
größeren  Zuhörerschaft  eine  Reihe  von  Vor- 
lesungen gehalten  und  nachher  unter  dem  Titel 
„der  Pragmatismus,  ein  neuer  Name  für 
alte  Denkmethoden"  veröffentlicht.  VV. 
Jerusalem,  der  unabhängig  von  James  zu  ähn- 
lichen Ansichten  gekommen  ist,  hat  uns  eine 
treffliche,  bei  Dr.  W.  Klinkhardt  in  Leipzig 
erschienene  Übersetzung  gegeben. 

Die  merkwürdige  Bezeichnung  „Pragmatis- 
mus" mag  uns  an  den  „historischen  Pragmatis- 
mus" denken  lassen,  an  diejenige  historische  Dar- 
stellungsweise, die  den  Zusammenhang  der  Hand- 
lungen ins  Auge  faßt,  die  die  Begebenheiten  nach 
ihrer  ursächlichen  Verknüpfung  entwickelt.')  Je- 
doch hat  Charles  Pierce,  der  das  Wort  im 
Januarheft  der  ,, Populär  Science  Monthly"  vom 
Jahre  1878  („Wie  wir  unsere  Ideen  klar  machen 
können")  geprägt  hat,  nichts  anderes  ausdrücken 
wollen,  als  daß  unsere  Überzeugungen  Regeln  für 
unser  Handeln  sind,  und  daß  wir,  um  den  Sinn 
eines  Gedankens  herauszubekommen,  nichts  an- 
deres tun  müssen,  als  die  Handlungsweise  be- 
stimmen, die  dieser  Gedanke  hervorzurufen  ge- 
eignet ist.  Wollen  wir  in  unsere  Gedanken  über 
einen  (legenstand  vollkommene  Klarheit  bringen, 
so  müssen  wir  erwägen,  welche  praktische 
Wirkungen  dieser  Gegenstand  in  sich 
enthält,  was  für  Wahrnehmungen  wir 
zu  erwarten  und  was  für  Reaktionen 
wir  vorzubereiten  haben. 

Unwillkürlich  erinnert  uns  das  an  Mach,  für 
den  der  Begriff  ,, Natrium"  nichts  anderes  ist  als 
ein  Wort,  das  eine  Reihe  von  sinnlichen  Merk- 
malen ins  Bewußtsein  ruft,  die  sich  auf  bestimmte 
manuelle,  instrumentale,  technische  Operationen 
einstellen;  für  den  der  Begriff  keine  fertige 
Vorstellung  ist,  sondern  eine  „Anweisung,  eine 
vorliegende  Vorstellung  auf  gewisse  Eigenschaften 
zu  prüfen  oder  eine  Vorstellung  von  bestimmten 
Eigenschaften  herzustellen." 

Die  Bezeichnung  ,, Pragmatismus"  ward  jedoch 
erst  allgemeiner  bekannt,  als  James  das  Prinzip 
des  Pragmatismus  im  Jahre  1898  auf  die  Religion 
anwandte. 

Der  Pragmatismus  ist,  wie  schon  jetzt  zu  er- 
kennen, keine  neue  Philosophie,  sondern  lediglich 
eine  alte,  aber  auf  neuere  Probleme  intensiv  an- 
gewandte Methode.  Er  findet  sich  schon  bei 
Sokrates  und  Aristoteles,  weit  ausge- 
sprochener bei  Locke,  Berkeley  und  H  u  m  e. 
Er  ist  besonders  der  empiristischen  Richtung 
eigen ;  er  ist  die  Methode  des  Naturwissenschaft- 
lers, besonders  die  des  Physikers,  dem  nur  die- 
jenigen Begriffe  von  Wert  sind,  die  zur  „über 
sichtlichen,  einheitlichen,  widerspruchslosen  und 
mühelosen  Erfassung  der  Tatsachen"  führen.  Der 
Pragmatismus    wendet    sich    weg    von    allen    Pro- 


')  K.  Dreycr  gebraucht  in  seinen  ,, .Studien  zu  Methoden- 
lehre und  Erkenntniskritik"  das  Wort  „praj;niatisch"  ziemlich 
oft,  und  zwar  im  Sinne  von   „verbindend",   „ursächlich"  u.  dgl. 


blemen,  die  es  mit  dem  ,, Denken  an  sich"  zu  tun 
haben,  weg  von  allen  Problemen,  die  einer  Veri- 
fizierung nicht  zugänglich  sind.  Da  der  Prag- 
matismus keine  neue  erkenntnistheoretische  Rich- 
tung ist,  so  hat  er  mit  alten  philosophischen 
Richtungen  manches  gemeinsam.  ,,So  stimmt  er 
mit  dem  Nominalismus  darin  überein,  daß  er  sich 
überall  an  das  Einzelne  hält,  mit  dem  Utilitaris- 
mus,  daß  er  überall  den  praktischen  Standpunkt 
betont,  mit  dem  Positivismus  in  der  Verachtung, 
die  er  den  bloß  sprachlichen  Problemlösungen, 
überflüssigen  Fragestellungen  und  metaphysischen 
Abstiaktionen  entgegenbringt." 

Die  Philosophie  hat  vom  Pragmatismus  meist 
nur  fragmentarischen  Gebrauch  gemacht;  erst 
Charles  Pierce,  William  James,  John 
Dewey  und  F.  C.  S.Schiller  haben  die  prag- 
matische Methode  konsequent  und  eingehend 
geübt.  Der  in  Oxford  lehrende  Schiller  hat 
eine  pragmatische  Wahrheitstheorie 
unter  der  Bezeichnung  „Humanismus"  aufge- 
stellt Italien  h.it  in  Pa  p  i  n  i  seinen  Pragmatisten. 
In  Deutschland  stehen  jener  Richtung  nahe  Mach, 
Ost  wald,  G.  Simmel,  Eucken,  Jerusalem. 

Die  pragmatische  Methode  ist  von  hervor- 
ragendem Werte,  um  philosophische  Streitigkeiten 
zu  schlichten.  Als  Beispiel  stellen  wir  folgende 
Frage  zur  Diskussion:  ,,lst  es  notwendig  eine 
geistige  Substanz  anzunehmen?"  Locke  stellt 
hierauf  die  Gegenfrage:  ,, Angenommen,  Gott 
nähme  das  Bewußtsein  weg;  würde  uns  da  das 
Seelenprinzip  etwas  nützen  ?  Nehmen  wir  an,  er 
knüpfe  dasselbe  Bewußtsein  an  verschiedene 
Seelen ;  würden  wir  dabei  etwas  verlieren  ?" 
Offenbar  nicht.  Somit  ist  durch  die  Annahme 
einer  geistigen  Substanz  zum  Verständnis  der 
persönlichen  Identität  nichts  gewonnen,  diese  be- 
steht allein  in  pragmatisch  verifizierbaren  Tat- 
sachen. Das  Problem  der  geistigen  Substanz  fällt 
damit. 

Auch  das  Problem,  ob  Materialismus,  ob 
Spiritualismus,  wird  durch  die  pragmatische 
Methode  leicht  erledigt.  Je  nachdem  der  Ma- 
terialismus seine  „Materie"  mit  genügend  viel 
„Kräften"  und  ., Vermögen"  ausstattet,  gelangt  er 
ganz  zu  denselben  Schlüssen  wie  der  Spiritualis- 
mus, der  seinem  geistigen  Prinzip  ausreichende 
„Fähigkeiten"  und  ,,Entelechien"  einlegt.  Der 
Streit,  ob  Stoff,  ob  Geist,  ist  also  durchaus  un- 
fruchtbar, das  Problem  selbst  kein  Gegenstand 
wissenschaftlicher  Forschung. 

Ahnlich  steht  es  mit  dem  so  oft  diskutierten 
Probleme,  ob  die  Welt  lediglich  Bewußtseinsinhalt 
ist,  oder  ob  sie,  wenn  sie  auch  in  Beziehung  zu 
einem  Bewußtsein  stehe,  doch  unabhängig  davon 
existiere.  Audi  hier  leisten  beide  Auffassungen 
ebensoviel  und  ebensowenig,  beide  sind  gleich 
wertlos. 

Der  Pragmatismus  schafft  so  durch  Ausschei- 
dung unfruchtbarer  Diskussionen  den  Boden  für 
eine  positivistische  Betrachtung  der  Dinge, 
für  eine  Richtung,    der   es    wesentlich    darauf  an- 


N.  F.  VIII.  Nr.  9 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


135 


kommt,  Tatsächliclikeiten  genau  festzustellen  und 
vorurteilslos  auf/.u/cichnen,  er  führt  zu  einer  leb- 
haften Schätzuni:;  aller  auf  die  Krlialtung  des 
Individuums  und  der  Gesellschaft  sich  beziehenden 
I'"aktoren,  er  fördert  diejenigen  Probleme,  die  es 
mit  einer  positiven  Weiterentwicklung  der  Mensch- 
heit zu  tun  haben,  er  blickt  mehr  in  die  Zukunft 
als  in  die  Vergangenheit.  Aber  er  verkennt  auch 
nicht  die  Anschauungen  der  Vergangenheit.  Er 
ist  sich  klar,  daß  auch  die  animistischen  Auf- 
fassungen des  primitiven  Menschen,  die  religiösen 
Überzeugungen  eines  Mönches  aus  dem  Mittel- 
alter, die  metaphysischen  Hirngespinste  eines 
Philosophen  biologische  Erscheinungen  sind,  die 
ihren  außerordentlichen  Wert  haben;  er  weiß,  daß 
diese  Auffassungen  nicht  ohne  weiteres  durch 
neue  ersetzt  werden  können,  es  sei  denn,  daß  der 
Träger  derselben  entwicklungsfähig  genug  ist. 
Er  schätzt  die  Begriffe  des  ,, gesunden  Menschen- 
verstandes", auch  wenn  sie  einer  sorgfältigen 
Kritik  nicht  standhalten. 

James  sucht  seine  Methode  sogar  auf  religiöse 
Probleme  anzuwenden,  so  auf  das  Problem  der 
Erlösung.  Weit  entfernt,  an  eine  tatsächliche 
Weltbcfreiung,  an  eine  vollständige  Erlösung,  zu 
glauben,  an  eine  Welt  des  Absoluten  mit  Wunsch- 
kappen, in  der  jedes  Verlangen  augenblicklich  er- 
füllt wird,  ,,ohne  daß  umgebende  oder  dazwischen- 
tretende Mächte  berücksichtigt  oder  versöhnt 
werden  müßten,"  will  er  nur  das  zum  Ausdruck 
bringen,  daß  tatsächlich  Bedingungen  einer  Besser- 
gestaltung der  Welt  gegeben  sind.  Als  Pragmatist 
genügt  es  ihm,  ,,eine  Welt  hinzunehmen,  aus  der 
der  Ernst  des  Lebens  nicht  zu  verbannen  ist"; 
„er  ist  entschlossen,  auf  Grund  ungesicherter 
Möglichkeiten  zu  leben,  zu  denen  er  Vertrauen 
hat;  er  ist  bereit,  für  die  Verwirklichung  der 
Ideale,  die  er  sich  bildet,  wenn  es  not  tut,  mit 
seinem  Leben  zu  zahlen'. 

Solange  James  nichts  anderes  behauptet,  als 
daß  das  Geschehen  eine  eigenartige  Form  zeigt, 
nämlich  eine  Richtung  hat,  die  in  Zukunft  sowohl 
dem  einzelnen  Menschen  als  den  höheren  und 
höchsten  menschlichen  Verbänden  günstigere  Er- 
haltungsbcdingungen  verspricht,  kann  man  wohl 
mit  ihm  übereinstimmen.  So  hat  auch  Pctzoldt 
in  seiner  Einführung  in  die  Philosophie 
der  reinen  Erfahrung  (verlegt  bei  B.  G. 
Teubner  in  Leipzig,  1900  und  1904)  gezeigt, 
wie  das  zuerst  von  Fechner  in  seinen 
,,Tdeen  zur  Schöpfungs-  und  Entwick- 
lungsgeschichte der  Organismen"  (verlegt 
bei  Breitkopf  &  Härtel  in  Leipzig,  1873)  aufge- 
stellte ,,Prinzip  der  Tendenz  zur  Stabili- 
tät", dessen  allgemeine  Gültigkeit  außer  Frage 
steht,  bedeutungsvolle  Ausblicke  in  die  Zukunft 
gewährt  und  nicht  nur  vielversprechende  Schlüsse 
auf  ein  dereinstiges  theoretisches,  sondern  auch 
auf  ein  dereinstiges  praktisches  und  ästhetisches 
Verhalten  ziehen  läßt.  So  hat  Matzat,  der  vor 
kurzem  einer  fruchtbaren  wissenschaftlichen  Tätig- 
keit   durch    den    Tod    entzogen    worden    ist ,    in 


seinem  geistvollen  Werke  über  die  „Philosophie 
der  Anpassung  mit  besonderer  Berücksichtigung 
des  Rechtes  und  des  Staates"  (verlegt  bei  G. 
Fischer  in  Jena,  1903)  gezeigt,  daß  das  von  Hertz 
in  seiner  berühmten  Mechanik  aufgestellte  Grund- 
gesetz auch  das  Grundprinzip  aller  ,, fortschreiten- 
den' Entwicklung  ist,  im  besonderen  der- 
jenigen Entwicklung,  die  in  der  innerpolitischen 
Geschichte  sich  als  Abnahme  der  Vererbung, 
Zunahme  der  Anpassung  und  Verschär- 
fung der  Auslese  zu  erkennen  gibt.  Sobald 
aber  James  trotz  seiner  starken  Abneigung  vor 
dem  Absoluten  glaubt,  ,,daß  es  höhere  Mächte 
gibt  und  daß  sie  am  Werke  sind,  die  Welt  in 
derjenigen  idealen  Richtung  zu  erlösen,  die  un- 
seren Idealen  entspricht,"  steht  er  nicht  mehr  mit 
beiden  Füßen  auf  dem  Boden  der  Tatsächlichkeit. 
Hier  wird  der  Pragmatismus  dem  Positivismus 
untreu  und  gibt  .'^nlaß  zur  Befürchtung,  daß  er 
auch  metaphysische  P^aktoren  in  solche  Probleme 
hineintrage,  die  einer  völligen  oder  doch  ange- 
näherten Lösung  von  Haus  aus  fähig  sind. 

Wenn  auch  der  Pragmatismus  ein  sehr  be- 
quemes Mittel  ist,  Streitigkeiten  zu  schlichten, 
unfruchtbare  Scheinprobleme  auszumerzen,  so 
bleibt  doch  immer  noch  die  Gefahr,  daß  gelegent- 
lich auch  solche  Probleme  ausgeschieden  werden, 
deren  Fruchtbarkeit  zurzeit  noch  nicht  oder 
noch  nicht  genügend  einleuchtet. 

Ferner  gibt  die  Ausschaltung  eines  wirklich 
unfruchtbaren  Problems  noch  keine  Gewähr,  daß 
das  Problem  nicht  doch  immer  wieder  von  neuem 
auflebe.  Die  pragmatische  Methode  ist  daher  so 
zu  verfeinern,  daß  diese  Gefahr  möglichst  einge- 
schränkt wird.  Sie  darf  vor  allen  Dingen  —  um 
die  mit  der  Problemlösung  funktional  verknüpften 
zentralnervösen  Vorgänge  ins  Auge  zu  fassen  — 
nicht  diejenigen  nervenphysiologischen  Prozesse 
höher  werten,  die  unmittelbar  zur  Auslösung  von 
Orientierungsbewegungen,  manuellen,  instrumen- 
talen Tätigkeiten  u.  dgl.  führen,  als  diejenigen, 
die  überhaupt  nicht  „ektosystematisch"  auslaufen. 
Der  Pragmatismus  darf  nicht  dahin  führen,  daß 
er  fruchtbare  logische  Erörterungen  in  den  Hinter- 
grund drängt.  Nehmen  wir  etwa  an,  es  handle 
sich  um  das  Problem  der  Quadratur  des  Kreises. 
Eine  voreilige  pragmatische  Methode  hätte  zu 
einer  Zeit,  wo  noch  keine  Entscheidung  über 
dessen  Lösbarkeit  oder  LJnlösbarkeit  vorlag,  auf 
die  Unfruchtbarkeit  der  Lösungsversuche  hinge- 
wiesen und  das  Problem  ausgeschaltet:  und  doch 
handelte  es  sich  um  ein  solches,  das  auf  mathe- 
matischem, also  streng  logischem  Wege  auf  ewige 
Zeit  zu  F"all  gebracht  werden  konnte.  Ein  ober- 
flächlicher Pragmatismus  dürfte  das  Problem,  ob 
alles  Vorgefundene  rein  psychisch  oder  rein 
physisch  sei,  deshalb  ablehnen,  weil  die  aus  beiden 
Ansichten  gezogenen  P'olgerungen  durchaus  gleich- 
wertig sind;  ein  tieferer  Pragmatismus  wird  in 
weit  erfolgreicherer  Weise  das  Problem  dadurch 
beseitigen,    daß    er    auf    die    Sinnlosigkeit    eines 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


N.  F.  VIII.  Nr.  9 


ohne  Gegenbegriff  aufgestellten  Begriffes  auf- 
merksam macht. 

Wir  glauben  indes,  daß  ein  mit  Vorsicht 
geübter  Pragmatismus'.wohl  imstande  sein  dürfte, 
allen  Anforderungen  der  Wissenschaft 
und  des  praktischen  Lebens  gerecht  zu 
w  e  r  d^e  n. 

Kehren  wir  wieder  zu  unserem  Buche  zurück! 
Von  hervorragendem  Werte  scheinen  mir  die- 
jenigen Abschnitte  zu  sein,  die  vom  Wahrheits- 
begriffe des  Pragmatismus  und  von 
Pragmatismus    und  Humanismus  handeln. 

Wahrheit  ist  nach  der  üblichen  Begriffs- 
bestimmung eine  Eigenschaft  gewisser  _yor- 
stellungen.  Wahrheit  bedeutet  soviel  wie  „Über- 
einstimmung mit  der  Wirklichkeit". 

Sobald  die  PVage  aufgeworfen  wird,  was  „Über- 
einstimmung'' und  was  „Wirklichkeit"  bedeute, 
beginnt  der  Streit. 

Nach  der  Auffassung  der  Intellektualisten  ist 
die  Wahrheit  eine  starre  Beziehung  zwischen  einem 
Absoluten,  dem  „Wesen"  einer  Sache  oder  eines 
Vorganges,  und  zwischen  der  als  ,,wahr"  gekenn- 
zeichneten Vorstellung. 

Anders  urteilt  der  Pragmatismus.  Ihm  ist  die 
Wahrheit  keine  unbewegliche  Eigenschaft,  sondern 
ein  Vorkommnis,  ein  Sichgeltendmachen.  Schiller 
und  Dewey  nennen  solche  Vorstellungen  wahr, 
„die  wir  uns  aneignen,  die  wir  geltend  machen, 
in  Kraft  setzen  und  verifizieren  können"  und 
solche  Vorstellungen  falsch,  ,,bei  denen  dies 
alles  nicht  möglich  ist". 

Unsere  Gedanken  stimmen  mit  der 
Wirklichkeit  überein,  wenn  sie  uns  durch 
Handlungen  und  durch  neue  Gedanken,  die  sie 
anregen,  zu  anderen  Teilen  der  Erfahrung  führen, 
mit  denen  die  ursprünglichen  Gedanken  sich  im 
Einklang  befinden.  Der  Besitz  wahrer  Gedanken 
bedeutet  zugleich  den  Besitz  wertvoller  Mittel 
zum  Handeln.  „Unsere  Pflicht,  Wahrheit  zu  er- 
werben, ist  also  keineswegs  ein  aus  der  Luft 
stammendes  Gebot  oder  eine  Last,  die  der  In- 
stinkt sich  selbst  auferlegt  hat,  sie  ruht  vielmehr 
auf  vortrefflichen  praktischen  Gründen."  Nach 
Wahrheit  suchen  bedeutet  nichts  anderes  als  den 
Anpassungswert  des  nach  Wahrheit  suchenden 
Menschen,  dessen  Erhaltung  von  äußeren  und 
inneren  Umständen  fortwährend  bedroht  ist,  er- 
höhen, ist  also  eine  ungemein  wichtige  biologische 
Funktion,  der  nicht  ein  rätselhaftes  Sollen,  son- 
dern ein  zwingendes  Müssen  zugrunde  liegt. 

Die  Verifikation  kann  direkt  und  in- 
direkt sein.  Die  Wahrheit  lebt  auf  Kredit;  es 
genügt  uns  in  vielen  Fällen  zu  wissen,  daß  ein 
Urteil  von  irgend  jemand  einmal  anschaulich  veri- 
fiziert worden  ist.  Wenn  wir  oft  auf  völlige 
Verifikation  verzichten,  so  liegt  das  nicht  nur 
daran,  daß  wir  Zeit  ersparen  wollen,  sondern  auch 
daran,  daß  die  Dinge  in  Gattungen  da  sind. 

Die  Wahrheit  ist  nicht  bloß  P'ührerin  in  der 
Welt  der  sinnenfälligen  Dinge  und  der  Beziehungen 
des  gewöhnlichen  Denkens,   sondern    auch  in  der 


Welt  der  Geisteswissenschaften.  Hier 
dürfen  wir  sogar  von  „unbedingten"  Wahrheiten 
sprechen.  Da  sich  die  Tatsachen  zum  Teil  in 
die  Systeme  der  Geisteswissenschaften  einordnen 
lassen,  so  gelten  deren  Wahrheiten  auch  für  die 
wirkliche  Welt. 

Was  ist  Wirklichkeit?  Wirklichkeiten 
sind  nicht  nur  konkrete  Tatsachen,  sondern  auch 
abstrakte  Dinge  und  deren  Beziehungen,  ferner 
aber  die  gesamte  Masse  der  in  unserem  Besitze 
befindlichen  Wahrheiten. 

Was  bedeutet  Übereinstimmung  mit  der 
Wirklichkeit?  Von  einer  Übereinstimmung  im 
strengen  Sinne  kann  überhaupt  nicht  die  Rede 
sein;  viele  Vorstellungen  sind  keine  Abbilder, 
sondern  lediglich  Zeichen.  „Unsere  Ideen 
stimmen"  nach  der  Auffassung  der  Pragmatisten 
nur  dann  ,,mit  der  Wirklichkeit  überein,  wenn  sie 
uns  sowohl  zu  nützlichen  Worten  und  Begriffen 
als  auch  unmittelbar  zu  sinnenfälligen  Dingen 
führen."  „Alle  Wahrheitsprozesse  müssen  irgend- 
wo zu  einer  anschaulichen  Verifikation  durch 
Sinneserfahrung  führen,  einer  Sinneserfahrung,  die 
irgendjemand  in  seiner  Vorstellung  abgebildet  hat." 

Diese  Auffassung  steht  natürlich  im  schroffsten 
Gegensatze  zur  rationalistischen,  für  die  die 
Wahrheit  eine  einzigartige  Beziehung  ist  und  für 
die  die  Verifikationsprozesse  nur  als  Zeichen  dafür 
gelten,  daß  die  Wahrheit  da  ist.  Für  den  Ratio- 
nalismus ist  die  Wahrheit  bereits  „ante  rem";  in 
den  Zwischenzeiten,  wo  sich  kein  Verifikations- 
prozeß vollzieht,  ist  sie  eine  Disposition  unserer 
Vorstellungen  und  Überzeugungen. 

Für  den  Pragmatismus  sind  die  Wahrheiten 
nur  relativ  feste  Beziehungen,  sie  , .streben"  erst 
in  der  Weiterentwicklung  nach  einem  idealen 
Punkte  hin  und  nähern  sich  Wahrheiten,  die  keine 
künftige  Erfahrung  mehr  ändern  kann.  Tatsachen 
selbst  sind  weder  wahr  noch  falsch.  Wahrheit 
ist  lediglich  eine  P'unktion  unserer  Urteile,  „die 
inmitten  der  Tatsachen  entstehen  und  enden-'. 

Der  Kenner  der  Werke  von  Avenarius  und 
Petzoldt  wird  in  dieser  Wahrheitstheorie  kaum 
etwas  Neues  sehen.  Ja,  da  diese  Philosophen  auf 
die  physiologischen  Unterlagen  der  psychi- 
schen Vorgänge  zurückgehen,  haben  sie  das  Pro- 
blem vielleicht  tiefer  als  James  gefaßt. 

Während  nach  Rickert  die  Wahrheit  ein 
System  von  Sätzen  ist,  die  ein  unbedingtes  Recht 
darauf  haben,  als  gültig  anerkannt  zu  werden, 
und  während  Wahrheit  allen  Urteilen  zugesprochen 
wird,  die  zu  fällen  wir  uns  durch  eine  Art  im- 
perativer Pflicht  verbunden  fühlen,  leitet  der 
Pragmatist  das  Recht  und  die  Pflicht,  die  Vor- 
stellungen mit  der  Wirklichkeit  in  Übereinstim- 
mung zu  bringen,  nur  aus  praktischen  Gründen 
ab.  Er  fühlt  sich  nur  deshalb  verpflichtet,  sich 
an  die  Wahrheit  zu  halten,  weil  Wahrheit  lohnt, 
genau  wie  Reichtum  und  Gesundheit. 

Daß  eine  solche  Auffassung  die  lebhaftesten 
Stürme  gegen  Schiller  und  Dewey  wecken 
mußte,  läßt  sich  begreifen. 


N.  F.  VIII.  Nr.  9 


Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Schiller  hat  nun  für  die  Lehre,  daß  auch 
unsere  Wahrheiten  menschliche  Erzeugnisse  sind, 
den  Namen  Humanismus  vorgeschlagen.  Zu- 
nächst habe  man  die  Welt  als  durchaus  plastisch 
anzusehen  und  dürfe  diese  Ansicht  erst  dann  fallen 
lassen,  wenn  man  auf  entschiedenen  Widerstand 
treffe. 

Nach  Schiller  sind  alle  unsere  Wahrheiten 
Überzeugungen  vom  Vorhandensein  einer  „Wirk- 
lichkeit", die  gefunden  und  nicht  hervorgebracht 
wird.     Die  VVirklichkeit  besteht  aus  3  Teilen: 

Der  erste  Teil  ist  der  Strom  unserer 
Sinneswalirnehmungen,  die  weder  wahr 
noch  falsch  sind,  sondern  einfach  sind. 

Der  zweite  Teil  sind  die  Beziehungen 
zwischen  unseren  Wahrnehmungen  und 
den  gedanklichen  Abbildern.  Unter  diesen 
Beziehungen  gibt  es  veränderliche  und  zu- 
fällige, z.  B.  die  räumlichen  und  zeitlichen,  und 
wesentliche,  sich  immer  gleichblei- 
bende Beziehungen.  Die  letzteren  sind  die 
wichtigeren,  von  denen  das  mathematisch-logische 
Denken  immer  Rechenschaft  geben  muß. 

Der  dritte  Teil  sind  die  alten  Wahr- 
heiten, auf  die  jede  neue  Untersuchung  Rück- 
sicht zu   nehmen  hat. 

Mit  den  Elementen  der  Wirklichkeit  können 
wir  mit  einer  gewissen  Freiheit  schalten,  wir 
können  sie  auswählen. 

Wenn  von  einer  Unabhängigkeit  der  Wirklich- 
keit die  Rede  ist,  so  handelt  es  sich  lediglich  um 
den  Begriff"  dessen,  was  eben  in  die  Erfahrung 
eintritt  und  noch  nicht  benannt  ist,  um  eine  Art 
ursprünglichen  Vorhandenseins  in  der  Erfahrung, 
bevor  sich  eine  Überzeugung  von  diesem  Vor- 
handensein gebildet  hat  und  bevor  irgendein 
menschlicher  Begriff  darauf  angewendet  wurde. 
Das  klingt  fast  wie  Kant.  ,,Aber  zwischen  Kate- 
gorien, die  aufblitzten,  bevor  die  Natur  da  war. 
und  Kategorien,  die  sich  im  Beisein  der  Natur 
allmählich  bildeten,  gähnt  die  ganze  Kluft  zwischen 
Rationalismus  und  Empirismus." 

Die  Wahrheit  ist  nun  nicht  die  Wirklichkeit 
selbst,  sondern  nur  die  Überzeugung  von 
dieser  Wirklichkeit.  „Unmöglich  kann  man  in 
unserer  Erkenntnisentwicklung  die  objektiven 
Faktoren  von  den  vermenschlichenden  (subjektiven) 
Faktoren  trennen."  Während  für  den  Rationalis- 
mus die  Wirklichkeit  von  aller  Ewigkeit  her 
fertig  und  vollendet  ist,  ist  sie  für  den  Pragmatis- 
mus noch  im  Werden  und  erwartet  ihre  Gestal- 
tung zum  Teil  erst  von  der  Zukunft. 

Der  Pragmatismus  kennt  „nur  eine  einzige 
Ausgabe  der  Welt,  die  unfertig  ist  und  überall 
größer  wird,  besonders  da,  wo  denkende  Wesen 
am  Werke  sind".  Der  Rationalismus  hat  „ein 
Universum  in  mehreren  Ausgaben.  Zunächst  die 
wirkliche  Welt,  die  unendliche  F"olioausgabe ; 
dann  die  verschiedenen  endlichen  Ausgaben,  voll 
falscher  Lesarten,  und  jede  in  ihrer  Art  entstellt 
und  verstümmelt." 

Während    für  den  Rationalisten  das  Veränder- 


liche auf  Unveränderlichkeit  gegründet  ist,  sieht 
der  Pragmatist  hinter  der  Erscheinung  nichts. 
Wenn  der  Rationalist  darauf  besteht,  ,,daß  hinter 
den  Tatsachen  der  Grund  der  Tatsachen,  die 
Möglichkeit  der  Tatsachen  stehen  müsse,"  so 
wirft  der  Empirist  ihm  vor,  „er  nehme  den  bloßen 
Namen  einer  Tatsache  her  und  stelle  denselben 
dann  hinter  die  Tatsache  als  eine  zweite  Wesen- 
heit, die  die  erste  erst  möglich  machen  soll". 

Trotzdem  hat  der  Pragmatist  nichts  gegen 
eine  „absolute  Welt"  einzuwenden,  wenn  dieses 
Wort  nur  als  ein  orientierendes  Abstraktum  ge- 
nommen wird.  Jederzeit  auch  gegen  rationalisti- 
sche Auffassungen  tolerant,  überläßt  er  die  „ab- 
solute Welt"  als  Konkretum  denjenigen  gern, 
deren  religiöses  Leben  dadurch  bestimmt  wird. 

Dies  der  Inhalt  des  bedeutsamen  Buches.  Der 
Pragmatismus  ist,  wie  wir  nochmals  hervorheben 
wollen,  lediglich  eine  Methode.  Von  der  Sorg- 
falt, mit  der  die  Methode  angewandt  wird,  hängen 
ihre  Erfolge  ab.  Da  die  pragmatische  Weise 
alles  Denken  in  Beziehung  zum  menschlichen 
Handeln  setzt,  ist  sie  dem  scholastischen,  nur  mit 
Worten  spielenden  Denken  abhold;  sie  hat  ferner 
die  Tendenz  alle  metaphysischen,  der  Erfahrung 
prinzipiell  unzugänglichen  Elemente  auszuschalten. 
Immerhin  ist  sie  tolerant  gegen  jede  Lehre,  die 
noch  irgendwie  fruchtbare  Arbeit  zu  leisten  ver- 
mag; so  achtet  sie  die  Begriffe  des  gesunden 
Menschenverstandes,  die  zwar  einer  kritischen 
Analyse  meist  nicht  standhalten,  aber  innerhalb 
bestimmter  Grenzen  überaus  nützlich  sind ;  sie 
achtet  selbst  eine  freiere  Phantasietätigkeit ,  falls 
ohne  sie  die  Lebensfreude  eine  Einbuße  erlitte. 
Daß  der  Pragmatismus  noch  mancher  Erweite- 
rung und  mancher  Berichtigung  fähig  ist,  hat 
Jerusalem  im  Vorworte  hervorgehoben. 

Wenn  auch  das  Temperament  des  Pragmatisten 
nicht  so  ,, grobkörnig"  sein  mag  wie  das  des 
strengen  Empiristen,  so  ist  es  doch  noch  „grob- 
körnig" genug,  um  den  Rationalisten  in  lebhafte 
Wallung  zu  bringen.  Heftige  Kämpfe  haben  sich 
in  England  erhoben,  auch  bei  uns  werden  sie 
nicht  ausbleiben.  Das  schadet  aber  nichts.  Um 
so  mehr  werden  sich  die  Ansichten  auf  beiden 
Seiten  klären.  Einstweilen  wünschen  wir,  daß 
recht  viele  Leser  unserer  Zeitschrift  das  köstliche 
Buch  von  James  in  die  Hand  nehmen  mögen. 
Wir  versprechen  ihnen  nicht  nur  reiche  Belehrung, 
sondern  auch  einen  hohen  ästhetischen  Genuß. 

Die  Schrift  des  amerikanischen  Gelehrten 
ist  das  temperamentvolle  Werk  eines  auch 
mitten  im  Leben  stehenden  Mannes,  sie  ist  ein 
Beweis,  daß  der  Tempel  der  Philosophie  nicht 
ein  weltfremdes  Heiligtum  für  wenige  Auserwählte 
ist,  sondern  jedem  offen  steht,  der  sich  mit 
frischen  Sinnen  im  Gewirr  der  Tatsachen  orien- 
tieren will.  Einen  mehr  esoterischen  Charakter 
hat  das  von  G.  F.  Lipps  unter  dem  Titel 
,,My  t  he  nbildu  ng  und  Erkenntnis"  er- 
schienene Buch,  das  als  dritter  Band  der  Samm- 
lung   ,,Wissensch  aft    und    Hypothese"    bei 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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Teubner  in  Leipzig  im  Jalire  1907  verlegt  ist. 
Trotzdem  möchten  wir  den  ersten  Teil  desselben, 
der  über  naive  und  kritisciie  Wellbetrachtung 
handelt  und  in  klarer,  knapper  und  übersichtlicher 
Form  aus  der  Geschichte  der  Philosophie  die 
Entwicklung  derjenigen  Funktionen  aufzeigt,  in 
denen  die  Wirklichkeit  erfaßt  wird,  als  eine  gute 
Einführung  in  die  Philosophie  empfehlen.  Der 
zweite  Teil  verrät  den  mathemalisch  geschulten 
Gelehrten,  dem  es  darauf  ankommt,  seine  Auf- 
gaben in  möglichster  Allgemeinheit  zu  lösen. 
Aber  wenn  auch  einige  Kapitel  durch  ihren  ab- 
strakten Gehalt  eine  größere  Aufmerksamkeit  be- 
anspruchen, so  entschädigen  andere  wieder  reich- 
lich durch  ihre  aktuelle  Bedeutung. 

Der  Standpunkt  des  Verfassers  ist  der  des 
kritischen  Empirismus.  Seinen  Ausführungen 
werden  nicht  nur  Fhilosopiien  von  h^ach,  sondern 
auch  Naturwissenschaftler  und  Mathematiker,  die 
erkenntnistheoretischen  Problemen  nicht  aus  dem 
Wege  gehen,  mit  Befriedigung  folgen. 

Für  G.  F.  Lipps  besteht  die  Aufgabe  der 
Philosophie  darin,  vom  ,, Vollziehen  der  Be- 
stimmungen" auszugehen  und  ,, klarzulegen, 
wie  .es  zugeht,  daß  uns  in  dem  Gewebe  voll- 
zogener Bestimmungen  die  Welt  und  unser  eigenes 
Sein  als  eine  in  sich  beruhende  Wirklichkeit  ent- 
gegentritt." Die  Frage,  ,, warum  Bestimmungen 
vorhanden  sind  und  warum  es  Objekte  und  eine 
objektiv  bestehende  Welt  gibt,"  ist  „nicht  zu  be- 
antworten, ja  sie  darf  gar  nicht  gestellt  werden. 
Wir  können  nur  angeben,  wie  Bestimmungen 
vollzogen  werden,  es  steht  uns  hierbei  nur  der 
Hinweis  auf  vollzogene  Bestimmungen  (nicht  auf 
ein  Vermögen  sie  auszuführen)  zu  Gebote."  Natür- 
lich muß  hierbei  auf  den  Mythus  von  schöpferisch 
tätigen  Kräften  durchaus  verzichtet  werden.  „Der 
Erfolg  einer  Bestimmung  zeigt  sich  nun  offenbar 
darin,  daß  das  eine  von  dem  anderen  unter- 
schieden, aber  auch  zugleich  mit  ihm  verknüpft 
und  so  zu  ihm  in  Beziehung  gesetzt  wird."  Das 
Wesen  des  Bestimmens  besteht  im  Erfassen  des 
einen  im  anderen.  So  gelangt  in  dem  Urteile 
„diese  Rose  ist  rot"  die  Unterscheidung  des  einen 
vom  anderen  und  die  Verknüpfung  des  einen  mit 
dem  anderen,  von  dem  es  unterschieden  wird, 
zur  Ausführung.  „Ich  erfahre  nämlich  in  dem 
durch  das  Wort  ,,dies"  angedeuteten  Erlebnis  die 
als  ,,rot"  bezeichneten  Inhalte  früherer  Erlebnisse, 
und  indem  ich  dies  tue,  wird  das  früher  Erlebte 
dem  jetzt  Erlebten,  das  ja  auch  eine  andere  Be- 
schaffenheit haben  könnte,  gegenübergestellt  und 
durch  Zuerkennen  der  roten  Farbe  mit  ihm 
verknüpft." 

Wir  übergehen  die  Arten  des  Zusammenhangs 
der  Bestimmungen  und  wenden  uns  zum  Kapitel 
vom  „Erfassen  der  Wirklichkeit".  Diese  selbst 
tritt  nur  in  den  Bestimmungen  des 
Denkens  hervor  und  besitzt  nicht  etwa  eine 
vom  Denken  unabhängige  Existenz.  Da  ein 
Gegenstand  zum  Träger  eines  Vereins  zusammen- 
gehöriger   Bestimmungen    wird,    die    nicht    insge- 


samt vollzogen  sein  müssen,  sondern  auch  bloß 
als  „vollziehbar"  in  Betracht  kommen  können,  so 
kann  das  zur  Annahme  verleiten,  „daß  der  Gegen- 
stand schon  ohne  jede  Bestimmung  —  als  Ding 
an  sich  —  bereits  vorhanden  sei  und  darauf  warte, 
durch  das  Denken  aufgefunden  und  mit  Bestim- 
mungen ausgestattet  zu  werden".  Dann  müßte 
ein  Ähnliches  auch  vom  Denken  gelten.  „In 
Wahrheit  gibt  es  jedoch  weder  ein  Ding  an  sich 
noch  ein  für  sich  bestehendes  Denken.  Denn 
der  einer  weiteren  Bestimmung  fähige  Gegenstand 
ist  nur  auf  Grund  der  bereits  vorliegenden  Be- 
stimmungen talsächlich  vorhanden,  und  auch  das 
Denken  existiert  nur,  sofern  es  in  dem  Vollzuge 
von  Bestimmungen  zutage  tritt.  Es  ist  nur  die 
Möglichkeit  im  Auge  zu  behalten,  daß  zu  den 
bereits  vollzogenen  Bestimmungen  noch  weitere 
hinzutreten  können;  und  man  muß  neben  den 
einzelnen  Bestimmungen  auch  ihr  Zusnnmien- 
bestehen  als  maßgebend  für  die  Beschaftenheit 
der  in  dem  Gewebe  der  Bestimmungen  hervor- 
tretenden Gegenstände  ansehen."  .  .  .  ,,Es  gibt 
keine  unerkennbare  Wirklichkeit;  keine 
Grenzen,  jenseits  welcher  ein  dem  Erkennen 
sich  entziehendes  Sein  oder  Werden  voraussetzbar 
wäre;  keinen  Kern,  der  hinter  der  allein  zu- 
gänglichen Schale  verborgen  bliebe.  ...  Es  hat 
daher  auch  gar  keinen  Sinn  zu  fragen,  ob  es  denn 
überhaupt  eine  Wirklichkeit  gebe,  und  ob  wir 
nicht  vielmehr  einen  wesenlosen  Schein  oder 
einen  bloßen  Traum  an  ihre  Stelle  setzen,  da  nur 
eine  mit  subjektiven  Täuschungen  behaftete  indi- 
viduelle Auffassung  des  wahren  Seins  möglich  sei." 
,,Es  gibt  nur  eine  einzige,  in  sich 
zusammenhängende  Wirklichkeit."  Es 
gibt  aber  für  uns  weder  eine  Wirklichkeit, 
die  von  vornherein  eine  bestimmte  Beschaffenheit 
hat,  noch  auch  einen  mit  Vermögen  und  Kräften 
ausgerüsteten  Geist.  Darum  hat  die  F'rage,  wo- 
her die  Formen  stammen,  aus  der  Wirklichkeit 
selbst  oder  aus  dem  Geiste,  keinen  Sinn.  Dagegen 
ist  von  grundlegender  Bedeutung,  ,,wie  die 
Wirklichkeit  tatsächlich  erfaßt  wird 
und  erfaßt  werden  muß." 

Als  beziehungslos  kann  die  Wirklichkeit  nicht 
gedacht  werden.  Sie  ist  nur  in  einem  Prozesse 
des  Unterscheidens  und  Verknüpfe  ns 
erfaßbar,  und  zwar  nur  in  bestimmten  Daseins- 
weisen, von  welchen  die  eine  in  der  anderen  her- 
vortritt oder  in  die  andere  übergeht.  Die  Daseins- 
weisen bilden  in  ihrem  Zusammenbestehen  die 
Wirklichkeit,  „die  als  solche  selbst  nicht  wieder 
in  einer  Einzelbestimmung  erfaßt  werden  kann." 
Das  Unterscheiden  der  Bestandteile  der 
Wirklichkeit  ist  nicht  dasselbe  wie  das  Erfassen 
jener  Bestandteile  in  ihrem  Zusammenbestehen. 
„Ohne  den  Vollzug  von  Unterscheidungen  ist 
zwar  die  Wirklichkeit  nicht  erfaßbar;  sie  wird 
aber  durch  die  Unterscheidungen  nicht  erschöpft 
und  löst  sich  nicht  in  sie  auf."  Die  W  i  r  k  1  i  c  h - 
keit  ist  ein  teilbares  Ganze,  dessen  Teile  wieder- 
um teilbar  sind  und  sich  in  irgendwelchen,  durch 


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Naturwissenschaftliche  Wochenschrift. 


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die  Sinnesqualitäten  bedingten  Abgrenzungen  dar- 
bieten. Sie  hat  die  Form  eines  K  o  n  t  i  n  u  u  m  s , 
das  als  f  1  ä  c  h  e  n  h  a  f  t  oder  zweidimensional 
7.U  bezeichnen  ist. 

In  ihm  werden  die  Erstreckungeii,  wie  der 
Arithmetiker  sich  ausdrücken  würde,  von  den 
beiden  Richtuiigsgegensätzen  -\~  1  und  —  i  und 
-|-  i  und  —  i  berherrscht.  Im  flächenhaften 
Kontinuum  sind  es  nun  die  Raumkörper,  die 
wir  erfassen.  Bei  ihnen  tritt  zu  jenen  Richtungs- 
gegensätzen noch  ein  dritter  hinzu,  der  Portgang 
von   innen  nacli  außen. 

Ein  Körper,  der  alle  irgendwie  bestimmten 
Körper  umschließt  und  den  wir  sich  unbegrenzt 
ausdehnen  lassen,  würde  als  der  dreidimensionale 
Raum  zu  bezeichnen  sein. 

Alles  Naturgeschehen  läßt  sich  auf  die 
Änderung  der  Bewegung  und  der  Lage,  des 
Volumens  und  der  Anzahl  der  Raumkörper  oder 
ihrer  Teile  zurückführen. 

Es  ist  keineswegs  notwendig,  die  Veränderung 
der  Körperwelt  auf  die  von  der  Bewegung  kleinster, 
unveränderlicher  und  undurchdringlicher  Teile  zu 
gründen;  man  würde  sonst  ein  Vorurteil  zur 
Grundlage  der  Naturbetrachtung  machen. 

Den  Begriff  des  ,,Besc  hre  ibens"  faßt  Lipps 
zu  eng.  Es  genüge  nicht  zu  wissen,  daß  die 
Größen  x,,  x,,  x.,,  .  .  .,  welche  für  einen  ge- 
gebenen Zeitpunkt  die  Bewegung  und  Lage,  das 
Volumen  und  die  Anzahl  der  Körper  oder  ihrer  Teile 
bestimmen,  nach  Ablauf  einer  bestimmten  Zeit  die 
Werte  y,,  y,^,  y^, ...  angenommen  haben,  sondern 
man  müsse  ,, die  tatsächlich  sich  vollziehende  Ände- 
rung auch  begreifen,  indem  wir  den  früheren 
Zustand  als  den  objektiv  bestehenden  Grund  der 
späteren  und  den  späteren  als  die  objektiv  be- 
stehende Folge  des  früheren  auffassen."  Man  müsse 
die  von  Hausaus  unbeschränkt  veränderlichen  Körper 
erst  mit  gewissen,  die  Zustandsänderungen  bedingen- 
den Merkmalen,  mit  bestimmten  Parametern  be- 
haftet denken,  z.  B.  mit  dem  Parameter  der 
Masse.  Lipps  bedenkt  nicht,  daß  die  Me- 
thode des  Beschreibens  im  Sinne  von  Mach 
jede  Begriffsbildung  einschließt,  sofern  sie  ganz  in 
der  Erfahrung  wurzelt,  daß  sie  also  auch  die  Bil- 
dung des  so  wichtigen  Parameterbegriffes  umfaßt. 
Mach  selbst  hat  in  klassischer  Weise  einen  Weg 
gezeigt,  auf  dem  man  in  einwandsfreier  Weise 
zum  Massenparameter  gelangt.  Eine  Erfahrungs- 
tatsachen verwertende,  rein  in  Gedanken  sich  voll- 
ziehende Begriffsbildung,  deren  Wert  nachträglich 
wieder  an  den  Tatsachen  geprüft  wird,  braucht 
durchaus  nicht  aus  dem  Bereich  des  Beschreibens 
herauszutreten.  Auch  Duhem  vertritt  diese 
Auffassung  in  seinem  Werke  über  ,,Ziel  und 
Struktur  der  physikalischen  Theorien". 

Sehr  richtig  ist  das,  was  Lipps  von  den  ver- 
borgenen Qualitäten  und  Kräften  sagt,  die  für 
eine  kritische  Auffassung  des  Naturgeschehens 
ebensowenig  vorhanden  sind,  wie  ein  absolutes 
mit  ursprünglichen  Bestimmungen  behaftetes  Sein. 

Die    Unterscheidung ,    die    er    zwischen     b  e  - 


lebten  und  unbelebten  Körpern  macht,  hat 
etwas  Bestechendes.  Datiach  werden  die  Parameter 
der  lebendigen  Körper  nicht  nur  durch  „die 
gegenwärtigen,  sondern  auch  durch  die  ver- 
gangenen Zustände  beeinflußt  und  sind  darum 
einer  ständigen  Veränderung  unterworfen".  ,,Die 
Parameter  der  leblosen  Körper  sind  entweder 
konstant  oder  nur  von  dem  augenblicklichen  Zu- 
stand abhängig." 

Eine  derartige  Unterscheidung  scheint  mir 
nicht  ausreichend  zu  sein.  \Vas  für  lebende 
Körper  gilt,  gilt  meiner  Ansicht  nach  auch  für 
alle  diejenigen  leblosen  Köper  syst  e  me,  die, 
äußeren  Störungen  ausgesetzt,  sich  diesen  anzu- 
passen vermögen  und  ihre  Form  nur  so  langsam 
ändern,  daß  sie  immer  noch  als  dieselben 
Systeme  angesehen  werden  dürfen.  Als  Beispiele 
können  wir  die  der  Entwicklung  unterworfene 
Erde  und  das  Sonnensystem  anführen. 

Es  dürfte  unsere  Auffassung  deshalb  wichtig 
sein,  als  in  ihr  zum  Ausdrucke  kommt,  daß  von 
einem  prinzipiellen  Unterschiede  zwischen 
lebendem  und  leblosem  Körper  nicht  die  Rede 
sein  kann,  solange  man  von  den  etwa  vorhandenen 
psychischen  Begleiterscheinungen  absieht.  Zur- 
zeit ist  es  jedoch  zweckmäßig,  die  spezialisierten 
Bestimmungen  des  lebendigen  Körpers  beizube- 
halten, wie  sie  z.  B.  von  Roux  gegeben  sind. 

Wichtig  ist  der  Satz,  daß  weder  das  Empfin- 
den noch  das  F"ühlen  als  Wirkung  oder  U  r  - 
Sache  des  objektiven  Geschehens  zu  begreifen 
sei,  daß  vielmehr  die  subjektiven  Zustände  des 
Fühlens  und  Empfindens  oder  des  Bewußtseins 
mit  gewissen  Größen,  welche  objektive  Zustände 
und  Zustandsänderungen  des  Leibes  bestimmen, 
verknüpft  sind.  Mit  Recht  betont  Li pps,  daß  un- 
lösbare Widersprüche  auftreten,  wenn  subjek- 
tive Erlebnisse  in  den  Zusammenhang  des  ob- 
jektiven Geschehens  eingereiht  werden,  wenn 
z.  B.  psychische  Tatsachen  in  die  physiologischen 
Gehirnvorgänge  als  bestimmende  Faktoren  ein- 
geschaltet werden. 

Zum  Schlüsse  stellt  der  Verfasser  noch  das 
die  Psychologie  in  ihrem  ganzen  Umfange  be- 
herrschende Prinzip  derlnhärenz  auf,  wo- 
nach die  der  Vergangenheit  aiigehörigeip  Er- 
regungszustände der  Pllemente,  auf  denen  das 
Bewußtsein  beruht,  insgesamt  und  in  ihrem  ganzen 
Umfange  den  gegenwärtig  erfaßten  Zuständen 
inhärieren.  Der  Mensch  ist  in  seinem  Tun  und 
Lassen  vom  Aufleben  und  Nachwirken  der  Ver- 
gangenheit abhängig.  Er  nimmt  daher  Ge- 
wöhnungen an,  er  läßt  sich  erziehen;  er  ist  einer 
durch  die  Vergangenheit  bedingten  und  so  in 
bestimmter  Richtung  sich  vollziehenden  Entwick- 
lung fähig. 

Wir  haben  diejenigen  Punkte  herausgegriffen, 
die  ein  al